Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (5. Kammer) - 5 Sa 229/14

Tenor

I.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 28.08.2014, Aktenzeichen 6 Ca 2312/13, wird teilweise abgeändert und das Urteil zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

1.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.815,02 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 343,93 Euro seit dem 01.02.2010, 01.03.2010, 01.04.2010, 01.05.2010, 01.06.2010, 01.07.2010, 01.08.2010, 01.09.2010, 01.10.2010, 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011, 01.02.2011 sowie 01.03.2011 zu zahlen.

2.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.485,48 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 421,96 Euro seit dem 01.04.2011, 01.05.2011, 01.06.2011, 01.07.2011, 01.08.2011, 01.09.2011, 01.10.2011, 01.12.2011, 01.01.2012, 01.02.2012, 01.03.2012 sowie 01.04.2012 zu zahlen.

3.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.608.38 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 289,82 Euro seit dem 01.05.2012, 01.06.2012, 01.07.2012, 01.08.2012, 01.09.2012, 01.10.2012, 01.11.2012, 01.12.2012 sowie 01.03.2013 zu zahlen.

4.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.077,84 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 89,82 Euro seit dem 01.02.2013, 01.03.2013, 01.04.2013, 01.05.2013, 01.06.2013, 01.07.2013, 01.08.2013, 01.09.2013, 01.10.2013, 01.11.2013, 01.12.2013 sowie 01.01.2014 zu zahlen.

5.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 563,26 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf je 31,85 Euro seit dem 01.12.2010, auf 224,98 Euro seit dem 01.12.2011 und auf 306,43 Euro seit dem 01.12.2012 zu zahlen.

6.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 26 Prozent, die Beklagte zu 74 Prozent.

III.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten anhand von Zahlungsanträgen über die Höhe der generell zu zahlenden Vergütung und dabei insbesondere über die individual-rechtlichen Auswirkungen einer möglichen Verletzung des Mitbestimmungsrechtes nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

2

Der Beklagte übernimmt - neben anderen Tätigkeitsfeldern - aufgrund öffentlich-rechtlichen Vertrages den Rettungsdienst im Landkreis Nordwestmecklenburg. Dabei werden die eingestellten Rettungsassistenten und Rettungssanitäter auf Notarzteinsatzfahrzeugen, Rettungstransportfahrzeugen und Krankentransportfahrzeugen eingesetzt.

3

Der 1978 geborene Kläger ist seit dem 01.04.2008 beim Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgängern aufgrund des Arbeitsvertrages vom 17.03.2008 als Rettungssanitäter beschäftigt. Die Parteien vereinbarten hier eine monatliche feste Bruttovergütung von 1.550,00 Euro, die auch zur Auszahlung kam. Der Arbeitsvertrag bestimmt in § 18, dass die beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht binnen zwei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Partei schriftlich erhoben werden. Für den Fall der Ablehnung oder Nichterklärung hierzu binnen zwei Wochen sieht § 18 eine weitere Frist von zwei Monaten zur gerichtlichen Geltendmachung vor. Wegen des genauen Wortlautes des Arbeitsvertrages wird auf Blatt 12 ff der Akte verwiesen.

4

Der Kläger ist seit 2005 verheiratet und wurde im März 2011 Vater.

5

Am 01.04.2012 vereinbarten die Parteien eine Vertragsänderung. Danach wurde der Kläger ab dem 01.04.2012 als Rettungsassistent bei einer monatlichen Vergütung von 1.850,00 Euro beschäftigt. Durch weiteren Änderungsvertrag vom 17.01.2013 hoben die Parteien die Vergütung ab dem 01.01.2013 auf monatlich 2.050,00 Euro an. Auch diese Beträge kamen zur Auszahlung.

6

Vertraglich ist eine Arbeitszeit von 48 Stunden in der Woche vereinbart. Der Kläger wird entsprechend eingesetzt.

7

Der Kläger und seine Kollegen des Rettungsdienstes arbeiten in einem Schichtsystem.

8

Hinsichtlich der Notarzteinsatzfahrzeuge und Rettungstransportfahrzeuge liegt ein durchgehendes Schichtsystem vor. Die Arbeitnehmer werden hier typischerweise viermal in der Woche zu je 12 Stunden auf den Fahrzeugen eingesetzt. Es gibt eine Tagschicht und eine Nachtschicht. Die Arbeitnehmer werden aber auch auf dem Krankentransportwagen eingesetzt. Dieser fährt allerdings nur tagsüber. Hier dauert der Einsatz nur acht Stunden, was im Übrigen zu Verschiebungen beim Einsatz in den 12-Stunden-Schichten führt.

9

Ab Oktober 2012 erhielt der Kläger 1,13 € Nachtzuschlag pro Stunde. Davor waren es 1,11 €. Diese Zahlung erfolgte für die Arbeitsstunden von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr.

10

Die Einstellung des Klägers erfolgte noch beim DRK Kreisverband W. e.V. (DRK HWI). Dieser trat dem heutigen Beklagten zum 01.01.2012 durch Verschmelzung bei. Sowohl der alte DRK HWI wie auch der alte DRK Nordwest-Mecklenburg (DRK NWM) waren in ihren damaligen Kreisen mit dem Rettungsdienst betraut und verfügten über Betriebsräte.

11

Der DRK HWI war jedenfalls noch in den 1990’er Jahren Mitglied der Tarifgemeinschaft des DRK in M-V. Bereits hier gab es beim DRK HWI einen Betriebsrat. Die Tarifgemeinschaft des DRK in M-V war Mitglied in der Bundestarifgemeinschaft des DRK. Über diese Mitgliedschaften galt für den DRK HWI in den 1990’er Jahren zwingend der Tarifvertrag DRK-TV-O. Während der Tarifbindung vereinbarte der DRK HWI mit neu eingestellten Arbeitnehmern jeweils auch eine Verweisungsklausel auf den DRK-TV-O (Gleichstellungsabreden).

12

Dementsprechend kam der DRK-TV-O nebst Entgeltregelungen während der Tarifbindung des DRK HWI auf alle Arbeitsverhältnisse zur Anwendung. Der DKR-TV-O war sehr stark, teils wortgleich, an den BAT-O angelehnt. Wie beim BAT-O gab es Vergütungsgruppen mit jeweils Fallgruppen. Die Möglichkeit eines Bewährungsaufstiegs war vorhanden. Das monatliche Entgelt setzte sich aus den Komponenten Grundvergütung, Ortszuschlag und Allgemeine Zulage zusammen. Bei der eingruppierungsabhängigen Grundvergütung gab es ansteigende Lebensalterstufen. Die Höhe des Ortszuschlages war von den familiären Verhältnissen abhängig. Es gab die Regelung einer jährlichen Sonderzuwendung. Außerdem regelte der DRK-TV-O verschiedene Zuschläge bei Nachtschicht, Wechselschicht und anderen Umständen.

13

Zwischen den Parteien ist streitig, wann die Tarifbindung des DRK HWI endete. Jedenfalls kündigte die Bundestarifgemeinschaft des DRK den DRK-TV-O unstreitig zum 31.12.2001. Der Beklagte behauptet streitig, dass zuvor schon die Tarifgemeinschaft des DRK in M-V mit Schreiben vom 12.10.1998 zum 31.01.1999 die Mitgliedschaft in der Bundestarifgemeinschaft des DRK gekündigt habe. Entsprechend geht der Beklagte davon aus, dass bereits hier die Tarifbindung des DRK HWI beendet worden sei. Hingegen behauptet der Kläger, dass der DRK HWI bis 31.12.2002 Mitglied der „Tarifgemeinschaft des DRK“ gewesen sei und entsprechend bis hier Tarifbindung vorgelegen habe. Ausgehend von vorgenannten Umständen behauptet der Kläger, dass noch bis Ende 2002 bei Neueinstellungen die Gleichstellungsabrede (bezogen auf den DRK-TV-O) mit vereinbart worden sei, während die Beklagte behauptet, dass dies nur bis zum 31.01.1999 der Fall gewesen sei. Unstreitig wurde aber ab dem streitigen Zeitpunkt des Endes der Tarifbindung bei Neueinstellungen von der Gleichstellungsabrede nicht mehr Gebrauch gemacht. Ab hier wurden feste Vergütungen, wie später auch beim Kläger, vereinbart. Bei den Arbeitnehmern, mit denen noch die Geltung des DRK-TV-O vereinbart worden war oder bei denen Tarifbindung vorlag, kamen jedenfalls noch bei Entgeltfragen die Tarifstände vom 31.10.2002 zur Anwendung. Der DRK HWI wandte somit den DRK-TV-O dynamisch auch noch nach dem 31.01.1999 an, wobei – ausgehend von obigen Behauptungen – dies entweder freiwillig oder aber aufgrund weiter bestehender Verpflichtung geschah.

14

Der Hintergrund der Abkehr vom DRK-TV-O nebst dessen Kündigung war eine Forderung der Krankenkassen als Kostenträger des Rettungsdienstes nach niedrigeren Löhnen. Die Entlohnung der Rettungsdienstmitarbeiter wurde danach regelmäßig zwischen dem DRK HWI und der Stadt W. (Träger des Rettungsdienstes) sowie auch den Krankenkassen verhandelt. An diesen Verhandlungen nahmen in der Regel auch die Betriebsräte (informatorisch) teil. Sie waren somit über jede lohnverändernde Maßnahme informiert. Der Betriebsrat „widersetzte“ sich in keinem Fall der Lohnfestsetzung nach der Verhandlung mit der Stadt. Diese Verhandlungen führten zu festen monatlichen Löhnen für die Arbeitnehmer.

15

Formelle Beteiligungen des Betriebsrates nebst Antrages zu einer etwaigen Zustimmung oder Einigungen gab es im Zuge der Abkehr von der tariflichen Vergütungsstruktur unstreitig jedoch nicht.

16

Der Beklagte reichte einen Text einer Betriebsvereinbarung zur Akte, die am 03.05.2011 beim alten DRK NWM abgeschlossen worden sein soll (vgl. Blatt 49 ff d. A.). Diese regelt verschiedene Themenbereiche. Hier heißt es u.a.:

17

„6.Vergütung

Die Grundvergütung richtet sich für alle derzeit beschäftigten Mitarbeiter nach der individuell arbeitsvertraglich vereinbarten Höhe.

18

Hinsichtlich dieser Betriebsvereinbarung wies der Kläger darauf hin, dass nicht erkennbar ist, dass sie unterschrieben wurde. Die zur Akte gereichte Kopie enthält keine Unterschriften.

19

Mit seiner Klageschrift vom 16.12.2013, eingegangen beim Arbeitsgericht Schwerin am 19.12.2013, begehrte der Kläger die Nachzahlung von monatlicher Differenzvergütung für die Jahre 2010 bis 2013, die Zahlung eines weiteren Betrages für Nachtzuschläge für vorgenannten Zeitraum sowie die Zahlung weiterer Beträge als Jahressonderzahlung, wobei sich der Kläger im Wesentlichen zumeist an den Regelungen des DRK-TV-O orientierte.

20

Mit Urteil vom 28.08.2014, Az. 6 Ca 2312/13, wies das Arbeitsgericht Schwerin die Klage insgesamt ab. Tarifliche Ansprüche bestünden mangels entsprechender Bindung oder Vereinbarung nicht. Ein etwaiger Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG könne nicht zur Folge haben, das individual-rechtliche Ansprüche des Arbeitnehmers auf eine bestimmte Vergütungshöhe entstehen. Insbesondere sei dem Kläger keine für ihn bereits bestehende Rechtsposition durch einen Verstoß gegen ein Mitbestimmungsrecht genommen worden, da für den Kläger nie tarifliche Ansprüche bestanden. Weitergehende Nachtzuschläge nach § 6 Abs. 5 ArbZG könne der Kläger ebenfalls nicht verlangen, da die hier bereits gezahlten Zuschläge von etwa 10 % bei Abwägung aller Umstände nicht zu beanstanden seien. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils wird auf Blatt 68 ff der Akte verwiesen.

