Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (5. Berufungskammer) - 5 Sa 143/19

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 07.05.2019 – 2 Ca 424/18 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Vergütungspflichtigkeit der Anwesenheit auf einem Schiff der bundeseigenen Wasser- und Schifffahrtsverwaltung außerhalb der angeordneten Dienst- und Wachdienstzeiten.

2

Der im September 1958 geborene Kläger nahm am 01.07.1991 bei der Beklagten eine Beschäftigung als Arbeiter auf. Ausweislich des Arbeitsvertrages vom 01.07.1991 bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Mantel-Tarifvertrag für Arbeiter des Bundes und den diesen ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen. Der Kläger ist mittlerweile als Maschinist auf dem Mehrzweckschiff A. tätig und erhält die Vergütung der Entgeltgruppe 9b des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD). Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beläuft sich auf 39 Stunden. Das Monatsgehalt des Klägers betrug zuletzt € 4.239,47 brutto.

3

Das Mehrzweckschiff A. ist in B-Stadt beheimatet und operiert in der Ostsee zwischen W. und der polnischen Grenze. Seine Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, schwimmende Seezeichen instand zu halten und den Schiffsverkehr zu überwachen. Es ist dafür ausgerüstet, Schadstoffe aus dem Wasser oder von havarierten Schiffen aufzunehmen, Notschleppdienste zu erledigen und Brände zu bekämpfen.

4

Es gibt drei Besatzungen, die regulär aus 16 Personen bestehen und sich in einem 3-Wochen-Turnus ablösen. Auf eine Arbeitswoche an Bord des Schiffes folgt eine freie Woche, an die sich wiederum eine einwöchige Zeit ohne Einsatz (ZoE) anschließt. Während der ZoE nehmen die Beschäftigten u. a. an Fortbildungen teil oder werden zu Bereitschaftsdiensten auf anderen Schiffen herangezogen. Der reguläre Dienst des Klägers an Bord beginnt morgens um 06:30 Uhr und endet unter Berücksichtigung der Pausen um 19:15 Uhr. Etwa dreimal im Monat hat er im Anschluss an den regulären Dienst einen Wachdienst von 19:15 Uhr bis 06:30 Uhr zu leisten. Vereinzelt werden zusätzlich zum regulären Dienst Überstunden angeordnet. Etwa einmal im Monat wird der Kläger aus der Freizeit heraus zu einem Arbeitseinsatz herangezogen, z. B. bei besonderen Gefahrenlagen (vermisste Person, ankerlos treibende Tonne, Havarien). Unmittelbarer Vorgesetzter des Klägers ist der Chief, der Leiter der Maschine. Dem Kläger unterstellt sind ein Schiffsmechaniker und ein Elektriker. Die A. ist außerhalb des wöchentlichen Wechsels der Besatzung grundsätzlich auf See, ohne zwischendurch einen Hafen anzulaufen.

5

Im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.03.2018 bis zum 28.05.2018 war der Kläger außerhalb des regulären Dienstes einschließlich evtl. Überstunden und außerhalb des Wachdienstes zu den folgenden Zeiten auf See, für die er mit der vorliegenden Klage eine Stundengutschrift verlangt:

6

Tag     

Uhrzeit

Anzahl
Stunden

                          

März 2018

                 
                          

01./02.03.2018

19:15 - 06:30

11,25 

03./04.03.2018

19:15 - 06:30

11,25 

04./05.03.2018

19:15 - 06:30

11,25 

                          

20/21.03.2018

19:15 - 06:30

11,25 

21./22.03.2018

19:15 - 06:30

11,25 

23./24.03.2018

19:15 - 06:30

11,25 

24./25.03.2018

19:15 - 06:30

11,25 

25./26.03.2018

19:15 - 06:30

11,25 

                          

April 2018

                 
                          

