Urteil vom Landgericht Koblenz (6. Zivilkammer) - 6 S 214/15
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 03.07.2015, Az. 162 C 249/15, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
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Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Rückzahlung von Lebensversicherungsbeiträgen und die Herausgabe von Nutzungen abzüglich des von dem Beklagten geleisteten Auszahlungsbetrages von insgesamt 16.561,80 Euro. Er errechnet hierfür einen Betrag von 2.909,00 Euro.
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Der Kläger beantragte bei dem Beklagten im Jahr 1999 einen Kapital-Lebensversicherungsvertrag mit Unfall-Zusatzversicherung. Der Beklagte stellte dem Kläger daraufhin den Versicherungsschein vom 18.10.1999 mit Nr. ... aus. Der Kläger zahlte ab dem 01.12.1999 vereinbarungsgemäß monatliche Raten in Höhe von 53,28 Euro ein. Im Jahr 2005 kam es auf Antrag des Klägers zu einer achtmonatigen Beitragszahlungsunterbrechung. Ebenso auf Antrag des Klägers wurde die Versicherung zum 01.10.2005 wieder beitragspflichtig weitergeführt. Insgesamt zahlte der Kläger 12.754,75 Euro ein.
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Im Jahr 2014 erklärte der Kläger jeweils mit anwaltlichen Schreiben zunächst den Widerspruch, sodann hilfsweise die Kündigung des Vertrages. Der Beklagte bestätigte die Kündigung und zahlte insgesamt 16.561,80 Euro für Rückkaufswert und Überschussanteile an den Kläger aus.
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Der Kläger hat vorgetragen, er sei nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden. Zudem sei § 5a WG insgesamt europarechtswidrig. Da der Beklagte mindestens eine Rendite von 5 % über dem Basiszinssatz erziele, ist der Kläger der Meinung, ihm stünden neben der Rückzahlung sämtlicher geleisteter Beträge Nutzungen von insgesamt 6.716,06 Euro zu.
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Der Beklagte hat behauptet, die ordnungsgemäße Belehrung des Klägers sei in einem Policenbegleitschreiben erfolgt, das zusammen mit dem Versicherungsschein und den übrigen erforderlichen Unterlagen versandt worden sei. Die Belehrung sei dort genauso hervorgehoben gewesen, wie in einem zur Akte gereichten Musterschreiben (Bl. 88 Bd. I GA). Dieses besteht aus nur einer Seite; ausschließlich der zweite von vier Absätzen ist fett gedruckt und lautet wie folgt:
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Der Versicherungsnehmer kann dem Versicherungsvertrag innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins und der unten aufgeführten Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen schriftlich widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.
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Der Beklagte hat zudem Sitzungsprotokolle anderer Verfahren zur Akte gereicht, in denen die von der Beklagten benannte Zeugin ... bekundet hat, die drucktechnische Hervorhebung sei seit 1995 durchgehend so erfolgt wie im vorgelegten Musterpolicenbegleitschreiben.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
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Mit Urteil vom 03.07.2015 hat das Amtsgericht Koblenz die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei in dem Policenbegleitschreiben ordnungsgemäß belehrt worden, sodass ihm ein Widerspruchsrecht nicht mehr zustehe. Auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells sei es dem Kläger nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Die Hilfsanträge auf Auskunftserteilung seien unbegründet, weil der gezahlte Rückkaufswert unter Zugrundelegung der vom Bundesgerichtshof aufgestellten Berechnungsformel deutlich über dem Mindestrückkaufswert liege. Zudem habe der Beklagte unwidersprochen vorgetragen, einen Stornoabzug nicht vorgenommen zu haben.
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Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 10.07.2015 zugestellt wurde, hat der Kläger am 10.08.2015 Berufung eingelegt und diese im selben Schriftsatz begründet. Er ist der Meinung, das erstinstanzliche Gericht habe die Beweislast des Beklagten für eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung verkannt und sein pauschales Bestreiten zu Unrecht für unbeachtlich gehalten. Den Zugang der Unterlägen habe er wirksam mit Nichtwissen bestreiten können. Im Übrigen wiederholt er seine erstinstanzlichen Ausführungen zur Fehlerhaftigkeit der Widerspruchsbelehrung. Diese habe das Amtsgericht in seinem Urteil nicht berücksichtigt. Wegen der fehlerhaften Belehrung komme Verwirkung nicht in Betracht. Zudem sei das Policenmodell insgesamt europa- rechtswidrig. Der Kläger verfolgt seine erstinstanzlichen Anträge weiter.
