Beschluss vom Landgericht Bad Kreuznach (1. Zivilkammer) - 1 T 185/16

Die Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 11.08.2016 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Durch Beschluss vom 23.11.2015 hat das Amtsgericht Bad Kreuznach die Berufsbetreuerin K. S. zur Betreuerin für den Betroffenen bestellt.

2

Der Betreute verfügt nicht über ausreichendes Vermögen im Sinne der §§ 1836 ff. BGB. Mit Schreiben vom 12.4.2016 hat die Betreuerin daher für ihre Tätigkeiten in dem Zeitraum vom 04.12.2015 bis zum 03.03.2016, die sich auf 21 Stunden beliefen (§ 5 VBVG), die Festsetzung einer Vergütung aus der Staatskasse in Höhe von insgesamt 924,00 EUR beantragt. Dabei hat die die Betreuerin einen erhöhten Stundensatz von 44,00 EUR je Stunde gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 VBVG geltend gemacht.

3

Durch Beschluss vom 06.07.2016 hat der zuständige Rechtspfleger des Amtsgerichts Bad Kreuznach die Vergütung der Betreuerin gemäß §§ 1836 ff. BGB, 4 Abs. 1 VBVG auf lediglich 567,00 EUR festgesetzt. Dabei ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Betreuerin für jede anzusetzende Stunde lediglich der Regelsatz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 VBVG in Höhe von 27,00 EUR zusteht und sie keinen Anspruch auf einen erhöhten Stundensatz gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VBVG hat.

4

Gegen diese Entscheidung hat sich die Betreuerin mit der Erinnerung gewandt. Sie hat ausgeführt, dass sie über besondere Kenntnisse, die für die Führung der Betreuung nutzbar seien, verfüge, die sie durch eine abgeschlossene Hochschulausbildung (Magister der Politikwissenschaft) erworben habe. Daher habe sie einen Anspruch auf einen erhöhten Stundensatz gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VBVG. Sie habe sich in ihrem Hauptfach mit dem Schwerpunktbereich „Politisches System der BRD“ sehr viel mit Verfassungsrecht und auch mit den Grundrechten auseinandergesetzt. Viele Regelungen der Sozialgesetzgebung ließen sich direkt hieraus ableiten, insbesondere, wenn Grundsicherungsleistungen betroffen seien. Es handele sich mithin um einen durchaus betreuungsrelevanten Bereich. Zudem habe sie in ihrem Nebenfach Zivilrecht weitere Kenntnisse erworben, die für die Führung der Betreuung noch nützlicher seien.

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In ihrer Stellungnahme vom 01.08.16 hat sich die Bezirksrevisorin gegen die Bewilligung des begehrten erhöhten Stundensatzes ausgesprochen. Ein erhöhter Stundensatz im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 3 VBVG sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Hochschulausbildung im Kernbereich auf die Vermittlung betreuungsrechtlich relevanter Erkenntnisse ausgerichtet sei. Nach Inhalt und Umfang der Ausbildung müsse sichergestellt sein, dass dieses Wissen über bloßes Grundwissen hinausgehe. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Aus dem von der Betreuerin vorgelegten Vorlesungsverzeichnis aus dem Jahr 1982 ergebe sich, dass die politikwissenschaftlichen Veranstaltungen keine Bezüge zum Betreuungsrecht aufwiesen. Aus der von der Betreuerin außerdem vorgelegten Prüfungsordnung folge zudem, dass das Zivilrecht lediglich einen Teilbereich des Nebenfachs ausmache. Dabei falle auf, dass das 4. Buch des BGB gar nicht behandelt werde. Die im Nebenfach vermittelten Kenntnisse bildeten außerdem nicht den Kernbereich der Ausbildung. Das Studienziel sei insgesamt nicht auf die Vermittlung betreuungsrechtlich relevanter Erkenntnisse ausgerichtet. Der Rechtspfleger habe daher den Stundensatz zutreffend auf den Regelsatz in Höhe von 27,00 EUR festgesetzt.

6

Das Amtsgericht hat der Erinnerung der Betreuerin nicht abgeholfen.

