Beschluss vom Landgericht Dessau-Roßlau (1. Zivilkammer) - 1 T 97/13

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 19.04.2012 wird der Beschluss des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 27.03.2012 – 3 II 42/12- abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Auf die Erinnerung vom 15.02.2012 wird zu Gunsten des Antragstellers für das Beratungshilfeverfahren 3 II 42/12, Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen, eine aus der Landeskasse zu zahlende weitere Vergütung in Höhe von 2 x 99,96 € (für die ehemals selbständigen Beratungshilfeverfahren 3 II 40/12 – Auseinandersetzung der Ehewohnung – und 3 II 41/12 – Kindesunterhalt – ) festgesetzt.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

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Die zulässige Beschwerde des Antragstellers vom 19.04.2012 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 27.03.2012 hat Erfolg. Sie führt dazu, dass die für die – ehemals selbständigen, von der Rechtspflegerin dem vorliegenden Beratungshilfeverfahren 3 II 42/12 hinzuverbundenen – Beratungshilfeangelegenheiten „Auseinandersetzung der Ehewohnung“ und „Kindesunterhalt“ zu Gunsten des Antragstellers eine weitere Vergütung in Höhe von jeweils 99,96 € festzusetzen war.

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Die Beschwerde ist zulässig. Das Amtsgericht hat sie nach §§ 55 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 2 RVG in der für das Beschwerdegericht bindenden Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen, so dass das Rechtsmittel trotz Unterschreitung der Wertgrenze aus § 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft ist. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere i. S. v. §§ 55 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG fristgemäß eingelegt worden. Dass das erkennende Landgericht als Beschwerdegericht sachlich zuständig ist, hat das OLG Naumburg – in Abkehr von einer früher vertretenen anderslautenden Rechtsauffassung – mit Beschluss vom 11.03.2013 – 2 Wx 51/12 – entschieden.

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Die Beschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht folgt – insoweit in Abkehr von einer in der Vergangenheit vereinzelt vertretenen abweichenden Rechtsansicht (vgl. Beschluss vom 18.04.2006 – 7 T 146/06) – der zwischenzeitlich weit überwiegenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach im Verhältnis zu einer Scheidungssache die Beratung in Fragen der Auseinandersetzung der Ehewohnung und in Kindesunterhaltssachen jeweils eine gesonderte beratungshilferechtliche Angelegenheit i. S. v. § 2 Abs. 2 BerHG ist.

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Allerdings ist dem angefochtenen Beschluss darin beizutreten, dass für die gebührenrechtliche Einordnung als eine oder als mehrere Angelegenheit(en) der Umstand, ob ein oder mehrere Berechtigungsscheine ausgegeben wurden, unerheblich ist (OLG Köln, RPfleger 2010, 522; Schoreit/Groß, 11. Aufl., § 44 RVG, Rdn. 69). Richtig ist auch, dass der Umstand der Erteilung mehrerer Aufträge an den Rechtsanwalt für sich genommen keinen belastbaren Anhalt für das Vorliegen mehrerer gebührenrechtlicher Angelegenheiten bietet. Ebenso zutreffend ist – isoliert betrachtet – der Verweis des Amtsgerichts darauf, dass nach der Rechtsprechung des BGH die Notwendigkeit der Prüfung unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen mit verschiedenen Prüfungsaufgaben für den Rechtsanwalt kein tragfähiger Hinweis auf unterschiedliche gebührenrechtliche Angelegenheiten ist. Prinzipiell richtig ist ferner, dass der für die Annahme einer Angelegenheit erforderliche innere Zusammenhang regelmäßig zu bejahen ist, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolges zusammengehören. Indes versteht das Amtsgericht den Begriff des „Erfolges“ deutlich zu weit, wenn es meint, „letztlich“ sei in der Scheidungssache, in der Auseinandersetzung um die Ehewohnung und in der Kindesunterhaltssache der „Erfolg“ „einheitlich“, weil es jeweils um die Klärung von sich aus der Ehescheidung ergebenden rechtlichen Problemen gehe. Diese, auch in vereinzelten älteren obergerichtlichen Rechtsentscheiden vertretene Auffassung (vgl. OLG München, MDR 1988, 330; OLG Nürnberg, FamRZ 2005, 740 ff.), nach welcher sämtliche Probleme, die im Zusammenhang mit der Trennung und der Scheidung von Ehegatten auftauchen, im Falle der Bewilligung von Beratungshilfe als eine einzige Angelegenheit zu betrachten sein sollen, steht in Widerspruch zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31.10.2001 (Nichtannahmebeschl. – 1 BvR 1720/01 – , NJW 2002, 429), wonach …

