Beschluss vom Landgericht Nürnberg-Fürth - 18 Qs 61/18

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Verurteilten H. wird der Beschluss des Amtsgerichts Erlangen vom 26.10.2018, Az. 7 Cs 454 Js 50713/18, zur Klarstellung aufgehoben.

2. Eine weitergehende Beschwerdeentscheidung ist - derzeit - nicht veranlasst.

Gründe

I.

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Erlangen vom 23.02.2018, Az. 7 Cs 454 Js 50713/18, wurde gegen die Verurteilte H. eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 25 € wegen eines Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz verhängt. Die Entscheidung wurde am 27.02.2018 (Datum der Postzustellungsurkunde) in den zur Wohnung der Verurteilten gehörenden Briefkasten eingelegt. Der Strafbefehl trägt einen auf den 14.03.2018 datierten Rechtskraftvermerk. Die Geldstrafe ist seit dem 06.10.2018 vollständig bezahlt.

Mit Schreiben vom 18.03.2018, bei Gericht eingegangen am 21.03.2018, erhob die Verurteilte, ohne auf Hintergründe der (zu) späten Reaktion einzugehen, Einwände gegen die Richtigkeit des Tatvorwurfs. Sie schloss ihr Vorbringen mit dem Satz: „Ich bitte Sie um Ihren Verständnis und wäre sehr dankbar wenn Sie den Strafbefehl aufheben würden“.

Die Staatsanwaltschaft sah in dem Schreiben - nur - einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und beantragte dessen Verwerfung als unzulässig, weil nicht ersichtlich sei, warum die Verurteilte „nicht innerhalb der Einspruchsfrist“ reagiert habe.

Das Amtsgericht wies, die Auslegung und die Begründung der Staatsanwaltschaft aufgreifend, mit Beschluss vom 13.04.2018 - nur - den Wiedereinsetzungsantrag vom „21.03.2018“ (richtig: 18.03.2018) zurück. Die Entscheidung wurde am 19.04.2018 (Datum der Postzustellungsurkunde) in den zur Wohnung der Verurteilten gehörenden Briefkasten eingelegt. Der Beschluss trägt einen auf den 27.04.2018 datierten Rechtskraftvermerk.

Als - wenngleich verspäteter - Einspruch gegen den Strafbefehl ist das in Rede stehende Schreiben vom 18.03.2018 nie behandelt worden.

Am 26.09.2018 legte die Verurteilte zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom „13.03.2018“ (richtig: 13.04.2018) ein. Sie führte aus, dass ihrem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben werden müsse, weil sie aus gesundheitlichen Gründen - gemäß einem von ihr übergebenen ärztlichen Attest vom 24.09.2018 - zur Einhaltung von Rechtsmittelfristen nicht in der Lage gewesen sei.

Die sofortige Beschwerde vom 26.09.2018 ist unbearbeitet geblieben.

Mit Schreiben vom 25.09.2018 an den bis dahin zuständigen Richter - der Eingang bei Gericht ist zeitlich nicht festgehalten (spätester Zeitpunkt: 11.10.2018) - machte die Verurteilte parallel zu der Niederschrift vom Vortag geltend, „keine Straftaten gemacht“ zu haben. Sie habe sich, „vergesslich“ geworden und von ihren sieben Kindern „vollgestresst“, nicht um den rechtzeitigen „Widerspruch“ gekümmert, weil es nach den Gepflogenheiten ihrer Ehe „die Aufgabe meines Mannes ist es sich um die Arbeit was die Papiere angeht sich darum zu kümmern“. Sie bitte darum, „mir die Chance zu geben und mir helfen, diesen Urteil wiederzuöffnen“.

Die nach einer Änderung der Geschäftsverteilung neu zuständige Richterin leitete die Akten der Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis zu, dass das Schreiben vom 25.09.2018 wohl „als Einspruch gegen den Strafbefehl sowie als Antrag auf Wiedereinsetzung auszulegen“ sei.

Die Staatsanwaltschaft beantragte die Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrags als unbegründet. Auf die außerdem ausdrücklich aufgeworfene Frage einer Behandlung des Schreibens als Einspruch ging sie nicht ein; ein diesbezüglicher Antrag wurde nicht gestellt.

