Beschluss vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (1. Kammer) - 1 Ta 272/11

Tenor

Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - 8 Ca 1545/11 - vom 21.11.2011 über die Festsetzung des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers dahingehend abgeändert, dass der Gegenstandswert für das Verfahren auf 7.047,00 EUR und für den Vergleich auf 8.456,40 EUR festgesetzt wird.

Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben.

Gründe

I.

1

Der Kläger war bei der Beklagten ab dem 18.04.2011 als Maurer beschäftigt. Nach seiner Behauptung hätte ihm eine tarifliche Vergütung von monatlich 2.818,80 EUR zustehen müssen.

2

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19.09.2011 fristlos gekündigt mit dem Hinweis, der Kläger habe den ihm überlassenen Firmen-Pkw für private Fahrten genutzt. Gegen diese Kündigung hat der Kläger Klage zum Arbeitsgericht erhoben mit folgenden Sachanträgen:

3

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 20.09.2011 endet.

4

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht aufgrund anderer Beendigungstatbestände zum 22.09.2011 endet, sondern über den 20.09.2011 unverändert fortbesteht.

5

Vorsorglich für den Fall des Obsiegens zu 1. beziehungsweise 2.:

6

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verpflichtet, den Kläger als Maurer über den 20.09.2011 hinaus weiter zu beschäftigen.

7

Die Beklagten werden verurteilt, dem Kläger ein sich auf Leistung und Führung erstreckendes wohlwollend qualifiziertes Zwischenzeugnis mit der Gesamtbeurteilung "gut" zu erteilen.

8

Im Gütetermin haben die Parteien den Rechtsstreit durch Vergleich beigelegt. Darin haben sie unter anderem vereinbart, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung vom 19.09.2011 unter Einhaltung der tarifvertraglichen Kündigungsfrist mit dem 27.09.2011 endete.

9

Später hat das Arbeitsgericht dem Kläger in vollem Umfange Prozesskostenhilfe bewilligt unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten.

10

Auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat das Arbeitsgericht - auch nach Anhörung der Bezirksrevisorin - den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren auf 12.684,60 EUR (4,5 Monatsvergütungen) und für den Vergleich auf 14.094,00 EUR (fünf Monatsvergütungen) festgesetzt. In diesem Beschluss hat das Arbeitsgericht unter Hinweis auf die Entscheidung des BAG vom 19.10.2010 - 2 AZR 194/10 den Kündigungsschutzantrag mit drei Monatsvergütungen bewertet. Gleichzeitig hat es die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Eine Rechtsmittelbelehrung enthält dieser Beschluss nicht.

11

Dieser Beschluss wurde der Bezirksrevisorin am 23.11.2011 zugestellt, sie hat hiergegen ausweislich des Akteninhalts mit einem am 09.12.2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt mit der Begründung, nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz hätte der Kündigungsschutzantrag nur mit einem Monatsgehalt bewertet werden dürfen, weil das Arbeitsverhältnis im Kündigungszeitpunkt noch keine sechs Monate bestanden hat.

12

Das Arbeitsgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und hat es dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

13

1. Die Beschwerde ist als zulässig anzusehen. Da der Rechtsstreit vorliegend durch Gesamtvergleich erledigt worden ist und damit keine Gerichtsgebühren anfielen, war im Streitfall der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit nach § 33 RVG festzusetzen (vgl. hierzu im Einzelnen Schwab/Maatje, NZA 2011, 769). Das Arbeitsgericht hat im angefochtenen Beschluss die Beschwerde gemäß § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Da dieser Beschluss der Bezirksrevisorin am 23.11.2011 zugestellt worden ist, ist ihre nach dem Akteninhalt erst am 09.12.2011 beim Arbeitsgericht eingegangene Beschwerde zwar nicht innerhalb der Zweiwochenfrist von § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingegangen. Diese Fristversäumung war vorliegend jedoch unschädlich, weil der angefochtene Beschluss entgegen § 9 Abs. 5 ArbGG keine Rechtsmittelbelehrung enthalten hat.

14

2. In der Sache ist das Rechtsmittel auch begründet. Streitig ist im Beschwerdeverfahren allein die Frage, ob bezüglich des Kündigungsschutzantrages des Klägers eine Vergütung in Höhe von einem Monatsgehalt oder von drei Monatsgehältern festzusetzen war.

