Beschluss vom Landgericht Arnsberg - 2 Qs-410 UJs 254/19-43/19
Tenor
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg wird der Beschluss abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Mobilfunknetzbetreiber
1. X
2. Y
3. Z
werden gemäß §§ 100g Abs. 3 S. 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StPO, §§ 113b, 96 (analog) TKG verpflichtet, Auskunft über sämtliche Verkehrsdaten der Basisstation mitzuteilen, welche die Örtlichkeit M, T in der Zeit vom 24.04.2019, 22:30 Uhr bis 25.04.2019, 03:00 Uhr mit Telekommunikation versorgt hat.
1
Gründe:
2I.
3Die Staatsanwaltschaft Arnsberg führt unter dem Aktenzeichen 410 UJs 254/19 ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Bandendiebstahl gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 2 bzw. auf schweren Bandendiebstahl gemäß § 244a Abs. 1 StGB.
4Dem Verfahren liegt zugrunde, dass unbekannte Täter in der Zeit vom 24.04.2019, 23:50 Uhr bis zum 25.04.2019, 03:30 Uhr auf dem F-Rastpark an der AX, T in M aus einem Sattelzug acht Paletten mit 160 Kartons, in denen sich Computermonitore der Marke Q befanden, entwendeten. In dem oben genannten Zeitraum soll nach den bisherigen Ermittlungen anhand der Videoaufzeichnung ein Sattelzug mit einer roten Zugmaschine E und Kennzeichen XX-XXXX und grauen Sattelaufflieger mit russischem Kennzeichen XX0000-00 neben den angegriffenen Sattelzug gefahren sein. Anschließend hätten sich die Heckklappen der beiden Sattelanhänger geöffnet.
5Die Staatsanwaltschaft Arnsberg hat am 26.04.2019 beim Amtsgericht Arnsberg einen Antrag auf Funkzellenauswertung nach § 100g Abs. 3 StPO gestellt.
6Der zuständige Ermittlungsrichter hat den Antrag im angefochtenen Beschluss vom 26.04.2019 zurückgewiesen.
7Zur Begründung hat er ausgeführt, die Voraussetzungen des § 100g Abs. 2, die gemäß § 100g Abs. 3 S. 2 StPO im Hinblick auf die Abfrage der Standortdaten nach § 113b Abs. 4 TKG erforderlich seien, lägen nicht vor. Es handele sich zwar möglicherweise um einen schweren Bandendiebstahl, allerdings wiege die Tat im Einzelfall nicht besonders schwer. Betroffen sei ein vergleichsweise leicht zu öffnendes Fahrzeug gewesen. Der Vermögensschaden sei zudem versichert und die Gegenstände leicht neu zu beschaffen. Gemäß §§ 100g Abs. 3 S.2 i.V.m. 100g Abs. 2 S. 1 StPO müsse es sich um eine Tat handeln, deren Unrechtsgehalt über dem üblichen Maß anderer Tat liegt, die denselben Straftatbestand erfüllen. Der Rückgriff auf die Daten solle nur in Ausnahmefällen gestattet sein, nicht jedoch in Fällen von Bagatelldelikten oder (Standard)-Fällen. Die beantragte Erhebung der gesamten Funkzellendaten stehe für die betroffene Öffentlichkeit außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache. Der Schutz der unbescholtenen Bürger sei höher anzusetzen als das Aufklärungsinteresse an der Straftat. Es sei ebenfalls zu berücksichtigen, dass an der Stelle trotz wiederholter angeordneter Funkzellenabfragen bisher keine Ermittlungsergebnisse vorliegen würden.
8Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
9Hiergegen wendet sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, mit der sie ihren ursprünglichen Antrag weiter verfolgt. Auf das Vorbringen in der Beschwerdeschrift wird Bezug genommen.
10Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
11II.
12Das zulässige Rechtsmittel ist begründet.
13Die Erhebung aller in der Funkzelle angefallenen Verkehrsdaten ist gemäß § 100g Abs. 3 S. 1 StPO zulässig. Die Erhebung der Daten nach § 113b TKG ist nach § 100g Abs. 3 S.2 unter den Voraussetzungen des § 100g Abs. 2 StPO zulässig.
14Die Voraussetzungen gemäß § 100g Abs. 3 StPO i.V.m. 100g Abs. 2 StPO sowohl auf die nach § 96 TKG als auch nach § 113b TKG erhobenen und gespeicherten Verkehrsdaten zurückzugreifen liegen in vollem Umfang vor.
15Die Voraussetzungen des § 100g Abs. 3 S.1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO sind erfüllt. Bandendiebstahl gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB und schwerer Bandendiebstahl gemäß § 244 a StGB sind Katalogtaten des von der Vorschrift in Bezug genommenen § 100a Abs. 2 Nr. 1 j) StPO.
16Die Tat wirkt auch im Sinne des § 100g Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 2 StPO im Einzelfall besonders schwer. Nach dem Sinn der Vorschrift sollen sogenannte Bagatelldelikte ausgenommen bleiben. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass es sich um eine extreme Ausnahmetat handelt. Vielmehr muss es sich um eine Straftat handeln, die mindestens dem mittleren Bereich der Kriminalität zuzuordnen ist und sich von dem Standardfall der genannten Katalogtat unterscheidet. Der Ausschluss einer Bagatelltat erfolgt dabei bereits durch die Aufnahme des Kataloges in den Gesetzestext. Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Tat auch im Einzelfall besonders schwer wiegt, können dabei insbesondere der angerichtete Schaden und die Art ihrer Begehungsweise sein. Die jeweilige Beurteilung hat jedoch für jeden Fall gesondert stattzufinden.