09./10.04.2018

19:00 - 06:30

11,50 

10./11.04.2018

19:15 - 06:30

11,25 

12./13.04.2018

19:15 - 06:30

11,25 

13./14.04.2018

19:15 - 06:30

11,25 

14./15.04.2018

19:15 - 06:30

11,25 

                          

Mai 2018

                 
                          

07./08.05.2018

19:15 - 06:30

11,25 

09./10.05.2018

19:15 - 06:30

11,25 

10./11.05.2018

19:15 - 06:30

11,25 

11./12.05.2018

19:15 - 06:30

11,25 

13./14.05.2018

19:15 - 06:30

11,25 

                          

21./22.05.2018

19:00 - 06:30

11,50 

22./23.05.2018

19:15 - 06:30

11,25 

23./24.05.2018

19:15 - 06:30

11,25 

25./26.05.2018

20:30 - 06:30

10,00 

26./27.05,2018

19:15 - 06:30

11,25 

27./28.05.2018

19:15 - 06:30

11,25 

                          

Summe 

        

269,25

7

Am 02./03.03.2018, am 19./20.03.2018, am 22./23.03.2018, am 11./12.04.2018, am 15./16.04.2018, am 08./09.05.2018, am 12./13.05.2018 und am 24./25.05.2018 hatte der Kläger jeweils von 19:15 Uhr bis 06:30 Uhr Maschinenwache.

8

Mit den Schreiben vom 28.05. und 12.07.2018 forderte der Kläger von der Beklagten eine Gutschrift weiterer Stunden aus März bis Mai 2018. Die Beklagte wies die Forderung mit den Schreiben vom 18.07. und 31.08.2018 zurück.

9

Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass während der Woche an Bord des Schiffes nicht nur die reguläre Arbeitszeit, der Wachdienst und evtl. Überstunden zu vergüten seien, sondern auch die gesamte übrige Zeit des Aufenthalts auf dem Schiff. Nach Dienstschluss müsse er zwangsweise weiterhin an Bord bleiben, da das Schiff keinen Hafen anlaufe. Er könne jederzeit zu einem Einsatz herangezogen werden. Zwar habe sich das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2009 bereits mit derselben Rechtsfrage befasst (BAG, Urteil vom 28. Mai 2009 – 6 AZR 141/08 – juris = ZTR 2009, 495). Diese Entscheidung sei aber im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs überholt (EuGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – C-518/15 – [Matzak], juris = NJW 2018, 1073). Danach sei eine Bereitschaftszeit als Arbeitszeit anzusehen, wenn ein Arbeitnehmer verpflichtet sei, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb von acht Minuten Folge zu leisten. Der TVöD weise insofern eine planwidrige Regelungslücke auf. Deshalb seien die Stunden des zwangsweisen Verbleibs an Bord wie der aktive Dienst zu vergüten bzw. dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Zumindest handele es sich jedoch um weitere Bereitschaftszeiten, die mit 50 % anzurechnen seien.

10

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

11

die Beklagte zu verurteilen, auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers aus dem Zeitraum 01.03.2018 bis 28.05.2018 insgesamt 269,25 Stunden gutzuschreiben.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts Bezug genommen sowie auf die einschlägigen Sonderregelungen im TVöD für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Das vom Kläger angesprochene Urteil des Europäischen Gerichtshofs greife schon deshalb nicht, weil es dort nicht um die Vergütung gegangen sei, sondern nur um den Begriff der Arbeitszeit. Die Fälle seien im Übrigen überhaupt nicht miteinander vergleichbar, da die Beklagte gerade keine Bereitschaft angeordnet habe. Es liege in der Natur der Sache, dass bei einem Schiff auf See die Freizeit an Bord verbracht werde. Das sei auch den Tarifvertragsparteien bekannt, weshalb eine Kompensation durch eine höhere Vergütung und durch Freischichten vorgesehen sei. Unabhängig davon könne sich jeder Mitarbeiter auf ein sogenanntes Tagesschiff versetzen lassen, was aber mit einem Einkommensverlust verbunden sei.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und sich zur Begründung auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Mai 2009 – 6 AZR 141/08 – gestützt. Die Freizeit, die der Kläger auf dem Schiff verbringe, sei trotz der eingeschränkten Freizeitgestaltung keine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache Matzak führe nicht zu einer anderen Bewertung. Zur Frage der Vergütung habe sich der Gerichtshof überhaupt nicht geäußert. Die Festlegung der Vergütung sei den Tarifvertragsparteien vorbehalten. Den Tarifvertragsparteien seien die besonderen Umstände hinsichtlich der Freizeitgestaltung an Bord bekannt, was sich letztlich in einer höheren Vergütung niederschlage.