21

Das Urteil wurde dem Kläger am 08.09.2014 zugestellt. Er legte hiergegen am 01.10.2014 Berufung ein, welche er innerhalb gewährter Fristverlängerung begründete.

22

Auch in der Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

23

Der Kläger geht davon aus, dass ihm über die erhaltenen Zahlungen hinaus eine höhere Vergütung wegen Verletzung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates bei Veränderung einer Entgeltordnung sowie höhere Zulagen für Nachtarbeit zustünden.

24

Zunächst meint der Kläger, dass ihm höhere Vergütungsansprüche zustünden, da der Beklagte gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verstoßen habe. Die Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze sei mitbestimmungspflichtig. Dies gelte auch, wenn sich der Arbeitgeber nach Ende der Tarifbindung vom dortigen Entgeltschema lösen wolle. Der Arbeitgeber könne zwar linear das Entgelt senken; das Schema müsse aber bestehen bleiben. Nach früherer Anwendung des DRK-TV-O bis 2002 sei hier bei den Neueinstellungen danach das Vergütungsschema unzulässig verändert worden. Auch der Kläger trage Nachteile hierdurch. Der Umstand seiner Heirat und der Geburt seines Kindes könnten sich nun ohne Ortszuschlag nicht mehr auswirken. Nachteile habe der Kläger als neu Eingestellter auch, weil es nun keine Lebensaltersstufen mehr gibt. Aufgrund der Änderung des Entgeltschemas hätte der Betriebsrat nach Ende der Tarifbindung, also ab 2003, mitbestimmen müssen. Mangels Mitbestimmung sei das neue Entgeltschema hier unwirksam. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts entstünden aus einem Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht auch individual-rechtliche Ansprüche. Es könnten auch individuelle Rechte entstehen, die vorher nicht bestanden. Daher habe der Kläger Anspruch auf Vergütung nach dem bisherigen Entgeltschema. Dies seien die nachwirkenden tariflichen Regelungen. Der Beklagte hätte mit dem Kläger eine Vergütung vereinbaren müssen, die der inneren Struktur nach mit der bisherigen Vergütung übereinstimme, wozu auch unterhaltsabhängige Ortszuschläge und Lebensaltersstufen zählten. Da die Lebensaltersstufen altersdiskriminierend sind, könne der Kläger jeweils die höchste Stufe verlangen. Bestandteil des Vergütungsschemas seien auch die Ausgleichszahlungen für Sonderformen der Arbeit. Auf eine eventuell vorhandene Betriebsvereinbarung vom 03.05.2011 als Ergebnis einer Mitbestimmung könne sich der Arbeitgeber nicht berufen. Sie lasse dem Arbeitgeber freie Hand und sei insoweit unwirksam, wobei es der Kläger auch als problematisch ansieht, dass der Übergang seines Arbeitsverhältnisses durch die Verschmelzung auf die jetzige Beklagte erst nach eventuellem Abschluss der Betriebsvereinbarung beim alten DRK NWM erfolgte, während der Kläger noch beim DRK HWI beschäftigt war.

25

Mit Blick auf die gegebenenfalls heranzuziehenden Regelungen des DRK-TV-O geht der Kläger unstreitig und unproblematisch davon aus, dass er als Rettungssanitäter in die Vergütungsgruppe VII und als Rettungsassistent in die Vergütungsgruppe VIb einzugruppieren wäre. Weiterhin zog der Kläger für seine Forderungsberechnung sodann die Vergütungstabellen mit Stand vom 31.10.2002 heran, die unstreitig noch bei dem Beklagten angewandt worden waren. Beim Grundgehalt wählte der Kläger im Rahmen seiner Berechnungen jeweils die letzte/höchste Altersstufe. (Nachfolgende Beträge entsprechen unstreitig den genannten Vergütungstabellen und Maßstäben.)

26

So ermittelte der Kläger ab Januar 2010 ein Grundgehalt (Rettungssanitäter = VG VII, letzte Stufe) von 1.308,07 Euro, einen Ortszuschlag (verheiratet, keine Kinder) von 407,71 Euro und eine allgemeine Zulage von 90,41 Euro, in der Summe somit 1.893,93 Euro. Abzüglich erhaltener 1.550,00 Euro ergab sich eine monatliche Differenz von 343,93 Euro. Der Kläger begehrt dies für den Zeitraum Januar 2010 bis Februar 2011, in der Summe 4.815,02 Euro (Klageantrag zu 1).

27

Ab März 2011 (Geburt des Kindes) erhöhte sich der Ortszuschlag auf 573,48 Euro. Es ergab sich nun eine monatliche Differenz von 421,96 Euro. Der Kläger begehrt dies für den Zeitraum März 2011 bis März 2012, in der Summe 5.485,48 Euro (Klageantrag zu 2).

28

Ab dem April 2012 war der Kläger als Rettungsassistent tätig. Nun ermittelte der Kläger ab April 2012 ein Grundgehalt (Rettungsassistent = VG VIb, letzte Stufe) von 1.475,93 Euro, einen Ortszuschlag von 573,48 Euro und eine allgemeine Zulage von 90,41 Euro, in der Summe somit 2.139,82 Euro. Abzüglich erhaltener 1.850,00 Euro ergab sich eine monatliche Differenz von 289,82 Euro. Der Kläger begehrt dies für den Zeitraum April 2012 bis Dezember 2012, in der Summe 2.608,38 Euro (Klageantrag zu 3).

29

Ab dem 01.01.2013 erhielt der Kläger eine erhöhte Vergütung von 2.050,00 Euro, so dass sich die errechnete Vergütungsdifferenz auf monatlich 89,82 Euro verringerte. Dies verlangt der Kläger für den Zeitraum Januar 2013 bis Dezember 2013, in der Summe somit 1.077,84 Euro (Klageantrag zu 4).

30

Im Rahmen seines Antrages zu 6 behauptet der Kläger, dass in seinem Arbeitsvertrag eine jährliche Sonderzahlung vereinbart worden sei. Diese entspreche nicht den Regelungen des DRK-TV-O. Danach hätte die Sonderzahlung 75 Prozent der Urlaubsvergütung für den jeweiligen September des Jahres betragen müssen. Ausgehend von vorgenannter streitiger grundsätzlicher Anspruchshöhe (75 Prozent) ermittelte der Kläger mathematisch/betragsmäßig folgende insoweit unstreitige Beträge: Für 2010 begehrt der Kläger eine offene Differenz von 235,72 Euro (behaupteter Anspruch in Höhe von 1.435,72 Euro abzüglich gezahlter 1.200,00 Euro). Für 2011 begehrt der Kläger eine offene Differenz von 460,82 Euro (behaupteter Anspruch in Höhe von 1.660,82 Euro abzüglich gezahlter 1.200,00 Euro). Für 2012 begehrt der Kläger eine offene Differenz von 555,75 Euro (behaupteter Anspruch in Höhe von 1.755,75 Euro abzüglich gezahlter 1.200,00 Euro). Die Summe vorgenannter Beträge ergibt den Klageantrag zu 6.

31

In der Kammerverhandlung der Berufungsinstanz stellten die Parteien sodann unstreitig, dass die Anlage 9 zum DRK-TV-O, welche die jährliche Sonderzuwendung regelt, beim 2002 zuletzt angewandten Stand des DRK-TV-O eine Anmerkung zu § 3 enthielt, wonach der Bemessungssatz von eigentlich 75 Prozent auf 64,35 Prozent abgesenkt worden war. Obige klägerische Berechnungen und die Antragstellung beruhen jedoch noch auf dem Bemessungssatz von 75 Prozent.

32

Schließlich begehrt der Kläger im Zuge seines Antrages zu 5 eine weitergehende Zahlung als Ausgleich für Nachtarbeit. Nach § 6 Abs. 5 ArbZG sei ein angemessener Ausgleich für Nachtarbeit zu leisten. Die bisherige Zahlung von 1,11 Euro bzw. 1,13 Euro sei nicht angemessen. Dies seien weniger als 10 Prozent Zuschlag. Nach der Rechtsprechung des BAG seien grundsätzlich 25 Prozent Zuschlag als angemessen anzusehen, soweit ein Tarifvertrag nichts anderes regele. Der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes setze zwar auch weniger als 25 Prozent fest. Dort wäre dann aber auch noch eine Wechselschichtzulage von 105,00 Euro normiert. Auch der aktuelle DRK-Reform-TV (der aber beim Beklagten nicht anwendbar ist) sehe eine Schichtzulage von 92,03 Euro vor. Der Kläger begehre daher eine weitere Zulage von 92,03 Euro monatlich für den Zeitraum Januar 2010 bis Dezember 2013. Dies sei dann insgesamt mit den bisherigen Zahlungen ein angemessener Ausgleich. Die Angemessenheit dieses Betrages ergebe sich auch aus einer weiteren Überlegung. Wie dargestellt, seien eigentlich 25 Prozent vom Stundenlohn angemessen was 2,41 Euro je Stunde ergäbe (der Rechenweg wurde nicht näher erläutert). Da nur 1,13 Euro gezahlt wurden, seien noch 1,28 Euro offen je Stunde. Nehme man im Schnitt 64 Nachtstunden im Monat an, ergäbe dies einen Betrag von 81,92 Euro, der ähnlich zu obiger Forderung sei. Soweit das Arbeitsgericht in seinem Urteil darauf abstelle, dass auch Bereitschaftsdienst anfalle und deshalb die bisherigen Nachzuschläge angemessen seien, verweist der Kläger darauf, dass die Bereitschaftszeiten je nach Rettungswache unterschiedlich sind, wobei es zuletzt einen „drastischen“ Anstieg der Einsätze gab. In W. sei es unter 50 Prozent Bereitschaftszeit. Zudem sei Bereitschaftsdienst auch ausgleichspflichtige Nachtarbeit. Zudem meint der Kläger, dass selbst der DRK-TV-O keinen hinreichenden Ausgleich nach § 6 Abs. 5 ArbZG enthalte. Der Kläger begehre auch die Zahlung von Zusatzurlaub, weil nach anderen Tarifverträgen, u.a. im TVöD, Zusatzurlaub für Nachtdienste gewährt wird. Diesen Zahlungsanspruch lasse er sich auf seine Forderung gemäß Klageantrag zu 5 anrechnen.

33

Unabhängig von vorgenannten Ausführungen könne der Kläger aber auch Vergütung nach dem öffentlichen Dienst verlangen, da der Rettungsdienst eine Aufgabe der Bundesländer ist, die auf die Landkreise und kreisfreien Städte übertragen wurde. Nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes wäre der Kläger in die Entgeltgruppe 5 Stufe 3 einzugruppieren und hätte dort ab 01.01.2010 ohne Zulagen 12,29 Euro in der Stunde verdient. Da der Kläger nur 8,17 Euro erhalten habe, habe er nur 66 Prozent und damit weniger als 2/3 der ortsüblichen Vergütung für den Rettungsdienst in MV erhalten und sei somit unangemessen niedrig vergütet worden. Der Kläger verweist darauf, dass der Rettungsdienst in den Städten B-Stadt, R., S. und G. nach dem TVöD vergütet wird. Auch verweist der Kläger darauf, dass sich das Land M-V nach dem Vergabegesetz verpflichtet habe, Aufträge nur an Dritte zu vergeben, wenn diese mindestens 8,50 Euro je Stunde an ihre Arbeitnehmer zahlen. Schließlich sei entscheidend, dass der Kläger im Rahmen eines Personaldienstleistungsvertrages in den Eigenbetrieb Rettungsdienst des Landkreise Nordwest-Mecklenburg eingegliedert sei. Denn die Arbeitnehmer seien vertraglich der Einsatzleitstelle unterstellt und müssten ausschließlich deren Weisungen Folge leisten. Hingegen werden die Kosten für Fahrzeuge, Einrichtung, Ausstattung und Kleidung von der Stadt [gemeint wohl die frühere kreisfreie Stadt bzw. der heutige Landkreis] getragen. Der Kläger sei in den Betrieb des Landkreises eingegliedert. Er könne somit nach § 9 Abs. 2 AÜG Vergütung nach dem TV für den öffentlichen Dienst verlangen.

