Beschluss vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Kammer) - 2 Sa 136/16

Tenor

1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Berufung wird abgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Das Arbeitsgericht hat der Lohnzahlungsklage des Arbeitnehmers mit Urteil vom 18. Mai 2016 entsprochen und den Streitwert auf rund 8.250 Euro festgesetzt.

2

Gegen dieses Urteil hat der beklagte Arbeitgeber das Rechtsmittel der Berufung eingelegt. Die Berufung ist hier am 11. Juli 2016 eingegangen und sie wurde dem Rechtsanwalt des Klägers am 15. Juli 2016 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 19. Juli 2016, Gerichtseingang am 22. Juli 2016, hat sich der Rechtsanwalt des Klägers auch im Berufungsrechtszug als Anwalt bestellt und gleichzeitig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

3

Die Berufung des Arbeitgebers ist dann in der Folgezeit trotz beantragter und bewilligter Fristverlängerung nicht begründet worden. Nach Gewährung rechtlichen Gehörs hat das Landesarbeitsgericht daher die Berufung des Arbeitgebers mit Beschluss vom 11. Oktober 2016 als unzulässig verworfen.

4

Mit Blick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Februar 2005 (5 AZN 781/04 (A) – BAGE 113, 313 = AP Nr. 2 zu § 119 ZPO = NJW 2005, 1213) hat das Gericht sodann im November 2016 angekündigt, den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers (Berufungsgegner) abschlägig bescheiden zu wollen. Dem ist der Kläger mit Schriftsatz vom 30. November 2016 entgegengetreten.

5

Der Kläger argumentiert, § 119 Absatz 1 Satz 2 ZPO schreibe ausdrücklich vor, dass das Gericht im Berufungsrechtszug bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Berufungsgegner keine erneute Prüfung der Erfolgsaussichten oder der Mutwilligkeit vorzunehmen habe. Damit sei es nicht zu vereinbaren, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Berufungsgegner davon abhängig zu machen, dass "das im Einzelfall wirklich notwendig ist" (BAG 15. Februar 2005 aaO). Denn der Sache nach sei das nichts anderes als die vom Gesetzgeber als unangebracht erachtete Mutwillensprüfung.

6

Die vom Gericht herangezogene Entscheidung des BAG (15. Februar 2005 aaO) stehe auch nicht mit dem verfassungsrechtlichen Gebot im Einklang, der bedürftigen Partei durch die Prozesskostenhilfe einen vergleichbar einfachen Zugang zu Gericht zu gewährleisten wie einer nicht bedürftigen Partei. Denn es sei inzwischen allgemein anerkannt, dass die Bestellung eines Rechtsanwalts für den Berufungsgegner schon bei Eingang der Rechtsmittelschrift als notwendig im Sinne von § 91 ZPO anzusehen ist. Der Umstand, dass das Rechtsmittelverfahren wegen formaler Probleme des Rechtsmittels möglicherweise nicht oder nicht vollständig durchgeführt wird, werde ausreichend durch die unterschiedlichen Gebührentatbestände des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) Rechnung getragen.

7

Letztlich müsse auch beachtet werden, dass es zwischen dem Sachverhalt, über den das Bundesarbeitsgericht entschieden habe, und dem vorliegenden Sachverhalt entscheidungserhebliche Unterschiede gebe. Denn in dem Fall, über den das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden hatte, habe eigentlich ein Fall des Rechtsmissbrauchs vorgelegen, denn der dortige bedürftige Berufungsgegner habe erst dann einen Rechtsanwalt bestellt, als aufgrund eines gerichtlichen Hinweises schon festgestanden habe, dass das Bundesarbeitsgericht das Rechtsmittel als unzulässig verwerfen werde, da es durch die Partei selbst und nicht durch eine postulationsfähige Person im Sinne von § 11 ArbGG eingelegt worden sei. Vorliegend habe der Arbeitgeber jedoch ordnungsgemäß Berufung eingelegt. Der bedürftigen Partei sei es nicht zuzumuten, mit der Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Vertretung vor Gericht zuzuwarten, bis auch feststehe, dass die Berufung ordnungsgemäß begründet wurde. Dabei müsse auch beachtet werden, dass es sich bei bedürftigen Parteien in aller Regel um rechtsunkundige Parteien handele, und deren Anliegen, fachgerecht beraten zu werden, wie auf das eingelegte Rechtsmittel zu reagieren sei, sei legitim.

