Urteil vom Landgericht Aachen - 11 O 43/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger nimmt den Beklagten wegen behaupteter Fehler anlässlich einer stationären Behandlung in der Zeit vom 20. April 2012 bis zum 8. Mai 2012 auf Schmerzensgeld sowie Feststellung der Einstandspflicht für zukünftige materielle und immaterielle Schäden in Anspruch.
3Der im Jahr 2012 zur Zeit des behaupteten Behandlungsfehlers 73 Jahre alte Kläger begab sich am 20.4.2012 in die Klinik des Beklagten. Er litt zu dieser Zeit bereits an erheblichen Vorerkrankungen:
4 Diabetes Mellitus Typ II
5 Arterielle Hypertonie
6 Chronische Niereninsuffizienz im Stadium III
7 Bandscheibenprolaps L4/L5
8 Benigne Prostatahyperplasie
9 COPD
10 Dilative Kardiomyopathie
11 pAVK im Stadium III.
12Am Morgen des 21.4.2012 wurde er gewogen. Dabei sackten seine Beine X-Weg. Dazu erklärte er, dass ihm das schon bekannt sei. Bis auf vereinzelte Angaben von Schwindel sind für die Folgezeit keine weiteren Auffälligkeiten hinsichtlich der Mobilität des Klägers dokumentiert. Einschränkungen in der Mobilität lagen nicht vor.
13Am 22.4.2012 wurde er zwecks operativer Entfernung seiner Gallenblase auf die Chirurgie verlegt.
14Zu dieser Zeit erhielt er folgende Medikation:
15 Cefuroxim (3x täglich, insges. 1.500 mg)
16 Metronidazol
17 Metoprorol
18 Hydrochlorotiazid
19 Torasemid
20 Bironolakton
21 Salbutamol
22 Salmeterol/Fluticason
23 Tiotropiumbromid
24 Tamsulosin (0,4 mg)
25 ASS 100
26 Phenprocoumon.
27Um 14:45 kam es zu einem Sturz des Klägers. In der Pflegedokumentation wurde hierzu festgehalten:
28„Das Pflegepersonal hört ein lautes Sturzgeräusch und findet Herrn C auf der linken Körperhälfte am Boden liegend auf. Er ist ansprechbar und gibt an, auf dem X-Weg zur Toilette zunächst Schwindel verspürt zu haben, anschließend sei ihm schwarz vor Augen geworden. Er sei sowohl mit Schulter und Hüfte als auch mit dem Kopf aufgeschlagen. Es finden sich außer einer blutigen Unterlippe keine äußeren Wunden.“
29Anlässlich des Sturzes zog sich der Kläger eine horizontale Deckenplattenimpressionsfraktur des 4. Lendenwirbels zu. Nach dem Sturz wurde eine Dauerüberwachung installiert. Am 27.04.2012 erfolgte die operative perkutane Stabilisierung mit Longitude, Fixateur interne perkutan von LWK 3 auf LWK 5. In der Zeit vom 12.05.2014 bis 31.5.2014 befand sich der Kläger zur Anschlussrehabilitation in der Klinik T1 in B3.
30Mit Schreiben vom 20. November 2014 wurde der Beklagte zur Schadensregulierung aufgefordert, die mit Schreiben der Haftpflichtversicherung vom 27. November 2014 verweigert wurde.
31Es wurde ein Schlichtungsverfahren vor der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein geführt mit dem Ergebnis, dass ein Behandlungsfehler durch den mit der Untersuchung beauftragten Gutachter nicht festgestellt wurde. Wegen der Einzelheiten des Ergebnisses der Begutachtung wird auf den als Anlage B1 zur Klageerwiderung vom 12. Mai 2015 zur Akte gereichten Bescheid der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler vom 31. Juli 2014 (Blatt 397 ff.) Bezug genommen.
