Beschluss vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Kammer) - 3 TaBV 19/10

Tenor

I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichtes Rostock vom 23.11.2010 – 1 BV 24/10 – wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

A.

1

Die Beteiligten zu 1. und 2. streiten in der Beschwerdeinstanz noch über die Rechtmäßigkeit der Zustimmungsverweigerung zum Einsatz von 19 Mitarbeitern der Beteiligten zu 1. an Callcenter-Standorten in B-Stadt bei der Vivento Customer Services GmbH (künftig VCS). Der Hauptstreitpunkt zwischen den Beteiligten ist in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit zur Durchführung eines Auswahlverfahrens nach den §§ 3, 4 des Tarifvertrages Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung vom 25.06.2007 (künftig TV Ratio; Bl. 78 ff d.A.). Hintergrund der Auseinandersetzung ist die Gesamtbetriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 111/112 BetrVG zur Umsetzung des Standortkonzeptes (künftig GBV Standorte; Bl. 22 ff d.A.), welche u.a. die Schließung der Callcenter-Standorte H. Straße 4 – 8, L. Straße 13 – 17, B. Straße 3 – 4 und K. Allee 146 – 162 (alle in B-Stadt) sowie lediglich die Beibehaltung des Standortes in der S. Straße in B-Stadt regelt.

2

Mit den Schreiben vom 29.10.2009, vom 19.11.2009, vom 30.11.2009, vom 09.12.2009, vom 18.02.2010 sowie vom 25.03.2010 beantragte die Beteiligte zu 1. bei dem Beteiligten zu 2. gem. § 99 BetrVG die Zustimmung zu dem Einsatz von insgesamt 24 Arbeitnehmern bei der VCS am Standort H. im Rahmen von Arbeitnehmerüberlassung.

3

Mit den Schreiben vom 04.11.2009, vom 24.11.2009, vom 02.12.2009, vom 15.12.2009, vom 24.02.2010 sowie vom 31.03.2010 lehnte der Beteiligte zu 2. die Zustimmung zu den Anträgen der Beteiligten zu 1. jeweils insbesondere wegen Nichtdurchführung eines Auswahlverfahrens nach §§ 3, 4 TV Ratio unter Einbeziehung der Beschäftigten in der S. Straße ab.

4

Die Beteiligte zu 1. hat beantragt,

1.

5

a) die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung der nachfolgend genannten 16 Arbeitnehmer zur VCS am Standort H. zum 01.12.2009 zu ersetzen

6
        

Nachname

Vorname

1       

H.    

M.    

2       

K.    

S.    

3       

S.    

C.    

4       

K.    

C.    

5       

L.    

M.    

6       

S.    

S.    

7       

L.    

O.    

8       

A.    

R.    

9       

R.    

M.    

10    

S.    

S.    

11    

N.    

D.    

12    

D.    

H.    

13    

S.    

S.    

14    

J.    

R.    

15    

B.    

R.    

16    

G.    

D.    

7

b) festzustellen, dass die vorläufige Versetzung der unter a) genannten Arbeitnehmer zur VCS zum 01.12.2009 aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war,

2.

8

a) die Zustimmung des Betriebsrates zu der Versetzung der nachfolgend genannten 4 Arbeitnehmer zur VCS am Standort H. zum 01.01.2010 zu ersetzen

9
        

Nachname

Vorname

1       

 P.     

R.    

2       

 L.     

H.    

3       

 R.     

D.    

4       

W.    

O.    

10

b) festzustellen, dass die vorläufige Versetzung der unter a) genannten Arbeitnehmer zur VCS zum 01.01.2010 aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war,

3.

11

a) die Zustimmung des Betriebsrats zu der Versetzung der nachfolgend genannten 2 Arbeitnehmer zur VCS am Standort H. zum 01.03.2010 zu ersetzen

12
        

Nachname

Vorname

1       

T.    

S.    

2       

 K.     

K.    

13

b) festzustellen, dass die vorläufige Versetzung der unter a) genannten Arbeitnehmer zur VCS zum 01.03.2010 aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war,

4.

