Urteil vom Landgericht Münster - 8 O 372/17
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 249.065,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.01.2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 12 Prozent, die Beklagte zu 88 Prozent.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist Trägerin des Krankenhauses in T. Sie gewährt ihren Beschäftigten eine betriebliche Zusatzversorgung nach Maßgabe des öffentlichen Tarifrechts. Die Zusatzversorgung wird durch die Beklagte durchgeführt. Das Krankenhaus war zunächst als Eigenbetrieb der BKK Hoesch, zuletzt der BKK vor Ort, einem Mitglied der Beklagten, geführt worden. Zum 01.01.2013 wurde der Betrieb auf die Klägerin übertragen, die zu diesem Datum auch selbständiges Mitglied der Beklagten wurde.
3Die Beklagte führt die Zusatzversorgungskasse als rechtlich unselbständiges Sondervermögen. Die Einzelversicherungsverhältnisse und Versicherungsleistungen richten sich nach den Bestimmungen des Altersvorsorge-Tarifvertrags Kommunal („ATV-K“, siehe § 2 Abs. 2 der Satzung der Zusatzversorgungskasse der Beklagten („KVWS“)).
4Für das streitgegenständliche Kalenderjahr 2014 enthielt die Satzung der Zusatzversorgungskasse der Beklagten folgende Regelungen zur Umlagezahlungspflicht ihrer Mitglieder:
5„§ 60 Ermittlung und Deckung des Finanzbedarfs im Abrechnungsverband I
61Der Finanzbedarf für die Kassenleistungen aus der Pflichtversicherung wird für den Deckungsabschnitt und ein weiteres Jahr festgestellt. 2Zur Deckung dieses Finanzbedarfs sind die Umlagen und Sanierungsgelder für den Deckungsabschnitt nach versicherungsmathematischen Grundsätzen so festzusetzen, dass die für den Deckungsabschnitt zu entrichtenden Umlagen zusammen mit den sonstigen zu erwartenden Einnahmen aus der Pflichtversicherung und dem zu Beginn des Deckungsabschnitts insoweit vorhandenen Teilvermögen – jedoch ohne das Vermögen nach § 56 Abs. 2 Satz 2 – voraussichtlich ausreichen, um die Ausgaben für den Deckungsabschnitt und ein weiteres Jahr zu bestreiten. 3Der Deckungsabschnitt soll so bemessen werden, dass die voraussichtlichen Verpflichtungen der Kasse aus den Anwartschaften und Leistungen aus der Pflichtversicherung dauerhaft erfüllt werden können; er darf jedoch zehn Jahre nicht unterschreiten. 4Nach spätestens drei Jahren ist der Bedarf an Umlage und Sanierungsgeld für einen neuen Deckungsabschnitt nach Satz 1 festzusetzen (gleitender Deckungsabschnitt).
7§ 62 Umlagen
8(1) Die Umlage beträgt 4,5 v.H. des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts (Absatz 2). […]
9§ 63 Sanierungsgeld
10(1) Infolge der Schließung des Gesamtversorgungssystems und des Wechsels zum Punktemodell erhebt die Kasse zur Finanzierung der Ansprüche und Anwartschaften, die vor dem 1. Januar 2002 begründet worden sind, ein pauschales Sanierungsgeld zur Deckung eines zusätzlichen Finanzbedarfs, der über die Einnahmen bei dem Umlagesatz von 4,5 v.H. hinausgeht.
11(2) Sanierungsgeld kann erhoben werden, solange das Kassenvermögen am Ende des Deckungsabschnittes ohne Berücksichtigung des Sanierungsgelds den versicherungsmathematischen Barwert der zu diesem Zeitpunkt bestehenden und vor dem 1. Januar 2002 begründeten Anwartschaften und Ansprüche voraussichtlich unterschreitet […]“
12(Fassung der Satzung der Kommunalen Zusatzversorgungskasse Westfalen-Lippe in der Neufassung vom 9. Juli 2002 (GV. NRW. S. 468), hinsichtlich § 63 geändert durch die 1. Satzungsänderung vom 16. Juli 2003 (GV. NRW. S. 619) und die 5. Satzungsänderung vom 8. Juni 2006 (GV. NRW. S. 457).
