Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 8 W 379/11

Tenor

1. Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten Nr. 2 wird unter Abänderung der Beschlüsse der 19. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 29.11.2011 (19 T 245/11) und des Amtsgerichts Kirchheim/Teck vom 18.07.2011 (4 AR 123/11) die Vergütungsfestsetzung der Urkundsbeamtin des Amtsgerichts Kirchheim/Teck - Beratungshilfe - vom 07.06.2011 (BHG 76/11) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17.08.2011 dahingehend abgeändert, dass

die dem Beteiligten Nr. 2 aus der Landeskasse zu zahlende Beratungshilfevergütung auf insgesamt 142,80 EUR festgesetzt wird.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

 
I.
Die Beteiligte Nr. 1 erhielt am 17.03.2011 vom Amtsgericht Kirchheim Teck einen Beratungsschein für rechtliche Beratung in den Angelegenheiten „Trennung, Scheidung und Folgesachen“. Nach anwaltlicher Beratung durch den Beteiligten Nr. 2 beantragte dieser beim Amtsgericht die Festsetzung von Beratungshilfegebühren in Höhe von insgesamt 142,80 EUR und zwar jeweils in Höhe von 30,00 EUR zzgl. 5,70 EUR MWSt für die Beratung über Trennung, Trennungsfolgen, Scheidung, Scheidungsfolgen.
Die Urkundsbeamtin setzte mit Beschluss vom 07.06.2011 die Vergütung auf insgesamt 71,40 EUR fest und begründete dies damit, dass der Beteiligte Nr. 2 lediglich in zwei verschiedenen Angelegenheiten - Trennung und Trennungsfolgen sowie Scheidung und Scheidungsfolgen - beratend tätig gewesen sei.
Dagegen wandte sich der Beteiligte Nr. 2 mit der Erinnerung, die der zuständige Richter des Amtsgerichts unter Zulassung der Beschwerde zurückgewiesen hat.
In seiner dagegen eingelegten Beschwerde wies der Beteiligte Nr. 2 darauf hin, dass sich seine Erstberatung umfassend auch auf die Komplexe Scheidung, elterliche Sorge/Umgang mit den Kindern, Ehewohnung und Hausrat sowie finanzielle Auswirkung vom Trennung und Scheidung erstreckt habe. Die Bezirksrevisorin ist der Beschwerde entgegen getreten.
Die Beschwerdekammer hat die Beschwerde unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 04.10.2006 - 8 W 360/06, FamRZ 2007, 574; Die Justiz 2007, 187) zurückgewiesen, wonach für die Beratungshilfe in einer Familiensache Regelungen für die Zeit der Trennung einerseits und die Scheidung mit den Folgesachen im Sinne des § 16 Nr. 4 RVG andererseits jeweils eine Angelegenheit darstellten, und wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage die weitere Beschwerde zugelassen.
Der weiteren Beschwerde des Beteiligten Nr. 2 hat das Beschwerdegericht nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1.
Die weitere Beschwerde ist statthaft, frist- und formgerecht eingelegt und damit zulässig (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 6, Abs. 3 S. 2 und 3 RVG). Aufgrund der Zulassung der weiteren Beschwerde durch das Beschwerdegericht kommt es auf einen bestimmten Wert des Beschwerdegegenstandes nicht an. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 33 Abs. 6 S. 2 in Verbindung mit §§ 546, 547 ZPO).
2.
In der Sache ist die Beschwerde begründet. Dem Beteiligten Nr. 2 steht eine Vergütung in Höhe von insgesamt 142,80 EUR zu, weil er in insgesamt vier Angelegenheiten tätig geworden ist.
Das Beratungshilfegesetz sieht Beratung in „Angelegenheiten“ vor (§§ 2 Abs. 2, 6 BerHG). Gemäß § 44 RVG erhält der Rechtsanwalt für die Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens eine Vergütung nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nrn 2500 bis 2508 VV RVG. Da es sich bei der Beratungshilfe-Vergütung um Festgebühren handelt und das Korrektiv des Gegenstandswerts fehlt, kommt dem Begriff der „Angelegenheit“ besondere Bedeutung zu. Eine nähere Bestimmung dieses Begriffs findet sich im Beratungshilfegesetz nicht, wohl aber in den §§ 15 ff. RVG (vgl. dazu Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 6. Aufl., Rn. 1012). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 31.10 2001 (AGS 2002, 273) ausgeführt, dass der Begriff der Angelegenheit wegen der ohnehin niedrigen Gebühren des Rechtsanwalts nicht zu weit gefasst werden dürfe, es komme aber auf den konkreten Einzelfall an. Um eine Angelegenheit bejahen zu können, müssen als Kriterien vorliegen: gleichzeitiger Auftrag, gleichartiges Verfahren, innerer Zusammenhang der Beratungsgegenstände bei zeitlichem und sachlichem Zusammenhang der Bearbeitung (Büttner u.a., a.a.O).