34

Der Kläger hatte seine Ansprüche zunächst mit Schreiben vom 03.12.2013 gegenüber dem Beklagten geltend gemacht.

35

Der Kläger beantragt:

1.

36

Die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Schwerin vom 28.08.2014 – Aktenzeichen 6 Ca 2312/13 – zu verurteilen, an den Kläger 4.815,02 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 343,93 Euro seit dem 01.02.2010, 01.03.2010, 01.04.2010, 01.05.2010, 01.06.2010, 01.07.2010, 01.08.2010, 01.09.2010, 01.10.2010, 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011, 01.02.2011 sowie 01.03.2011 zu zahlen.

2.

37

Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.485,48 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 421,96 Euro seit dem 01.04.2011, 01.05.2011, 01.06.2011, 01.07.2011, 01.08.2011, 01.09.2011, 01.10.2011, 01.12.2011, 01.01.2012, 01.02.2012, 01.03.2012 sowie 01.04.2012 zu zahlen.

3.

38

Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.608.38 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 289,82 Euro seit dem 01.05.2012, 01.06.2012, 01.07.2012, 01.08.2012, 01.09.2012, 01.10.2012, 01.11.2012, 01.12.2012 sowie 01.03.2013 zu zahlen.

4.

39

Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.077,84 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 89,82 Euro seit dem 01.02.2013, 01.03.2013, 01.04.2013, 01.05.2013, 01.06.2013, 01.07.2013, 01.08.2013, 01.09.2013, 01.10.2013, 01.11.2013, 01.12.2013 sowie 01.01.2014 zu zahlen.

5.

40

Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.4.17,44 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf je 92,03 Euro seit dem 01.02.2010, 01.03.2010, 01.04.2010, 01.05.2010, 01.06.2010, 01.07.2010, 01.08.2010, 01.09.2010, 01.10.2010, 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011, 01.02.2011, 01.03.2011, 01.04.2011, 01.05.2011, 01.06.2011, 01.07.2011, 01.08.2011, 01.09.2011, 01.10.2011, 01.11.2011, 01.12.2011, 01.01.2012, 01.02.2012, 01.03.2012, 01.04.2012, 01.05.2012, 01.06.2012, 01.07.2012, 01.08.2012, 01.09.2012, 01.10.2012, 01.11.2012, 01.12.2012, 01.01.2013, 01.02.2013, 01.03.2013, 01.04.2013, 01.05.2013, 01.06.2013, 01.07.2013, 01.08.2013, 01.09.2013, 01.10.2013, 01.11.2013, 01.12.2013 sowie 01.01.2014 zu zahlen.

6.

41

Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.252,29 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 235,72 Euro seit dem 01.12.2010, 460,82 Euro seit dem 01.12.2011 sowie 555,75 Euro seit dem 01.12.2012 zu zahlen.

42

Der Beklagte beantragt:

43

Die Berufung zurückzuweisen.

44

Der Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Weitere Zahlungsansprüche stünden dem Kläger nicht zu.

45

Der Beklagte verweist darauf, dass auf die Mehrheit der Arbeitnehmer das tarifliche Entgeltschema ohnehin nicht mehr angewendet wird. Dies ist nur noch bei 12 von 36 Arbeitnehmern im alten Bereich DRK HWI der Fall.

46

Der Beklagte geht davon aus, dass die Betriebsvereinbarung mit ihrer oben zitierten Ziffer 6 nun auch auf den Kläger anwendbar sei und der Betriebsrat nunmehr auf diese Weise ein Entgeltschema zusammen mit dem Arbeitgeber geregelt habe.

47

Ergänzend zu den unstreitigen Abläufen im Zuge der Abkehr vom DRK-TV-O verweist der Beklagte darauf, dass alle Festgehälter den Beträgen entsprechen, die von der Stadt W. vorgegeben wurden, wobei der Betriebsrat jeweils auch informiert war. Schriftsätzlich und auch noch einmal auf ausdrückliche Nachfrage im Verhandlungstermin vor dem Berufungsgericht erklärte der Beklagte, dass dies aber nicht als förmliche Beteiligung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gesehen werden könne. Dem Kläger sei aber auch kein Schaden entstanden, da er erst Jahre nach dem Ende der Tarifbindung einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hatte.

48

Sofern für den Kläger ein Anspruch aufgrund einer Änderung des Entgeltschemas bestehen sollte, könne jedoch nicht auf den vom Kläger herangezogenen Stand des DRK-TV-O abgestellt werden, da dieser erst nach (behaupteten) Austritt aus der Tarifgemeinschaft in Kraft trat. Daher könnten maximal die Tarifstände des Jahres 1999 (Fassung des 8. Änderungs-TV) zur Anwendung gelangen. Hinsichtlich des sich somit aus Sicht des Beklagten ergebenden Zahlenmaterials wird auf Blatt 46 d. A. (Schriftsatz vom 14.04.2014, Seite 2) verwiesen.

49

Soweit der Kläger auch eine erhöhte Jahressonderzahlung verlange, bestehe dieser Anspruch nicht. Eine solche Zahlung sei schon gar nicht im Arbeitsvertrag vereinbart. Der Arbeitsvertrag spreche vom freien Ermessen. Im Übrigen könne jedenfalls kein Bemessungssatz von 75 Prozent begehrt werden da schon 1999 und auch 2002 der DRK-TV-O nicht 75 Prozent festgesetzt hatte.

50

Der Kläger habe auch keinen weitergehenden Anspruch auf eine Nachtzulage. Der DRK-TV-O kenne eine Wechselschichtzulage für Nachtdienste, wenn nicht mehr als drei Stunden Arbeitsbereitschaft in der Nachtschicht anfallen, wobei im Falle des Klägers mindestens von fünf Stunden Arbeitsbereitschaft auszugehen ist. Für den ehemaligen Bereich W. behauptet der Beklagte allgemein einen Anteil von Arbeitsbereitschaft von mehr als 50 Prozent.

51

Der Beklagte geht auch davon aus, dass die möglichen Ansprüche des Klägers vor Oktober 2013 durch die Verfallsklausel in § 18 des Arbeitsvertrages verfallen seien. Zudem seien mögliche Ansprüche aufgrund der Verfallsklausel im DRK-TV-O vor dem 01.06.2013 verfallen.

52

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, alle Verhandlungsprotokolle sowie das arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

53

Die zulässige Berufung des Klägers ist hinsichtlich der Anträge zu 1 bis 4 vollständig begründet (I. – IV.), hinsichtlich des Antrages zu 6 teilweise begründet (V.) und hinsichtlich des Antrages zu 5 unbegründet (VI.).

54

Das arbeitsgerichtliche Urteil war daher insoweit überwiegend zugunsten des Klägers abzuändern.

I.

55

Der Zahlungsantrag zu 1 des Klägers ist vollständig begründet.

56

Das insoweit klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts war daher abzuändern.

57

Der Kläger hat für den Zeitraum Januar 2010 bis Februar 2011 (14 Monate) einen weiteren Zahlungsanspruch von monatlich 343,93 Euro brutto, in der Summe somit 4.815,02 Euro brutto.

1.

58

Der Zahlungsanspruch des Klägers folgt nicht unmittelbar aus dem individual-rechtlich geschlossenen Arbeitsvertrag nebst Änderungsverträgen. Denn genau die dort vereinbarte monatliche Vergütung ist unstreitig ausgezahlt worden.

2.

59

Ein unmittelbar tariflicher Anspruch besteht ebenfalls nicht. Denn die Parteien waren bei Arbeitsvertragsschluss und auch später nicht tarifgebunden, insbesondere nicht hinsichtlich des DRK-TV-O.

60

Es kann dahinstehen, ob der Beklagte bzw. seine Rechtsvorgänger schon 1999 mittelbar aus der Bundestarifgemeinschaft ausgetreten waren. Jedenfalls war der DRK-TV-O zum 31.12.2001 und damit vor Eintritt des Klägers gekündigt. Mangels weiteren Vortrages ist von der Wirksamkeit der Kündigung auszugehen.

61

Die Regelungen des DRK-TV-O galten auch nicht mehr nach § 4 Abs. 5 TVG für das hiesige Arbeitsverhältnis. Zwar gelten Rechtsnormen eines Tarifvertrages nach seinem Ablauf weiter, bis sie durch andere ersetzt werden. Diese Nachwirkung erstreckt sich jedoch nicht auf Arbeitsverhältnisse, die erst während des Nachwirkungszeitraumes begründet werden (vgl. BAG, 11.06.2002, 1 AZR 390/01, Rz. 19). Dies war hier der Fall. Mit dem Vertragsabschluss erst im Jahre 2008 wurde das Arbeitsverhältnis auf eine Grundlage unabhängig von einem Tarifvertrag gestellt.

3.

62

Der geltend gemachte Klageanspruch folgt aber aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen. Der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger eine Vergütung nach den betriebsverfassungsrechtlich zuletzt rechtmäßig zustande gekommenen Entlohnungsgrundsätzen zu zahlen.

63

Im hier zu entscheidenden Fall ergab sich der Zahlungsanspruch aus einer Verletzung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

64

Der Beklagte hat ohne Zustimmung des Betriebsrats neue Entlohnungsgrundsätze im Betrieb eingeführt. Dabei kann an dieser Stelle wiederum dahinstehen, ob dies schon 1999 oder erst 2002 geschehen ist, da es sich inhaltlich jedenfalls um denselben Vorgang handelt und sich dieser Vorgang in jedem Fall vor den streitgegenständlichen Zeiträumen und vor Einstellung des Klägers ereignet hat.

65

Diese Handlung des Beklagten ist dabei nach der Rechtsprechung des BAG nicht nur im Verhältnis zum Betriebsrat rechtswidrig. Vielmehr gilt die individuell im Arbeitsvertrag mit dem Kläger getroffene Vergütungsabrede auch im Verhältnis zum Kläger nicht, soweit sie zu seinem Nachteil auf der nicht mitbestimmten neuen Vergütungsordnung beruht.

a)

66

Nach der Rechtsprechung des BAG, der sich die Kammer anschließt, kann auch der Kläger als Individualperson die Verletzung von Mitbestimmungsrechten aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG geltend machen (vgl. BAG, 11.06.2002, 1 AZR 390/01; BAG 22.06.2010, 1 AZR 853/08).

67

Der Kläger war in einem Betrieb beschäftigt, in dem 1999 bis 2002 sowie auch davor und danach – somit in jedem Fall zum möglichen Zeitpunkt der Änderung von Entlohnungsgrundsätzen - ein Betriebsrat bestand.

b)

68

Vorliegend nahm der DRK HWI als Rechtsvorgänger des Beklagten im Zeitraum 1999 bis 2002 eine Änderung von Entlohnungsgrundsätzen vor. Auch hier ist wiederum zunächst nicht von Bedeutung, wann genau die Umstellung erfolgte.