14

a) die Zustimmung des Betriebsrats zu der Versetzung der nachfolgend genannten 2 Arbeitnehmer zur VCS am Standort H. zum 01.04.2010 zu ersetzen

15
        

Nachname

Vorname

1       

K.    

M.    

2       

S.    

C.    

16

b) festzustellen, dass die vorläufige Versetzung der unter a) genannten Arbeitnehmer zur VCS zum 01.04.2010 aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.

17

Der Beteiligte zu 2. hat beantragt,

18

die Anträge der Beteiligten zu 1. zurückzuweisen.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrages der Beteiligten wird auf die ausführlichen Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung unter A. der Gründe Bezug genommen.

20

Das Arbeitsgericht Rostock hat die Zustimmungsersetzungsanträge der Beteiligten zu 1. mit Beschluss vom 23. November 2010 zurückgewiesen und gleichzeitig die dringende Erforderlichkeit der durchgeführten vorläufigen Versetzungen i.S.v. § 100 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bejaht.

21

Der Wechsel von dem bisherigen Stammarbeitsplatz in ein Leiharbeitsverhältnis sei als mitbestimmungspflichtige Versetzung anzusehen. Die in Rede stehenden Versetzungen seien vorliegend unwirksam, da jeweils ein Verstoß gegen Bestimmungen aus dem TV Ratio gegeben sei. Die Beteiligte zu 1. habe es unterlassen, die nach § 3 Abs. 1 TV Ratio erforderliche Auswahl unter Beteiligung der paritätischen Kommission durchzuführen. Bei den Versetzungen handele es sich um Maßnahmen im sachlichen Geltungsbereich des TV Ratio. In der S. Straße in B-Stadt seien Arbeitsplätze vorhanden, die mit denjenigen der verlegten Arbeitsstätten vergleichbar seien. Die GBV Standorte stehe der Notwendigkeit einer Auswahlentscheidung nach § 3 TV Ratio nicht entgegen. Auch betreffe die Maßnahme nach der GBV Standorte den Standort in der S. Straße, da die benannte Arbeitsstätte ein Teil der Gesamtheit gleicher Arbeitsplätze darstelle. Schließlich stehe die Protokollnotiz Nr. 1 zu § 3 TV Ratio dem nicht entgegen. § 3 TV Ratio sei nicht nur dann anzuwenden, wenn der Arbeitgeber konkret plane, Mitarbeiter unmittelbar in die Beschäftigungs- und Qualifizierungseinheit zu überführen. Es genüge vielmehr, dass eine Maßnahme letztendlich darauf hinauslaufen könne.

22

Der vorbenannte Beschluss des Arbeitsgerichtes Rostock vom 23. November 2010 ist der Beteiligten zu 1. am 10.12.2010 zugegangen. Dagegen richtet sich ihre am 30.12.2010 bei dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingegangene Beschwerde, die nach entsprechender gerichtlicher Fristverlängerung bis zum 10.03.2011 mit Schriftsatz vom 10.03.2011 (Gerichtseingang 10.03.2011) begründet worden ist.

23

Die GBV Standorte umschreibe – so die Beteiligte zu 1. - die dort festgehaltene Betriebsänderung abschließend. Diese Betriebsänderung werde nicht vom TV Ratio erfasst. Vielmehr stünden beide Regelungen selbständig nebeneinander. In der GBV Standorte sei der Standort S. Straße ausgeklammert und somit nicht zum Gegenstand der Betriebsänderung gemacht worden. Mithin könne auch deshalb der Standort S. Straße nicht in eine Auswahlregelung nach §§ 3, 4 TV Ratio einbezogen werden. Dieser Umstand folge insbesondere auch aus dem Protokoll der Einigungsstellensitzung vom 26.11.2008 zur GBV Standorte, wo es ausdrücklich heiße, dass die Mitarbeiter im Betrieb S. Straße über besonderes Spezialwissen verfügen und deshalb nur die übrigen B. Beschäftigten migrieren sollen. In der angefochtenen Entscheidung werde außerdem der Anwendungsbereich von § 3 TV Ratio verkannt. Eine Auswahlentscheidung sei danach nur dann erforderlich, wenn die Verlegung eines Arbeitsplatzes eine Beschäftigungslosigkeit nach sich ziehe, also zu einer Vermittlung in die BQE führe. Andernfalls seien die Regelungen von §§ 5, 8 TV Ratio sinnlos. Schließlich könne dem Arbeitsgericht Rostock nicht darin gefolgt werden, dass mit § 3 TV Ratio tarifvertraglich eine Erweiterung des Betriebsbegriffes i.S.d. Kündigungsschutzgesetzes vorgenommen worden sei.

