Beschluss vom Landgericht Hamburg (28. Große Strafkammer) - 628 Qs 4/20

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten I. wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 07.02.2020 aufgehoben. Die Bestellung von Rechtsanwalt O. M. als Verteidiger wird aufgehoben und Rechtsanwalt Dr. B. T. als Verteidiger bestellt.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die durch das Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

1

Gegen den Angeklagten I., den Beschwerdeführer, und den Angeklagten B. hat die Staatsanwaltschaft Hamburg Anklage erhoben u. a. wegen Erpressung. Sie sollen u. a. am 10.01.2018 von der Nebenklägerin Geld für Renovierungsarbeiten in deren Arztpraxis gefordert haben, u. a. unter Hinweis darauf, dass sie bei Nichtzahlung als von der albanischen Mafia kommend wüssten, wie sie an ihr Geld kämen.

2

Tatsächlich hatte der Beschwerdeführer am Ende des Jahres 2017 in der Arztpraxis der Nebenklägerin Renovierungsarbeiten ausgeführt. Vertragspartnerin der Nebenklägerin war die Ehefrau des Beschwerdeführers gewesen, bei deren Firma der Beschwerdeführer beschäftigt ist. Im Januar 2018 soll es dann zu den anklagegegenständlichen Geschehen gekommen sein.

3

Im Juni 2018 erhob die Ehefrau des Beschwerdeführers Zahlungsklage gegen die Nebenklägerin vor dem Landgericht K.. Prozessbevollmächtigter war Rechtsanwalt M..

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Am 21.08.2018 zeigte Rechtsanwalt M. an, den Beschwerdeführer im hiesigen Strafverfahren zu vertreten.

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Unter dem 08.03.2019 erhob die Staatsanwaltschaft Hamburg Anklage.

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Im ersten Hauptverhandlungstermin am 20.08.2019 wurde Rechtsanwalt M. dem Beschwerdeführer als Verteidiger bestellt.

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Mit Urteil vom 04.10.2019 wies das Landgericht K. die vorbezeichnete Zivilklage ab. Rechtsanwalt M. legte namens der Ehefrau des Beschwerdeführers Berufung gegen das Urteil ein. Noch vor Eingang der Berufungsbegründung legte er das Mandat nieder.

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Im hiesigen Strafverfahren beantragte die Staatsanwaltschaft Hamburg im zwölften Hauptverhandlungstermin vom 19.12.2019 die Rücknahme der Bestellung von Rechtsanwalt M. und die Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers. Sie begründete dies im Wesentlichen wie folgt:

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„Die [Ehefrau des Beschwerdeführers] ist von Rechtsanwalt M. im Wege der Beweisanregung als Alibizeugin für das Tatgeschehen vom 10.01.2018 benannt worden. … Die Interessen [des Beschwerdeführers] bestehen in der Abwehr der Vorwürfe, die durch die Staatsanwaltschaft gegen ihn erhoben wurden. Insoweit entstand ein Konflikt zu den Interessen der [Ehefrau des Beschwerdeführers]. Sollte die Zeugin in ihrer heutigen Vernehmung wahrheitsgemäß aussagen, würde sie den [Beschwerdeführer] belasten. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit Rechtsanwalt M. in dieser Konstellation seiner Mandantin unbefangen zur Aussage raten kann, ohne dem Angeklagten zu schaden. Gleiches gilt umgekehrt soweit die Zeugin tatsächlich als Alibizeugin aussagen sollte und sich damit selbst der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen würde.“

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Die Staatsanwaltschaft Hamburg leitete ein Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwalt M. wegen des Verdachts des Parteiverrats ein.

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Im Hauptverhandlungstermin vom 24.01.2020 teilte das Amtsgericht Hamburg mit, zu erwägen, Rechtsanwalt M. aufgrund Interessenkollision zu entbinden. Ferner wies es den Beschwerdeführer darauf hin, zu beabsichtigen einen zweiten Verteidiger beizuordnen, und forderte den Beschwerdeführer auf, binnen einer Woche einen solchen zu benennen. Noch am selben Tag zeigte Rechtsanwalt Dr. T. die Verteidigung des Beschwerdeführers an und beantragte seine Beiordnung.

12

Die am 29.01.2020 unter Hinweis auf § 52 sowie § 55 StPO als Zeugin geladene Ehefrau des Beschwerdeführers berief sich mit Schreiben vom 03.02.2020 auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht.