13Für das Kalenderjahr 2014 galt ein seit dem 01.01.2012 laufender Deckungsabschnitt mit einer einhundertjährigen Dauer. Für diesen Deckungsabschnitt hatte der Kassenausschuss der Beklagten in einem Beschluss vom 19.10.2011, der Empfehlung des Verantwortlichen Aktuars folgend, einen Gesamtfinanzierungsbedarf von 7,50 % des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts festgestellt. Es wurde ein Sanierungsgeld von 3,00 % des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts festgesetzt. Die Klägerin zahlte auf dieser Grundlage insgesamt 249.065,94 € für das Jahr 2014 an die Beklagte.
14Die Klägerin ist der Ansicht, das Sanierungsgeld sei fehlerhaft erhoben worden. Sanierungsgeld habe nach dem ATV-K nur zur Deckung eines aus der zum 01.01.2002 vorgenommenen Systemumstellung vom Gesamtversorgungssystem zum sogenannten Punktemodell entstehenden zusätzlichen Finanzbedarfs erhoben werden dürfen; das von der Beklagten erhobene Sanierungsgeld diene aber ihrer allgemeinen Finanzierung. Auch seien falsche Rechnungsgrundlagen sowie ein unzulässig langer Deckungsabschnitt gewählt worden. Der Beschluss zur Erhebung des Sanierungsgelds sei damit ermessensfehlerhaft gewesen.
15Mit ihrer am 05.01.2018 zugestellten Klage beantragt sie,
161. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 249.065,94 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen,
172. festzustellen, dass die Beklagte der Klägerin zur Herausgabe der seit Erhalt der jeweiligen Teilzahlungen bis zur Rechtshängigkeit gezogenen Nutzungen verpflichtet ist.
18Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Sie verteidigt ihre Satzungsbestimmungen sowie den Beschluss zur Sanierungsgelderhebung vom 19.10.2011 mit eingehendem Vortrag als rechtmäßig.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die Klage ist, was den Zahlungsantrag zu Ziffer 1.) betrifft, begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
24I.
25Die Klage auf Rückzahlung der geleisteten Sanierungsgelder ist begründet.
261.
27Dabei kann es dahinstehen, ob das Sanierungsgeld bei der Beklagten schon deshalb zu Unrecht erhoben wurde, weil die satzungsmäßige Zweckbestimmung des Sanierungsgelds in § 63 Abs. 1 KVWS – wonach Sanierungsgeld erhoben werden durfte zur Finanzierung der Altverbindlichkeiten – mit der Befugnis nach § 17 Abs. 1 ATV-K unvereinbar ist. Letztere erlaubt zumindest nach ihrem Wortlaut nur die Erhebung von Sanierungsgeld für Finanzbedarf, der „infolge“ des Systemwechsels vom Gesamtversorgungssystem zum Punktemodell entstanden ist. Jedenfalls nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm soll diese Befugnis so zu verstehen sein, dass nur kausal durch den Systemwechsel entstandener Finanzbedarf mit Sanierungsgeld gedeckt werden darf (OLG Hamm, Urteil vom 29. Juni 2017 – I-6 U 212/15 –, juris Rn. 94ff.). Dies würde im Kern bedeuten, dass nur solche Zusatzversorgungskassen, die zusammen mit dem Systemwechsel auf Leistungsseite auch einen Systemwechsel auf Finanzierungsseite (hin zu einer zumindest teilweise kapitalgedeckten Finanzierung) vollzogen, nennenswerte Sanierungsgelder hätten erheben dürfen. Die Beklagte hätte, wie sie selbst zutreffend ausführt, wegen ihrer Entscheidung zur Beibehaltung der Umlagefinanzierung allenfalls Verwaltungskosten über Sanierungsgelder abdecken können.