II.

8

Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Berufung kann dem Kläger nicht bewilligt werden, da eine anwaltliche Vertretung für das vorliegende Berufungsverfahren nicht geboten war.

1.

9

Dem Rechtsmittelgegner ist Prozesskostenhilfe grundsätzlich erst zu gewähren, wenn das Rechtsmittel begründet worden ist und die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Rechtsmittels nicht gegeben sind (BAG 15. Februar 2005 – 5 AZN 781/04 (A) – BAGE 113, 313 = AP Nr. 2 zu § 119 ZPO = NJW 2005, 1213). Nach § 119 Absatz 1 Satz 2 ZPO ist bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem höheren Rechtszug zwar nicht zu prüfen, ob die Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel einlegt. Wegen der Finanzierung der Prozesskostenhilfe aus Steuermitteln ergeben sich für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe dennoch ungeschriebene Grenzen. Daraus ergibt sich, dass sich die bedürftige Partei erst dann eines Rechtsanwalts auf Kosten der Staatskasse bedienen darf, wenn das im Einzelfall wirklich notwendig ist. Denn nur dann ist es gerechtfertigt, die Staatskasse mit den hierdurch entstehenden Kosten zu belasten (BAG 15. Februar 2005 aaO).

10

Danach kann dem Kläger hier keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden, weil er im Berufungsrechtszug auch ohne die Bestellung eines Rechtsanwalts obsiegt hätte. Denn die Berufung ist als unzulässig verworfen worden und diese Prüfung ist von Amts wegen vom Gericht vorzunehmen. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig bedurfte daher keiner Mitwirkungshandlung des Klägers.

2.

11

Dieser Standpunkt des Bundesarbeitsgerichts, dem sich das Beschwerdegericht aus Gründen der einheitlichen Rechtsanwendung anschließt, steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. So hat der Bundesgerichtshof am 2. Februar 2001 (XII ZR 26/99 – NJW-RR 2001, 1009) entschieden, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Rechtsverteidigung gegen eine Revision des Gegners erst dann in Betracht kommt, wenn dieser die Revision begründet hat. Das Gericht konnte sich insoweit auf ältere Entscheidungen stützen, in denen ebenfalls dieser Standpunkt eingenommen wurde (vgl. nur BGH 10. Februar 1988 – IVb ZR 67/87 – FamRZ 1988, 942; BGH 30. September 1981 – IVb ZR 694/80 – NJW 1982, 446 sowie aus jüngerer Zeit BGH 24. Oktober 2012 – XII ZB 460/11 – MDR 2012, 1487).

3.

12

Der hier eingenommene Standpunkt steht entgegen der Ansicht des Klägers nicht in Widerspruch zu § 119 Absatz 1 Satz 2 ZPO.

13

Nach der genannten Vorschrift ist in einem höheren Rechtszug – trifft auf das Berufungsverfahren zu – nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussichten auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, sofern der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Diese Vorschrift stellt erkennbar eine Ausnahme zu dem in § 114 ZPO festgelegten Grundsatz dar, dass Prozesskostenhilfe – neben anderen Voraussetzungen – nur bewilligt werden kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

14

§ 119 Absatz 1 Satz 2 ZPO sagt also nur aus, dass im Rechtsmittelzug die Erfolgsaussichten des rechtshängig gemachten Begehrens und die Art und Weise, wie das Begehren mit Hilfe des Gerichts durchgesetzt werden soll, nicht (mehr) hinterfragt werden soll. Das schließt es aber nicht aus, Prozesskostenhilfe im Rechtsmittelzug zu versagen, wenn deren Gewährung aufgrund der prozessualen Lage (noch) nicht erforderlich ist.