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Er beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an die klägerische Partei einen Betrag in Höhe von 2.909,00 Euro zu bezahlen, zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
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2. den Beklagten zu verurteilen, an die klägerische Partei außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 323,68 Euro zu bezahlen, zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
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3. den Beklagten zu verurteilen, die klägerische Partei von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 359,86 Euro freizustellen, die die Rechtsanwaltskanzlei gegenüber der klägerischen Partei hat, die aufgrund der außergerichtlichen Rechtsanwaltstätigkeit in Bezug auf die streitgegenständlichen Forderungen entstanden sind,
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hilfsweise,
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4. den Beklagten zu verurteilen, der klägerischen Partei Auskunft über den zum Zeitpunkt der Kündigung bestehenden Rückkaufswert ohne Abzug von Stornokosten und Verrechnung von Abschlusskosten zum Vertrag mit der Versicherungsnummer ... zu erteilen über die Höhe des Stornoabzugs, hilfsweise, dem Kläger zum Vertrag mit der Versicherungsnummer ... Auskunft zu erteilen über die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals,
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5. den Beklagten zu verurteilen, an die klägerische Partei einen weitergehenden Rückkaufswert in einer nach Erteilung der Auskunft noch zu bestimmenden Höhe (Mindestrückkaufswert) zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
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Weiter beantragt der Kläger,
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die Revision zuzulassen,
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sowie
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die Sache gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV dem EuGH vorzulegen.
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Wegen der nach Ansicht des Klägers dem EuGH vorzulegenden Fragestellungen wird auf Bl. 282 f. Bd. II GA Bezug genommen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.
II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen.
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Der Kläger hat keinen Anspruch aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, 818 BGB auf Rückzahlung der geleisteten Prämien und Herausgabe von Nutzungen. Denn wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, wurde der Kläger nach § 5a WG a.F. (d.h. in der vom 29.07.1994 bis 31.07.2001 gültigen Fassung) ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt, sodass dieses 14 Tage nach Erhalt der Unterlagen und Belehrung erloschen ist und im Jahr 2014 nicht mehr ausgeübt werden konnte. Wie das Amtsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, kann dabei dahinstehen, ob das sog. Policenmodell nach § 5a WG a.F. insgesamt europarechtswidrig ist. Denn dem Kläger, der eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung nach § 5a WG a.F. erhalten hat, ist es jedenfalls nach Treu und Glauben wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen Unwirksamkeit zu berufen. Insofern folgt die Kammer den Grundsätzen des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 16.7.2014, Az. IV ZR 73/13, NJW 2014, 2723.
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Der Lebensversicherungsvertrag ist zwischen dem Kläger und dem Beklagten nach § 5a WG a.F. wirksam zu Stande gekommen. Nach der oben genannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Kammer in ständiger Rechtsprechung folgt (vgl. u.a. 6 S 256/14 LG Koblenz, 6 S 455/14 LG Koblenz), steht das hier verwendete sog. Policenmodel! nach § 5a WG a.F..- von der hier nicht anwendbaren Jahresfrist des § 5a Abs. 2 S. 4 WG a.F. abgesehen - in Einklang mit den für den streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.
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Auch bei dem Vertragsschluss nach § 5a WG a.F. war durch den zunächst schwebend unwirksamen Vertrag gewährleistet, dass der Versicherungsnehmer über sein Widerspruchsrecht belehrt worden sein musste, bevor der Vertrag wirksam werden konnte. Erst nach der von den Richtlinien geforderten Verbraucherinformation des Versicherungsnehmers konnte eine vertragliche Bindung eintreten. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der Entscheidung des Bundesgerichtshofs verwiesen.
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Vorliegend sind die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Vertrages nach dem Policenmodell erfüllt. Das Amtsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Kläger die nach § 5a Abs. 1 WG, § 10a VAG a.F. erforderlichen Informationen mit dem Versicherungsschein erhalten hat und nach § 5a Abs. 2 WG a.F. ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde. Das Amtsgericht hat auch kein Bestreiten des Klägers mit Nichtwissen in unzulässiger Weise unbeachtetgelassen.