14

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Das Arbeitsgericht habe sich zu Unrecht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts gestützt. Das Bundesarbeitsgericht sei seinerzeit davon ausgegangen, dass Zeiten außerhalb des regulären Dienstes keine Arbeitszeit seien. Dieser Gedanke habe sich aber angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundlegend geändert. Der Kläger könne während des Aufenthalts an Bord jederzeit zur Arbeit herangezogen werden, womit die einzuhaltende Ruhezeit neu zu laufen beginne. Im Übrigen wäre es durchaus möglich, zwischendurch einen Hafen anzulaufen und einen Landgang zu ermöglichen. Das werde aber nicht praktiziert. Die Beklagte nutze vielmehr die Möglichkeit, die an Bord befindliche Besatzung jederzeit zur Arbeit heranziehen zu können.

15

Der Kläger beantragt,

16

das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 07.05.2019, Aktenzeichen 2 Ca 424/19, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers aus dem Zeitraum 01.03.2018 bis 28.05.2018 insgesamt 269,25 Stunden gutzuschreiben.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

19

Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

21

Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit der zutreffenden Begründung abgewiesen. Das Berufungsgericht schließt sich ebenso wie das Arbeitsgericht der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts an.

22

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Gutschrift der geltend gemachten Anwesenheitszeiten auf dem Mehrzweckschiff A. im Zeitraum März bis Mai 2018. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage hierfür. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus dem Arbeitsvertrag, einer Dienstvereinbarung, einem Tarifvertrag noch aus einer gesetzlichen Bestimmung.

23

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet – jedenfalls kraft einzelvertraglicher Bezugnahme – der TVöD Anwendung. In § 47 TVöD Besonderer Teil Verwaltung (TVöD-BT-V [Bund]) heißt es:

24

"…

§ 47

25

Sonderregelungen für Beschäftigte im Bereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

26

Kapitel I

27

Allgemeine Bestimmungen für Beschäftigte der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie

...

28

Nr. 1 zu § 1 – Geltungsbereich –

29

(1)1Diese Sonderregelungen gelten für die Beschäftigten der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, die beim Bau, der Unterhaltung und dem Betrieb von wasserbaulichen Einrichtungen und wasserwirtschaftlichen Anlagen eingesetzt sind einschließlich der Besatzungen von Schiffen und von schwimmenden Geräten, soweit die Schiffe und schwimmenden Geräte in den von der Verwaltung aufzustellenden Schiffslisten aufgeführt sind. …

30

Nr. 2 zu § 3 – Allgemeine Arbeitsbedingungen –

31

Zu den allgemeinen Pflichten gehört auch das Ableisten von Wachdienst.

...

32

Nr. 3 zu § 6 – Regelmäßige Arbeitszeit –

33

(1) Außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit angeordnete Anwesenheit an Bord wird bei der Bemessung des Entgelts zu 50 v. H. als Arbeitszeit gewertet, es sei denn, dass Freiwache gewährt wird oder dass Arbeit angeordnet ist.