7

Durch Beschluss vom 11.08.16 hat der zuständige Richter des Amtsgerichts Bad Kreuznach auf die Erinnerung der Betreuerin hin die Entscheidung des Rechtspflegers abgeändert. Er hat aufgrund der Ausbildung der Betreuerin den erhöhten Stundensatz von 44,00 EUR für gerechtfertigt erachtet und demzufolge den Vergütungsanspruch der Betreuerin gegen die Staatskasse für ihre Tätigkeit in der Zeit vom 04.12.15 bis zum 03.03.16 auf die von der Betreuerin beantragten 924,00 EUR festgesetzt. Die besonderen Kenntnisse, die für die Führung der Betreuung nutzbar seien, ergäben sich dabei sowohl aus den „Teilgebieten des Rechts“ als Nebenfach als auch aus den im Hauptstudium erworbenen Kenntnissen im Verfassungsrecht. Das Bundesverfassungsgericht bewerte die Anordnung der Betreuung als schwerwiegenden Grundrechtseingriff. Auch befasse sich die Politikwissenschaft mit den individuellen Lebensbedingungen des Menschen im Gemeinwesen, die durch die politischen Institutionen gestaltet würden. Das Individuum und seine Interessen stünden damit im Mittelpunkt dieser Disziplin. Dadurch würden für die Betreuung besonders nutzbare Kenntnisse vermittelt.

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Das Amtsgericht hat gegen diesen Beschluss wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Beschwerde zugelassenen, § 61 Abs. 3 Nr. 1 FamFG.

9

Die Bezirksrevisorin hat gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 11.08.2016 für die Staatskasse Beschwerde eingelegt und beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 11.08.2016 die Erinnerung der Betreuerin gegen den Festsetzungsbeschluss vom 06.07.2016 als unbegründet zurückzuweisen. Zur Begründung ihres Rechtsmittels nimmt die Bezirksrevisorin auf die Ausführungen in ihrer Stellungnahme vom 01.08.2016 Bezug.

10

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

11

Die Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 11.08.2016 ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

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Der zuständige Richter des Amtsgerichts Bad Kreuznach hat für die Vergütung der Betreuerin zu Recht einen Stundensatz in Höhe von 44,00 EUR angenommen.

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Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VBVG sind erfüllt.

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Nach dieser Vorschrift erhöht sich die dem Betreuer zu bewilligende Vergütung für jede anzusetzende Stunde von 27,00 EUR auf 44,00 EUR, wenn der Betreuer durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule besondere Kenntnisse erworben hat, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind.

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Mit ihrem abgeschlossenen Studium der Politikwissenschaft, mit dem sie den Magistertitel erworben hat, verfügt die Betreuerin über ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Jedenfalls mit den von ihr in ihrem Nebenfach „Zivilrecht“ erworbenen Qualifikationen verfügt sie auch über besondere Kenntnisse, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind.

16

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

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„Nutzbarkeit“ bedeutet nicht, dass die Kenntnisse zur sachgerechten Führung der Betreuung erforderlich sind. Es genügt vielmehr, dass sie geeignet sind, die Geschäftsführung des Betreuers im konkreten Fall zu erleichtern. Aus der stärkeren Betonung der rechtlichen Betreuung durch das BtÄndG folgt, dass Rechtskenntnisse für eine Betreuung stets nutzbar sind. Rechtskenntnissen kommt angesichts des Wesens der Betreuung als rechtlicher Betreuung (§ 1901 Abs. 1 BGB) eine grundlegende Bedeutung zu; insbesondere Kenntnisse im Gesundheits-, Zivil-, Sozialleistungs-, und Versorgungs-, Verwaltungs- und Steuerrecht sind von Relevanz (vgl. Bienwald in Bienwald/Sonnenfeld/Harm, Betreuungsrecht, 6. Aufl. 2916, § 1836 BGB Rn. 106 m.w.N.).

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Die Festsetzung eines erhöhten Stundensatzes nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VBVG ist jedoch nicht schon dann gerechtfertigt, wenn die Ausbildung gleichsam am Rande auch die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse zum Inhalt hat. Erforderlich ist vielmehr, dass die Ausbildung in ihrem Kernbereich hierauf ausgerichtet ist (vgl. BGH FamRZ 2015, 1794 m.w.N.). Erforderlich ist daher die Feststellung, dass ein erheblicher Teil der Ausbildung auf die Vermittlung solchen Wissens gerichtet ist und dass das dadurch erworbene Wissen über ein Grundwissen deutlich hinausgeht. Bei der Entscheidung über eine erhöhte Vergütung ist eine konkrete Betrachtung des tatsächlichen Inhalts der Ausbildung vorzunehmen, insbesondere ist der Umfang der für die Betreuung nutzbaren Ausbildungsinhalte bzw. deren Anteil an der Gesamtausbildungszeit festzustellen. Weiter ist in die Würdigung einzubeziehen, inwieweit diese Kenntnisse selbstständiger und maßgeblicher Teil der Abschlussprüfung sind. Der Umfang der für die Betreuung nutzbaren Erkenntnisse muss dabei aber nicht so genau festgestellt werden, dass ein konkreter Prozentanteil angegeben werden kann. Es genügt, wenn aufgrund des erkennbaren zeitlichen Aufwands oder anderer Anhaltspunkte feststeht, dass ein erheblicher Teil der Ausbildungszeit auf die Vermittlung betreuungsrelevanten Wissens fällt (BGH a.a.O. m.w.N.).