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Wie der Kläger zu Recht geltend macht, trägt der Beklagte nach § 5a Abs. 2 S. 2 WG a.F. die Darlegungs- und Beweislast für den Zugang der nach § 5a Abs. 1 WG a.F. erforderlichen Unterlagen. Diesen Anforderungen ist der Beklagte nachgekommen. Er hat erstinstanzlich vorgetragen, mit dem Versicherungsschein vom 18.10.1999 seien dem Kläger das Policenbegleitschreiben - formatiert wie das vorgelegte Musterbegleitschreiben - sowie eine Tabelle der Rückkaufswerte, die ABL 98, die BUZV 94, die BBL 97, ein Zertifikat, ein Steuermerkblatt, eine Satzung und ein Datenschutzblatt übersandt worden. Den Zugang der genannten Unterlagen zusammen mit dem Versicherungsschein hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich bestritten, auch nicht mit Nichtwissen. Vielmehr hat er die benannten Unterlagen selbst vorgelegt um diese sodann inhaltlich zu beanstanden - mit Ausnahme des Policenbegleitschreibens, welches er lediglich als Reproduktion ohne Fettdruck vorgelegt hat. Gerade hinsichtlich des Policenbegleitschreibens ist jedoch der Vortrag des Beklagten, der von den vorgelegten Aussagen der Zeugin ... gestützt wird, plausibel, dass der Versicherungsschein, auf dem selbst nicht die Anschrift des Versicherungsnehmers, sondern lediglich ein Strichcode abgedruckt ist, und der mit „Seite 2“ bezeichnet ist, niemals allein versandt wurde, sondern stets zusammen mit dem Begleitschreiben. Allein der Vortrag, dem Prozessbevollmächtigten läge nur eine Reproduktion des Begleitschreibens vor, ist nicht geeignet, den Zugang des Originalbegleitschreibens im Jahr 1999 an den Kläger zu bestreiten.
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Die Kammer folgt auch der Wertung des Amtsgerichts, dass die Belehrung wie in dem von dem Beklagten vorgelegten Muster drucktechnisch hervorgehoben war. Den diesbezüglich plausiblen Vortrag des Beklagten zur einheitlichen Programmierung der Schreiben bei regelmäßiger Kontrolle hat der Kläger nicht bestritten. Bei der vom Klägervertreter vorgelegten Reproduktion ohne Umsetzung der Formatierungen handelt es sich unstreitig nicht um das 1999 versandte Original.
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Die im Policenbegleitschreiben enthaltene Belehrung erfüllt auch die Anforderungen des § 5a WG a.F. Danach war der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins und der übrigen Unterlagen schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer der Widerrufsfrist zu belehren.
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Die Belehrung war drucktechnisch deutlich hervorgehoben, in dem Sinne, dass sie auch einem Versicherungsnehmer, der nicht gezielt danach sucht, ins Auge springen musste. Die Belehrung befand sich auf dem einseitigen Anschreiben, das der Versicherungsnehmer bei Erhalt der Unterlagen notwendig zuerst in der Hand hielt. Die Belehrung war insgesamt in Fettdruck gestaltet, als einziger der vier Absätze des Anschreibens. Die Belehrung konnte somit dem Versicherungsnehmer bei Erhalt des Versicherungsscheins und der Unterlagen nicht entgehen.
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Die Belehrung ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden.
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Die Belehrung ist insbesondere nicht intransparent weil sie die Begriffe „Versicherungsvertrag", „Versicherungsschein“, „Versicherungsbedingungen" und „Verbraucherinformation“ enthält. Vielmehr wird insofern lediglich auf die gleichzeitig übersandten Unterlagen verwiesen, die auch im Begleitschreiben aufgezählt sind, und die angesichts der benannten Überschriften für den Versicherungsnehmer in den Unterlagen leicht wiederzufinden sind.
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Eine Belehrung über die Folgen eines Widerspruchs war nicht erforderlich. Sie ist in § 5a WG a.F. nicht vorgesehen und wäre eher geeignet, eine Widerspruchsbelehrung unübersichtlich werden zu lassen (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 07.02.2013, Az. 16 U 72/12, BeckRS 2015, 10813).
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Die Belehrung musste auch keinen Adressaten des Widerspruchs ausdrücklich nennen. Eine solche Forderung enthält § 5a Abs. 2 S.1 WG a. F. nicht. Für den Versicherungsnehmer ist überdies klar, dass er den Widerspruch natürlich an seinen Vertragspartner richten kann (vgl. OLG Schleswig a.a.O.). Dieser ergibt sich hier - einschließlich Anschrift - aus dem Briefkopf des Policenbegleitschreibens.
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Die Belehrung muss schließlich keinen Hinweis darauf enthalten, dass der Widerspruch ohne Begründung möglich ist. § 5a WG a. F. nennt eine solche Voraussetzung nicht. Wird die Angabe von Gründen in der Belehrung nicht ausdrücklich verlangt, so ergibt sich daraus aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers hinreichend, dass es einer solchen nicht bedarf (vgl. OLG Schleswig a.a.O.).
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Auch eine Belehrung über die Jahresfrist nach § 5a Abs. 2 S. 4 WG a.F. war in § 5a WG a.F. nicht vorgesehen.