13

Im Hauptverhandlungstermin vom 07.02.2020 erklärte die Staatsanwaltschaft Hamburg, den Entpflichtungsantrag für erledigt zu halten. Im Namen des Beschwerdeführers beantragten die Rechtsanwälte Dr. T. und M. – letzterer unter Erklärung der Kostenneutralität – die einvernehmliche Umbeiordnung. Das Amtsgericht Hamburg lehnte den Antrag ab, weil durch die Umbeiordnung eine Verfahrensverzögerung zu besorgen sei. Noch am selben Tag wies das Amtsgericht Hamburg darauf hin, dass es aufgrund des von der Ehefrau des Beschwerdeführers in Anspruch genommenen Zeugnisverweigerungsrechts keine Interessenkollision i. S. e. Parteiverrates sehe.

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Gegen den Beschluss vom 07.02.2020 legte Rechtsanwalt Dr. T. namens des Beschwerdeführers Beschwerde ein und begründete dies u. a. damit, dass die Bestellung bereits aus wichtigem Grund aufzuheben sei.

15

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, sondern sie dem Landgericht zur Entscheidung vorlegt.

II.

16

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Bestellung von Rechtsanwalt M. als Verteidiger war aufzuheben und Rechtsanwalt Dr. T. als Verteidiger zu bestellen.

17

1. Obwohl ursprünglich die einvernehmliche Umbeiordnung beantragt worden war, war die Kammer nicht gehindert, die Bestellung aus wichtigem Grund aufzuheben. Zum einen hat Rechtsanwalt Dr. T. seine Beschwerde hierauf gestützt. Zum anderen ist der Antrag auf dasselbe Ziel gerichtet – den Pflichtverteidigerwechsel –, nur die rechtliche Begründung variiert und gebührenrechtlich ergeben sich Unterschiede.

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2. Nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Alt. 1 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist.

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Diese durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BGBl. I S. 2128) eingeführte Vorschrift „normiert zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel“ (BT-Drs. 19/13829, S. 48). Die Kammer versteht die Gesetzgebungsmaterialien so, dass das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für den Pflichtverteidigerwechsel aus wichtigem Grund nicht geändert hat. In § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO sind allein die von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätze kodifiziert worden.

20

Nach diesen Grundsätzen ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn konkrete Umstände vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen sind, aus denen sich ergibt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Pflichtverteidiger und Angeklagtem endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann (BGH, Beschluss vom 10.03.2005 – 4 StR 506/04, juris-Tz. 8 (= BGH NStZ-RR 2005, 240, 241); HansOLG, Beschluss vom 29.02.2016 – 2 Ws 28/16; vgl. auch BVerfG, NJW 2001, 3695). Das ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen (Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage 2019, § 143, Rn. 5 m. w. N.), da es der Angeklagte andernfalls in der Hand hätte, nach Belieben den Pflichtverteidiger auszutauschen.

21

3. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

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Aufgabe des Verteidigers ist es, die Rechte des Beschuldigten allseitig zu wahren und zur Beachtung aller ihm günstigen tatsächlichen Umstände beizutragen (BGH NJW 1959, 731, 732). Vor dieser Aufgabenbeschreibung ist kaum ein schwererer Vorwurf gegen einen Verteidiger denkbar, als die Interessen seines Mandanten verraten zu haben.

23

Dass die Staatsanwaltschaft aufgrund der Zeugnisverweigerung der Ehefrau des Beschwerdeführers nun nicht mehr den konkreten Interessenkonflikt sieht, der zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens geführt hat, kann dahinstehen. Zum einen beseitigt ein Wegfall der Interessenkollision nicht einen bereits begangenen Parteiverrat (§ 356 StGB). Ob ein solcher hier überhaupt verwirklicht worden ist, braucht die Kammer nicht zu entscheiden. Denn es kommt nicht auf die materielle Rechtslage an, also ob sich Rechtsanwalt M. tatsächlich des Parteiverrats schuldig gemacht hat. Entscheidend ist allein, dass durch die formelle Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Parteiverrats gegenüber dem Beschwerdeführer der Eindruck entstanden ist, Rechtsanwalt M. habe sich strafbar gemacht, indem er in hiesigem Strafverfahren die Interessen des Beschwerdeführers verletzt habe. Dieser Eindruck wiegt besonders schwer, weil er von der Staatsanwaltschaft erweckt worden ist, also der staatlichen Stelle, die für die Verfolgung solcher Taten zuständig ist und deren Entscheidung damit ein besonders Gewicht und Vertrauen in deren Richtigkeit zukommt.

24

4. Ob die Voraussetzungen einer einvernehmlichen Umbeiordnung vorliegen (zu den (unveränderten) Voraussetzungen dazu unter dem neuen Recht BT-Drs. 19/13829, S. 47), kann damit dahinstehen.

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5. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 StPO analog (Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage 2019, § 473, Rn. 2).

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