24

Anlässlich der Anhörung der Beteiligten am 18.01.2012 hat die Beteiligte zu 1. hinsichtlich der Personen C. S., C. K., D. N., R. J. sowie R. P. die Hauptsache für erledigt erklärt. Der Beteiligte zu 2. hat sich mit Schriftsatz vom 07.02.2012 der Erledigungserklärung angeschlossen.

25

Die Beteiligte zu 1. hält im Übrigen die erstinstanzlich gestellten Zustimmungsersetzungsanträge zu 1. a), 2. a), 3. a) sowie 4. (a) aufrecht und beantragt insoweit die Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichtes Rostock vom 23.11.2010 zum Aktenzeichen 1 BV 24/10.

26

Der Beteiligte zu 2. beantragt,

27

die Beschwerde der Beteiligten zu 1. zurückzuweisen.

28

Der Beteiligte zu 2. verteidigt die angefochtene Entscheidung. Auf die Frage, ob der Standort S. Straße ein eigenständiger Betrieb i.S.d. Kündigungsschutzgesetzes sei, komme es bereits deshalb nicht an, weil tarifvertraglich in § 3 TV Ratio ausdrücklich auf Organisationseinheiten abgestellt werde. Da es auch nicht um die Auswahl im Falle von Kündigungen nach dem Kündigungsschutzgesetz gehe, sondern die Verlegung von Arbeitsplätzen betreffe, stehe es den Tarifvertragsparteien auch frei, eine vom kündigungsschutzrechtlichen Betrieb abweichende Organisationseinheit als Bezugspunkt für die durchzuführende Auswahl festzulegen.

29

Die GBV Standorte regele die Zuordnung der Quellenstandorte zu den Zielstandorten und treffe keine Aussage darüber, wie die Auswahl der zu versetzenden Beschäftigten vorzunehmen sei. Deshalb schließe die GBV Standorte die Anwendbarkeit des TV Ratio auch nicht aus.

30

Auch betreffe der TV Ratio nicht nur den Umstand des Wegfalles von Arbeitsplätzen, sondern vielmehr auch den Fall der Verlegung von Arbeitsplätzen. Zutreffend sei deshalb auch die Auslegung des Arbeitsgerichtes Rostock in der angefochtenen Entscheidung zur Protokollnotiz Nr. 1 zu § 3 TV Ratio.

31

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten zu 1. und 2. in der Beschwerdeinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

32

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. ist in dem noch streitgegenständlichen Umfang zwar zulässig, jedoch nicht begründet.

I.

33

Das von der Beteiligten zu 1. angestrengte Beschlussverfahren mit dem Inhalt der gestellten Zustimmungsersetzungsanträge hat sich hinsichtlich der Arbeitnehmerinnen S., K., N., J. und P. durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten zu 1. und 2. in der Beschwerdeinstanz erledigt.

II.

34

In dem noch streitgegenständlichen Umfang ist die Beschwerde der Beteiligten zu 1. nicht begründet. Das Arbeitsgericht Rostock hat die Zustimmungsersetzungsanträge der Beteiligten zu 1. zu 1. a), 2. a), 3. a) und 4. a) mit Beschluss vom 23. November 2010 mit zutreffender Begründung zurückgewiesen.

35

1. Den Zustimmungsersetzungsanträgen der Beteiligten zu 1. liegen mitbestimmungspflichtige Versetzungen i.S.d. §§ 99 Abs. 1 i.V.m. 95 Abs. 3 BetrVG zugrunde.