32Der Kläger behauptet, als Dauerschädigung aus dem Sturz ein chronisches Schmerzsyndrom im lumbalen Bereich davongetragen zu haben, weswegen er ständig auf die Einnahme von opiathaltigen Schmerzmedikamenten angewiesen sei. Ferner bestehe eine dauerhafte Bewegungseinschränkung im Bereich der gesamten Lendenwirbelsäule sowie die Notwendigkeit der Hilfe bei der Körperpflege. Schließlich sei er durch die stattgehabte Fraktur mit ihren Folgebehandlungen nach wie vor in seinem Alltagsleben und im Bereich der Teilhabe deutlich eingeschränkt, eine wesentliche Verbesserung der Gesamtsymptomatik sei auf Dauer nicht zu erwarten. Der Kläger ist der Ansicht, bereits aufgrund des Vorfalls beim Wiegen vom 21.04.2012 (rezidivierender Schwindel und Ohnmachtsgefahr) und wegen der ihm verabreichten Medikamente hätte bei ihm eine engmaschige Kontrolle zur Verhinderung von Stürzen stattfinden müssen; ein Shellong-Test hätte früher durchgeführt werden müssen. Hätte dies stattgefunden, wäre er am 22.04.2012 nicht gestürzt und hätte sich die Verletzungen am 4. LWK nicht zugezogen. Es sei Sache des Beklagten, aufzuzeigen und nachzuweisen, dass der Vorfall nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Pflegekräfte beruht habe. Ferner meint der Kläger, dass es sich bei der Sturzprophylaxe um ein voll beherrschbareres Risiko für den Behandler bzw. für das Pflegepersonal handele. Auch deswegen habe der Beklagte darzulegen und zu beweisen, dass der Sturz nicht auf einem schuldhaften Behandlungsfehler des Pflegepersonals bzw. der Ärzte beruhe. Der Kläger meint, dass für die erlittenen Beeinträchtigungen ein Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,00 € angemessen sei.
33Der Kläger beantragt,
34den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 5. Dezember 2014 zu zahlen sowie
35festzustellen, dass der Beklagte für alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden des Klägers haftet, die kausal auf die medizinische Fehlbehandlung im Hause der Beklagten vom 20. April 2012 bis einschließlich 8. Mai 2012 zurückzuführen sind, haftet.
36Der Beklagte beantragt,
37die Klage abzuweisen.
38Der Beklagte behauptet, es hätten keine Anzeichen vorgelegen, die dauerhafte Vorkehrungen vor Stürzen indiziert hätten. Es habe vielmehr die Mobilität des Klägers erhalten werden müssen. Bei dem Sturz habe es sich um ein nicht vorhersehbares und überraschendes Ereignis gehandelt. Die dem Kläger verabreichten Medikamente seien wegen der ihnen zugeschriebenen Wirkungen (ausführlich Bl. 387 f.) für den Sturz nicht ursächlich gewesen. Die bei dem Kläger zu verzeichnenden Erkrankungen seien auch keine Folge des Sturzes, sondern Folge der bei ihm ohnehin bestehenden Grunderkrankungen. Insbesondere habe der Kläger im Bereich L4/L5 bereits einen Bandscheibenvorfall erlitten, weswegen er ohnehin Schmerzen gehabt habe und die gegenwärtig behaupteten Beeinträchtigungen in jedem Fall bei ihm eingetreten wären.
39Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 22. Juni 2015 (Bl. 417 ff. der Akte) durch Einholen eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. P, welches dieser zudem in der mündlichen Verhandlung am 25. Mai 2016 mündlich erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 14. Oktober 2015 (Bl. 444 ff. der Akte) sowie wegen der mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2016 (Bl. 497 ff. der Akte) Bezug genommen.
40E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
41Die – auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens – bedenkenlos zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
42I.
43Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen den Beklagten weder aus §§ 280 Abs. 1, 611, 249 ff. BGB noch aus § 831 BGB oder einer anderen erdenklichen Rechtsnorm zu.
44Der Kläger hat im Ergebnis den ihm obliegenden Nachweis eines von den Ärzten oder dem Pflegepersonal der Beklagten zu verantwortenden Behandlungs- oder Pflegefehlers respektive einer unerlaubten Handlung nicht erbracht.
45Die Kammer schließt sich hinsichtlich der Frage, ob ein von den Ärzten der Beklagten oder deren Pflegepersonal begangener Behandlungsfehler oder Pflegefehler festzustellen sei, den überzeugenden, weil widerspruchsfreien und ohne weiteres nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. P sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch im Rahmen der mündlichen Erläuterung des Gutachtens an.
46Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungs- oder Pflegefehlers trifft den Kläger. Beweiserleichterung zu seinen Gunsten unter dem Gesichtspunkt des voll beherrschbaren Risikos greifen nicht. Denn der Sturz des Klägers hat sich ereignet, als dieser sich bei sonst bestehender Mobilität alleine zur Toilette begeben hat, ohne dass ärztliches oder pflegerisches Personal dabei gewesen ist. Vor diesem Hintergrund kann die Kammer nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass der Sturz allein in der Risikosphäre des Beklagten bei einer konkret geschuldeten Pflegeleistung zu verorten wäre, weil ebenso in Betracht kommt, dass der Kläger schlicht gestolpert ist oder die Ursache in einer nicht vorhersehbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers zu sehen ist, etwa einer orthostatischen Reaktion, einer Reflexsynkope oder Synkope bei orthostatischer Hypotonie oder bei Taumel oder Schwindel in höherem Lebensalter.
