Urteil vom Landgericht Koblenz (10. Zivilkammer) - 10 O 172/08
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
- 1
Am 21. Oktober 1996 erlitt der Kläger eine Sprunggelenkverdrehungsfraktur links. Die Versorgung der Verletzung erfolgte bei der Beklagten zu 1) durch den Beklagten zu 2). Dieser führte nach der notfallmäßigen Aufnahme des Klägers zunächst eine Fersenbeindrahtextension durch und versorgte die Verletzung am 28.10.1996 operativ. Am 09.11.1996 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen. Am 17.11.1996 wurde der Kläger wegen des Verdachts einer Unterschenkelvenenthrombose links erneut stationär bei der Beklagten zu 1) aufgenommen, konnte aber bereits am 23.11.1996 wieder entlassen werden. Am 20.03.1997 wurde die Heilbehandlung seitens der Beklagten zu 1) abgeschlossen und die Arbeitsfähigkeit des Klägers zum 27.03.1997 bescheinigt. Aufgrund starker Schmerzen konnte der Kläger allerdings nur einen halben Tag arbeiten und wurde in der Folge bis zum 25.08.1997 arbeitsunfähig krank geschrieben. In der Folgezeit fand eine Umschulung statt.
- 2
Gestützt auf diesen Sachverhalt hat der Kläger bereits im Jahre 2001 mit der Behauptung ärztlicher Fehlbehandlungen ein zivilrechtliches Klageverfahren gegen die Beklagten vor dem Landgericht Koblenz unter dem Aktenzeichen 10 O 276/00 durchgeführt. Nach Durchführung einer Beweisaufnahme wurden in diesem Verfahren die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 21.637,04 DM nebst 4% Zinsen seit dem 26.05.2000 zu zahlen. Weiterhin wurde unter Ziffer 2. des Tenors festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 50% aller materiellen Schäden und 50% aller nach dem 31.08.2001 entstandenen immateriellen Schäden aus der ärztlichen Behandlung der Sprunggelenkverdrehungsfraktur vom 21.10.1996 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen. Die weitergehende Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das in der beigezogenen Akte 10 O 276/00 befindliche Urteil verwiesen.
- 3
Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger nunmehr erneut Ansprüche aus dem eingangs geschilderten Sachverhalt gegen die Beklagten geltend und trägt hierzu vor:
- 4
Während des Aufenthaltes vom 21.10. bis 09.11.1996 sei seitens der Beklagten der medizinisch indizierte Thromboseschutz behandlungsfehlerhaft nicht vorgenommen worden. Zudem sei er vor und während des stationären Aufenthaltes vom 17. bis 23.11.1996 im Krankenhaus der Beklagten zu 1) nicht fachgerecht behandelt worden, wodurch es bei ihm zu postthrombotischen Veränderungen an beiden Beinen gekommen sei.
- 5
Der Kläger beantragt,
- 6
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld im Rahmen von 10.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. August 2008 zu zahlen,
- 7
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm alle materiellen und weitere immateriellen Schäden, die ihm aus der ärztlichen Behandlung der Thrombose anlässlich der stationären Aufenthalte vom 21.10. bis 09.11.1996 und vom 17.11. bis 23.11.1996 im Krankenhaus der Beklagten zu 1) entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,
- 8
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Rechtsschutzversicherung des Klägers, die …, € 775,64 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.08.2008 zu zahlen.
- 9
Die Beklagten beantragen,
- 10
die Klage abzuweisen.
- 11
Die Beklagten rügen die Zulässigkeit der Klage, da dem die bestehende Rechtskraft der im Verfahren 10 O 276/00 getroffenen Entscheidung entgegenstehe. Zudem erheben die Beklagten die Einrede der Verjährung und stellen in Abrede, dass der Kläger erst durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. S. vom 21.04.2005 Kenntnis von seinen Venenschäden und einem angeblich behaupteten weiteren Fehlverhalten der Beklagten erlangt habe.
- 12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 13
Die Klage ist unzulässig.
- 14
Einer Zulässigkeit der erhobenen Klage steht die Rechtskraft des Urteils vom 28. September 2001 in dem Verfahren 10 O 276/00 (Landgericht Koblenz) entgegen (§ 322 ZPO). Der Streitgegenstand des vorangegangenen Verfahrens und des vorliegenden Rechtsstreits ist identisch. Zu den Rechtskraftwirkungen gehört auch die Präklusion der im ersten Rechtsstreit nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern sie nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Prozess entstanden sind (BGHZ 98, 353, 358 f.). Darum kann der Kläger nicht mehr mit dem Vorbringen gehört werden, im Rahmen der Behandlung im Krankenhaus der Beklagten zu 1) vom 21.10. bis 09.11.1996 und vom 17.11. bis 23.11.1996 sei behandlungsfehlerhaft medizinisch angezeigter Thromboseschutz unterblieben und die Behandlung nach der Erst-OP sei nicht fachgerecht durch den Beklagten zu 2) erfolgt.
- 15
Nach der heute herrschenden prozessrechtlichen Auffassung vom Streitgegenstand im Zivilprozess, der sich auch der Bundesgerichtshof angeschlossen hat, wird mit der Klage nicht ein bestimmter, materiell-rechtlicher Anspruch geltend gemacht; vielmehr ist Gegenstand des Rechtsstreits der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung aufgefasste eigenständige prozessuale Anspruch. Dieser wird bestimmt durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. Der Streitgegenstand wird durch den prozessualen Anspruch und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt bestimmt, unabhängig davon, ob einzelne Tatsachen dieses Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht (BGH NJW 1995, 1757). Die Ausschlusswirkung der Rechtskraft geht über die im ersten Prozess vorgetragenen Tatsachen hinaus und erfasst grundsätzlich auch nicht vorgetragene Tatsachen, sofern diese nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsstreit entstanden sind. Maßgeblich ist insoweit das Ganze in einem Klageantrag zugrunde liegende tatsächliche Geschehen, das bei natürlicher Betrachtungsweise nach der Verkehrsauffassung zusammen gehört. Ausgeschlossen sind mithin Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtung zu dem durch ihren Sachvortrag zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehört hätten (BGH NJW-RR 1996, 826 f.).