34

(2)1Für Beschäftigte, die über 10 Stunden hinaus zum Wachdienst herangezogen werden, können Wachschichten bis zu zwölf Stunden festgesetzt werden, wenn in den Wachdienst in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienst im Sinne § 7 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Arbeitszeitgesetz fällt. 2Für die Bemessung des Entgelts während der Wachdienste gelten folgende Vorschriften:

35

1. Bei folgenden Wachschichten wird für jede Wachstunde das volle Entgelt gezahlt:

36

a) Durchgehende Wachdienste, bei denen Pausen oder inaktive Zeiten während des Bereitschaftsdienstes weniger als ein Drittel der Gesamtwachzeit ausmachen.

37

b) Wachdienste, die ausschließlich im Freien abgeleistet werden oder bei denen auf Anordnung oder infolge besonderer Umstände eine Bindung an einen vorgeschriebenen Platz besteht (z. B. Decks-, Maschinen-, Brücken- oder Ankerwachen).

38

2. Anwesenheitswachdienste, die nicht den in Nr. 1 genannten Einschränkungen unterliegen, werden wie folgt bewertet:

39

a) Bei einer Tageswachschicht wird je eineinhalb Wachstunden das Entgelt für eine Arbeitsstunde gezahlt.

40

b) Bei einer Nachtwachschicht bis zu zwölf Stunden wird eine Stundengarantie von drei Arbeitsstunden angesetzt, wenn beim Wachdienst nur Anwesenheit verlangt und eine Schlafgelegenheit gestellt wird. Soweit die Voraussetzungen nach Satz 1 nicht vorliegen, gilt Buchstabe a entsprechend.

41

(3) Bei sämtlichen Arten der Anwesenheitswachdienste wird für kleine Arbeiten während der Wache, die insgesamt weniger als zwei Stunden betragen, keine besondere Vergütung gezahlt.

42

Nr. 4 zu § 8 – Ausgleich für Sonderformen der Arbeit –

43

(1) Bei angeordneter Anwesenheit an Bord nach Nr. 3 Abs. 1 werden Zeitzuschläge nach § 8 Buchst b bis f nicht gezahlt.

44

(2) Bei allen Formen des Wachdienstes im Sinne der Nr. 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 wird der Zeitzuschlag nach § 8 Abs. 1 Buchst. b und Buchst. f nicht gezahlt.

45

46

Kapitel II

47

Besondere Bestimmungen für Beschäftigte der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes

48

Für die in Kapitel I Nr. 1 Abs. 1 aufgeführten Beschäftigten der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes finden ergänzend folgende besondere Bestimmungen Anwendung:

...

49

Nr. 9 zu § 6 – Regelmäßige Arbeitszeit –

50

(1)1Die Arbeitszeit beginnt und endet an der Arbeitsstelle. ...

51

(2) … 3Für Maschinisten auf Schiffen, schwimmenden Geräten und sonstigen Motorgeräten kann die regelmäßige Arbeitszeit für Vor- und Abschlussarbeiten um täglich bis zu einer Stunde verlängert werden.

52

(3)1Sofern die Einsatzkonzeption von seegehenden Schiffen und schwimmenden Geräten dies erfordert (z. B. 24-Stunden-Betrieb) kann die Arbeitszeit in einem Zeitraum von 24 Stunden auf bis zu 12 Stunden verlängert und auf einen Zeitraum von 168 Stunden verteilt werden, wenn im unmittelbaren Anschluss an den verlängerten Arbeitszeitraum ein Ausgleich durch Freizeit erfolgt, der dem Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit nach § 6 Abs. 1 Satz 1 entspricht. …

53

…"

54

Die vom Kläger aufgeführten Anwesenheitsstunden im Zeitraum März bis Mai 2018 sind nach dem TVöD-BT-V (Bund) weder voll noch anteilig als Arbeitszeit zu vergüten. Es handelt sich weder um dienstplanmäßig oder zusätzlich angeordnete Arbeit noch um Zeiten einer angeordneten Anwesenheit an Bord (§ 47 Nr. 3 Abs. 1 TVöD-BT-V [Bund]) noch um Wachdienst (§ 47 Nr. 3 Abs. 2 TVöD-BT-V [Bund]).