15

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung ist im Berufungsrechtszug im soeben dargestellten Sinne frühestens erforderlich, wenn die Berufung des Berufungsführers rechtzeitig eingelegt und ordnungsgemäß begründet wurde.

16

Denn erst ab diesem Zeitpunkt hängt der Ausgang des Rechtsstreits von geeigneten Mitwirkungshandlungen des Berufungsgegners ab. Erst mit Abschluss der Zulässigkeitsprüfung für das Rechtsmittel wird das Berufungsverfahren wieder zum Parteiprozess, dessen Ausgang von den Anträgen beider Parteien und den dazu vorgetragenen Angriffs- und Verteidigungsmitteln abhängt.

4.

17

Der mögliche Wunsch des Klägers, sich bereits bei Eingang der Rechtsmittelschrift des Gegners rechtlich kompetent beraten zu lassen, rechtfertigt eine frühere Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Berufungsrechtszug nicht.

a)

18

Der Bundesgerichtshof steht auf dem Standpunkt, dass der erstinstanzlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt im Rahmen seines Auftrages verpflichtet sei, die erstinstanzlich ergangene Entscheidung zu erläutern einschließlich eines allgemein gehaltenen Hinweises auf möglichen Rechtsmittel des Gegners und darauf erforderlicher Reaktionen seines Mandanten (BGH 21. März 1991 – IX ZR 186/90 – NJW 1991, 2084 = JurBüro 1991, 1647). Unausgesprochen soll damit wohl gesagt sein, dass diese Unterrichtung durch den erstinstanzlichen Anwalt für die richtige Bewertung eines vom Gegner eingelegten Rechtsmittels ausreichend sei. Die zusätzliche Bestellung oder Beiordnung eines Rechtsanwalts sei in diesem Stadium des Verfahrens, also bis zur Begründung des Rechtsmittels, daher noch nicht geboten.

b)

19

Dieser Standpunkt des Bundesgerichtshofs steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu seiner Rechtsprechung bezüglich der notwendigen Kosten im Sinne von § 91 ZPO für den Fall, dass sich für den Rechtsmittelgegner ein Anwalt bestellt, bevor fest steht, dass das Rechtsmittelverfahren tatsächlich durchgeführt wird. Denn nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 2002 (X ZB 9/02 – NJW 2003, 756 = RPfleger 2003, 412; anderer Ansicht wohl BGH 28. April 2010 – XII ZB 180/06 – MDR 2010, 828) gehören die Anwaltskosten im Rechtsmittelzug für den Rechtsmittelgegner auch dann zu den notwendigen Kosten im Sinne von § 91 ZPO, wenn sich der Anwalt nur vorsorglich zu einem Zeitpunkt bestellt hat, zu dem noch gar nicht feststehen konnte, ob das eingelegte Rechtsmittel zulässig ist.

20

Maßgebend soll dabei sein, ob einer verständigen Prozesspartei seine so frühzeitige Anwaltsbestellung für notwendig erachten würde. Es soll daher nicht darauf ankommen, ob die Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten im konkreten Fall objektiv nützlich oder gar notwendig war, sondern ob eine verständige Prozesspartei in der gleichen Situation ebenfalls einen Anwalt beauftragen würde. Dies könne – so der Bundesgerichtshof weiter – im Regelfall, solange die Berufung nicht wieder zurückgenommen ist, nicht verneint werden. Denn die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei könne regelmäßig nicht selbst beurteilen, was zur Rechtsverteidigung sachgerecht zu veranlassen ist. Ihr könne daher nicht zugemutet werden, zunächst die weiteren Entschließungen des anwaltlich vertretenen Berufungsklägers abzuwarten. Dies gelte auch deshalb, weil ein erstinstanzlicher Prozessbevollmächtigter - sofern ein solcher überhaupt bestellt war - insoweit keine Beratung leisten werde. Denn die Beratung in Angelegenheiten der Berufungsinstanz gehöre nicht mehr zu den Tätigkeiten, die von der Gebühr des im vorangegangenen Rechtszug tätigen Rechtsanwalts abgedeckt seien, wofür das Gericht auf § 37 Nr. 7 BRAGO verweist.