69

Das BAG führt allgemein wie folgt aus (BAG, 11.06.2002, 1 AZR 390/01, Rz. 25): „Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung neuer Entlohnungsmethoden sowie bei deren Änderung. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist, das betriebliche Lohngefüge angemessen und durchsichtig zu gestalten und die betriebliche Lohn- und Verteilungsgerechtigkeit zu wahren. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist dabei zwar nicht die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts. Mitbestimmungspflichtig sind aber die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen (BAG 3. Dezember 1991 - GS 2/90 - BAGE 69, 134; 18. Oktober 1994 - 1 ABR 17/94 - AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 70 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 47; 19. September 1995 - 1 ABR 20/95 - AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 81 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 53; 13. März 2001 - 1 ABR 7/00 - EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 72; Wiese GK-BetrVG 7. Aufl. § 87 Rn. 805 mwN). Mitbestimmungspflichtig ist auch die Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze durch den Arbeitgeber (BAG 3. Dezember 1991 - GS 1/90 - AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 52).“

70

Der Beklagte bzw. der DRK HWI wendete bis 1999 bzw. 2002 allgemein die tariflich (DRK-TV-O) vorgegebene Vergütungsordnung an. Diese war u.a. durch ein Grundentgelt, einen Ortszuschlag und eine allgemeine Zulage gekennzeichnet. Beim Grundgehalt waren je nach Tätigkeit verschiedene Vergütungsgruppen und innerhalb dieser ein Aufstieg nach Lebensaltersstufen zu berücksichtigen. Der Ortszuschlag bestimmte sich nach den familiären Verhältnissen. Eine jährliche Zuwendung war nach bestimmten Rechenmaßstäben vorgesehen. Auch sah der DRK-TV-O verschiedene Zuschläge und Zulagen, die von Sonderumständen abhängig waren, vor. Diese Vergütungsordnung wollte der Beklagte seit 1999 bzw. seit 2002 durch eine andere ablösen. Denn ab einem dieser streitigen Zeitpunkte vergütete der Beklagte jedenfalls seine sodann neu eingestellten Rettungssanitäter und -assistenten nur noch nach einer individuell vereinbarten monatlichen Festvergütung. Die Berücksichtigung von Vergütungsgruppen und Lebensalterstufen sowie familiären Verhältnissen erfolgte nicht mehr. Auch die jährliche Zuwendung wurde nicht mehr wie bisher ermittelt.

71

Dies stellt unproblematisch in tatsächlicher Hinsicht eine Änderung von Entlohnungsgrundsätzen dar. Das Vergütungssystem wurde vollständig vom vielgestaltigen tariflichen System auf ein einfaches Festlohnsystem umgestellt. Der Arbeitgeber hatte hier offensichtlich nicht nur die absolute Höhe der Vergütung bei im Übrigen weiterer Anwendung des alten tariflichen Vergütungssystems geändert.

c)

72

Die Einführung dieser neuen Vergütungsordnung unterlag als kollektive Maßnahme der Mitbestimmung des Betriebsrats, der im fraglichen Zeitraum (1999 bis 2002) immer vorhanden war.

73

Dabei ist es auch unerheblich, dass die ursprüngliche Einführung der tariflichen Vergütungsordnung des DRK-TV-O noch ohne rechtliche Beteiligungsmöglichkeit des Betriebsrates erfolgte. Das tarifliche Vergütungssystem musste in den 1990’er Jahren bereits aufgrund damaliger Tarifbindung des DRK HWI zwingend angewandt werden. Entsprechend bestimmt auch § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG, dass ein Mitbestimmungsrecht nur besteht, soweit keine tarifliche Regelung besteht.

74

Die Beteiligungspflicht des Betriebsrates bei späterer Änderung des Schemas bestand auch in dieser Konstellation. Denn nach der Rechtsprechung des BAG (BAG, 22.06.2010, 1 AZR 853/08, Rz. 22) „kommt es für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze erfolgt ist, ob etwa auf der Basis bindender Tarifverträge, einer Betriebsvereinbarung, einzelvertraglicher Absprachen oder einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Vergütungsordnung. Denn nach der Konzeption des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hängt das Mitbestimmungsrecht nicht vom Geltungsgrund der Entgeltleistung, sondern nur vom Vorliegen eines kollektiven Tatbestands ab. Das Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kann daher in Betrieben ohne Tarifbindung das gesamte Entgeltsystem erfassen, da bei diesen die Mitbestimmung durch eine bestehende tarifliche Regelung iSd. § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG nicht beschränkt wird (st. Rspr. zuletzt BAG 8. Dezember 2009 - 1 ABR 66/08 - Rn. 21, AP BGB § 613a Nr. 380 = EzA BetrVG 2001 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 20).“ Im selbigen Urteil des BAG (22.06.2010, 1 AZR 853/08) wird unter Rz. 37 noch deutlicher und kürzer formuliert, dass „es für das Mitbestimmungsrecht nicht auf den Geltungsgrund der Entlohnungsgrundsätze ankommt“ (ebenso auch BAG, 11.01.2011, 1 AZR 310/09, R. 23; BAG, 17.05.2011, 1 AZR 797/09, Rz. 17).

75

Entscheidend ist somit allein, dass bisher ein Entgeltsystem bestand, welches nun nach dem Willen des Arbeitgebers geändert werden sollte. Das Mitbestimmungsrecht gilt somit auch im Falle des Wegfalles der Tarifbindung bezüglich eines Tarifvertrages, welcher eine bisher geltende Entgeltordnung vorsah (BAG, 04.05.2011, 7 ABR 10/10, Rz. 23; BAG, 02.03.2004, 1 AZR 271/03, Rz. 36; BAG, 15.04.2008, 1 AZR 65/07, Rz. 27). Denn die alte tarifliche Vergütungsordnung bleibt zunächst auch weiterhin das maßgebliche Vergütungsschema.

76

Mit dem Wegfall der Tarifbindung entweder durch streitigen Austritt des DRK HWI aus der Tarifgemeinschaft 1999 oder aber spätestens mit der Kündigung des DRK-TV-O zum Ende des Jahres 2001 war der Arbeitgeber seit 1999 bzw. 2002 nun aber (tariflich gesehen) frei, eine andere Entgeltordnung zu schaffen. Allerdings bestand nun auch nicht mehr (betriebsverfassungsrechtlich gesehen) eine das Mitbestimmungsrecht ausschließende zwingende tarifliche Regelung. Die Mitbestimmung war also erforderlich, obwohl das ursprüngliche Vergütungssystem aufgrund Tarifbindung noch ohne Beteiligung des Betriebsrates eingeführt worden war.

d)

77

An der Einführung des neuen Vergütungssystems 1999 bzw. 2002 ist der Betriebsrat nicht beteiligt worden. Darin liegt ein Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

78

Ausgehend von den Erörterungen in der Kammersitzung des Berufungsgerichts dürfte zuletzt unstreitig sein, dass eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates nicht statt fand. Es gab keine mehr oder minder ausdrückliche Anhörung des Betriebsrates zu einer beabsichtigten Änderung des Vergütungssystems nebst Erläuterung der Änderung und Bitte um Zustimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Betriebsrat, egal ob 1999 oder 2002, in einer Betriebsratssitzung ordnungsgemäß einen Zustimmungsbeschluss gefasst und sodann eine Zustimmung dem Beklagten mitgeteilt hätte. Es liegt mithin keinerlei erforderliche Zustimmung vor.

79

Der Umstand, dass der Betriebsrat über die neuen Arbeitsvertragsabschlüsse nebst des jeweils geänderten Festgehaltes informiert war, teils auch bei den Verhandlungen mit der Stadt W. anwesend war und sich den neuen Gehaltsvereinbarungen „nicht widersetzt“ hatte, ändert nichts. Denn die Mitbestimmung des § 87 BetrVG erfordert, dass ein Zustimmungsverfahren eingeleitet wird und abschließend formell ordnungsgemäß eine Zustimmung vorliegt.

80

Es kommt noch nicht einmal darauf an, ob der Betriebsrat seine Beteiligung überhaupt eingefordert hat. Der Arbeitgeber muss in Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG von sich aus die Zustimmung des Betriebsrats einholen (BAG, 11.06.2002, 1 AZR 390/01, Rz. 26; BAG, 22.06.2010, 1 AZR 853/08). Der Betriebsrat kann auch nicht durch stillschweigendes Geschehen-Lassen auf sein Mitbestimmungsrecht verzichten (Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 578). Denn die Mitbestimmungsrechte des BetrVG sind dem Betriebsrat kollektivrechtlich zugunsten der Arbeitnehmer zur Wahrnehmung übertragen worden. Die Nichtwahrnehmung von Rechten könnte sogar einen Pflichtverstoß des Betriebsrates darstellen. Entsprechend ist auch eine materiell-rechtliche Verwirkung von Mitbestimmungsrechten nicht möglich (Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 578).

e)

81

Auch nachträglich ist der unmittelbar bei Einführung des neuen Vergütungssystems aufgetretene Mangel der Nichtbeteiligung des Betriebsrates nicht beseitigt worden.

82

Insbesondere stellt die mögliche Betriebsvereinbarung, welche eventuell am 03.05.2011 bei alten DRK NWM geschlossen wurde, keine hinreichende Beteiligung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG dar. Dabei kann zugunsten des Beklagten darüber hinweggesehen werden, dass der Kläger eingewandt hatte, dass die Betriebsvereinbarung nicht unterschrieben wurde und der Beklagte hierauf nicht mehr reagiert hatte. Auch kann die Fragestellung dahinstehen, ob diese Betriebsvereinbarung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anwendbar ist, was der Kläger bezweifelt, da diese Betriebsvereinbarung in zeitlicher Hinsicht beim alten DRK NWM abgeschlossen wurde, bevor der Arbeitgeber des Klägers mit dem alten DRK NWM verschmolz.

83

Denn allein schon die inhaltliche Ausgestaltung dieser Betriebsvereinbarung stellt keine hinreichende Beteiligung des Betriebsrates für das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG dar.

84

Der Beklagte berief sich darauf, dass der dortige § 6 regelt: „Die Grundvergütung richtet sich für alle derzeit beschäftigten Mitarbeiter nach der individuell arbeitsvertraglich vereinbarten Höhe.“ Zurecht wandte daraufhin der Kläger ein, dass diese Vereinbarung keine hinreichende Beteiligung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG darstellt. Auf den ersten Blick ist zwar die Frage der Vergütung angesprochen. Letztlich beschränkt sich die Regelung aber nur darauf, dass sich die Vergütung nach der individuell vereinbarten Höhe richten soll. Dies ist relativ inhaltsleer und auch nicht eindeutig. Soll nach dem Wortlaut nur die „Höhe“ der Vergütung – also die absolute Höhe - geregelt werden, so ist der Betriebsrat hierfür nach § 77 Abs. 3 BetrVG zum einen nicht zuständig und zum weiteren läge dann noch nicht einmal eine Regelung zu einem Vergütungssystem nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vor. Sollte hingegen ein Vergütungssystem vereinbart werden, so läge nur ein Versuch der Beteiligung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vor. Denn dann bestünde die Regelung allein darin, dass der Arbeitgeber individuell mit jedem Arbeitnehmer vereinbaren könne, was er wolle. Der Betriebsrat hätte nach dieser Lesart dem Arbeitgeber das alleinige Gestaltungsrecht für den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand der Vergütungssystem-Änderung übertragen. Dies ist nicht zulässig (Fitting, BetrVG, § 87 Rz. 578 m. w. N.). Denn die Betriebsvereinbarung enthält keinerlei nähere Vorgaben, an welches Grundgerüst sich der Arbeitgeber bei Änderungen zu halten habe, so dass man gegebenenfalls zu dem Schluss kommen könnte, der Kernbereich des Mitbestimmungsrechtes sei inhaltlich vom Betriebsrat ausgeübt worden.

f)

85

Die Folge der Nichtbeachtung der notwendigen Mitbestimmung des Betriebsrates ist, dass die mitbestimmungspflichtige Maßnahme des Arbeitgebers rechtswidrig und damit auch unwirksam ist.

86

Dies gilt nach der Rechtsprechung des BAG (vgl. BAG, 11.06.2002, 1 AZR 390/01, Rz. 28) sowohl für einseitige Maßnahmen, die in Ausübung des Direktionsrechts vorgenommen wurden, als auch für einzelvertragliche Vereinbarungen. Das BAG führt an vorgenannter Stelle aus: „Die tatsächlich durchgeführte Mitbestimmung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Wirksamkeitsvoraussetzung für Maßnahmen zum Nachteil des Arbeitnehmers (BAG 16. September 1986 - GS 1/82 - BAGE 53, 42; 20. August 1991 - 1 AZR 326/90 - AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 50 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 50 m. w. N.; 13. April 1994 - 7 AZR 651/93 - BAGE 76, 234; Fitting BetrVG 21. Aufl. § 87 Rn. 492; Wiese GK-BetrVG a. a. O. Rn. 98 f., 119 m. w. N.). Maßnahmen zum Nachteil der Arbeitnehmer sind allerdings nur solche, die bereits bestehende Rechtspositionen der Arbeitnehmer schmälern. Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats führt nicht dazu, dass sich individualrechtliche Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer ergäben, die zuvor noch nicht bestanden haben (BAG 20. August 1991 - 1 AZR 326/90 – a. a. O.; 28. September 1994 - 1 AZR 870/93 - BAGE 78, 74). Auch bei Nichtbeachtung der Mitbestimmung durch den Arbeitgeber erhält der Arbeitnehmer keinen Erfüllungsanspruch auf Leistungen, die die bestehende Vertragsgrundlage übersteigen (Reichold Anm. zu BAG 28. September 1994 - 1 AZR 870/93 - AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 68).“

87

Ausgehend von vorgenannten Grundsätzen ist die Einführung des neuen Vergütungssystems 1999 bzw. 2002 daher unwirksam. Aus der Unwirksamkeit folgt die Fortgeltung des alten Vergütungssystems des DRK-TV-O.

g)

88

Hieraus folgt wiederum, dass der Kläger einen Anspruch auf Vergütung nach dem rechtmäßig anzuwendenden Vergütungssystem, also nach dem System des DRK-TV-O, hat.