55

Eine konkludente Anordnung der Anwesenheit an Bord ergibt sich nicht schon aus dem faktischen Zwang, während des Aufenthalts auf See auch außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an Bord bleiben zu müssen. Befindet sich das Schiff auf See, ergibt sich die ständige Anwesenheit der Besatzung an Bord des Schiffs aus der Natur der Sache. Die Anwesenheit ist zwangsläufige Folge der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen der Besatzungsmitglieder eines Seeschiffs (BAG, Urteil vom 28. Mai 2009 – 6 AZR 141/08 – Rn. 21 f., juris = ZTR 2009, 495; vgl. zu § 46 Nr. 11 Abs. 2 TVöD-BT-V: LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 06. Juli 2010 – 5 Sa 134/10 – Rn. 78, juris; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22. Dezember 2009 – 5 Sa 341/08 – Rn. 54, juris; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22. Dezember 2009 – 5 Sa 17/09 – Rn. 50, juris; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 6 Sa 92/09 – Rn. 54, juris; LAG Schleswig-Holstein, Teilurteil vom 09. Dezember 2009 – 3 Sa 455/08 – Rn. 46, juris; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. November 2009 – 4 Sa 16/09 – Rn. 77, juris; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. November 2009 – 4 Sa 16/09 – Rn. 77, juris; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. November 2009 – 4 Sa 23/09 – Rn. 51, juris; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. November 2009 – 3 Sa 404/08 – Rn. 51, juris). Hätten die Tarifvertragsparteien auch solche Zeiten der Anwesenheit an Bord von der Vergütungsregelung in § 47 Nr. 3 Abs. 1 TVöD-BT-V (Bund) erfassen wollen, hätte es des Erfordernisses einer Anordnung der Anwesenheit nicht bedurft (BAG, Urteil vom 28. Mai 2009 – 6 AZR 141/08 – Rn. 22, juris = ZTR 2009, 495).

56

Die in § 47 Nr. 3 Abs. 1 TVöD-BT-V (Bund) geregelte Vergütung angeordneter Anwesenheit an Bord bezieht sich auf Fälle, in denen sich der Aufenthalt des Beschäftigten an Bord außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit nicht aus der Natur der Tätigkeit auf einem Seeschiff ergibt, seine Anwesenheit aber gleichwohl angeordnet wird. Das ist z. B. bei einem Aufenthalt in einem Hafen der Fall. Hier kann der Beschäftigte außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit von Bord gehen, wenn seine Anwesenheit an Bord nicht angeordnet ist. Die durch eine solche Anordnung entstehende Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Beschäftigten soll nach dem Regelungsplan des TVöD-BT-V (Bund) und seiner Vorgängerregelungen besonders vergütet werden (BAG, Urteil vom 28. Mai 2009 – 6 AZR 141/08 – Rn. 23, juris = ZTR 2009, 495).

57

Ebenso wenig wurde der Kläger während der aufgelisteten Zeiten zum Wachdienst im Sinne des § 47 Nr. 3 Abs. 2 TVöD-BT-V (Bund) herangezogen. Vielmehr gewährte die Beklagte ihm zu den genannten Zeiten Freiwache.

58

Wachdienst schließt Bereitschaftsdienst ein (§ 47 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 TVöD-BT-V [Bund]). Bereitschaftszeiten sind diejenigen Zeiten, in denen sich der Beschäftigte am Arbeitsplatz oder an einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle zur Verfügung halten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit selbstständig, ggf. auch auf Anordnung, aufzunehmen und in denen die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 TVöD).