- 16
Aus diesen Erwägungen folgt für den Streitfall, dass der Kläger mit dem Vortrag neuer, die Behandlung vom 21.10. bis 09.11.1996 und vom 17.11. bis 23.11.1996 als fehlerhaft beanstandeter Tatsachen ausgeschlossen ist.
- 17
Das mit der vorliegenden Klage nunmehr enger gefasste Klagebegehren als auch der Lebenssachverhalt, auf den es gestützt ist, sind mit dem des rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses identisch. Der Kläger ist mit seinem neuen Sachvortrag ausgeschlossen, weil der nunmehr gerügte Behandlungsfehler zum Streitgegenstand des bereits abgeurteilten Lebensvorgangs gehört. Denn ausweislich des Tatbestandes der rechtskräftigen Entscheidung vom 28. September 2001 hat der Kläger in dem damaligen Verfahren die ärztliche Behandlung im Hause der Beklagten zu 1) im Zeitraum vom 21.10.1996 bis zum 09.11.1996 sowie vom 17.11. bis 23.11.1996 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Dass der Kläger damals die im vorliegenden Verfahren erhobenen Behandlungsfehler noch nicht explizit geltend gemacht hat, steht der Annahme eines identischen Streitgegenstandes nicht entgegen. Denn die Ausschlusswirkung der Rechtskraft geht über die im ersten Prozess vorgetragenen Tatsachen hinaus und erfasst grundsätzlich auch nicht vorgetragene Tatsachen, sofern diese nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsstreit entstanden sind. Bei der Beanstandung einer ärztlichen Versorgung werden sämtliche in einem gewissen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang stehende Behandlungsfehler Gegenstand des Rechtsstreits (vgl. hierzu Saarländisches Oberlandesgericht in MDR 2000, 1317 bis 1319). Gerade in Arzthaftungssachen sind an die Substantiierungspflichten des Klägers maßvolle und verständige Anforderungen zu stellen, weil ihm meist nicht nur die genaue Einsicht in das Behandlungsgeschehen, sondern das nötige Fachwissen zur Erfassung und Darstellung des Konfliktstoffs fehlt (BGH Versicherungsrecht 1981, 752). Regelmäßig ist davon auszugehen, dass sich der Patient ihm günstige Darstellungen der medizinischen Vorgänge und Zusammenhänge aus einem Sachverständigengutachten hilfsweise zu eigen macht (BGH NJW 1991, 1.541).
- 18
Diese speziellen Ausprägungen des Arzthaftungsverfahrens lassen erkennen, dass der gesamte Behandlungsvorgang den Gegenstand des Rechtsstreits bildet. Wenn sich aus einem Sachverständigengutachten ergibt, dass ein anderer als der mit der Klage ursprünglich gerügte Behandlungsfehler vorliegt, kann der Kläger ohne Änderung des Streitgegenstands sein Klagebegehren auf diesen neuen Aspekt stützen. Umgekehrt muss er dann aber hinnehmen, dass die Rechtskraft eines Vorprozesses sämtliche dem Behandlungsgeschehen möglicherweise anhaftende Kunstfehler unabhängig davon ergreift, ob sie von dem Patienten im Einzelnen vorgetragen wurden. Anderenfalls könnte ein Patient eine ärztliche Behandlung unter Berufung auf immer neue Gesichtspunkte wiederholt einer gerichtlichen Prüfung zuführen. Das will das Institut der Rechtskraft aber gerade verhindern. Dies wird durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt, wonach die Feststellung eines Abrechnungsverhältnisses sämtliche, auch nicht vorgetragene Forderungen, in die Rechtskraft einbezieht (BGH NJW 1993, 2684) und die Feststellung der Wirksamkeit eines Erwerbs sämtliche Nichtigkeitsgründe ausschließt (BGH NJW 1995, 1.757).
- 19
Die Präklusion erstreckt sich auf alle Tatsachen unabhängig davon, ob sie von der Klagepartei vorgetragen wurden und sich das Gericht damit auseinander gesetzt hat (BGH NJW 1995, 1.757 f.). Deshalb kann offen bleiben, ob im Rahmen der streitgegenständlichen Behandlung im Hause der Beklagten zu 1) ein angezeigter Thromboseschutz behandlungsfehlerhaft unterblieben ist.
- 20
Einer solchen Beurteilung steht auch nicht entgegen, dass dem Kläger nach seinem eigenen Vortrag der gerügte Behandlungsfehler erst durch das Gutachten des Dr. S. vom 21.04.2005 bekannt geworden ist. Für die Frage, welche Einwendungen durch die rechtskräftige Entscheidung eines früheren Prozesses ausgeschlossen sind, kommt es allein auf den Zeitpunkt der Entstehung der Einwendungen an, nicht etwa darauf, wann die Einwendungen dem Kläger bekannt werden oder wann sie, ohne dass ein Verschulden vorliegt, von dem Kläger erstmals mit Erfolg geltend gemacht werden können (BGHZ 62, 25 f.).
- 21
Nach alledem war die Klage als unzulässig abzuweisen.
- 22
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
- 23
Der Streitwert wird auf 13.000,00 € festgesetzt (Antrag zu 1: 10.000,00 € und Antrag zu 2: 3.000,00 €).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.