Beschluss vom Landgericht Bad Kreuznach (2. Strafkammer) - 2 Qs 77/13
Tenor
Auf die Beschwerde der Anzeigeerstatterin S. wird die Entscheidung des Amtsgerichts Simmern vom 21.8.2013 aufgehoben.
Die Anzeigeerstatterin S. wird als Nebenklägerin zugelassen.
Es wird festgestellt, dass die in dem Strafbefehl vom 17.6.2013 vorgenommene Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a StGB hinsichtlich tateinheitlich vorliegender Beleidigungsdelikte (14. Abschnitt des StGB) entfallen ist.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin entstandenen notwendigen Auslagen der Anzeigeerstatterin S. fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
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Bei der Anzeigeerstatterin S. (geschiedene H.) handelt es sich um die frühere Ehefrau des Angeklagten. Die Ehe, aus der die beiden gemeinsamen noch minderjährigen Kinder Y. und T. hervorgegangen sind, ist rechtskräftig geschieden. Hinsichtlich des Sorgerechts und des Umgangsrechts mit den Kindern ist das familiengerichtliche Verfahren 51 F 491/11 vor dem Amtsgericht Simmern anhängig, dass von den früheren Eheleuten streitig geführt wird. In diesem familiengerichtlichen Verfahren hat der Angeklagte durch Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 12.6.2012 wie folgt vorgetragen:
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„… nach Kenntnis des Kindesvaters verkehren in dem von der Kindesmutter und T. bewohnten Haus viele Leute, welche bereits Probleme mit Drogen und Alkohol hatten. Dies gelte vor allem für die Kindesmutter, ihren Lebensgefährten D., dessen Schwester B. und auch für die Mutter der beiden, M. Insofern wird angeregt, dass das Jugendamt in den kommenden Wochen und Monaten unangemeldete Besuche macht, um sich über das Umfeld und das Wohlergehen von T. eigene Eindrücke zu verschaffen.“
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Aufgrund dieser Ausführungen erstatteten S. sowie D. und dessen Eltern M. am 2.8.2012 bei der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach Strafanzeige gegen den Angeklagten wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung und stellten Strafantrag gegen ihn.
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Die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach verwies die Anzeigeerstatter zunächst auf den Privatklageweg, nahm die Ermittlungen jedoch auf eine Beschwerde des Anzeigeerstatters M. hin wieder auf. Dieser reichte am 30.1.2013 Unterlagen zu den Akten, woraus hervorgeht, dass sich S. und D. am 13.12.2012 auf Veranlassung der Kreisverwaltung R. einem Drogenscreening unterzogen haben. Die Screeningergebnisse waren jeweils negativ. Aus einem Anschreiben der Kreisverwaltung an S. vom 21.1.2013 ergibt sich, dass die Drogentests aufgrund von Vorwürfen des Kindesvaters als notwendig angesehen worden waren.
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Am 17.6.2013 erließ der Strafrichter bei dem Amtsgericht Simmern auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach gegen den Angeklagten einen Strafbefehl in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 Euro wegen falscher Verdächtigung. Hinsichtlich tateinheitlich vorliegender Beleidigungsdelikte wurde die Strafverfolgung gemäß § 154 a Abs. 1 StPO beschränkt.
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Der konkrete Tatvorwurf wurde in dem Strafbefehl wie folgt formuliert:
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„Wegen der Regelung der elterlichen Sorge Ihrer Kinder ist oder war beim Familiengericht in Simmern/Hunsrück ein Verfahren unter dem Aktenzeichen 51 F 491/11 anhängig. Auf Ihre Veranlassung trug die sie vertretende Anwältin mit Schreiben vom 12.6.2012 gegenüber dem Familiengericht vor, dass nach Ihrer Kenntnis in dem von ihrer geschiedenen Ehefrau, der S., und der Tochter T. bewohnten Haus viele Leute, welche bereits Probleme mit Drogen und Alkohol hatten, verkehren würden. Dies gelte vor allem für die Kindesmutter S., deren Lebensgefährten D., dessen Schwester B. und auch für deren Mutter, M. Tatsächlich handelte es sich bei diesen Behauptungen, wie Sie wussten, um reine Mutmaßungen, die sich auch im Rahmen von Kontrollen nicht beweisen ließen.“
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Nachdem der Angeklagte gegen diesen Strafbefehl Einspruch eingelegt hatte, bestimmte der Strafrichter bei dem Amtsgericht Simmern durch Verfügung vom 26.7.2013 Termin zur Hauptverhandlung auf den 10.9.2013.
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Mit Schreiben vom 19.8.2013 beantragte S. bei dem Strafrichter des Amtsgerichts Simmern ihre Zulassung als Nebenklägerin.
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Durch Verfügung vom 21.8.2013 teilte der Strafrichter des Amtsgerichts Simmern S. mit, dass ihr Nebenklageantrag abgelehnt werde, da die falsche Verdächtigung gemäß § 164 StGB kein nebenklagefähiges Delikt darstelle.