59

Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes. Er muss bei der Berechnung des zulässigen Umfangs der Arbeitszeit in vollem Umfang und nicht nur im Umfang des tatsächlichen Arbeitseinsatzes berücksichtigt werden (BAG, Urteil vom 23. Juni 2010 – 10 AZR 543/09 – Rn. 18, juris = NZA 2010, 1081). Arbeitszeit und Ruhezeit schließen einander aus; es handelt sich entweder um Arbeitszeit, auch wenn die Inanspruchnahme unterschiedliche Intensitäten der Arbeitsleistung aufweisen kann, oder aber um Ruhezeit (EuGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – C-518/15 – [Matzak], Rn. 55 und 56, juris = NJW 2018, 1073). Ein Bereitschaftsdienst, bei dem sich ein Arbeitnehmer zwar nicht am Arbeitsort aufhalten, jedoch den Arbeitsort im Falle einer Alarmierung innerhalb von acht Minuten aufsuchen muss, ist als Arbeitszeit anzusehen (EuGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – C-518/15 – [Matzak], Rn. 66, juris = NJW 2018, 1073).

60

Bei seefahrendem Personal müssen die arbeitszeitrechtlich vorgeschriebenen Ruhezeiten zwangsläufig zu einem erheblichen Teil an Bord des Schiffes gewährt werden. Die gewährte Freizeit kann an Bord nicht so frei gestaltet werden wie an Land. Die Freizeitaktivitäten sind auf einem nicht dem Personenverkehr dienenden Schiff naturgemäß eingeschränkt. Ein Schiff kann und muss nicht täglich einen Hafen anlaufen. Selbst ein Hafenaufenthalt bietet nicht dieselben Freizeitmöglichkeiten wie das häusliche Umfeld. Die örtliche Gebundenheit der Seeleute führt jedoch nicht zu einem konkludent angeordneten Dauer-Bereitschaftsdienst während des Aufenthalts auf See. Die Anwesenheit an Bord eröffnet zwar für den Arbeitgeber die Möglichkeit, in Notfällen, wie z. B. Schiffshavarien, Mann über Bord u. ä., kurzfristig einen Beschäftigten aus der Ruhezeit heraus zum Einsatz heranzuziehen. Eine solche, nie gänzlich auszuschließende Ausnahmesituation bedingt aber noch keinen Bereitschaftsdienst, weder auf See noch an Land. Es handelt sich begrifflich nicht um einen Bereitschaftsdienst, da sich der Beschäftigte nicht ständig für einen Notfall zur Verfügung halten muss. Anders als bei einem angeordneten Bereitschaftsdienst kann er grundsätzlich entspannen und einer Freizeitaktivität nachgehen. Er muss nicht fortwährend damit rechnen, jederzeit zur Arbeit herangezogen zu werden.

61

Der Kläger ist während des Aufenthalts der A. auf See zwar gezwungen, seine Freizeit bzw. Ruhezeit an Bord zu verbringen. Er muss aber während seiner Freiwachen nicht stets und ständig darauf vorbereitet sein, unverzüglich die Arbeit aufzunehmen. Anders als im Falle eines angeordneten Wachdienstes kann er sich während der Freiwachen ausruhen und erholen. Seine tatsächliche Verfügbarkeit an Bord des Schiffes mindert nicht den Erholungswert dieser Zeiten. Der Kläger kann ausspannen und eigenen Interessen nachgehen. Er muss sich nicht wie beim Wachdienst, der zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit zählt (§ 47 Nr. 3 Abs. 2 Satz 2 TVöD-BT-V [Bund]), gedanklich auf eine kurzfristige Arbeitsaufnahme einstellen. Notfälle treten nur ausnahmsweise auf. Sie bestimmen nicht den Alltag auf dem Mehrzweckschiff. Die Möglichkeit eines Notfalls führt nicht zu einer ständigen Anspannung, die eine zweckentsprechende Ruhezeit ausschließt. Der Kläger muss nicht außerhalb seiner Tag- und Wachdienste ständig auf evtl. Notfälle vorbereitet sein, sodass er durchaus Ablenkung von der Arbeit finden und zur Ruhe kommen kann. Die Einschränkungen bei der Freizeitgestaltung führen nicht zu einem gesonderten Vergütungsanspruch.

62

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen