Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 129/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von
20.036,52 € die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am 19.08.2011 den Abschluss einer Krankheitskostenvollversicherung nach den Tarifen SG II 2/100 Comfort und AV-P1. Die Gesundheitsfragen wurden bis auf die Angabe von Vorsorgeuntersuchungen und das Ziehen von zwei Weisheitszähnen verneint. Die Beklagte nahm daher durch Übersendung des Versicherungsscheins vom 03.11.2011 den Antrag einschränkungslos an.
3Im Rahmen der Überprüfung eines Versicherungsfalls erhielt die Beklagte die ärztliche Auskunft, dass die Klägerin entgegen ihren Angaben im Versicherungsantrag im Jahre 2011 vor Antragstellung wiederholt wegen Knorpelschaden des rechten und des linken Knies, IM-Degeneration rechts und Chondromalazie patellae rechts ambulant behandelt worden war. Da die Beklagte den Antrag bei Kenntnis dieser Vorerkrankungen und ärztlichen Behandlungen nur mit einem Risikozuschlag angenommen hätte, erklärte sie mit Schreiben vom 11.04.2012 die rückwirkende Vertragsanpassung nach § 19 Abs. 4 VVG. Da sie auch nach Remonstration der Klägerin mit Schreiben vom 20.04.2012 ihre Entscheidung aufrecht erhielt, kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 23.04.2012 das Versicherungsverhältnis fristlos. Die Beklagte bestätigte die fristlose Kündigung mit Schreiben vom 23.04.2012.
4Die Klägerin versuchte daraufhin, eine neue Krankheitskostenversicherung bei der B Krankenversicherung AG abzuschließen. Die Annahme eines entsprechenden Antrags der Klägerin wurde jedoch von der B Krankenversicherung abgelehnt, da diese den Standpunkt vertrat, dass die Kündigung der Vorversicherung durch die Klägerin wegen des fehlenden Nachweises einer Anschlussversicherung nicht wirksam war.
5Die Klägerin hat diese Rechtsauffassung der B Krankenversicherung aufgegriffen und hält nunmehr ihre eigene Kündigung ebenfalls für unwirksam wegen fehlenden Nachweises einer Anschlussversicherung. Sie verweist dazu auf die Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG und die Regelung in § 205 Abs. 6 S. 2 VVG.
6Die Klägerin beantragt,
7es wird festgestellt, dass der mit der Beklagten abgeschlossene Krankenversicherungsvertrag Nr. 000.000000000 (Versicherungsbeginn 01.09.2011) zu den Bedingungen im Schreiben der Beklagten vom 11.04.2012 durch die Kündigung der Klägerin vom 23.04.2012 nicht beendet worden ist und daher fortbesteht.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie hält § 205 Abs. 6 S. 2 VVG für nicht anwendbar und verweist auch auf § 194 Abs. 1 S. 3 VVG, der keine Einschränkung von § 19 Abs. 6 VVG für den Bereich der Krankenversicherung vorsehe.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
12Entscheidungsgründe:
13Die Klage ist unbegründet.
14Der Feststellungsantrag der Klägerin auf Fortbestand des zwischen den Parteien ehemals abgeschlossenen Krankheitskostenversicherungsvertrags ist unbegründet, weil die Krankenversicherung nicht fortbesteht, sondern durch die auf § 19 Abs. 6 VVG gestützte Kündigung der Klägerin beendet worden ist.
151.
16§ 205 Abs. 6 S. 1 VVG steht der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung der Klägerin nicht entgegen. Denn diese Vorschrift schränkt ihrem Wortlaut nach lediglich das Recht des Versicherungsnehmers nach § 206 Abs. 1 bis 5 ein, eine Krankheitskostenversicherung zu kündigen, die die Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllt. Dieser eindeutige Wortlaut des Gesetztes lässt dessen direkte Anwendung auf andere Kündigungstatbestände nicht zu. Denn Ausgangspunkt für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt (BGH VersR 2012, 219).
172.
18Der Auffassungen der Klägerin, dass § 205 Abs. 6 S. 2 analog auf die fristlose Kündigung des Versicherungsnehmers nach § 19 Abs. 6 S. 1 VVG anzuwenden sei, so dass die nach letzterer Vorschrift erfolgte fristlose Kündigung des Versicherungsnehmers erst wirksam wird, wenn dieser den Nachweis einer Folgeversicherung erbracht hat, die den Voraussetzungen einer die Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllenden Krankheitskostenversicherung entspricht, folgt das Gericht nicht.
19a)
20Zuzugeben ist der Klägerin allerdings, dass die vom Gesetzgeber in § 193 Abs. 3 VVG verankerte Versicherungspflicht das Ziel verfolgt, jeder Person mit Wohnsitz im Inland eine grundlegende Krankheitskostenversicherung zu verschaffen. Dementsprechend soll § 205 Abs. 6 S. 1 VVG sicherstellen, dass jeder Versicherte über nahtlos angrenzenden Versicherungsschutz verfügt, wenn er seinen Vertrag kündigt (Begründung des Gesundheitsausschusses, Bundestagsdrucksache 16/4247 Seite 68). Vor diesem Hintergrund der gesetzgeberischen Intention wird von einem Großteil der versicherungsrechtlichen Literatur eine analoge Anwendung des § 205 Abs. 6 VVG auf andere als die in § 205 Abs. 1 bis 5 erwähnten Kündigungsgründe befürwortet, wie z. B. auf die fristlose Kündigung des Versicherungsnehmers nach § 314 BGB und/oder den Widerruf der Vertragserklärung zum Abschluss einer Krankheitskostenversicherung nach § 8 VVG (Hütt in Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG, § 205 Rdn. 62; Rogler in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG, 2. Auflage, § 205 Rdn. 32; Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Aufl., § 205 Rdn. 22; Marko, Private Krankenversicherung, 2. Aufl., Teil B Rdn. 120 f.; Marlow/Spuhl, VersR 2009, 593, 598; vergl. auch Voit in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 205 Rdn. 42).