28Inwiefern diese wortlautgetreue Auslegung von § 17 Abs. 1 ATV-K zutrifft, erschien zumindest im Jahr 2015 dem Bundesgerichtshof zweifelhaft (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2015 – IV ZR 336/14 – juris Rn. 34), jedenfalls war es auch im Jahr 2011, in dem der streitgegenständliche Kassenausschussbeschluss erging, höchstrichterliche Rechtsprechung, dass die in ihrer Zweckbestimmung (Finanzierung des Altbestands) identische Regelung von § 65 der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) mit den Vorgaben des § 17 Abs. 1 ATV-K vereinbar sei (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2011 – IV ZR 76/09 –, BGHZ 190, 314-353, juris Rn. 58; ebenso in den weiteren Urteilen vom selben Tag, BGH IV ZR 46/09 und 68/09, und zuletzt BGH, Beschluss vom 09. September 2014 – IV ZR 35/12 –, juris Rn. 5).
292.
30Die vorbeschriebene Auslegungsfrage bedarf jedoch keiner Beantwortung, weil jedenfalls die konkrete Sanierungsgeldbemessung für die Jahre ab 2012 durch die Zusatzversorgungskasse der Beklagten unzutreffend erfolgte. Das Gericht folgt hier der überzeugenden Einschätzung der 15. Zivilkammer des hiesigen Landgerichts im Parallelverfahren Az. (Urteil vom 23.09.2021). Der Kassenausschussbeschluss vom 19.10.2011 erfolgte ermessensfehlerhaft, weil nach diesem Beschluss das erhobene Sanierungsgeld nicht auf seinen satzungsmäßigen Zweck – die Finanzierung von Altverbindlichkeiten – beschränkt war und auch keine satzungskonforme Deckungsabschnittslänge gewählt wurde.
31Hierzu gilt:
32§ 63 Abs. 1 der Satzung der Zusatzversorgungskasse der Beklagten (im Folgenden: KVWS) – in der Fassung der 1. und 5. Satzungsänderungen vom 16. Juli 2003 und 8. Juni 2006 – erlaubte der Zusatzversorgungskasse allein die Erhebung von Sanierungsgeld „zur Finanzierung der Ansprüche und Anwartschaften, die vor dem 1. Januar 2002 begründet worden sind.“ Zugleich war in § 63 Abs. 2 KWVS als „Abbruchkriterium“ festgeschrieben, dass Sanierungsgeld nicht mehr erhoben werden durfte, wenn das Kassenvermögen unter Herausrechnung des Sanierungsgelds „am Ende des Deckungsabschnitts“ den Barwert der Altverbindlichkeiten überschritt.
33Beiden Regelungen wurde der Kassenausschussbeschluss vom 19.10.2011 nicht gerecht. Denn Grundlage der beschlossenen Umlagesätze war allein eine zuvor erfolgte Berechnung der insgesamt erforderlichen Einnahmen bzw. Vermögensrückstellungen, die ohne Differenzierung von Neu- und Altverbindlichkeiten erfolgte. Die Beklagte hat sodann diesen gesamten Finanzierungsbedarf in einen hundertjährigen Deckungsabschnitt eingestellt. Dies führte dazu, dass sie (nur) einen einzelnen anzustrebenden Gesamtumlagesatz ermittelte, nämlich einen solchen, der einhundert Jahre stabil bleiben kann (unterstellt, dass sich bei den wesentlichen versicherungsmathematischen Rechnungsgrößen – Sterbetafeln, Zinsfüße, Entgelt- und Rentendynamik – nichts verändert). Dies wird ganz plastisch durch die Ausführungen auf S. 4 des versicherungsmathematischen Gutachtens C vom 22.07.2011, das Grundlage des Kassenausschlussbeschlusses vom 19.10.2011 war. Dort ist u.a. dargestellt:
34„10. Seit Umstellung des Leistungsrechts von der Gesamtversorgung auf das Punktemodell wird von der [Zusatzversorgungskasse] unverändert ein Umlagesatz in Höhe von 4,5 % der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte erhoben; das heißt, dass die Anpassung des Finanzierungsbedarfs, soweit möglich, jeweils über eine Veränderung/Anpassung des steuerfreien Sanierungsgeldes umgesetzt wird […]
3515. Der jeweilige Mindestwert für den Gesamtsatz S von Umlagen und Sanierungsgeldern als v.H.-Satz der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte (Vomhundertsatz) wird [wie folgt] errechnet […]“