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Gegen diese Entscheidung wendet sich die Anzeigeerstatterin S. mit der Beschwerde. Sie trägt vor, dass ihr Antrag auf Zulassung als Nebenklägerin auf § 395 Abs. 3 StPO gestützt sei. Der Angeklagte habe sie durch die Art seines wahrheitswidrigen Vorbringens in der Öffentlichkeit in ihrer Ehre schwer verletzt. Er habe sie durch wahrheitswidrige Anschuldigungen mit Drogensüchtigen in Verbindung gebracht. Seine Behauptungen seien auch in der Öffentlichkeit bekannt geworden und im Laufe der Weitergabe dahin umgedeutet worden, dass sie selbst dem Rauschgift verfallen sei. Mit der Verbreitung derartiger Gerüchte verfolge der Angeklagte das Ziel, die anstehende gerichtliche Entscheidung über den Verbleib der gemeinsamen Kinder aus der geschiedenen Ehe in seinem Sinne zu beeinflussen. Die Anschuldigungen des Angeklagten hätten schließlich dazu geführt, dass das Jugendamt sie zu einem Drogenscreening einbestellt habe.
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Das Amtsgerichts Simmern hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Der Hauptverhandlungstermin vom 10.9.2012 wurde aufgehoben, um vor einer Hauptverhandlung die Durchführung des Beschwerdeverfahrens zu ermöglichen.
II.
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Das Rechtsmittel der Anzeigeerstatterin S. ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
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Die Anzeigeerstatterin ist Verletzte der von der Staatsanwaltschaft angeklagten falschen Verdächtigung. Durch den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wird gemäß § 407 Abs. 1 S. 4 StPO die öffentliche Klage erhoben.
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Nach § 395 Abs. 3 StPO kann auch eine falsche Verdächtigung gemäß § 164 StGB zum Nebenklageanschluss berechtigen.
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Mit der Neufassung des § 395 Abs. 3 StPO durch das Zweite Opferrechtsreformgesetz vom 1.10.2009 (BGBl I S. 2280) wurde ein Auffangtatbestand für die Nebenklagebefugnis von Opfern, die durch die Tat besonders schwerwiegenden Folgen davongetragen haben, geschaffen. Entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift sind nunmehr alle rechtswidrigen Taten grundsätzlich anschlussfähig. Der als Korrektiv zur ansonsten uferlosen Weite der Norm geschaffene materielle Anschlussgrund erfordert, dass besondere Gründe den Anschluss zur Wahrnehmung der Interessen des Verletzten gebieten. Maßgeblich für die Zuerkennung der privilegierten Rechtsstellung eines Nebenklägers ist die im Einzelfall zu prüfende prozessuale Schutzbedürftigkeit des möglicherweise durch die Tat Verletzten (BGH StV 2012, 754).
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Anhaltspunkte für die notwendige besondere Schutzbedürftigkeit können nach dem Willen des Gesetzgebers schwere physische oder psychische Folgen der Tat darstellen. Besondere Gründe können aber auch darin liegen, dass das Opfer Schuldzuweisungen durch den Beschuldigten abzuwehren hat. Bei der Beurteilung ist auf die individuelle Lebenssituation des Verletzten abzustellen. Das betroffene und geschützte Rechtsgut ist dabei besonders zu beachten. Rein wirtschaftliche Interessen sind indessen nicht ausreichend (vgl. BGH StV 2012, 754 m.w.N.; Weiner in BeckOK, Stand: 28.1.2013; § 395 Rn. 18-20).
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Nach diesen Maßstäben ist die besondere Schutzbedürftigkeit der Anzeigeerstatterin S. im vorliegenden Fall gegeben.
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Die verfahrensgegenständlichen Äußerungen, die der Angeklagte getätigt haben soll, zielen erkennbar darauf ab, dem streitigen familiengerichtlichen Verfahren über das Sorge- und Umgangsrecht betreffend die gemeinsamen Kinder zu einem für die Anzeigeerstatterin negativen Ausgang zu verhelfen. Auf Betreiben des im familiengerichtlichen Verfahren ebenfalls beteiligten Jugendamtes hat sich die Anzeigeerstatterin bereits einem Drogenscreening unterziehen müssen. Die verfahrensgegenständlichen Äußerungen, die der Angeklagte getätigt haben soll, haben mithin erhebliche Auswirkungen auf die Anzeigeerstatterin. Das Sorge- und Umgangsrecht mit den leiblichen Kindern, das hier betroffen ist, stellt ein besonders bedeutendes und grundrechtlich geschütztes Rechtsgut (Art. 6 GG) dar, das auch die individuelle Lebensführung prägt. Die Anzeigeerstatterin hat ein besonderes schutzwürdiges Interesse daran, sich gegen unberechtigte Schuldzuweisungen, die diesen Bereich betreffen, zur Wehr zu setzen.
III.
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Die unbeschränkte Zulassung der Nebenklage durch die Kammer hat gemäß § 395 Abs. 5 S. 2 StPO zur Folge, dass die Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a StPO hinsichtlich der Beleidigungsdelikte entfällt (vgl. BGH 1 StR 190/01 vom 12.6.2001, zitiert nach juris; Weiner in BeckOK, Stand: 28.1.2013, § 395 Rn. 30; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 395 Rn. 13). Auch bei den durch die möglichen Äußerungen des Angeklagten tateinheitlich verwirklichten Beleidigungsdelikten handelt es sich grundsätzlich um gemäß § 395 Abs. 3 StPO nebenklagefähige Delikte. Die besondere Schutzbedürftigkeit der Anzeigeerstatterin ist auch insoweit aus den oben dargestellten Gründen gegeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
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Referenzen
- § 154a StGB 1x (nicht zugeordnet)
- 1 StR 190/01 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 407 Zulässigkeit 1x
- StPO § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung 1x
- 51 F 491/11 2x (nicht zugeordnet)
- StPO § 154a Beschränkung der Verfolgung 2x
- StGB § 164 Falsche Verdächtigung 2x
- StPO § 395 Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger 5x