47Auf eine derartige Beweiserleichterung kommt es aber bezüglich des Vorliegens eines Behandlungsfehlers auch nicht an, weil zur Überzeugung der Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch unter Berücksichtigung der dem Kläger verabreichten Medikamente sowie dem Umstand, dass ihm beim Wiegen am Vortrag die Beine weggesackt sind, feststeht, dass es weiterer Überwachungen bzw. Sturzprophylaxe nicht bedurft hat und diese mithin auch nicht schuldhaft vom Personal des Beklagten unterlassen worden sind.
48Wie sowohl aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P als auch aus dem bereits vorgelegten Bescheid der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler folgt, war die dem Kläger verabreichte Medikation angesichts seiner massiven Vorerkrankungen und der hinzu getretenen Probleme im Zusammenhang mit seiner Cholezystitis indiziert und sachgerecht. Unter der bei ihm ohnehin bestehenden Dauermedikation war der Kläger nach seinen Angaben mobil und er hat sich nach seinen Angaben auch selbst versorgt; gelegentlich auftretender Schwindel sei ihm bekannt. Er war wach und bewusstseinsorientiert. Die anlässlich der Behandlung im Hause des Beklagten hinzu getretenen Medikamente Metronidazol und Cefuroxim, die ebenfalls nach den Angaben des Sachverständigen und dem Gutachten der Gutachterkommission indiziert waren, stehen nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen nicht im Ruf, Schwindel als Nebenwirkung hervorzurufen. Ein erhöhtes Sturzrisiko des Klägers war deswegen für das Personal des Beklagten nicht vorhersehbar. Darüber hinaus hat der Sachverständige in für die Kammer nachvollziehbarer Weise ausgeführt, dass bei einem wachen und bewusstseinsklaren Patienten, dem Schwindelereignisse bekannt seien, eine über die normale Absprache, sich im Bedarfsfall der Hilfe des Pflegepersonals zu bedienen, hinausgehende Sturzprophylaxe oder gar freiheitseinschränkende Maßnahmen unangemessen seien. Derartige Absprachen seien ihrerseits nicht dokumentationspflichtig. Es gelte nämlich – insoweit nicht protokolliert – der Grundsatz, die Mobilität des Patienten zu wahren und nicht weiter einzuschränken.
49Soweit der Kläger beanstandet, er hätte nach dem Vorfall beim Wiegen und wegen der starken Medikamente darauf hingewiesen werden müssen, sich nur noch in Begleitung des Pflegepersonals im Rollstuhl fortzubewegen und nicht mehr alleine zur Toilette zu gehen, geht die Kammer davon aus, dass er sich hieran nicht gehalten hätte. Denn nach dem Sturzereignis wurde der Kläger ausweislich der Pflegedokumentation – aufgegriffen im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P, (Blatt 447 der Akte) – angewiesen, er solle das Bett nicht mehr alleine verlassen und es sei ihm die Rufanlage nochmals gezeigt worden. Gleichwohl und trotz des Sturzereignisses habe er die Bettruhe – immer noch bewusstseinsklar, orientiert und ansprechbar – mehrfach nicht eingehalten und das Bett selbständig verlassen. Diesen Ausführungen, welche der Beklagte sich im Zweifel zueigen gemacht hat, ist der Kläger nicht entgegen getreten. Wenn der Kläger derartige Anordnungen aber selbst nach dem Sturz nicht eingehalten hat, hätte er sich im Vorfeld sicher auch nicht daran gehalten. Insoweit mangelt es auch an der Kausalität einer etwa unterbliebenen Anweisung im Hinblick auf die eingetretenen Folgen des Sturzes.
50Die Ausführungen des Sachverständigen, bei dem Kläger hätte möglicherweise früher als tatsächlich erfolgt ein Shellong-Test durchgeführt werden können, ändern hieran im Ergebnis nichts. Denn selbst bei Auffälligkeiten anlässlich dieses Tests wären freiheitsentziehende Maßnahmen – nichts anderes hätte angesichts der Vorgeschichte, aus welcher ersichtlich geworden ist, dass der Kläger die ärztlichen Anordnungen nicht befolgt, den Sturz verhindern können – bei einem wachen und bewusstseinsklaren Patienten unangemessen gewesen. Insoweit hätte man allenfalls Veränderungen der Medikation in Betracht ziehen können und den Kläger zur Durchführung von Beweglichkeitsübungen anhalten können, wobei beides erst mit zeitlichem Verzug Wirkung gezeigt hätte.
512. Stehen dem Kläger die geltend gemachten Hauptforderungen nicht zu, kann er auch die Nebenforderungen – hier Zinsen – nicht beanspruchen.
52II.
53Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 Satz 2 ZPO.
54III.
55Streitwert: 90.000,00 €
56D |
T |
Dr. I |
Richterin T ist wegenUrlaubs verhindert, dieUnterschrift zu leisten.
58D(Vorsitzender Richteram M)
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