89

Mangels zwischenzeitlicher Mitbestimmung des Betriebsrates zur Änderung der Vergütungsordnung ergab sich aus der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzungen des BAG, dass auch bei der Einstellung des Klägers im Jahr 2008 das zuletzt wirksam eingeführte Vergütungssystem, also das tarifliche, beachtet werden musste.

90

Zur Theorie der Wirksamkeitsvorsetzungen im Verhältnis zu einem Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG führt das BAG (22.06.2010, 1 AZR 853/08, Rz. 42) wie folgt zu Recht aus: „Nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung führt die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedenfalls zur Unwirksamkeit von Maßnahmen oder Rechtsgeschäften, die den Arbeitnehmer belasten. Das soll verhindern, dass der Arbeitgeber dem Einigungszwang mit dem Betriebsrat durch Rückgriff auf arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten ausweicht. Dem Arbeitgeber darf aus einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtwidrigkeit auch im Rahmen des Arbeitsverhältnisses kein Vorteil erwachsen. Maßnahmen zum Nachteil der Arbeitnehmer sind dabei nur solche, die bereits bestehende Rechtspositionen der Arbeitnehmer schmälern. Nach der Senatsrechtsprechung führt die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats bei diesen allerdings nicht dazu, dass sich individualrechtliche Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer ergäben, die zuvor noch nicht bestanden haben (15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 37, BAGE 126, 237).“

91

Insbesondere formuliert das BAG an vorgenannter Stelle unter Rz. 43 folgende Rechtsfolge: „Der Senat hat in Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung angenommen, dass der Arbeitnehmer bei einer unter Verstoß gegen das Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmten Entlohnungsgrundsätze fordern kann (15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 37 f., BAGE 126, 237; 2. März 2004 - 1 AZR 271/03 - zu IV 2 b cc der Gründe, BAGE 109, 369; 11. Juni 2002 - 1 AZR 390/01 - zu III 4 der Gründe, BAGE 101, 288). Die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütungshöhe wird danach von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten. Das ist durch den Zweck des Beteiligungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG geboten. Nur auf diese Weise kann verhindert werden, dass sich der Arbeitgeber seiner Bindung an die von ihm einseitig vorgegebene oder mitbestimmte Vergütungsstruktur unter Verstoß gegen das Beteiligungsrecht des Betriebsrats und den in § 87 Abs. 2 BetrVG bestimmten Einigungszwang entzieht (BAG 14. August 2001 - 1 AZR 744/00 - zu III 2 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 77 Regelungsabrede Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 88 Nr. 1). Dies gilt unabhängig von den Rechtsschutzmöglichkeiten des Betriebsrats.“ Gleichartige Formulierungen finden sich z.B. auch in BAG, 11.01.2011, 1 AZR 310/09, Rz. 33, 34.

92

Diesen Ausführungen schließt sich das Berufungsgericht an.

93

Daher war der DRK HWI bei Einstellung des Klägers verpflichtet, mit diesem einen Arbeitsvertrag unter Berücksichtigung des tariflichen Vergütungssystems des DRK-TV-O abschließen. Denn dessen Vergütungssystem war mangels zwischenzeitlicher Mitbestimmung das weiterhin maßgebliche Vergütungssystem (so auch Fitting, BetrVG, 27. Aufl., § 87 Rn. 440, 442, 600).

94

Allerdings war der DRK HWI nicht verpflichtet, hinsichtlich der absoluten Höhe der einzelnen Bestandteile des Vergütungssystems eine tarifgerechte Vergütung zu vereinbaren. Allein das Vergütungssystem selbst nebst des relativen Verhältnisses der verschiedenen Vergütungsbestandteile zueinander musste weiter beachtet werden.

95

Der Beklagte bzw. der DRK HWI als sein Rechtsvorgänger war daher verpflichtet, im Arbeitsvertrag mit dem Kläger eine Vergütungsvereinbarung zu treffen, die von der inneren Struktur her so ausgestaltet war, wie es auch im DRK-TV-O geregelt war. Der Beklagte bzw. der DRK HWI hätte damit auch nach 1999 bzw. 2002 Arbeitsverträge schließen müssen, die Vergütungsgruppen, altersabhängige Grundvergütungen, unterhaltspflichtabhängige Ortszuschläge und eine allgemeine Zulage vorsahen. Auch das alte System der jährlichen Zuwendung sowie der weiteren Zulagen etc. hätte weiter angewendet werden müssen. Dem genügte die Vergütungsabrede im Arbeitsvertrag des Klägers nicht. Mit ihm war nur ein Festgehalt vereinbart worden.

96

Dabei ist es auch nicht von Bedeutung, dass der Kläger erst nach der unzulässigen Änderung des Vergütungssystems eingestellt wurde. Denn bei Einstellung des Klägers im Jahr 2008 war in der organisatorischen Einheit „Betrieb“ im Sinne des BetrVG das tarifliche Vergütungssystem das zwingend weiterhin anzuwendende Vergütungssystem. Die Verpflichtung nebst Folgen eines Verstoßes aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gilt also auch bei einem neu einzustellenden Arbeitnehmer und nicht nur bei Änderungen im laufenden Arbeitsverhältnis (z.B. BAG, 02.03.2004, 1 AZR 271/03, Rz. 43; BAG, 15.04.2008, 1 AZR 65/07, Rz. 20; auch weitere hier bereits zitierte Urteile des BAG betreffen Fälle von neu eingestellten Arbeitnehmern; Fitting, BetrVG, 27. Aufl., § 87 Rn. 440, 442). Das tarifliche Vergütungssystem war mangels wirksamer Änderung die weiterhin gegenwärtige Rechtslage im Betrieb. Will der Arbeitgeber bei Neueinstellungen bisherige Entgeltbestandteile in ihrer Zusammensetzung verändern, so ist die Beteiligung des Betriebsrates notwendig (BAG, 15.04.2008, 1 AZR 65/07, Rz. 32). Mit Eintritt des Klägers in den Betrieb galt daher das tarifliche System bzw. diese Rechtslage auch für ihn. Unterschiedliche Vergütungssysteme für Altarbeitnehmer und Neueinstellungen waren hier nicht wirksam vereinbart worden.

97

Der Kläger hat somit einen Anspruch auf Vergütung nach dem System des DRK-TV-O.

h)

98

Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass auch die Verschmelzung der Kreisverbände im Jahr 2012 nicht zu einer anderen Sichtweise führt, weil ein im alten DRK NWM bisher angewandtes Schema etwaig nun auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden wäre.

99

Bis zur Verschmelzung bestand unproblematisch ein Betrieb beim DRK HWI und ein Betrieb beim alten DRK NWM. Allein eine gesellschaftsrechtliche Verschmelzung von Arbeitgebern besagt nichts über die betrieblichen Strukturen nach der Verschmelzung. Ohne eine entsprechende Behauptung und entsprechenden Tatsachenvortrag im Prozess musste unter Berücksichtigung des Beibringungsgrundsatzes davon ausgegangen werden, dass die betrieblichen Strukturen unverändert blieben, so dass sich gar nicht die Frage stellt, ob ein etwaiges Schema des Betriebes im alten DRK NWM nun auf die Arbeitnehmer des Betriebes des aufgelösten DRK HWI anzuwenden wäre. (Insbesondere ist dem Vorsitzenden aus der richterlichen Tätigkeit in einem vorgehenden Beschlussverfahren des Arbeitgebers noch erinnerlich, dass dort die Frage der möglichen Änderung der Betriebsstrukturen streitig war, aber letztlich nicht weiter vertieft werden musste.)

100

Auch konnte sich die Verschmelzung auch schon deshalb nicht auswirken, weil der Arbeitgeber aufgrund fehlender wirksamer Schemaänderung verpflichtet war, mit dem Kläger bei Einstellung einen Arbeitsvertrag unter Berücksichtigung des tariflichen Entgeltschemas zu schließen. Der Kläger ist somit für die hier anzustellenden rechtlichen Betrachtungen so zu stellen, als sei in 2008 ein Arbeitsvertrag unter Aufnahme des tariflichen Entgeltschemas geschlossen worden. Ausgehend hiervon ist nicht ohne weiteres ersichtlich, dass eine nachfolgende Verschmelzung in 2012 auf diese individuelle Vereinbarung einen Einfluss haben könnte.

i)

101

Der Verstoß des Arbeitgebers gegen das Mitbestimmungsrecht führt allerdings nicht zwingend dazu, dass der Kläger auch einen Anspruch auf betragsmäßige Vergütung nach dem Tarifvertrag und somit Anspruch auf eine höhere als die vereinbarte Vergütung hat. Denn das Mitbestimmungsrecht betrifft nur das System der Lohngestaltung. Der Beklagte bzw. sein Rechtsvorgänger wäre daher frei darin gewesen, mit dem Kläger unter Beachtung des bisherigen Vergütungssystems untertarifliche Beträge zu vereinbaren, solange das innere System der Entgeltbestandteile zueinander nicht verschoben wird, was bei einer prozentual gleichmäßigen Kürzung sämtlicher Entgeltbestandteile der Fall gewesen wäre.

j)

102

Die arbeitsvertragliche Vergütungsvereinbarung des Klägers war aufgrund der Unwirksamkeit des in ihr enthaltenen neuen Vergütungssystems an das weiterhin anzuwendende tarifliche Vergütungssystem anzupassen.

103

Diese Anpassung kann im Einzelfall allerdings auch dazu führen, dass der neu eingestellte Arbeitnehmer in der Summe eine höhere Vergütung erhält, als individuell vereinbart war (BAG, 11.06.2002, 1 AZR 390/01). Zwar ist die betragsmäßige Vergütungshöhe dem Mitbestimmungsrecht entzogen. Unter Umständen ist die nachträglich Herstellung der rechtmäßigen Vergütungsordnung aber nur auf eine solche Weise möglich, dass in der Summe eine höhere als die vereinbarte Gesamtvergütung für den Arbeitnehmer zu zahlen ist.

104

Dies ist auch hier der Fall.

(1)

105

Dabei ist der Fall des Klägers von einer rechtlich besonderen und insoweit schwierigen Konstellation gekennzeichnet. Der Arbeitgeber hatte das vielseitige und ausdifferenzierte tarifliche Vergütungssystem vollständig abgeschafft und im Kern durch ein einfaches monatliches Festgehalt ersetzt. Diese individuelle Vergütungsvereinbarung musste nun grundsätzlich eigentlich auch die Basis für die betragsmäßigen Höhen der einzelnen Entgeltbestandteile bei der gerichtlichen Nachbildung der alten – rechtmäßigen – Vergütungsordnung sein. Diese grundsätzliche Herangehensweise konnte vorliegend aufgrund der totalen Änderung des Vergütungssystems objektiv allerdings nicht verfolgt werden, weshalb der Kläger nach Ansicht der Kammer hier im Ergebnis auch einen Anspruch auf betragsmäßig tarifliche Vergütung nach noch darzustellenden näheren Maßstäben hat.