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„ … aus verfassungsrechtlicher Sicht viel dafür [spricht], die Beratung über den Unterhalt des Kindes und das Umgangsrecht des Kindes nicht als dieselbe Angelegenheit gemäß § 13 Abs. 2 S. 1 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) anzusehen, um den Rechtsanwalt, der in der Beratungshilfe ohnehin zu niedrigen Gebühren tätig wird, nicht unnötig zu belasten“.

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Auch lässt diese Auffassung außen vor, dass im Rahmen der Auslegung des beratungshilferechtlichen Begriffs der Angelegenheit zu berücksichtigen ist, ob durch die jeweilige Auslegung eine derartige Vergütungsbegrenzung bewirkt wird, dass sie dem Rechtsanwalt aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerfG, a. a. O.). Der Rechtsanwalt wird für die Beratungshilfe von Gesetzes wegen in die Pflicht genommen und kann sich dem Auftrag grundsätzlich nicht entziehen. Der gegen die Staatskasse gerichtete Gebührenanspruch für eine Angelegenheit ist niedrig und pauschal, das heißt unabhängig vom Wert der Gegenstände der Beratung bemessen, was unter Umständen, je nach Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, nach der Bedeutung der Angelegenheit bzw. nach dem mit der Beratung verbundenen, evtl. auch erheblichen Haftungsrisiko, zu unzumutbaren Belastungen des die Beratungshilfe gewährenden Rechtsanwaltes führen kann. Ist danach eine starre, allein den Anlass (Trennung / Scheidung) in den Fokus rückende Betrachtung als eine einzige Angelegenheit – mit der zwischenzeitlich herrschenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. nur: OLG Düsseldorf, FamRZ 2009, 1244; OLG Frankfurt a. M., FamRZ 2010, 230; OLG Nürnberg, Beschl. v. 29.03.2011 – 11 Ws 1590/10 – ; OLG Celle, Beschl. v. 14.07.2011 – 2 W 141/11 – ; OLG Naumburg, Beschl. v. 28.03.2013 – 2 W 25/13 – ; zitiert nach juris) abzulehnen, so ist hier bezüglich der Beratungshilfegegenstände „Ehescheidung“, „Auseinandersetzung an der Ehewohnung“ und „Kindesunterhalt“ von drei gesonderten Beratungshilfeangelegenheiten und jeweils eigenständigen gebührenrechtlichen Angelegenheiten auszugehen. Nach inzwischen herrschender Meinung (vgl. nur: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.10.2012 – I 3 Wx 189/12, MDR 2012, 1499, vgl. auch die dortigen w. N. unter juris-Rdn. 11) scheidet ein Rückgriff auf § 16 Nr. 4 RVG aus, wonach „eine Scheidungssache … und die Folgesachen“ dieselbe Angelegenheit sind. Die Vorschrift betrifft ausschließlich das gerichtliche Verbundverfahren und nicht die einem gerichtlichen Verfahren regelmäßig zeitlich und sachlich vorgelagerte, jedenfalls kraft gesetzlicher Definition außergerichtliche Beratungshilfe. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf Beratungshilfesachen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt; die Regelungslücke ist vielmehr bewusst belassen worden. Nach ihrem Charakter soll die Norm des § 16 RVG nur eine beispielhafte Aufzählung zur Erleichterung der Orientierung enthalten; sie ist nicht auf Vollständigkeit angelegt. Für die Regelung des § 16 Nr. 4 RVG wird teilweise die Auffassung vertreten, dass sie nicht deklaratorischer Natur ist, sondern eine Zusammenfassung von ansonsten unterschiedlichen Angelegenheiten konstituiert. Unabhängig davon steht einer entsprechenden Anwendung die fehlende Vergleichbarkeit der typischen Fallgestaltungen entgegen, weil im Bereich der Beratungshilfe wegen der Regelung einer Pauschalgebühr – anders als im gerichtlichen Verbundverfahren – eine Möglichkeit zum Ausgleich der nachteiligen Folgen für die Vergütung des Rechtsanwalts durch angemessene Erhöhung des Gegenstandswerts des Verbundverfahrens gegenüber dem Gegenstandswert der isolierten Ehescheidungssache nicht eröffnet ist und eine kompensationslose entsprechende Anwendung zu unzumutbaren Belastungen für den die Beratungshilfe gewährenden Rechtsanwalt führen kann (so u. a. auch: OLG Naumburg, Beschl. v. 28.03.2013 – 2 W 25/13 – , zitiert nach juris).

