Urteil vom Landgericht Köln - 23 O 355/11
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 31.387,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.12.2011 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung für stationäre Behandlungen nach Tarif 342. Weiterhin besteht zugunsten des Klägers eine Krankenhaustagegeldversicherung nach Tarif 390, über die ein tägliches Krankenhaustagegeld in Höhe von 40,96 € versichert ist. Dem Versicherungsverhältnis liegen die aus der Akte ersichtlichen Versicherungs- und Tarifbedingungen zugrunde.
3Der Kläger ist seit über 15 Jahren alkohol- und in der Folge auch benzodiazepinabhängig, wobei sich der Kläger in der Vergangenheit zahlreichen Entgiftungs- und Entziehungsmaßnahmen unterzog. In Folge seiner Suchtmittelabhängigkeit ließ sich der Kläger vom 01.10.2010 bis zum 05.11.2010, vom 14.01.2011 bis zum 07.02.2011, vom 18.05.2011 bis zum 07.06.2011 sowie vom 12.09.2011 bis zum 03.10.2011 im C stationär behandeln. Für die jeweiligen Behandlungen wurden dem Kläger mit der Rechnung vom 12.11.2010 11.232,64 € (ohne Einzelzimmerzuschlag 9.367,84 €), mit der Rechnung vom 17.08.2011 7.249,02 € (ohne Einzelzimmerzuschlag 5.963,58 €), mit der weiteren Rechnung vom 17.08.2011 6.073,63 € (ohne Einzelzimmerzuschlag 5.002,43 €) und mit der Rechnung vom 11.10.2011 6.387,18 € (ohne Einzelzimmerzuschlag 5.263,58 €) berechnet. Weiterhin wurde der Kläger am 23.08.2011 von 15:00 Uhr bis 20:00 Uhr im Krankenhaus G stationär behandelt, wofür ihm mit der Rechnung vom 19.09.2011 687,95 € sowie mit der Rechnung vom 27.09.2011 Krankentransportkosten in Höhe von 802,42 € berechnet wurden.
4Der Kläger behauptet, es habe sich bei den oben genannten Behandlungen jeweils um akutmedizinische Maßnahmen im Rahmen von Entgiftungen gehandelt.
5Er beantragt,
6die Beklagte zu verurteilen, an ihn 31.387,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Sie behauptet, es habe sich bei den Behandlungen im C um vom Versicherungsschutz nicht umfasste Entziehungsmaßnahmen oder Kur- bzw. Sanatoriumsbehandlungen gehandelt. Zudem bestreitet sie die medizinische Notwendigkeit der Behandlungen, soweit diese über Entgiftungen hinausgingen. Überdies habe der Kläger die Behandlungsnotwendigkeit vorsätzlich durch Missbrauch der Suchtmittel sowie durch Unterlassen ambulanter Psychotherapie herbeigeführt. Damit habe er zugleich gegen seine Obliegenheit aus § 9 Abs. 4 AVB verstoßen.
10Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 19.04.2012 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. A vom 04.07.2013 Bezug genommen.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
13Die Klage ist begründet.
14Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 31.387,44 € aus dem zwischen den Parteien bestehenden Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherungsvertrag i.V.m. §§ 192 VVG, 1 Abs. 1 und 2 AVB. Danach ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die Kosten der streitgegenständlichen Behandlungen sowie ein Krankenhaustagegeld in Höhe von 40,96 € pro Tag zu zahlen.
15Nach § 1 Abs. 2 AVB besteht Versicherungsschutz für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit. Unter einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit ist nach ständiger Rechtsprechung zu verstehen, dass es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, die Maßnahme des Arztes als medizinisch notwendig anzusehen. Vertretbar ist eine Heilbehandlung dann, wenn sie in fundierter und nachvollziehbarer Weise das zugrunde liegende Leiden diagnostisch hinreichend erfasst und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet (vgl. BGH VersR 1979, 221; BGH VersR 1987, 287; BGH VersR 1991, 987; BGH VersR 2006, 535; OLG Köln r+s 1995, 431; OLG Köln r+s 1998, 34). Davon ist dann auszugehen, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewendet wird, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Medizinisch notwendige Heilbehandlungen sind auch Maßnahmen der Entgiftung, d.h. der Ausscheidung toxischer Stoffe aus dem Körper des Versicherungsnehmers – und zwar auch dann, wenn sie eine Entziehung einleiten –, denn die Entgiftung stellt eine Behandlung eines akuten Krankheitszustands dar (vgl. Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, § 5 MB/KK, Rn. 10). Hingegen besteht gemäß § 5 Abs. 1 lit. b) AVB keine Leistungspflicht des Versicherers für Entziehungsmaßnahmen einschließlich Entziehungskuren. Entziehungsmaßnahmen sind solche, die den Versicherungsnehmer von seiner Bindung an Suchtmittel lösen sollen (vgl. BGH VersR 1988, 573; Prölss/Martin, a.a.O., Rn. 10). Auch Maßnahmen zur psychischen Stabilisierung des Versicherungsnehmers gehören zu den Entziehungsmaßnahmen, falls es sich nicht auch insoweit um die von der Entziehung unabhängige Behandlung einer Krankheit handelt (vgl. Prölss/Martin, a.a.O., Rn. 10). Ferner besteht gemäß § 5 Abs. 1 lit. d) AVB kein Versicherungsschutz für Kur- bzw. Sanatoriumsbehandlungen. Maßgeblich für die Abgrenzung zur Krankenhausbehandlung ist die konkrete Ausgestaltung der Behandlung einschließlich des äußeren Rahmens, in der sie stattfindet (vgl. Prölss/Martin, a.a.O., Rn. 16). Während Krankenhausbehandlungen in der Regel dadurch gekennzeichnet sind, dass sie unter – behandlungsbedingtem – besonders intensivem Einsatz des medizinischen Personals stattfinden und der Behandlungsablauf der ständigen ärztlichen Überwachung unterliegt, sind Kur- oder Sanatoriumsbehandlungen auf spezielle, überwiegend natürliche Heilanwendungen unter heilklimatisch günstigen Vorbedingungen ausgerichtet (vgl. Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 4. Aufl. 2009, § 5 MB/KK, Rn. 23).