36Dies war indes unzulässig. Denn Sanierungsgeld durfte nach § 63 Abs. 1 KVWS nur für die Finanzierung von Altverbindlichkeiten erhoben werden. Dies gebot auch der zugrundeliegende § 17 ATV-K, denn dieser erforderte – vorbehaltlich der noch engeren Lesart des Oberlandesgerichts Hamm (s.o.) –, dass eine Abgrenzung zwischen den Kosten für das ehemalige Gesamtversorgungssystem einerseits und dem Punktemodell andererseits vorzunehmen war (Hügelschäffer in Sponer/Steinherr, TVöD/TV-L Gesamtausgabe, 230. AL Januar 2022, § 17 ATV 2.1 Anwendungsbereich Rn. 5; Kiefer/Langenbrinck/Kulok, Betriebliche Altersversorgung im öffentlichen Dienst, 29. Update Oktober 2021, 2 § 17 ATV und Ziff. 4.1 des Altersvorsorgeplans: „Kosten für die alte ZV-Welt“; Breier/Dassau/Kiefer u.a., TV-L, 104. AL 09/2021, 1 Finanzierungszweck Rn. 2: „Auffüllen der Deckungslücke“). Entsprechend hat auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main jüngst griffig formuliert, durch § 17 Abs. 1 Satz 1 ATV-K habe vermieden werden sollen, dass die neuen Verpflichtungen unter dem – beitragsfinanzierten – Punktemodell mit der Erhebung von Sanierungsgeldern finanziert werden (OLG Frankfurt, Urteil vom 18. März 2020 – 13 U 106/17 –, juris Rn. 60).
37Durch die Methode eines (allein ermittelten) Gesamtsatzes an anzustrebender Umlage, berechnet auf einen hundertjährigen Deckungsabschnitt, war aber das Sanierungsgeld bei der Zusatzversorgungskasse der Beklagten nichts weiter als ein Teil der (Gesamt-)Umlage der Mitglieder. Eine Differenzierung, nach der das Sanierungsgeld nur zur Zahlung auf die Altverbindlichkeiten und die allgemeine Umlage zum Kapitalaufbau für den hundertjährigen Deckungsabschnitt und die Zahlung auf Neuverbindlichkeiten verwendet würde, hat die Beklagte nicht getroffen.
38Auch konnte durch die Wahl des hundertjährigen Deckungsabschnitts die satzungsmäßige Vorgabe des „Abbruchkriteriums“ nicht gewahrt werden. Die sachgerechte Anwendung dieses „Abbruchkriteriums“ setzt aus Sicht des Gerichts – in Übereinstimmung mit der hiesigen 15. Zivilkammer – zwingend voraus, dass die zur Berechnung des Sanierungsgelds gewählten Deckungsabschnitte eine angemessene (und nicht zu große) Länge haben. Denn nur dann kann überhaupt ermessen werden, welches Kassenvermögen und welche Barwerte am Ende dieses Deckungsabschnitts vorliegen, und nur dann kann auch der Zweck des „Abbruchkriteriums“ erfüllt werden, nämlich den gewünschten Übergang zur Finanzierung aller Verbindlichkeiten durch die allgemeine Umlage herzustellen. Dieses wurde der Beklagten auch in dem C-Gutachten vom 22.07.2011 auf S. 7 für einen zehn-, zwanzig- und dreißigjährigen Deckungsabschnitt vorgerechnet (mit dem Ergebnis, dass bei einem zwanzigjährigen Deckungsabschnitt das Abbruchkriterium noch nicht, bei einem dreißigjährigen Deckungsabschnitt aber wohl schon erreicht wäre). Für einen hundertjährigen oder „ewigen“ Deckungsabschnitt enthält das Gutachten dann (logischerweise) gar keine Angaben mehr. Denn beim hundertjährigen Deckungsabschnitt geht die Kalkulation dahin, dass die heute eingenommenen Gelder potenziell (auch) solche Ausgaben mitfinanzieren, die in siebzig, achtzig oder neunzig Jahren zu machen sind, d.h. auch dann noch, wenn längst keine Altverbindlichkeiten aus dem Gesamtversorgungssystem mehr bestehen konnten. Wegen dieser Eigenheit gereicht es der Beklagten auch nicht zum Erfolg, dass sie ein gleitendes Deckungsabschnittsverfahren nutzt und im dreijährigen Rhythmus eine Überprüfung der Umlage- und Sanierungsgeldhöhe vornimmt.