10 
Wurde - wie auch vorliegend - Beratungshilfe für die Angelegenheiten „Trennung, Scheidung und Folgesachen“ gewährt, ist der Senat (a.a.O.) vom Vorliegen von zwei Angelegenheiten ausgegangen, weil der Rechtsgedanke des § 16 Nr. 4 RVG - Scheidung und Folgesachen als dieselbe Angelegenheit im Verbundverfahren - auf die Beratungshilfe-Vergütung übertragbar sei und Rechtskraft der Scheidung eine Zäsur zu Regelungen für die Zeit der Trennung bilde (so auch OLG München AGS 2012, 25).
11 
Dem sind die Mehrzahl der Oberlandesgerichte (ablehnend u.a.: OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 1244; OLG Köln FamRZ 2009, 1345; OLG Hamm FamRZ 2011, 377; OLG Dresden FamRZ 2011, 1684; OLG Nürnberg NJW 2011, 3108; OLG Celle NJW 2011, 3109; zustimmend lediglich OLG Brandenburg FamRZ 2010, 833; OLG München AGS 2012, 25) und namhafte Stimmen in der Literatur (Büttner u.a. a.a.O. Rn. 1022; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 20. Aufl., § 16 Rn. 28; AnwK-RVG/N.Schneider, 5. Aufl., vor VV 2501 ff. Rn. 31) nicht gefolgt. Eingewandt wird insbesondere, § 16 Nr. 4 RVG könne weder direkt noch analog angewandt werden. Die Vorschrift betreffe nur das gerichtliche Verfahren und setze die Anhängigkeit einer Ehesache voraus, nicht jedoch die vorgelagerte außergerichtliche Beratung, bei welcher bereits begrifflich eine Verbundsache nicht vorliegen könne. Auch eine entsprechende Anwendung komme wegen der unterschiedlichen Sachlage nicht in Betracht. Als Ausgleich für die Zusammenfassung von Ehesache und Folgesachen zu einer Angelegenheit folge aus §§ 22 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 3 RVG, dass die Werte der verschiedenen Gegenstände zu addieren seien. Eine vergleichbares Korrektiv gebe es für den Bereich der Beratungshilfe nicht.
12 
Der Senat vermag sich diesen Einwänden nicht zu verschließen und hält an seiner bisher geäußerten Rechtsauffassung (a.a.O.) nicht fest.
13 
Zu weit geht aus Sicht des Senat jedoch die Auffassung, wonach die Beratung zu jedem Gegenstand, zu dem Beratungsbedarf im Zusammenhang mit einer Trennung oder Scheidung anfällt, eine gesonderte Gebühr auslöst (so OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 1244). Dadurch findet der zeitliche und sachliche Zusammenhang, der regelmäßig zwischen einzelnen Beratungsgegenständen bei Trennung und Scheidung besteht, nicht ausreichend Berücksichtigung (Büttner u.a., a.a.O. Rn. 1022; OLG Nürnberg NJW 2011, 3108).
14 
Mit dem OLG Nürnberg (a.a.O) und dem OLG Celle (NJW 2011, 3109) ist auch aus Sicht des Senats sachgerecht, unter Berücksichtigung des inneren Zusammenhangs der unterschiedlichen Lebenssachverhalte insgesamt von bis zu vier Komplexen (Angelegenheiten) auszugehen, (so auch Gerold/Schmidt/Müller-Rabe a.a.O. § 16 Rn. 28; AG Pforzheim FamRZ 2012, 1415):
15 
- die Scheidung als solche,
- das persönliche Verhältnis zu den Kindern (Personensorge, Umgangsrecht),
- Fragen im Zusammenhang mit Ehewohnung und Hausrat,
- finanzielle Auswirkungen von Trennung und Scheidung (Unterhaltsansprüche, Güterrecht, Vermögensauseinandersetzung).
16 
Wenn es gleichzeitig um Fragen der Trennung und Scheidung geht, verdoppeln sich die Angelegenheiten dadurch nicht.
17 
Diese Handhabung berücksichtigt in generalisierender Weise die vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) aufgestellten Grundsätze und bleibt dennoch für die amtsgerichtliche Praxis noch einfach anzuwenden (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe a.a.O).
18 
Dies zugrundegelegt hat sich die Beratung des Beteiligten Nr. 2 ausweislich der Angaben im Beratungshilfeschein und seines erläuternden Vorbringens auf die vier genannten Angelegenheiten erstreckt.
19 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG

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