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Die Kammer hält die Belehrung auch im Hinblick auf den Beginn der Widerspruchsfrist nicht für irreführend. Vielmehr wird in der Belehrung bezüglich der Frist der Gesetzeswortlaut „innerhalb von 14 Tagen“ wiederholt. Dies ist ausreichend.
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Was die Ausführungen des Klägers zur Erläuterung der Textform bezwecken sollen, erschließt sich der Kammer nicht. In der 1999 maßgeblichen Fassung des § 5a WG war der schriftliche Widerspruch vorgesehen. Diesen Gesetzeswortlaut wiederholt die Belehrung unmissverständlich.
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Die Belehrung ist auch nicht deswegen missverständlich oder irrführend, weil in den ABL 98 noch einmal detaillierter über das Widerspruchsrecht informiert wird, als dies in der drucktechnisch hervorgehoben, unmissverständlichen Belehrung im Policenbegleitschreiben der Fall ist. Aus den weiteren Angaben in den ABL ergeben sich keine Widersprüche zu der im Policenbegleitschreiben hervorgehobenen Belehrung.
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Nach ordnungsgemäßer Belehrung bei Übersendung der vollständigen Unterlagen ist das Widerrufsrecht mit Ablauf der 14-tägigen Frist- noch im Jahr 1999 erloschen, der Vertrag ist wirksam zustande gekommen.
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Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage nach der Europarechtswidrigkeit des gesamten Policenmodells kommt es vorliegend nicht an. Dem Kläger ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten.
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Nach der Rechtsordnung ist widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zulässig und nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Dies kann dann der Fall sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, da das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Urteil vom 06.07.2014, Az. IV ZR 73/13, NJW 2014, 2723, Rz. 33).
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Das ist vorliegend der Fall. Die Geltendmachung der anfänglichen Unwirksamkeit des Vertrages durch den Kläger im Jahr 2014 ist treuwidrig. Wie oben ausgeführt wurde der Kläger im Jahr 1999 ordnungsgemäß über die Möglichkeit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, belehrt. Die ihm bekannte Widerspruchsfrist ließ der Kläger verstreichen und führte den Vertrag jahrelang durch. Im Jahr 2005 beantragte der Kläger eine achtmonatige Beitragszahlungsunterbrechung und stellte danach auch den Antrag auf beitragspflichtige Weiterführung des Vertrages. Bis ins Jahr 2014 zahlte der Kläger mit Ausnahme der Unterbrechung im Jahr 2005 regelmäßig die Versicherungsprämie. Dieses Verhalten kann nur als Ausdruck des Willens verstanden werden, den Vertrag durchzuführen. Der Kläger konnte bis zur Kündigung erwarten, Versicherungsschutz zu genießen, da der Beklagte die Prämien entgegennahm und erkennbar von einem bestehenden Versicherungsvertrag ausging. Mit diesem im eigenen Interesse begründeten und über lange Zeit fortgeführten Verhalten setzt sich der Kläger in Widerspruch, wenn er nun geltend macht, ein Vertrag habe nie bestanden.
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Das Verhalten des Klägers hat bei dem Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet. Es ließ nur den Schluss zu, dass der Kläger den Vertrag durchführen wollte und begründete dadurch das Vertrauen des Beklagten, die Klägerin werde einem Bestehen des Vertrages festhalten.
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Dieses Vertrauen des Beklagten ist vorliegend vorrangig schutzwürdig gegenüber den Interessen des Klägers.
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Zum Einwand von Treu und Glauben ist auch eine Vorlage an den EuGH nicht erforderlich. Die Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt (vgl. BGH, Urteil vom 06.07.2014, Az. IV ZR 73/13, NJW 2014, 2723 BVerfG, Beschluss vom 04.03.2015, Az. 1 BvR 3280/14, BeckRS 2015, 48275).
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Mangels Hauptanspruchs sind auch die Zinsforderung und die Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht begründet.
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Auch die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche auf Auskunft sind wie vom Amtsgericht zutreffend ausgeführt nicht begründet. Auf die Begründung im angefochtenen Urteil, der sich die Kammer vollumfänglich anschließt, wird verwiesen. Der Kläger hat bereits mehr erhalten als den Mindestrückkaufswert nach der Berechnungsformel des Bundesgerichtshofs; ein weitergehender Auskunftsanspruch besteht nicht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Entscheidung steht in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Kammer stützt sich bei Ihrer Entscheidung insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 16.07. 2014, Az. IV ZR 73/13, die auch vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet wurde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.03.2015, Az. 1 BvR 3280/14, BeckRS 2015, 48275). Die Frage der ordnungsgemäßen Belehrung ist vorliegend nicht von grundsätzlicher Bedeutung, sondern vielmehr anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
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Beschluss
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Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.909,00 € festgesetzt.
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Referenzen
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