39Der Einwand der Beklagten, bei einem einheitlichen Abrechnungsverband der Neu- und Altverbindlichkeiten sei ein anderes Vorgehen (im Sinne einer Kalkulation des Gesamtfinanzbedarfs und eines einheitlichen Umlagesatzes) nicht möglich, gereicht ihr dabei nicht zum Erfolg. Es scheint dem Gericht schon inhaltlich nicht zutreffend, dass zwingend ein einheitlicher Umlagesatz für alle Verbindlichkeiten hätte gebildet werden müssen. Denn es war auch in dem Heubeck-Gutachten ohne Weiteres möglich, die notwendigen Rückstellungen für Altverbindlichkeiten auszuweisen, und es war dem von der 15. Zivilkammer hinzugezogenen Sachverständigen G, dessen Gutachten die Klägerin vorgelegt hat, auch unproblematisch möglich, den zur (isolierten) Finanzierung dieser Altverbindlichkeiten erforderlichen Umlagesatz (von ihm als „Altrentensatz“ bezeichnet) zu errechnen. Die Beklagte hätte diesen Umlagesatz für die Altverbindlichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Sanierungsgelderhebung machen können, sodass sie – nach Abzug des „Umlage-Exzedenten“ (4,5 %, siehe § 16 Abs. 1 Satz 4 ATV-K) – einen Vom-Hundert-Satz als Sanierungsgeldsatz ermitteln konnte (siehe zu einem vergleichbaren Vorgehen einer kirchlichen Zusatzversorgungseinrichtung OLG Frankfurt, Urteil vom 18. März 2020 – 13 U 106/17 –, juris Rn. 59). Anschließend hätte die Zusatzversorgungskasse der Beklagten – auch wenn sie bei einem einheitlichen Abrechnungsverband bleiben wollte – errechnen können, wie hoch danach der allgemeine Umlagesatz sein müsste, um die noch nicht vom Sanierungsgeld gedeckten Alt- und Neuverbindlichkeiten zu finanzieren.
40Überdies gilt für den vorstehenden Einwand der Beklagten, dass sie – wenn sie sich schon darauf beschränkten wollte, einen einheitlichen Gesamtumlagesatz für alle Verbindlichkeiten zu berechnen – jedenfalls einen kürzeren Deckungsabschnitt hätte wählen können, um sicherzustellen, dass der für diesen Deckungsabschnitt festgesetzte Sanierungsgeldsatz im Wesentlichen der Finanzierung der Altverbindlichkeiten dienen würde (und im Anschluss das Abbruchkriterium zum Tragen kommt, sodass der von § 63 Abs. 2 KVWS vorgesehene Übergang zur Finanzierung aller Verbindlichkeiten durch die allgemeine Umlage vorgenommen wird). Die Beklagte hat zur Rechtfertigung ihres hundertjährigen Deckungsabschnittes indes nur vorgebracht, hiermit besonders lange Stabilität und Generationengerechtigkeit unter ihren Mitgliedern herzustellen. Hierfür war aber das Sanierungsgeld nicht gedacht. Es diente allein der „Restfinanzierung“ der Altverbindlichkeiten, nicht der Dauerfinanzierung der Beklagten.