36

Zutreffend geht das Arbeitsgericht Rostock unter Hinweis auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Mecklenburg-Vorpommern vom 09.03.2010 (5 TaBV 10/09; Juris, rkr.) davon aus, dass jedenfalls der Wechsel von den bisherigen Stammarbeitsplätzen jeweils in ein Leiharbeitsverhältnis als mitbestimmungspflichtige Versetzungen i.S.d. §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 BetrVG anzusehen sind.

37

Zur weiteren Begründung kann insoweit auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen werden, zumal sich die Beschwerdebegründung dazu nicht verhält.

38

2. Der sachliche Geltungsbereich des TV Ratio ist eröffnet.

39

Gemäß § 1 Abs. 2 a) TV Ratio ist der sachliche Geltungsbereich eröffnet, wenn Änderungen der Aufbauorganisation dazu führen, dass der Arbeitsplatz eines Arbeitnehmers wegfällt oder verlegt wird.

40

Gemäß Ziffer 1. der Ausführungsbestimmungen zu § 1 Abs. 2 a) TV Ratio ist unter Aufbauorganisation die Bildung von Organisationseinheiten, die Zuteilung von Aufgaben zu diesen Einheiten, die Aufgabenverteilung innerhalb der Einheiten sowie die Feststellung ihrer Zuständigkeiten zu verstehen. Sie umfasst z.B. die Einrichtung, Umwandlung oder Aufhebung von Niederlassungen, die Einrichtung, Umwandlung oder Aufhebung von Ressorts oder Abteilungen, die Aufgabenverteilung auf Niederlassungen oder Ressorts sowie die Arbeitsverteilung auf Funktionsträger.

41

Die genannten Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

42

Die GBV Standorte sieht in § 2 i.V.m. den Anlagen 2 a) und 2 b) die teilweise Verlagerung bzw. Zusammenführung von Standorten und in diesem Zusammenhang u.a. die Verlegung der Standorte in B-Stadt – mit Ausnahme S. Straße – nach F. mit der Folge der entsprechenden Verlegung der Arbeitsplätze vor.

43

Da § 1 Abs. 2 TV Ratio nach dem eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut auch die Verlegung von Arbeitsplätzen als Folge der oben beschriebenen Anforderung der Aufbauorganisation erfasst, steht die Eröffnung des sachlichen Geltungsbereiches des TV Ratio außer Zweifel (zutreffend LAG Köln, Urteil vom 19.11.2010 – 10 Sa 750/10; Juris Rn. 66 – 71).

44

Soweit die Beteiligte zu 1. in diesem Zusammenhang die Ansicht vertritt, der TV Ratio und die GBV-Standorte stünden selbständig nebeneinander, so kann dem ausdrücklich beigepflichtet werden. Die GBV-Standorte regelt im Rahmen des Interessenausgleiches Art und Umfang der Änderungen der Aufbauorganisation und im Bereich des Sozialplanes Maßnahmen zum Ausgleich von Belastungen der davon betroffenen Arbeitnehmer, ohne dass Einschränkungen der zusätzlich für die betroffenen Arbeitnehmer nach der TV Ratio vorgesehenen Schutzmaßnahmen festgeschrieben werden oder in sonstiger Weise nach dem Gesamtzusammenhang der GBV-Standorte zu erkennen sind.

45

Wenn die Beteiligte zu 1. meint, aus dem Protokoll der Einigungsstellensitzung zur GBV-Standorte vom 26.11.2008 (Bl. 94 – 97 Bd. I der Akte) folge die Herausnahme sowohl des Standortes S. Straße in B-Stadt als auch der dort beschäftigen Arbeitnehmer aus dem Vorgang der in der GBV-Standorte festgelegten Aufbauorganisationsänderungen mit der Folge der Nichtanwendbarkeit des TV Ratio auf eben diesen Standort, so vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Dieser Umstand folgt bereits daraus, dass auch der Bereich S. Straße als Quellen- und Zielstandort in der Anlage 2 a) zur GBV-Standorte ausdrücklich benannt ist (zutreffend LAG Köln vom 19.11.2010, a.a.O., Rn. 74 – 79).