21

Dieser Rechtsprechung ist der 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs gefolgt, wenngleich der Versuch erkennbar wird, die Grenzen etwas enger zu ziehen. Der Senat fordert – bei Beibehaltung des subjektiven Maßstabes – dass sich der Rechtsmittelgegner in einer von ihm als risikohaft empfundenen Situation befunden haben müsse (BGH 19. September 2013 – IX ZB 160/11 – NJW-RR 2014, 240).

22

Das Bundesarbeitsgericht geht in seinen Entscheidungen auch von den Grundsätzen des BGH aus der Entscheidung vom 17. Dezember 2002 (aaO) aus, wobei an die etwas engere Formulierung des 9. Zivilsenats (19. September 2013 aaO mit Nachweisen zur eigenen älteren Senatsrechtsprechung) angeknüpft wird (BAG 14. November 2007 – 3 AZB 36/07 – NJW 2008, 1340 = NZA 2008, 606; BAG 16. Juli 2003 – 2 AZB 50/02 – NJW 2003, 3796 = NZA 2003, 1293 hält die umgehende Bestellung eines Rechtsanwalts durch den Rechtsmittelgegner ohne weitere Einschränkungen stets für notwendig im Sinne von § 91 ZPO).

c)

23

Das aufgezeigte Spannungsverhältnis ist von der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei hinzunehmen, denn eine verfassungsrechtlich auffällige Schlechterstellung der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei lässt sich nicht feststellen.

24

Das Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, das aus Art. 3 Absatz 1 GG abgeleitet wird, gebietet zwar eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Die Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes kann dabei jedoch keine vollständige sein. Ihr Ausmaß liegt vielmehr in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Von verfassungswegen wird lediglich verlangt, dass auch der armen Partei die Prozessführung nicht unmöglich gemacht wird (BVerfG 26. April 1988 – 1 BvL 84/86 – BVerfGE 78, 104 = NJW 1988, 2231).

25

Die strengere Behandlung des um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Rechtsmittelgegners bezüglich des Zeitpunkts für die Anwaltsbestellung rechtfertigt sich aus der Finanzierung der Prozesskostenhilfe aus öffentlichen Mitteln. Im Übrigen kann auch der gesetzlichen Regelung zur Beiordnung eines Rechtsanwalts aus § 121 ZPO die Wertung entnommen werden, dass die Beiordnung eines Rechtsanwalts in Prozesskostenhilfeangelegenheiten abweichend von § 91 ZPO eigenständig geregelt ist.

26

Die hier zu bewertende Frage, ob einem um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Rechtsmittelgegner ein Anwalt bereits dann zusteht, wenn noch gar nicht feststeht, ob das eingelegte Rechtsmittel überhaupt zulässig ist, hat eine deutliche Ähnlichkeit zu der vom Gesetzgeber in § 121 Absatz 2 ZPO geregelten Materie. Denn in dem Zeitraum zwischen der Einlegung des Rechtsmittels bis zu seiner Begründung ist die Einschaltung eines Rechtsanwalts für den Rechtsmittelgegner gesetzlich jedenfalls nicht vorgeschrieben. Will die um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei bereits in diesem Zeitraum eine anwaltliche Betreuung haben, muss dies im Sinne von § 121 Absatz 2 ZPO "erforderlich erscheinen". Angesichts des Umstandes, dass es um die Verwendung öffentlicher Gelder geht, ist es nicht zu beanstanden, hierbei – trotz des eine andere Deutung zulassenden Wortlauts – auf eine rein objektive Betrachtungsweise abzustellen.

d)

27

Da es auf eine rein objektive Betrachtungsweise ankommt, ist dem Kläger hier die Prozesskostenhilfe zu versagen. Da zum Zeitpunkt der Anwaltsbestellung noch gar nicht fest stand, ob das Berufungsverfahren tatsächlich durchgeführt wird, bestand objektiv betrachtet kein Anlass, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt einen Anwalt zu bestellen. Daher kann bezüglich der Anwaltskosten keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden.

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