19

Vor diesem Hintergrund hat die Kammer die Betreuerin im Beschwerdeverfahren gebeten, konkretere Angaben zu dem von ihr belegten Nebenfach „Zivilrecht“ zu machen.

20

Die Betreuerin hat daraufhin in einer schriftlichen Stellungnahme vom 30.11.2016 ausgeführt, dass zum Hauptstudium Politikwissenschaft im Magisterstudiengang zwei Nebenfächer gehörten. Sie habe Rechtswissenschaft (Zivilrecht) und Soziologie gewählt. Rechtswissenschaft sei wegen des bekannt hohen Anspruchs und des entsprechend großen Zeitaufwandes nur selten gewählt worden. Es habe keine gesonderten Vorlesungen und Seminare für Studierende im Nebenfach gegeben. Sie habe so die gleichen Veranstaltungen wie die Studierenden des Hauptfaches Rechtswissenschaft besucht. Für die Zulassung zur Prüfung seien neben zwei Prüfungsnachweisen im Grundstudium auch der Erwerb des sogenannten „kleinen“ und „großen“ BGB-Scheins erforderlich gewesen. Bei dem „großen“ BGB-Schein habe sie eine fünfstündige Klausur und eine umfangreiche Hausarbeit (ca. 30 Seiten) bestehen müssen. Auch hinsichtlich der Aufgabenstellung und der Bewertung habe es keinerlei Modifikationen oder Sonderkonditionen für die Studierenden im Nebenfach gegeben. Aus diesem Grund hätten auch die Studierenden im Nebenfach, ebenso wie die Mehrzahl der Studierenden im Hauptfach, bereits für den Erwerb des „großen“ BGB-Scheines Veranstaltungen eines Repetitoriums besucht. Jedenfalls während der letzten Semester seien vom zeitlichen Aufwand her 39 Semesterwochenstunden deutlich überschritten worden. im Vergleich zum Nebenfach Soziologie sei der Arbeitsaufwand mindestens doppelt so groß gewesen.

21

Auf weitere Nachfrage hat die Betreuerin mitgeteilt, dass es auch im Nebenfach „Zivilrecht“ noch eine Abschlussklausur gegeben habe.

22

Mit ihren Ausführungen, an denen zu zweifeln kein Anlass besteht, hat die Betreuerin zur Überzeugung der Kammer dargelegt, dass sie im „Nebenfach“ Zivilrecht umfangreiche Kenntnisse erworben hat, die über ein Grundwissen deutlich hinausgehen. Insbesondere der Erwerb des „kleinen“ und „großen“ BGB-Scheins war mit einem großen zeitlichen Aufwand und mit erheblichen Prüfungsanforderungen verbunden, die sich nicht von den Anforderungen unterscheiden, denen sich Studierende im Hauptfach Rechtswissenschaft stellen müssen. Die BGB-Scheine machen jedoch auch bereits bei Studierenden im Hauptfach einen Kernbereich der Hochschulausbildung aus. Sie gehören aufgrund des mit ihrem Erwerb verbundenen zeitlichen Aufwandes und den erheblichen Prüfungsanforderungen jedenfalls auch dann zum Kernbereich der Ausbildung, wenn sie bei einem Magisterstudiengang im Nebenfach erworben werden. Bereits der Erwerb des „großen“ BGB-Scheines stellt eine beachtliche Prüfungsleistung dar und belegt Kenntnisse im Zivilrecht, die über Grundkenntnisse deutlich hinausgehen. Darüber hinaus wurde auch im Rahmen der Abschlussprüfungen noch eine Klausur im Zivilrecht geschrieben. Nach einer Gesamtwürdigung der hier von der Betreuerin im Nebenfach Zivilrecht erbrachten Leistungen hat sie eine Hochschulausbildung abgeschlossen, die in ihrem Kernbereich auch auf die Vermittlung von Rechtskenntnissen ausgerichtet war und dadurch in diesem Bereich besondere Kenntnisse erworben, die über Grundkenntnisse weit hinausgehen. Dies die Zuerkennung des erhöhten Stundensatz im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VBVG.

23

Da bereits die von der Betreuerin im Nebenfach „Zivilrecht“ nachgewiesenen Kenntnisse besondere Kenntnisse sind, die für die Führung der Betreuung im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VBVG nutzbar sind, kommt es auf die Frage, ob die Betreuerin solche besonderen Kenntnisse auch durch das von ihr belegte Hauptfach „Politikwissenschaft“ im Rahmen ihres Magisterstudiengangs erworben hat, nicht mehr an.

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