41Die vorbeschriebenen Fehler waren auch nicht vom Ermessensspielraum des Kassenausschusses der Zusatzversorgungskasse gedeckt. Denn die Zweckbindung des Sanierungsgeldes an die Zahlung auf Altverbindlichkeiten (§ 63 Abs. 1 KVWS) diente der Einhaltung der (zwingenden) steuerlichen Vorgabe, dass steuerfreies Sanierungsgeld „der Finanzierung der zum Zeitpunkt der Umstellung bestehenden Versorgungsverpflichtungen oder Versorgungsanwartschaften dient“ (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 (Gesetz v. 13.12.2006, BGBl. I S. 2878). Allgemeine Umlagebeiträge des Arbeitgebers waren indes zu versteuern, weil durch sie dem Arbeitnehmer ein geldwerter Vorteil zufließt.
42Zur Wahrung dieser Vorgabe diente auch das Abbruchkriterium (§ 63 Abs. 2 KVWS). Letzteres bedeutete überdies, dass Kapitalauf- und abbau aus Sanierungsgeldern nur für den Zeitraum möglich war, in dem Kapital für die Zahlung von Altverbindlichkeiten benötigt wird. Beide Satzungsvorgaben durfte der Kassenausschuss der Zusatzversorgungskasse nicht – zumindest nicht ohne vorherige Satzungsänderung – ignorieren.
433.
44Da bei Zusatzversorgungskassen an die Stelle einer ermessensfehlerhaft getroffenen Leistungsbestimmung – abweichend von § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB – keine gerichtliche, der Billigkeit entsprechende Leistungsbestimmung treten kann (BGH, Urteil vom 09. Dezember 2015 – IV ZR 336/14 –, juris Rn. 19), ist das erhobene Sanierungsgeld von der Beklagten insgesamt rechtsgrundlos vereinnahmt worden. Diese hat es mithin vollständig aus Bereicherungsrecht zurückzuzahlen (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB).
454.
46Das Gericht hat intensiv erwogen, inwiefern der Klägerin bei ihrem Bestreben, die von der Beklagten erhobenen Sanierungsgelder zurückzufordern, der Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegenstehen muss.
47Dieser Einwand liegt insoweit nahe, als dass die „Methode“ der Beklagten zu einem rechnerisch zu hohen Sanierungsgeld- und zu niedrigen allgemeinen Umlagesatz führte. Da der Finanzbedarf aber aus Sicht des Kassenausschusses der Beklagten in jedem Fall bestand, wäre bei einer korrekten „Rechenmethode“ – d.h. bei Einhaltung der vorbeschriebenen Vorgaben des § 63 Abs. 1 KVWS – ein niedrigerer Sanierungsgeldsatz, zugleich aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine höhere allgemeine Umlage festgesetzt worden. Dies wäre für die Klägerin wirtschaftlich nicht vorteilhafter gewesen, denn wegen der „Festschreibung“ des maximalen Arbeitnehmeranteils an den Beiträgen in § 16 Abs. 1 Satz 4 ATV-K hätte sie Umlagesatzsteigerungen ebenso selbst tragen müssen. Zugleich wäre eine höhere allgemeine Umlage für die Arbeitnehmer der Klägerin unmittelbar nachteilhaft gewesen, weil diese – auch in Form des Arbeitgeberbeitrags – im Jahr 2014 jedenfalls in nennenswertem Anteil als Arbeitslohn zu versteuern war, während das Sanierungsgeld steuerfrei blieb (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, einschließlich Satz 2 Buchst. d, Satz 4 EStG, und im Gegensatz dazu § 3 Nr. 56 Satz 1, § 40b Abs. 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007).
48Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung greift jedoch im Ergebnis nicht durch, weil die Klägerin (und ihre Arbeitnehmer) jedenfalls durch die Wahl der Deckungsabschnittslänge selbst benachteiligt wurden. Wie das C-Gutachten vom 22.07.2011 auf S. 3 aufzeigt, lag der für die Zusatzversorgungskasse der Beklagten erforderliche Gesamtumlagesatz (inklusive Sanierungsgeld) bei einem kürzeren Deckungsabschnitt bei jeder unterstellten Zinsentwicklung und Entgeltdynamik erheblich niedriger als bei dem von dem Kassenausschuss gewählten hundertjährigen Deckungsabschnitt. Beispielhaft lag der erforderliche Gesamtumlagesatz im hundertjährigen Deckungsabschnitt bei einer angenommenen „mittleren“ Entgeltdynamik von 2,0 % und Zinsentwicklung von 4,5 % bei 7,48 % (was zu der Festsetzung von 7,5 % Gesamtumlagesatz durch den Kassenausschuss führte); bei einem zwanzigjährigen Deckungsabschnitt wären jedoch nur 5,89 %, bei einem dreißigjährigen Deckungsabschnitt 6,53 % erforderlich gewesen.
49II.
50Der weiter gestellte Feststellungsantrag ist jedenfalls unbegründet, weil unschlüssig. Auch bei einem reinen Feststellungsantrag auf Auskehr von Nutzungen (§ 818 Abs. 1 BGB) muss der Anspruchsteller zumindest grundlegend darstellen, welche Art Nutzungen der Bereicherte gezogen haben soll. Erforderlich wäre hier eine konkrete Darlegung der Klägerin gewesen, dass und inwieweit tatsächlich aus den Beiträgen Erträge erzielt worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2016 – IV ZR 512/14 –, juris Rn. 27 zum vergleichbaren Fall der Nutzungsherausgabe bei der Rückforderung von Versicherungsprämien). Dies hat die Klägerin nicht getan, es kann auch nicht allgemein aus Erfahrungssätzen unterstellt werden. Denn die Beklagte ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts ohne eigene Gewinnerzielungsabsicht tätig. Etwaige Überschüsse nutzt sie zum Aufbau von Rücklagen, statt sie an ihre Mitglieder auszuschütten; auch aus der Zahlung auf die gegen sie begründeten Rentenansprüche erwirtschaftet sie keinen Vermögensvorteil.
51III.
52Anlass zur Gewährung weitergehenden Schriftsatznachlasses zu den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung, wie von der Beklagten beantragt, bestand nicht. In der mündlichen Verhandlung sind weder neues Tatsachenvorbringen der Klägerin noch überraschende Rechtsansichten des Gerichts zur Sprache gekommen, zu denen sich die Beklagte während der bereits vierjährigen Dauer des Rechtsstreits nicht angemessen äußern konnte (und auch geäußert hat).
53IV.
54Das Gericht hat, anders als die Klägerin, dem Klageantrag zu 2.) einen eigenständigen Streitwert beigemessen (ca. 35.000 €); dieser ergibt sich als Schätzung etwaiger denkbarer Erträge aus den von der Klägerin gezahlten 249.065,94 € für fünf Jahre bis zur Klageerhebung bei einem durchschnittlichen Zinssatz von 3,0 %.
55Bei einem Gesamtstreitwert von bis 284.065,94 € war danach eine Unterliegensquote bei der Klägerin zuzumessen (§ 92 Abs. 1 ZPO), für die Anwendung von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestand kein Anlass. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- EStG § 40b Pauschalierung der Lohnsteuer bei bestimmten Zukunftssicherungsleistungen 1x
- § 17 ATV 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 2x
- 6 U 212/15 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 315 Bestimmung der Leistung durch eine Partei 1x
- EStG § 19 1x
- Urteil vom Oberlandesgericht Celle (13. Zivilsenat) - 13 U 106/17 2x
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 1x
- IV ZR 76/09 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 512/14 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 336/14 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 35/12 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 818 Umfang des Bereicherungsanspruchs 1x
- IV ZR 46/09 1x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Bundesgerichtshof (4. Zivilsenat) - IV ZR 336/14 1x