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Ausgehend von den im Rahmen der Gewährung der Beratungshilfe zu berücksichtigenden jeweiligen Lebenssachverhalten und deren Abgrenzbarkeit untereinander ist es – der obergerichtlichen Rechtsprechung folgend (vgl. u. a.: OLG Köln, Beschl. v. 09.02.2009 – 16 Wx 252/08 – , FamRZ 2009, 1345; OLG Rostock, Beschl. v. 25.11.2010 – 10 WF 124/10 – ; OLG Nürnberg, Beschl. v. 29.03.2011 – 11 WF 1590/10 – , MDR 2011, 759; OLG Celle, Beschl. v. 14.07.2011 – 2 W 141/11 – , NJW 2011, 3109; OLG Düsseldorf, a. a. O.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 17.10. 2012 – 8 W 379/11 – , RPfleger 2013, 101; OLG Naumburg, a. a. O.) – angemessen, zwischen folgenden beratungshilferechtlichen Angelegenheiten im Zusammenhang mit Trennung und Scheidung zu unterscheiden und zwischen folgenden vier Komplexen zu differenzieren:

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- der Scheidung als solcher,
- den Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem persönlichen Verhältnis zu den Kindern (Personensorge, Umgangsrecht),
- den Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Ehewohnung und dem Hausrat und
- den finanziellen Auswirkungen von Trennung und Scheidung (Unterhaltsansprüche, Güterrecht und Vermögensauseinandersetzung).

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Diese Differenzierung mag nicht dahingehend missverstanden werden, dass innerhalb dieser Komplexe jeder einzelne Beratungsgegenstand, etwa geltend gemachter Kindesunterhalt für mehrere Kinder, jeweils einzeln betrachtet eine eigenständige gebührenrechtliche Angelegenheit mit der Folge darstellt, dass auch gesondert Gebühren in Ansatz gebracht werden können (so aber wohl: OLG Düsseldorf, FamRZ 2009, 1244; OLG Frankfurt, FamRZ 2010, 230). Hier führt diese Unterscheidung aber dazu, dass von insgesamt drei gebührenrechtlichen Angelegenheiten i. S. v. § 15 RVG auszugehen ist, weil die Beratungshilfe die Scheidung, die Auseinandersetzung an der Ehewohnung und den Kindesunterhalt betraf. Jeweils macht der Antragsteller, dessen Bevollmächtigter in allen drei Angelegenheiten außenwirksam tätig geworden ist, berechtigterweise eine Geschäftsgebühr (Nr. 2503 VV RVG) zuzüglich der Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG zuzüglich Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) geltend.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 S. 2 u. 3 RVG.


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