(2)

106

Die bisher in der Rechtsprechung des BAG zu findenden Fälle waren – soweit ersichtlich – diesbezüglich von einfacherer Fallgestaltung. In den dortigen Fällen hatte der Arbeitgeber das Vergütungssystem jeweils nur in einem oder einzelnen Punkten geändert. Er hatte nur einzelne Vergütungsbestandteile entfallen lassen oder diese der Höhe nach im Verhältnis zur sonstigen Vergütung verändert. Der Kern des alten Systems war jeweils im Wesentlichen unverändert geblieben. Hier konnte das BAG als Basis jeweils auf den unveränderten Teil des Vergütungssystems nebst den dortigen betragsmäßigen Höhen der Entgeltbestandteile zurückgreifen. Ausgehend hiervon war es jeweils unproblematisch möglich, den veränderten Vergütungsbestandteil wieder nachzubilden und der Höhe nach in Relation zu den unveränderten Vergütungsbestandteilen festzusetzen. Dies zeigen nachfolgende Beispiele.

107

Im Fall, der dem Urteil BAG, 11.06.2002, 1 AZR 390/01 zugrunde lag, war beim Arbeitgeber bisher ein Tarifvertrag anwendbar, der verschiedene Bestandteile der monatlichen Gehaltszahlung nebst Altersstufen vorsah. Von dieser tariflichen Vergütungsordnung wollte der Arbeitgeber ab einem bestimmten Zeitpunkt abweichen und vereinbarte mit neu eingestellten Arbeitnehmern, wie der Klägerin, feste Vergütungen ohne Lebensaltersstufen, die aber im Übrigen den bei Abschluss gültigen Tarifansprüchen entsprachen. Hier konnte das alte Vergütungssystem hergestellt werden, indem wieder Lebensaltersstufen eingeführt wurden, deren Relation den tariflichen Altersstufen entsprach.

108

Gleichartig war der Fall BAG, 02.03.2004, 1 AZR 271/03 gelagert.

109

Im Fall BAG, 15.04.2008, 1 AZR 65/07 hatte der öffentlich-rechtliche Arbeitgeber nach Wegfall seiner Tarifbindung mit anschließend neu eingestellten Arbeitnehmern Arbeitsverträge geschlossen, die eine Vergütung entsprechend dem Tarifsystem vorsahen, wobei aber die jährliche Zuwendung nicht mehr gezahlt werden sollte. Hier konnte einfach das 13. Monatsgehalt durch Blick auf die anderen Monate nachgebildet werden.

110

Im Fall des BAG, 11.01.2011, 1 AZR 310/09 hatte der Arbeitgeber alten und neu eingestellten Arbeitnehmern ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch die bisherige tarifliche Vergütung fortgezahlt, allerdings tariflich vorgesehene Zeitaufstiege in höhere Vergütungsgruppen nicht mehr beachtet. Die Auswirkungen dieser Zeitaufstiege konnten im Urteil unproblematisch ermittelt werden.

111

Im Fall des BAG, 22.06.2010, 1 AZR 853/08 hatte der Arbeitgeber die jährliche Zuwendung nicht mehr in Höhe des Septembergehalts sondern in abgesenkter Höhe gezahlt. Auch hier war es einfach, die Höhe der rechtmäßigen Zuwendung ausgehend vom sonst ungeänderten System zu ermitteln.

112

Vorgenannte Beispiele führten im Übrigen immer zu einer Nachzahlung für den Arbeitnehmer im Zuge der Wiederherstellung der alten Vergütungsstruktur.

(3)

113

Im hier zu entscheidenden Fall war es nicht einfach möglich, einen entfallenen Bestandteil des alten Vergütungssystems wieder herzustellen und sodann betragsmäßig an die sonstigen unveränderten Vergütungsbestandteile anzupassen. Insoweit weicht der hiesige Fall von den bisher entschiedenen Fällen des BAG ab.

114

Unproblematisch war zunächst natürlich der Ausgangspunkt, dass das alte Vergütungssystem als generelles Entgeltgerüst für den Kläger wieder hergestellt werden musste. Dieses Entgeltsystem kann einfach dem DRK-TV-O entnommen werden. Die Vergütung des Klägers muss sich aus den dort benannten Entgeltbestandteilen zusammensetzen.

(aa)

115

Problematisch ist jedoch die betragsmäßige Ausfüllung der einzelnen Bestandteile des tariflichen Systems - ausgehend von der Maßgabe, dass die Bestimmung der absoluten Höhe mitbestimmungsfrei ist. Grundsätzlich war daher hinsichtlich absoluter Beträge auf die individuelle Vereinbarung als Basis abzustellen. Das Berufungsgericht sieht aber keine nachvollziehbare Möglichkeit, die arbeitsvertraglich mit dem Kläger zunächst vereinbarte Festvergütung von 1.550,00 Euro monatlich dahingehend „umzurechnen“, dass auf dieser Basis ein Vergütungssystem, bestehend aus vergütungsgruppen- und altersstufenabhängiger Grundvergütung, unterhaltspflichtabhängiger Ortszulage, allgemeiner Zulage, Berechnung einer jährlichen Sonderzuwendung und Berechnung weiterer von Sonderumständen abhängiger Zulagen und Zuschläge geschaffen werden könnte. Es gibt keinen Anhaltspunkt dahingehend, dass 1.550,00 Euro zum Beispiel nur die Grundvergütung der niedrigsten oder einer sonstigen Vergütungsgruppe sein sollte. Sollen 1.550,00 Euro dann der niedrigsten oder der richtigen Vergütungsgruppe entsprechen? Ist hier schon ein Ortszuschlag mit enthalten? Wurden dazu bei der Verhandlung des Gehalts etwaige Unterhaltspflichten mit angesprochen? Sollen alle Zulagen durch eine irgendwie geartete Verhältnisrechnung von 1.550,00 Euro zusätzlich abgeleitet werden? Oder sollen die vereinbarten 1.550,00 Euro der monatlichen Gesamtvergütung, bestehend aus allen festen und variablen Entgeltbestandteilen des DRK-TV-O entsprechen? Wie soll die entsprechende Aufteilung erfolgen? Waren in den 1.550,00 Euro besonders viele oder besonders wenige monatlich variable Zuschläge mit einkalkuliert? All diese Fragen und unzählige weitere denkbare Fragen zeigen, dass eine irgendwie geartete Umrechnung eines bloßen Festgehaltes in ein System, welches von Tätigkeiten (Vergütungsgruppen), von einem sich jährlich automatisch ändernden Lebensalter, von sich theoretisch ständig änderungsfähigen Unterhaltspflichten, von sich täglich durch Direktionsrecht ändernden Sonderumständen (z.B. Nachtschichtzulage, Wechselschichtzulage) abhängig ist, als unmöglich erscheint. Dazu wäre u.U. auch von Interesse, ob und in welcher Weise gewisse obige Faktoren bei der Gehaltsverhandlung mit angesprochen wurden oder zumindest Teil der Überlegungen des Arbeitgebers waren.

(bb)

116

Da in diesem Sonderfall die individuell vereinbarte Vergütungshöhe keine irgendwie taugliche Basis zur Wiederherstellung der rechtmäßigen Vergütungsstruktur ist, musste die absolute Höhe der einzelnen Entgeltbestandteile der tariflichen Vergütungsstruktur auf andere Weise ermittelt werden. Hierfür kamen mangels sonstiger Anhaltspunkte nur die im Tarifvertrag selbst festgelegten Beträge in Frage.

117

Der Kläger hat sich zur Berechnung seiner Klageforderung auf den Tarifstand vom 31.10.2002 bezogen. Dem ist zu folgen. Denn unstreitig kam dieser Tarifstand beim Beklagten bzw. seinem Rechtsvorgänger noch zur Anwendung. Das für den Kläger herzustellende tarifliche Vergütungssystem war also zuletzt vom Arbeitgeber selbst mit diesen Beträgen des Jahres 2002 ausgefüllt worden. Dabei ist auch hier wieder nicht von Bedeutung, ob der Tarifvertrag unstreitig zum Jahr 2002 gekündigt wurde oder aber die Tarifbindung zuvor bereits 1999 durch Verbandsaustritt endete. Denn in jedem Fall war der Tarifstand 2002 der zuletzt tatsächlich angewandte Tarifstand, sei es aufgrund Tarifbindung oder aber aufgrund freiwilliger Weitergabe von Tariferhöhungen.

118

Grundlage der Berechnungen des klägerischen Zahlungsanspruches war somit richtigerweise der Tarifstand des Jahres 2002.

(cc)

119

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger ausgehend hiervon die richtigen Beträge für die vergütungsgruppenabhängige Grundvergütung, für den familienverhältnisabhängigen Ortszuschlag und für die allgemeine Zulage herangezogen hat.

(dd)

120

Vom Beklagten wurde hierbei insbesondere auch nicht beanstandet, dass der Kläger bei der Ermittlung der Grundvergütung innerhalb der richtigen Vergütungsgruppe auch auf die höchste Lebensaltersstufe zurückgegriffen hatte, obwohl der Kläger diese in Anbetracht seines Alters unter Berücksichtigung der tariflichen Regelung hierzu (§ 26 DRK-TV-O) eigentlich noch nicht erreicht hatte. Dieses Heranziehen der jeweils höchsten Lebensaltersstufe war in rechtlicher Hinsicht zutreffend. Denn der Beklagte war verpflichtet, dem Kläger Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe innerhalb der unstreitigen Vergütungsgruppe zu zahlen.

121

Diese Verpflichtung folgt aus der altersdiskriminierenden Wirkung des § 26 DRK-TV-O verbunden mit dem Umstand, dass diese Diskriminierung durch eine Anpassung nach oben – also auf die höchste Lebensaltersstufe – zu beseitigen ist.

122

Zunächst folgte – wie oben dargestellt – aus dem Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG die Rechtsfolge, dass das zuletzt geltende Entgeltschema wieder herzustellen war, der Kläger somit einen Vergütungsanspruch nach dem Vergütungssystem des DRK-TV-O hatte. Dieses sah in § 26 DRK-TV-O eine Grundvergütung vor, die innerhalb jeder Vergütungsgruppe ab dem 21. Lebensjahr alle zwei Jahre lebensaltersabhängig anstieg. Diese lebensaltersabhängige Vergütung verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, das in Art 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (juris: EUGrdRCh) verankert und durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (juris: EGRL 78/2000) konkretisiert worden ist und eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters im Sinne von Art 2 EGRL 78/2000 darstellt, die nicht nach Art 6 Abs 1 EGRL 78/2000 gerechtfertigt ist. Das Berufungsgericht verzichtet wegen der näheren Begründung hierzu auf eine detaillierte Darstellung, da die Unzulässigkeit der Altersdiskriminierung in § 26 DRK-TV-O zwischen den Parteien nicht streitig war. Zudem ist der relevante § 26 DRK-TV-O regelungsgleich, größtenteils sogar wortlautidentisch, mit dem § 27 Abschnitt A BAT, für welchen das BAG u.a. mit Urteil vom 10.11.2011, 6 AZR 481/09, die unzulässige Altersdiskriminierung festgestellt hat. Bezüglich der Gründe kann daher auf die Ausführungen des BAG im vorgenannten Urteil verwiesen werden.