46

3. Die hier noch in Rede stehenden Versetzungen von 19 Mitarbeitern von Standorten in B-Stadt nach F. verstoßen gegen die Vorgaben in §§ 3, 4 TV Ratio, da eine notwendige Auswahlentscheidung gem. § 3 Abs. 1 TV Ratio nach den Vorgaben des § 3 Abs. 4 TV Ratio unter Einbeziehung der paritätischen Auswahlkommission (§ 4 TV Ratio) nicht stattgefunden hat, so dass jeweils von einer begründeten Zustimmungsverweigerung des Beteiligten zu 2. i.S.v. § 99 Abs. 2 Ziff. 1 BetrVG mit der Folge auszugehen ist, dass die Zustimmungsersetzungsanträge der Beteiligten zu 1. ohne Erfolg bleiben.

47

Gemäß § 99 Abs. 2 Ziff. 1 kann der Betriebsrat die Zustimmung gegen eine beabsichtigte Versetzung verweigern, wenn diese personelle Maßnahme gegen ein Gesetz, eine Verordnung, eine Unfallverhütungsvorschrift oder gegen eine Bestimmung in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung oder gegen eine gerichtliche Entscheidung oder eine behördliche Anordnung verstoßen würde.

48

Gemäß § 3 Abs. 1 TV Ratio werden alle auf den gleichen Arbeitsplätzen beschäftigten Arbeitnehmer bei der Festlegung, welche Arbeitnehmer konkret vom Wegfall bzw. von der Verlegung des Arbeitsplatzes betroffen sind, mit einbezogen, wenn von einer Gesamtheit gleicher Arbeitsplätze, die von einer Maßnahme i.S.v. § 1 betroffen wird, nur ein Teil der Arbeitsplätze wegfällt oder verlegt wird, wobei die erforderlich werdende Auswahl sich abschließend nach § 3 Abs. 4 und der Anlage 1 zum TV Ratio richtet.

49

Die sich daraus ergebenden Voraussetzungen für eine Zustimmungsverweigerung zu den hier noch in Rede stehenden Versetzungen sind erfüllt.

50

a) Dass es sich bei der Verlegung des Teils der Arbeitsplätze von B-Stadt nach F. um eine Maßnahme i.S.d. § 1 TV Ratio handelt, ist bereits unter Punkt II. 2. bejaht worden.

51

b) Dies gilt ebenso für den Umstand, dass der Standort S. Straße in B-Stadt nach den Vorgaben der GBV-Standorte i.S.d. § 3 Abs. 1 TV Ratio von der Maßnahme betroffen ist.

52

c) Mit zutreffenden Erwägungen wird in der angefochtenen Entscheidung unter Punkt B I. 2. ausgeführt, dass insoweit auch eine Gesamtheit gleicher Arbeitsplätze i.S.d. § 3 Abs. 1 TV Ratio betroffen ist. In der Entscheidung des Arbeitsgerichtes Rostock heißt es dazu wie folgt:

53

"Gleiche Arbeitsplätze sind solche, auf denen die gleichen Tätigkeiten zu verrichten sind. Die Beschäftigten müssen ohne Weiteres austauschbar sein. Wenn dieser Fall gegeben ist, hat nämlich der Arbeitgeber kein schutzwürdiges Interesse an der Versetzung eines bestimmten Arbeitnehmers. Vielmehr besteht dann Raum für die Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen, d.h. deren persönliche und soziale Gesichtspunkte. Sinn und Zweck der tariflichen Regelung ist es, dort wo zwischen verschiedenen Arbeitnehmern ausgewählt werden kann, deren Belange durch ein näher geregeltes Verfahren einfließen zu lassen. Eine Auswahl kommt immer dann in Betracht, wenn der Arbeitsplatz über das gleiche Anforderungsprofil verfügt, so dass er ebenso gut von einem anderen Mitarbeiter besetzt werden könnte. Die Gesamtheit gleicher Arbeitsplätze muss nicht innerhalb einer bestimmten Organisationsebene bestehen. Der Tarifvertrag enthält keine Eingrenzung auf einen bestimmten räumlichen oder organisatorischen Bereich. Es genügt vielmehr, dass die Arbeitsplätze gleich sind. Es kommt nicht darauf an, in welchem Teilbereich der Arbeitgeberin ein gleicher Arbeitsplatz eingerichtet ist und in welchem Umfang dieser Bereich Personalhoheit besitzt. Ebenso wenig ist maßgebend, ob diese Arbeitsplätze in einem oder mehreren Gebäuden untergebracht sind. Die Arbeitsplätze sind nicht deshalb ungleich, weil die Arbeitnehmer in anderen Häusern, Etagen oder Räumen arbeiten.