15

Entgegen der Auffassung des Vordergerichts besteht insoweit keine Veranlassung, von der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz abzuweichen. Nach dieser Rechtsprechung ist gemäß § 23 RVG in Verbindung mit § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG für die Wertberechnung bei Streitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend. Hierbei ist auf eine typisierende Betrachtungsweise abzustellen. Bei einem Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zu sechs Monaten beträgt der Streitwert ein Monatsverdienst, von sechs bis zwölf Monaten zwei Monatsverdienste und von mehr als einem Jahr drei Monatsverdienste (vgl. nur Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 07.04.2010 - 1 Ta 88/10). Mit dieser Rechtsprechung hat sich das Beschwerdegericht insbesondere der Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluss vom 30.11.1984 (NZA 1985, 369) angeschlossen. In diesem Beschluss hat der 2. Senat des Bundesarbeitsgericht sich eingehend (vgl. Langtext bei juris) mit der Festsetzung des Gebührenstreitwertes im Kündigungsschutzverfahren auseinandergesetzt. Das Bundesarbeitsgericht hat in überzeugender Art und Weise unter Hinweis auf die damalige Rechtsprechung und insbesondere die Rechtsprechung von anderen Senaten des Bundesarbeitsgerichts begründet, dass ein Arbeitsverhältnis in den ersten sechs Monaten unter Anlegung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise noch nicht den Wert hat, den etwa ein langjähriges Arbeitsverhältnis inne hat. Mit dieser ausführlichen Begründung hat sich der 2. Senat in seinem Beschluss vom 19.10.2010 - 2 AZN 194/10 (JurBüro 2011, 88) mit keinem Wort auseinandergesetzt. Eingangs seiner neuen Entscheidungsgründe hat das BAG lediglich die Feststellung getroffen, dass im Regelfall der Dreimonatsverdienst festzusetzen ist, es sei denn, der Bestand des Arbeitsverhältnisses werde für einen geringeren Zeitraum geltend gemacht. Als einzige Fundstelle für diese nicht weiter begründete Entscheidung beruft sich der 2. Senat allein auf Germelmann (in GMP, ArbGG, 7. Aufl., § 12, Rn. 103). Wenngleich diese Satzformulierung des BAG klar erscheint, muss doch bezweifelt werden, ob es in seinem neuerlichen Beschluss überhaupt von seiner Entscheidung aus dem Jahr 1984 abweichen wollte. Dem BAG lag eine Entscheidung des Landesarbeitsgericht Köln - 6 Sa 1045/09 zugrunde. Diesem Urteil ist - was sich aus der Sachverhaltsschilderung des BAG nicht ergibt - zu entnehmen, dass der dort langjährig beschäftigte Kläger einem Schwerbehinderten gleichgestellt war. In diesem Fall steht zweifelsohne fest, dass hier der volle Vierteljahresverdienst von § 42 Abs. 3 GKG auszuschöpfen war. Der dem BAG im Jahre 2010 vorliegende Sachverhalt war von daher nicht geeignet, zu einer Änderung der Rechtsprechung aus dem Jahre 1984 zu gelangen.

16

Rein vorsorglich weist die erkennende Beschwerdekammer darauf hin, dass sie der Rechtsauffassung von Germelmann (a. a. O.) aus grundsätzlichen Erwägungen nicht folgen kann. Germelmann stellt allein auf den prozessualen Streitgegenstand aus dem Klageantrag ab. Das ist aber eine verkürzte Sicht der Dinge, da der Gebührenstreitwert ausgehend und unter Zugrundelegung der gestellten Anträge nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten festzusetzen ist. Dass ein Arbeitsverhältnis in den ersten sechs Monaten ohne Vorliegen eines Kündigungsschutzes oder Sonderkündigungsschutzes nicht wirtschaftlich in gleicher Weise werthaltig ist, wie etwa ein langjährig bestehendes Arbeitsverhältnis, hat gerade der 2. Senat in seinem Urteil vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 (NZA 2010, 1228 - Fall "Emmely") nachhaltig selbst unter Beweis gestellt. Der Gebührenstreitwert ist daher nicht allein anhand der gestellten Prozessanträge zu ermitteln, sondern entscheidend ist der objektiv wirtschaftliche Wert des Klageziels, das mit den Anträgen verfolgt wird (vgl. z. B. BGH, Beschl. v. 13.07.2011 - III ZR 23/11). Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise findet ihren gesetzlichen Niederschlag auch in Gedanken der Geringerbewertung wertloser Forderungen in § 25 Abs. 1 Nr. 4 RVG. Auch im Rahmen der Insolvenzordnung bestimmt sich gem. § 182 InsO der Wert des Streitgegenstandes einer Klage auf Feststellung einer Forderung, deren Bestand vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden ist, nach dem Betrag der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten ist. Der reine Prozessantrag ist nur ein Teil des Prüfgegenstandes.

17

Nach alledem war unter Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses der Kündigungsschutzantrag mit einer Monatsvergütung des Klägers zu bewerten.

18

Eine weitergehende Überprüfung des angefochtenen Beschlusses war für die Kammer ausgeschlossen, weil im Rahmen von § 33 RVG der Grundsatz der reformatio in peius Anwendung findet.

19

Ein Rechtsmittel findet gegen diesen Beschluss nicht statt (§ 33 Abs. 4 Satz 2 RVG).

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