123

Diese Diskriminierung musste auch im Fall des hiesigen Klägers durch eine Anpassung nach oben, also auf die höchste Altersstufe beseitigt werden. Dabei kann wiederum auf die Begründung des BAG im vorgenannten Urteil verwiesen werden. Nur durch die Anpassung nach oben war hier die die Herstellung einer diskriminierungsfreien Rechtslage möglich. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das altersdiskriminierende Vergütungssystem von den Vertragsparteien – wie im Fall des BAG – unmittelbar selbst angewandt wurde oder ob dieses System über den hiesigen Umweg und als Rechtsfolge des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in das Arbeitsvertragverhältnis einzuflechten war. Denn letztendlich hat auch der hiesige Kläger einen individualrechtlichen Anspruch auf Vergütung nach dem System DRK-TV-O. Es ist nicht von Bedeutung, welches die Rechtsgrundlage für die Anwendung des Vergütungssystems des DRK-TV-O ist. Entscheidend ist allein die letztlich individual-rechtliche Anwendung, bei der sich die Altersdiskriminierung in jedem Falle zeigt. Dabei war im hiesigen Fall auch zu berücksichtigen, dass andere Kollegen des Klägers, die vor 2002 bzw. 1999 eingestellt worden waren, im Rahmen einer Gleichstellungsabrede die Geltung des DRK-TV-O vereinbart hatten. Für weitere Kollegen galt dies aufgrund damaliger Tarifbindung. Für diese Kollegen, die dann auch älter als der Kläger waren, galt der DRK-TV-O nach Ende der Tarifbindung statisch fort. Es erhielten somit andere Kollegen, die vor der unzulässigen Entgeltschemaänderung eingestellt worden waren, noch Vergütung nach dem Schema des DRK-TV-O unter Beachtung einer höheren Altersstufe. Diesen konnte die altersstufenabhängige höhere Vergütung nicht mehr rückwirkend genommen werden. Auch war von Bedeutung, dass es neben dem Kläger noch eine Vielzahl weiterer Neueinstellungen zu dem unzulässig geänderten Vergütungsschema gab. Auch diese Arbeitnehmer haben voraussichtlich noch in gewissem Rahmen rückwirkende Zahlungsansprüche wegen der Verletzung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Dem Vorsitzenden ist bekannt geworden, dass hierzu beim Arbeitsgericht weitere Klagen anhängig sein sollen. Gerade solche Konstellationen noch möglicher weiterer Ansprüche anderer Kollegen zwingt in praktischer Hinsicht dazu, dass auch im Falle des Verstoßes gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG eine Altersdiskriminierung nur durch Anpassung nach oben zu beseitigen ist. Denn nur bei Anwendung dieses einheitlichen und vorhersehbaren Rechtsgrundsatzes kann für alle Arbeitnehmer, die noch Ansprüche haben sollten und diese geltend machen möchten, aber wahrscheinlich ein unterschiedliches Alter haben dürften, eine Gleichbehandlung erreicht werden.

124

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger ausgehend von der höchsten Altersstufe den richtigen Betrag aus den Vergütungstabellen des Jahres 2002 entnommen hat.

(4)

125

Im Ergebnis stand dem Kläger als Rettungssanitäter daher ab Januar 2010 ein Grundgehalt der Vergütungsgruppe VII, letzte Stufe von 1.308,07 Euro, ein Ortszuschlag (verheiratet, keine Kinder) von 407,71 Euro und eine allgemeine Zulage von 90,41 Euro, in der Summe somit 1.893,93 Euro zu. Abzüglich jeweils erhaltener 1.550,00 Euro ergab sich eine monatliche Differenz von 343,93 Euro. Dieser Differenzbetrag galt monatlich für den Zeitraum Januar 2010 bis Februar 2011, da sich in dieser Zeit keine vergütungsrelevanten Änderung ergaben.

(5)

126

Die vorgenannten Zahlungsansprüche sind entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht verfallen.

(aa)

127

Ein Verfall der Ansprüche folgt zunächst nicht aus § 18 des Arbeitsvertrages.

128

Dieser enthält eine sogenannte zweistufige Verfallsklausel mit einer Frist von jeweils zwei Monaten für die außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung. Diese Klausel hält einer Inhaltskontrolle nach dem Recht allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht stand.

129

Schon nach dem äußerlichen Erscheinungsbild ist der Arbeitsvertrag arbeitgeberseitig vorformuliert gewesen. Dabei ist unerheblich, ob der Vertrag (was anzunehmen ist) für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert war (§ 305 Abs. 1 BGB) oder aber für den Einzelfall vom Arbeitgeber gestellt wurde (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB).

130

In jedem Fall ist § 307 BGB anwendbar. Hier ist die zweistufige Verfallsklausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 BGB in beiden Stufen unangemessen benachteiligend, da die vorgesehen Fristen weniger als drei Monate betragen. Nach der Rechtsprechung des BAG (BAG, 12.03.2008,10 AZR 152/07), der sich die Kammer anschließt, führt die Unterschreitung von drei Monaten zu einer unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers.

131

Die Folge ist die ersatzlose Unwirksamkeit der Klausel.

(bb)

132

Die Ansprüche sind auch nicht nach § 65 Abs. 2 DRK-TV-O verfallen.

133

Denn vorgenannte Norm ist auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar. Weder liegt beidseitig eine Tarifbindung vor, noch ist die Geltung des Tarifvertrages zwischen den Parteien vereinbart. Aus diesen Gründen konnte der Kläger seine Zahlungsansprüche auch schon nicht unmittelbar auf den Tarifvertrag stützen.

134

Die Verfallsklausel ist aber auch nicht wegen des Verstoßes des Beklagten gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG anwendbar. Dieser Verstoßt führte, wie oben dargestellt, dazu, dass das alte Entgeltschema des DRK-TV-O auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden war. Denn das Entgeltschema war mitbestimmungspflichtig. Vorgenannte Norm des BetrVG betrifft die betriebliche Lohngestaltung. § 65 Abs. 2 DRK-TV-O ist nicht Teil des Entgeltschemas. Hier werden keinerlei Grundsätze aufgestellt, wie das Entgelt der Arbeitnehmer festgelegt werden soll. Ein Entgeltschema betrifft das Entstehen von Zahlungsansprüchen. Eine Verfallsklausel greift jedoch erst juristisch und zeitlich nachgehend, indem sie bestimmt, wann Ansprüche (bei denen der Betriebsrat mitbestimmen konnte) nicht mehr geltend gemacht werden können. Im Übrigen gilt § 65 Abs. 2 DRK-TV-O für nahezu alle Ansprüche zwischen den Arbeitsvertragsparteien und nicht nur für Entgeltansprüche.

(6)

135

Im Ergebnis waren dem Kläger somit 4.815,02 Euro brutto entsprechend des Antrages zu 1 im Urteilstenor zu 1 zuzusprechen.

136

Der Verzinsungsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.

II.

137

Der Zahlungsantrag zu 2 des Klägers ist vollständig begründet.

138

Das insoweit klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts war daher abzuändern.

139

Der Kläger hat für den Zeitraum März 2011 bis März 2012 (13 Monate) einen weiteren Zahlungsanspruch von monatlich 421,96 Euro brutto, in der Summe somit 5.485,48 Euro brutto.

140

Die entsprechende Summe war mit dem Tenor zu 2 zuzusprechen.

141

Wegen der Begründung kann vollständig auf die Ausführungen oben unter I. verwiesen werden. Der Unterschied besteht allein in dem Umstand, dass sich aufgrund der Geburt eines Kindes der Ortszuschlag erhöhte und damit auch die monatlich nachzuzahlende Differenz. Mathematisch sind die Ausführungen des Klägers unstreitig.

III.

142

Der Zahlungsantrag zu 3 des Klägers ist vollständig begründet.

143

Das insoweit klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts war daher abzuändern.

144

Der Kläger hat für den Zeitraum April 2012 bis Dezember 2012 (neun Monate) einen weiteren Zahlungsanspruch von monatlich 289,82 Euro brutto, in der Summe somit 2.608,38 Euro brutto.

145

Die entsprechende Summe war mit dem Tenor zu 3 zuzusprechen.

146

Wegen der Begründung kann vollständig auf die Ausführungen oben unter I. verwiesen werden. Der Unterschied besteht allein in dem Umstand, dass der Kläger nunmehr als Rettungsassistent eingesetzt und sich hierdurch eine höhere Eingruppierung ergab und sich auch die bereits geleisteten Zahlungen erhöhten. Die Eingruppierung betreffend und mathematisch sind die Ausführungen des Klägers unstreitig und unproblematisch.

IV.

147

Der Zahlungsantrag zu 4 des Klägers ist vollständig begründet.

148

Das insoweit klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts war daher abzuändern.

149

Der Kläger hat für den Zeitraum Januar 2013 bis Dezember 2013 (12 Monate) einen weiteren Zahlungsanspruch von monatlich 89,82 Euro brutto, in der Summe somit 1.077,84 Euro brutto.

150

Die entsprechende Summe war mit dem Tenor zu 4 zuzusprechen.

151

Wegen der Begründung kann vollständig auf die Ausführungen oben unter III. nebst des Verweises auf I. verwiesen werden. Der Unterschied zum Sachverhalt unter III. besteht allein in dem Umstand, dass der Beklagte ein erhöhtes Entgelt gezahlt hatte und sich damit die monatlich nachzuzahlende Differenz verringerte. Mathematisch sind die Ausführungen des Klägers unstreitig.

V.

152

Der Zahlungsantrag zu 6 des Klägers ist nur teilweise begründet.

153

Das insoweit vollständig klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts war daher abzuändern.

154

Der Kläger hat für die Jahre 2010, 2011 und 2012 insgesamt einen weiteren Zahlungsanspruch 563,26 Euro brutto wegen bisher zu gering ausgezahlter jährlicher Sonderzahlungen.

155

Die entsprechende Summe war mit dem Tenor zu 5 zuzusprechen. Die darüber hinausgehende Forderung des Klägers unterfällt weiterhin der Klagabweisung.

156

Auch hinsichtlich der jährlichen Sonderzahlung folgt der Zahlungsanspruch aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen. Der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger eine Vergütung nach den betriebsverfassungsrechtlich zuletzt rechtmäßig zustande gekommenen Entlohnungsgrundsätzen zu zahlen.

157

Hinsichtlich der Begründung des Zahlungsanspruches dem Grunde nach kann wiederum vollständig auf obige Ausführungen unter I. verwiesen.

158

Ergänzend wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass die jährliche Sonderzahlung unproblematisch neben der regelmäßigen monatlichen Vergütung ebenfalls Teil des anzuwendenden Entgeltschemas ist. Denn zum Entgeltschema zählt auch die Frage der „Festlegung einer bestimmten Stückelung des jährlichen Gesamtentgelts in Gestalt mehrerer gleich hoher oder verschieden hoher Monatsbeträge“ (BAG 22.06.2010, 1 AZR 853/08, Rz. 23).

159

Auch diesbezüglich hat der Beklagte mitbestimmungswidrig in die Vergütungsstruktur eingegriffen. Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob die Parteien nun im Arbeitsvertrag ausdrücklich eine andere Höhe der Sonderzuwendung vereinbart haben (Vortrag des Klägers) oder die Sonderzahlung vertraglich in das freie Ermessen des Arbeitgebers gestellt wurde und er hiernach Zahlungen vornahm (Vortrag des Arbeitgebers). In jedem Fall ist keine Sonderzahlung vereinbart oder aber tatsächlich freiwillig durch den Arbeitgeber gezahlt worden, deren Höhe auf Basis der tariflichen Bestimmungen des DRK-TV-O nebst seiner Anlage 9 ermittelt wurde. § 3 der Anlage 9 enthält umfangreiche Bestimmungen zur Berechnung der Sonderzahlung. Zwar zahlte der Beklagte eine jährliche Sonderzahlung, aber unstreitig nicht unter Berücksichtigung der Berechnungsvorschriften des § 3 Anlage 9 zum DRK-TV-O, sondern nach freiem Ermessen. Auch dadurch wich der Beklagte vom rechtmäßigen Vergütungsschema, dem tariflichen Entgeltschema ab. Dieses Abweichen war mitbestimmungspflichtig.

160

Die von der Beklagten durchgeführte Maßnahme war auch nicht deshalb mitbestimmungsfrei, weil von ihr nur die absolute Höhe der Vergütung betroffen war und die bisherigen Verteilungsgrundsätze unverändert geblieben sind. Dies ist nicht der Fall. Der Beklagte hat hier die Berechnungsgrundlage verändert. Allerdings betrifft „die Veränderung der Berechnungsgrundlage … die Verteilungsgerechtigkeit gegenüber den anspruchsberechtigten Arbeitnehmern“ BAG (22.06.2010, 1 AZR 853/08, Rz. 33). Damit ist der Mitbestimmungstatbestand ausgelöst.