54

In der S. Straße sind Arbeitsplätze vorhanden, die mit denjenigen der verlegten Arbeitsstätten identisch sind. Zwar sind nicht sämtliche Arbeitsplätze gleich. Auch dürfte es in der S. Straße Arbeitnehmer geben, die nach § 3 Abs. 5 TV Ratio wegen ihres besonderen Fachwissens, beispielsweise über spezielle Mobilfunk-Software, von der Auswahlentscheidung auszunehmen sind. Darauf kommt es jedoch nicht an. Es genügt, dass gleiche Arbeitsplätze vorhanden sind. Das begründet die Zuständigkeit der paritätischen Kommission und erfordert deren Tätigwerden. Die Arbeitsplätze in der S. Straße sind nicht allein deshalb ungleich, weil dort das Mobilfunknetz betreut wird. So ist beispielsweise der Arbeitsplatz einer Sekretärin nicht deshalb ein anderer, weil sie im Bereich eines anderen Netzes eingesetzt ist. Ebenso wenig erkennbar sind Unterschiede bei der Rechnungsklärung und Aktualisierung von Kundendaten. Die S. Straße unterscheidet sich auch in organisatorischer Hinsicht nicht von den übrigen Arbeitsstätten. In der S. Straße sind nicht ausschließlich Einheiten untergebracht, die in anderen Arbeitsstätten nicht vorhanden waren. Ein Geschäftskunden-Kontakt-Center befand sich nicht nur in der S. Straße, sondern auch in der H. Straße. Entsprechendes gilt für das Kompetenz-Center 44, das in der H. Straße und K. Allee angesiedelt war. Der Organisationsaufbau gab keinen Anlass, die Arbeitnehmer in der S. Straße von vornherein von der Auswahl auszunehmen. Darüber hinaus sind die Anforderungsprofile für die Arbeitsplätze teilweise deckungsgleich, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass auf allen Arbeitsplätzen in der Mobilfunkbetreuung ein Spezialwissen erforderlich ist, das einen Austausch der Arbeitnehmer unmöglich macht.

55

Die GBV-Standorte steht einer Auswahl nicht entgegen, sie schließt ein Auswahlverfahren nach dem TV Ratio gerade nicht aus. Die Mitarbeitermigra-tionspfade sind nur im Grundsatz festgelegt (§ 2 Abs.2). Für die Anwendung von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen bleibt durchaus Raum."

56

Diesen Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht ausdrücklich an, zumal die Beschwerdebegründung den aufgeführten Einzelheiten zur Vergleichbarkeit der Arbeitsplätze nicht entgegengetreten ist.

57

Soweit die Beteiligte zu 1. in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, aus dem Protokoll der Einigungsstellensitzung vom 26. November 2008 folge der Entschluss der Betriebsparteien, die Mitarbeiter in der S. Straße seien aus dem Geltungsbereich der GBV-Standorte ausgenommen, so vermag das erkennende Gericht dem nicht zu folgen.