17Vorliegend wiegt die begangene Tat auch im Einzelfall besonders schwer.
18Aus den gleichen Erwägungen steht die Erhebung der Verkehrsdaten auch in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache.
19Der Kammer ist bekannt, dass sich in letzter Zeit vermehrt gleichgelagerte Diebstähle durch "Planenschlitzen" ereignet haben, und dass es insbesondere auf dem gegenständlichen Autohof mehrere Vorfälle gegeben hat. Sie teilt die Einschätzung der Ermittlungsbehörden, dass aufgrund des modus operandi die Annahme einer gewerblichen und bandenmäßigen Begehungsweise naheliegt. So bedürfen die Taten einer besonderen Organisation, Vorbereitung und Logistik, um den Abtransport größerer Mengen Diebesgut kurzfristig leisten zu können. Im Hinblick auf die auf öffentlichen Autohöfen und Rastplätzen auch zur Nachtzeit nicht geringe Entdeckungsgefahr ist darüber hinaus ein schnelles und strukturiertes, arbeitsteiliges Vorgehen erforderlich. So wird in der Regel mindestens ein Tatbeteiligter benötigt, der in den Laderaum eindringt und die Ware ausräumt, mindestens ein weiterer, der sie in das Fluchtfahrzeug umlädt, und mindestens ein dritter als Fahrer des Fluchtfahrzeuges, um zeitgenau zum Umladen an den Lkw heranfahren und im Falle der Entdeckung jederzeit sofort fliehen zu können. Auch bedarf es einer entsprechenden Struktur von Hehlern, um die erbeuteten neuwertigen Waren absetzen zu können.
20Zu Recht führt die Staatsanwaltschaft Arnsberg aus, dass Ladungsdiebstähle nicht nur individuelle Schäden, sondern über die Versicherungsleistungen und Versicherungsbeiträge volkswirtschaftliche Schäden darstellen. Im Übrigen ist die Sicherheit auf dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Plätzen betroffen.
21Der Gesetzgeber hat bei der Neufassung des § 100g Abs. 3 StPO erkannt, dass durch die Funkzellenauswertung regelmäßig und notwendigerweise auch eine Vielzahl Unbeteiligter von der Maßnahme betroffen wird, dies jedoch unter Berücksichtigung der gesetzlichen Schranken und der Verhältnismäßigkeitsprüfung grundsätzlich in Kauf genommen. So ist die Maßnahme gemäß § 101a Abs. 1 S. 3 StPO räumlich und zeitlich eng zu begrenzen, um eine über das notwendige Maß hinausgehende Datenerhebung zu vermeiden. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass § 100g Abs. 3 StPO schon nach dem gesetzgeberischen Willen (im Gegensatz zu Maßnahmen nach Abs. 1 oder 2) gerade nicht ermöglicht, aus den übermittelten Daten einer Funkzelle Bewegungsprofile zu erstellen. Es lässt sich nur feststellen, dass sich ein bestimmtes Mobilfunkgerät in einem bestimmten Zeitraum innerhalb einer bestimmten Funkzelle aufgehalten hat. Der Ausschluss der Möglichkeit, für zufällig von der Maßnahme betroffene unbescholtene Mobilfunkteilnehmer Bewegungsprofile zu erstellen, war in der Vergangenheit Gegenstand besonderer Diskussion bei der Regelung der Funkzellenabfrage und der Neufassung des § 100g Abs. 3 StPO.
22Die Maßnahme ist geeignet und erforderlich, da die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert wäre. Der Kammer ist die Begehung weiterer gleichgelagerter Straftaten bekannt. Die Taten sind durch eine spurenarme Begehung geprägt. Ermittlungsansätze können sich durch Funkzellenabgleiche ergeben.
23Die Maßnahme ist zeitlich und örtlich eng begrenzt. Die Eingrenzung der Örtlichkeit erfolgt aus dem Tatort. Die Straße T erschließt allein den gegenständlichen Autohof sowie die zugehörigen Nebenanlagen. Dabei ist der Kammer bewusst, dass die versorgenden Funkzellen der einzelnen Mobilfunkanbieter ggf. einen über den Tatort hinausgehenden Bereich abdecken, eine engere Begrenzung ist jedoch dann technisch nicht möglich. Die zeitliche Begrenzung ergibt sich aus dem anhand der Aussagen der Lkw-Fahrer ermittelten Tatzeitraum und der Auswertung der Videoüberwachung der nicht enger als zwischen 23.50 Uhr des 24.04.2019 und 02.30 Uhr des 25.04.2019 eingegrenzt werden kann.
24Insgesamt erscheint das Ausmaß, in dem Dritte von der Maßnahme betroffen sind, nicht unangemessen. Die Datenerhebung beschränkt sich auf das zur Strafverfolgung unerlässliche Maß, die Erstellung von Bewegungsprofilen ist nicht möglich.
25Inwieweit einzelne Mobilfunkbetreiber vor dem Hintergrund der von ihnen angestrebten rechtlichen Klärung insbesondere Daten nach § 113 TKG tatsächlich speichern, ist demgegenüber keine Frage der Anordnung, sondern der Ausführung der Maßnahme.
26III.
27Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
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Referenzen
- StGB § 244 Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl 1x
- § 113b Abs. 4 TKG 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 244a Schwerer Bandendiebstahl 2x
- § 113b TKG 2x (nicht zugeordnet)
- 410 UJs 254/19 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 100g Erhebung von Verkehrsdaten 12x
- § 113 TKG 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 101a Gerichtliche Entscheidung; Datenkennzeichnung und -auswertung; Benachrichtigungspflichten bei der Erhebung von Verkehrsdaten 1x
- § 96 TKG 1x (nicht zugeordnet)