21b)
22Es kann offen bleiben, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Jedenfalls sprechen gewichtige Gründe gegen eine analoge Anwendung von § 205 Abs. 6 VVG auf die fristlose Kündigung nach § 19 Abs. 6 S. 1 VVG. Denn der Gesetzgeber hat in § 194 Abs. 1 S. 3 VVG für den Bereich der Krankenversicherung eine aber auch eben nur eine Änderung von § 19 VVG geregelt. Danach bleibt die schuldlose Anzeigepflichtverletzung in der Krankenversicherung sanktionslos. Wenn der Gesetzgeber gewollt hätte, dass das Recht auf fristlose Kündigung einer Krankheitskostenversicherung den Einschränkungen des § 205 Abs. 6 VVG unterliegen sollte, hätte es nahe gelegen, diesen Willen in § 194 Abs. 1 VVG zum Ausdruck zu bringen. Darin, dass dies nicht geschehen ist, sieht das Gericht einen gewichtigen Grund für die Ablehnung einer Analogie von § 205 Abs. 6 VVG auf die fristlose Kündigung nach § 19 Abs. 6 S. 2 VVG.
23Darüber hinaus verfolgt die Regelung in § 19 VVG das Ziel, bei unterbliebener Offenlegung von Gefahrumständen die Vertragsparteien in den Zustand zu versetzen, der bestanden hätte, wenn die Gefahrumstände bei Vertragsabschluss offenbart worden und dem Versicherer bekannt gewesen wären. Deshalb sollte dem Versicherer beim Verschweigen vertragshindernder Gefahrumstände das Recht zustehen, sich je nach der Schwere des Verschuldens des Antragstellers durch Rücktritt oder Kündigung vom Vertrag zu lösen. Bei Verschweigen vertragsändernder Gefahrumstände soll dem Versicherer das Recht eingeräumt werden, den Vertrag nachträglich so anzupassen, als wenn er von Anfang an von den verschwiegenen Gefahrumständen gewusst hätte. Hätte demnach die Beklagte die von der Klägerin verschwiegenen Erkrankungen und ärztlichen Behandlungen bereits vor Annahme des Vertrages gekannt, hätte sie der Klägerin bereits vor oder mit der Vertragsannahme entsprechend ihren unstreitigen Risikogrundsätzen diejenige Prämienerhöhung angeboten, die sie jetzt nachträglich vorgenommen hat, nachdem sie von den verschwiegenen Gefahrumständen Kenntnis erlangt hat. Die Klägerin hätte dann dieses Angebot der Beklagten auf Annahme eines vom Antrag abweichenden Krankheitskostenversicherungsvertrages abgelehnt, ebenso wie sie auf die nachträgliche Prämienerhöhung mit der fristlosen Kündigung reagiert hat. Sie wäre nicht verpflichtet gewesen, für die Wirksamkeit dieser Ablehnung eines Vertragsangebotes den Nachweis einer Nachversicherung zu führen, die der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG entspricht. Dementsprechend besteht auch kein Grund, ein solches Wirksamkeitserfordernis in Analogie zu § 205 Abs. 6 VVG einzuführen, wenn der Versicherer nachträglich eine Prämienerhöhung vorzunehmen berechtigt ist und der Versicherungsnehmer darauf mit der fristlosen Kündigung des Krankheitskostenversicherungsvertrages nach § 19 Abs. 6 S. 2 VVG reagieren kann.
24Schließlich würde eine analoge Anwendung von § 205 VI VVG das Recht des VN zur fristlosen Kündigung nach § 19 VI 1 VVG unvertretbar einschränken. Da die fristlose Kündigung –bei zutreffender Belehrung durch den VR- nur innerhalb eines Monats nach Zugang der Änderungsmitteilung des VR erfolgen kann, müsste der VN innerhalb dieser als Überlegungsfrist gedachten Frist nicht nur sich zu einer Kündigung und zum Neuabschluss einer Krankheitskostenvollversicherung entschließen, sondern die Anschlussversicherung auch innerhalb der Frist policieren lassen und dem Vorversicherer den Nachweis darüber erbringen. Dies dürfte innerhalb der Monatsfrist nur schwer zu bewältigen sein. Bis zum Nachweis der Folgeversicherung bliebe der VN dem Vorversicherer prämienpflichtig, da die Kündigung erst zu dem Zeitpunkt wirksam wird, zu dem der VN den Nachweis der Anschlussversicherung erbringt. Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Kündigung findet nicht statt (BGH VersR 2012, 1375).
253.
26Da somit die fristlose Kündigung der Klägerin wirksam geworden ist, musste die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abgewiesen worden.
27Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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Referenzen
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