58

In dem Protokoll heißt es – soweit hier von Bedeutung – wie folgt (Bl. 97 Band I d.A.):

59

"Für den nun doch zu erhaltenden DTKS-Standort B-Stadt wird festgelegt, dass – wegen des besonderen Spezialwissens der dort arbeitenden Mitarbeiter – allein der Betrieb in der S. Straße weitergeführt werden soll. Für die Mitarbeiter der übrigen B. Standorte werden Weiterbeschäftigungen in F. oder am neuen VCS-Standort O. angeboten."

60

Aus der vorgenannten Formulierung lässt sich der von der Beteiligten zu 1. behauptete Regelungswille nicht schlussfolgern. Zum einen hat dazu das Arbeitsgericht Rostock in der angefochtenen Entscheidung – wie oben dargelegt – ausgeführt, dass in der S.straße in B-Stadt Arbeitsplätze vorhanden sind, die mit denjenigen der übrigen Arbeitsstätten in B-Stadt vergleichbar sind. Dass und warum die Betriebsparteien derartige Arbeitnehmer von einer Auswahlentscheidung ausnehmen wollten, ist nicht ersichtlich. Vielmehr kann dem Protokoll lediglich entnommen werden, dass der Standort S. Straße erhalten bleiben soll. Dies gilt umso mehr, als sich in der GBV-Standorte selbst eine ausdrückliche Herausnahme der Mitarbeiter in der S. Straße gerade nicht ergibt.

61

d) Soweit § 3 Abs. 1 TV Ratio den teilweisen Wegfall von Arbeitsplätzen fordert, so ist diese Voraussetzung hier zu bejahen, da unstreitig die Arbeitsplätze in der S. Straße in B-Stadt nach der GBV-Standorte erhalten bleiben sollen.

62

e) Die Protokollnotiz Nr. 1 zu § 3 TV Ratio steht vorliegend der Notwendigkeit zur Durchführung einer Auswahl nach § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 TV Ratio nicht entgegen.

63

Die besagte Protokollnotiz lautet wie folgt:

64

"Bei der nach den Absätzen 3 und 4 vorzunehmenden Auswahlentscheidung handelt es sich um eine Sozialauswahl i.S.d. Kündigungsschutzgesetzes zum Zwecke der Überführung gem. § 5 Abs. 1 und 3 in den Betrieb BQE. Die Anlagen 1 und 2 dieses Tarifvertrages stellen für diesen Zweck eine Auswahlrichtlinie i.S.d. § 1 Abs. 4 KSchG dar."

65

Zutreffend führt das Arbeitsgericht Rostock in der angefochtenen Entscheidung insoweit aus, dass aus der zitierten Protokollnotiz nicht gefolgert werden kann, dass ein Auswahlverfahren nach § 3 TV Ratio nur dann durchzuführen ist, wenn der Arbeitgeber konkret plant, Mitarbeiter unmittelbar in die Beschäftigungs- und Qualifizierungseinheit zu überführen, sondern dass vielmehr bereits eine Maßnahme ausreichend ist, die letztlich darauf hinauslaufen kann. Auch das erkennende Gericht geht davon aus, dass durch den Hinweis auf das Kündigungsschutzgesetz verdeutlicht werden soll, dass die Maßstäbe nach dem Kündigungsschutzgesetz anzulegen sind. Da sich die Auswahl nach § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 TV Ratio gerade nicht auf den Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezieht, haben die Tarifvertragsparteien mit der Protokollnotiz klargestellt, dass es maximal um eine Überführung in die Beschäftigungs- und Qualifizierungseinheit geht. Die Versetzung in die BQE ist mithin nicht Voraussetzung für die Durchführung eines Auswahlverfahrens, sondern dessen mögliche, aber nicht zwingende Folge. Als Voraussetzung für die zwingende Durchführung eines Auswahlverfahrens ist damit – im Übrigen auch nach dem eindeutigen Wortlaut der § 1 Abs. 2 bzw. 3 Abs. 1 TV Ratio - die Verlegung von Arbeitsplätzen an einen anderen Standort ausreichend (zutreffend auch LAG Köln vom 19.11.2010, a.a.O., Rn. 81 – 84).

66

Nach alledem ist wie erkannt zu entscheiden.

III.

67

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 92 Abs. 1 i.V.m. § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG).

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