161

Wie bereits unter I. 3. dargestellt, führt der Pflichtverstoß des Arbeitgebers dazu, dass der Kläger auch eine jährliche Sonderzuwendung nach dem bisherigen Entgeltsystem, also nach § 3 Anlage 9 zum DRK-TV-O verlangen kann. Damit ist die Berechnungsmethode als System vorgegeben.

162

Die absolute Höhe des Anspruches ergibt sich sodann aus der Anwendung dieser Norm. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Norm auf die Urlaubsvergütung für den Monat September des jeweiligen Jahres verweist und der Kläger entsprechend den obigen Darstellungen unter I. bis IV. einen monatlichen Entgeltanspruch unter Berücksichtigung des Tarifstandes 2002 hat [vgl. insbesondere oben I. 3. i. (3) (bb)]. Der zuletzt vom Arbeitgeber angewandte Tarifstand wirkt sich somit also auch auf die Sonderzahlung aus.

163

Der Kläger hatte ausgehend von dieser Maßgabe und der Standard-Regelung in § 3 Abs. 1 Anlage 9 zum DRK-TV-O, welche von „75 Prozent“ der Urlaubsvergütung des September spricht, mathematisch unstreitig Sonderzahlungs-Ansprüche wie folgt ermittelt:

164

„für 2010 - 1.435,72 Euro, für 2011 - 1.660,82 Euro und für 2012 - 1.755,75Euro.“

165

Dieses zunächst (mathematisch) unstreitige Rechenergebnis bedarf jedoch der Korrektur, da die „Anmerkung“ zu § 3 Abs. 1 Anlage 9 zum DRK-TV-O nicht beachtet wurde. Danach betrug der Bemessungssatz im maßgeblichen letzten Anwendungsjahr des DRK-TV-O 64,35 Prozent in Abweichung von den standardmäßig festgelegten 75 Prozent. Dieser Prozentsatz ist zwischen den Parteien unstreitig im Kammertermin vorgetragen worden.

166

Das Gericht hat sodann vorgenannte auf 75 Prozent fußende Beträge auf 64,35 Prozent umgerechnet. Es ergaben sich sodann für den Kläger Ansprüche wie folgt:

167

„2010 ein offener Anspruch von 31,85 Euro (1.231,85 Euro, abzüglich geleisteter 1.200,00 Euro).

168

2011 ein offener Anspruch von 224,98 Euro (1.424,98 Euro, abzüglich geleisteter 1.200,00 Euro).

169

2012 ein offener Anspruch von 306,43 Euro (1.506,43 Euro, abzüglich geleisteter 1.200,00 Euro).

170

Dies ergab die Summe von 563,26 Euro. Soweit der Kläger darüber hinaus mit seinem Antrag mehr forderte, war die Klage abzuweisen und die Berufung zurückzuweisen.

VI.

171

Der Zahlungsantrag zu 5 des Klägers ist unbegründet.

172

Die Berufung war insoweit nicht erfolgreich, das Urteil des Arbeitsgerichts somit aufrecht zu erhalten.

173

Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen weiteren Ausgleich für Nachteinsätze.

174

Der Kläger stützt seine Forderung auf § 6 Abs. 5 ArbZG. Danach hat der Arbeitgeber für während der Nachtzeit geleistete Arbeitsstunden eine angemessene Anzahl bezahlter freier Tage oder einen angemessen Zuschlag zu gewähren, soweit keine tarifvertragliche Ausgleichsregelung besteht.

175

Nach Maßgabe dieser Vorschriften kann dem Kläger kein weiter Zahlungsanspruch zugesprochen werden.

1.

176

Eine tarifvertragliche Regelung im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG, auf die der Kläger vorrangig und unmittelbar seine Ansprüche stützen könnte, besteht nicht. Denn wie bereits unter I. 2. dargestellt, galt kein Tarifvertrag unmittelbar als Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis

2.

177

Die verlangten 4.417,44 Euro konnten dem Kläger aber auch nicht als angemessener Ausgleich im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG zugesprochen werden.

178

Dies hat mehrere Gründe.

a)

179

Der Kläger hat keinen zulässigen Klageantrag gestellt. Er hätte eine Alternativklage erheben müssen. Denn § 6 Abs. 5 ArbZG enthält für den Arbeitgeber eine Wahlschuld. Er kann zwischen der Zahlung von Geld, der Gewährung freier Tage oder der Kombination von beidem entscheiden (BAG, 12.12.2012, 5 AZR 918/11, Rz. 31). Die gesetzlich begründete Schuld konkretisiert sich erst, wenn der Schuldner sein Wahlrecht ausgeübt hat. Eine solche Wahl ist aus dem Sachvortrag nicht ersichtlich.

180

Daran ändert auch nichts der Umstand, dass der Beklagte bisher schon Nachtzuschläge zahlte und der Kläger diese nur für nicht angemessen hält. Diese bisherige Zahlung eines gewissen Nachtzuschlages führt nicht dazu, dass der Beklagte sein Wahlrecht insgesamt zur Gewährung eines angemessenen Ausgleichs ausgeübt hätte. Denn der Beklagte hätte auch die Möglichkeit zur Kombination von Geldzahlung und Freizeitausgleich gehabt. Dies gilt im Übrigen selbst dann, wenn ein gewisser Nachtzuschlag bereits durch Tarifvertrag festgelegt ist (vgl. BAG, 12.12.2012, 5 AZR 918/11, Rz. 31 für einen Fall eines Rettungssanitäters, auf dessen Arbeitsverhältnis der DRK-TV-O mit seinen Nachzuschlägen anwendbar war). Aus vorgenannten Gründen ist es auch nicht von Bedeutung, dass das Entgeltschema des DRK-TV-O nebst der Zuschlagsregelung auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden war. Wenn der Kläger meint, dass der DRK-TV-O keine angemessene Ausgleichsregelung enthält, so öffnete sich für darüber hinausgehende Ansprüche wieder das Wahlrecht des Arbeitgebers.

b)

181

Der Anspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG ist auch inhaltlich nicht begründet.

(1)

182

Der Kläger verlangt einen monatlich gleichbleibenden pauschalen Geldbetrag neben der bisher schon geleisteten Zahlung je Stunde.

183

Diese Pauschalisierung ist nicht möglich.

184

§ 6 Abs. 5 ArbZG verlangt einen Ausgleich „für die während der Nachtarbeitszeit geleisteten Stunden. Der Ausgleich in Geld oder Freizeit muss hierzu in einem angemessenen Verhältnis stehen. Damit hängt der Ausgleich von den im Einzelfall konkret geleisteten Nachtarbeitsstunden ab. Einen pauschalen Ausgleich dafür, dass voraussichtlich immer wieder Nachtarbeitsstunden in unterschiedlicher Zahl anfallen, sieht das Gesetz nicht vor. So spricht auch das Gesetz von „die“ geleisteten Stunden und nicht allgemein von anfallenden Nachtstunden. In Urlaubs- oder Krankheitszeiten ist ein Ausgleich nicht notwendig. Würde der Kläger zum Beispiel weniger als ein anderer Kollege in der Nacht eingesetzt, so bedürfte es auch nur einen geringeren Ausgleichs. Der Gesetzgeber will eine konkrete und bestimmte Mehrbelastung durch Nachtarbeit ausgleichen lassen. Dazu hätte der Kläger jedoch konkret seine geleisteten Nachtarbeitsstunden vortragen müssen. Nur dann hätte das Gericht im Übrigen auch die Angemessenheit des bisherigen Ausgleichs prüfen und im Ergebnis einen konkreten einzelfallbezogenen Zuschlag errechnen können.

185

Der Antrag war auch aus diesem Grund abzuweisen.

(2)

186

Das Berufungsgericht hält im Übrigen auch den bisher gezahlten Nachtzuschlag von rund 10 Prozent für angemessen.

187

Diesbezüglich wird zunächst auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts in seinem Urteil in den Entscheidungsgründen unter III. verwiesen (§ 69 Abs. 2 ArbGG), denen das Berufungsgericht insoweit folgt. Insbesondere hat das Arbeitsgericht zu Recht auf die geringere Belastung durch Bereitschaftszeiten hingewiesen, auch wenn diese nicht im einzelnen bekannt sind. Klar ist jedoch, dass diese Bereitschaftszeiten in der Nacht nicht nur von untergeordneter Bedeutung sind, wenngleich berücksichtigt wird, dass es sich bei Bereitschaftszeit auch um Arbeitszeit handelt. Gleichwohl bleibt es bei einer geringeren Belastung als bei Arbeitnehmern, die in der Nacht durchgehend aktiv tätig sind. Auch der Zweck der Verteuerung der Arbeit in der Nacht kann beim Rettungsdienst nicht zum Tragen kommen. Schließlich ging auch das BAG in seinem Urteil vom 31.08.2005, 5 AZR 545/04, davon aus, dass ein Zuschlag von 10 Prozent im Rettungsdienst regelmäßig angemessen ist. Ein pauschales Abstellen auf anderweitig vom BAG benannte 25 Prozent als Zuschlag ist nicht möglich. Bereits das Arbeitsgericht hat hinreichende Gründe für eine abweichende Bewertung in diesem Fall dargelegt.

188

Ergänzend ist auch zu berücksichtigen, dass nach den umfangreichen Ausführungen unter I. das gesamte Entgeltschema des DRK-TV-O mit allen Bestandteilen auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anwendbar ist. Dieser Tarifvertrag enthält ein umfangreiches System verschiedener Regelungen zum Ausgleich von Arbeit zu ungünstigen Zeiten. Es ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien ein insgesamt ausgewogenes System geschaffen haben, weshalb bei der Prüfung einer Norm diese nicht völlig isoliert betrachtet werden kann. Wenn der Kläger ggf. meint, dass das tarifliche System keinen angemessenen Ausgleich schafft, so hätte dies näher dargelegt werden müssen. Allein die mittlerweile wohl unzulässige Verlängerung der Arbeitszeit pro Tag führt nicht dazu, dass Ausgleichsregelungen pro Stunde nicht angemessen wären.

189

Der Kläger kann sich auch nicht vergleichend auf Regelungen in anderen, hier nicht einschlägigen Tarifverträgen berufen. Die benannten Tarifverträge sind hier nicht anwendbar. Selbst auf einschlägige Tarifverträge kann für die Frage der Angemessenheit nicht im Regelfall zurückgegriffen werden. Denn anderenfalls würde ein Arbeitgeber mittelbar an Tarifverträge gebunden, an deren Zustandekommen und Geltung er nicht beteiligt ist/war (BAG, 05.09.2002, 9 AZR 202/01, Rz. 47). Im Übrigen enthalten selbst Tarifverträge eine große Bandbreite an Regelungen. Schließlich gibt es keinen Grundsatz dahingehend, dass tarifliche Regelungen eines Nachtarbeitszuschlages stets angemessen sind. Auch kann nicht behauptet werden, dass Regelungen, die die Höhe tariflicher Regelungen nicht erreichen, unangemessen wären.

3.

190

Soweit der Kläger in der Berufung noch kurz die Zahlung von weiteren Urlaubs wegen Altersdiskriminierung und Mehrurlaub fordert, weil andere, vor 2003 eingestellte Arbeitnehmer dies aufgrund der statischen Fortgeltung ihrer Arbeitsverträge noch erhalten, und sich der Kläger die daraus folgenden Zahlungsansprüche auf seinen Klageantrag zu 5 anrechnen lassen möchte, ist auch dies unbegründet.

191

Denn selbst für den Fall, dass der Kläger tatsächlich höhere Urlaubsansprüche haben sollte, hätte er dementsprechend einen Anspruch weitere Tage der Freistellung von der Arbeitspflicht. Dies ist der Inhalt eines Urlaubsanspruches. Ein Zahlungsanspruch kann – jedenfalls im noch laufenden Arbeitsverhältnis – nicht entstehen. Der Vortrag ist somit nicht geeignet, zu einem Obsiegen beim Klageantrag zu 5 zu führen.

VII.

192

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

193

Die Revision wurde nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

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