16Bei den streitgegenständlichen Behandlungen handelt es sich um vom Versicherungsschutz umfasste, medizinisch notwendige Heilbehandlungen in Form von Entgiftungsmaßnahmen. Die Kammer ist unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass auch die Behandlungen im C der Entgiftung des Klägers und nicht einer Entziehung dienten. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten auf der Grundlage einer eigenen Untersuchung des Klägers sowie der Auswertung der Krankenunterlagen zu dem Ergebnis gekommen, dass von komplexen Entgiftungsmaßnahmen der Benzodiazepine auszugehen ist, die beim dem an einer schweren Abhängigkeitsproblematik leidenden Kläger nur stationär und aufgrund dessen Gefährdung nur in einem Akutkrankenhaus für Psychatrie durchführbar waren. Nach den Feststellungen des Sachverständigen, denen die Kammer in vollem Umfang folgt, waren die Aufenthalte im C medizinisch indiziert und stellten in ihrer vollen Länge Entgiftungsmaßnahmen dar. Bei keinem der Aufenthalte handelte es sich nach den Ausführungen des Sachverständigen in Teilen um eine Entziehungsmaßnahme oder eine Kur- bzw. Sanatoriumsbehandlung. Das Gutachten ist überzeugend und nachvollziehbar. Einwendungen gegen das Gutachten sind seitens der Parteien nicht erhoben worden. Die Fachkunde des Sachverständigen steht außer Zweifel.
17Die Leistungspflicht der Beklagten ist auch nicht nach § 5 Abs. 1 lit. b) AVB ausgeschlossen. Danach besteht keine Leistungspflicht für auf Vorsatz beruhende Krankheiten einschließlich deren Folgen. Wie die Kammer bereits in ihrem Urteil vom 27.04.2011 (Az. 23 O 203/09) ausgeführt hat, kann bei Suchterkrankungen aufgrund der Abhängigkeit, in der sich der Suchtkranke befindet, nur dann von einem Vorsatz ausgegangen werden, wenn der vollständig von der Sucht befreite Versicherungsnehmer sich nicht abstinent verhält. Nur in diesem Fall entfällt der Versicherungsschutz. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor: Der seit über 15 Jahren alkohol- und in der Folge auch benzodiazepinabhängige Kläger konnte in der Vergangenheit trotz zahlreicher Entgiftungs- und Entziehungsmaßnahmen seine Sucht nie über einen längeren Zeitraum besiegen. Auch nach kurzen Phasen der Suchtfreiheit wurde der Kläger stets rückfällig.
18Ferner entfällt die Leistungspflicht der Beklagten auch nicht wegen einer Verletzung der Obliegenheit aus § 9 Abs. 4 AVB. Danach hat der Versicherungsnehmer nach Möglichkeit für die Minderung des Schadens zu sorgen und alle Handlungen zu unterlassen, die der Genesung hinderlich sind. Zwar hat der Kläger therapeutische Behandlungen nicht stets regelmäßig wahrgenommen und Behandlungen in der Vergangenheit auch abgebrochen. Der bloße Abbruch einzelner therapeutischer Behandlungen begründet aber für sich genommen ebenso wenig wie das Misslingen der Heilung der Sucht trotz zahlreicher Behandlungsmaßnahmen in der Vergangenheit, insbesondere Entziehungskuren, keine Verletzung der Obliegenheit aus § 9 Abs. 4 AVB, da gerade die schwere Therapierbarkeit kennzeichnend für Suchterkrankungen ist. Der Kläger ist zudem beruflich als selbstständiger Konzertveranstalter einer jedenfalls nicht unerheblichen zeitlichen Belastung ausgesetzt, weswegen die zum Teil gegebene Unregelmäßigkeit seiner Behandlungstermine nicht den Schluss auf einen fehlenden Behandlungswillen erlaubt.
19Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
21Streitwert: 31.387,44 €
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Referenzen
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- § 1 Abs. 2 AVB 1x (nicht zugeordnet)
- § 9 Abs. 4 AVB 3x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- §§ 192 VVG, 1 Abs. 1 und 2 AVB 3x (nicht zugeordnet)
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- 23 O 203/09 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 291 Prozesszinsen 1x