Mit Beschluss vom 26.10.2018 wies das Amtsgericht - nur - den (so behandelten) Antrag der Verurteilten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet zurück. Eine Entscheidung über einen Einspruch gegen den Strafbefehl - in Anknüpfung an die eigene Auslegung in der vorangegangenen Zuleitungsverfügung an die Staatsanwaltschaft - unterblieb.

Auf den Beschluss vom 26.10.2018, ihr zugestellt am 02.11.2018, hat die Verurteilte mit Schreiben vom „07.01.2018“ (richtig: 07.11.2018), bei Gericht eingegangen am 08.11.2018, erneut reagiert. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres früheren Vorbringens hat sie sich wiederum darauf berufen, „nichts Falsches gemacht“ zu haben und mit der Einhaltung von Fristen unverschuldet überfordert zu sein, weshalb sie darum bitte, „diesen Fall erneut zu eröffnen“.

Die Staatsanwaltschaft hat das Schreiben vom 07.11.2018 zunächst als „erneuten Wiedereinsetzungsantrag“ behandelt und dessen Verwerfung als unzulässig beantragt.

Auf Hinweis des Amtsgerichts hat sich die Staatsanwaltschaft dessen Auffassung angeschlossen, dass das Schreiben als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 26.10.2018 zu behandeln sei. Sie hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die gemäß § 46 Abs. 3 StPO statthafte, fristgerecht eingelegte (§ 311 Abs. 2 StPO) und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat im tenorierten Umfang - vorläufig - Erfolg, weil jedenfalls der von der Verurteilten zuletzt (mit) angegriffene Beschluss vom 26.10.2018, dem eine verfahrensrechtliche Grundlage fehlt, zur Klarstellung aufgehoben werden musste. Zu einer weitergehenden Entscheidung ist das Beschwerdegericht - derzeit - nicht berufen.

Unter den gegebenen Umständen war das Schreiben der Verurteilten vom 07.11.2018 (auch) als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 26.10.2018 auszulegen:

In erster Linie hat die Verurteilte zwar nur ihr Vorbringen wiederholt, dass sie am 25.09.2018 (im Schreiben an den Richter) bzw. am 26.09.2018 (in der Niederschrift) schon unterbreitet hatte. Dieses Vorbringen war von der die Erklärung der Verurteilten aufnehmenden Rechtspflegerin zutreffend so aufgefasst und protokolliert worden, dass das statthafte Rechtsmittel - sofortige Beschwerde - gegen den Beschluss vom 13.04.2018 eingelegt werden sollte. Solange über dieses Rechtsmittel nicht entschieden war - eine Situation, die bis heute andauert -, konnten (und können) weitere Ausführungen der Verurteilten unter normalen Umständen nur als Ergänzungen der Begründung im (schon und noch) laufenden Rechtsmittelzug verstanden werden.

Vorliegend muss ausnahmsweise etwas anderes gelten, weil das Schreiben vom 25.09.2018 zum Anlass genommen wurde, parallel zum bereits eingeleiteten Beschwerdeverfahren - in dem eine Vorlage an das Landgericht unterblieben ist - am 26.10.2018 irrtümlich eine zweite erstinstanzliche Verwerfung eines vermeintlich offenen Wiedereinsetzungsantrags zu beschließen. In dieser „verqueren“ prozessualen Situation, die von Staatsanwaltschaft und Amtsgericht versehentlich geschaffen und nachfolgend nicht bemerkt wurde, ist ein gesondertes Rechtsschutzbedürfnis der Verurteilten anzuerkennen, auch den verfahrensfehlerhaft erlassenen „Zwillingsbeschluss“ zur Entscheidung vom 13.04.2018 beseitigen zu lassen. Auch wenn der Beschluss vom 26.10.2018 letztlich „ins Leere geht“, weil er über einen nicht existenten zweiten Wiedereinsetzungsantrag befindet, enthält sein Tenor - für sich genommen - einen die Verurteilte belastenden Ausspruch. Dies ist erforderlich und zugleich ausreichend, um eine eigenständige Beschwer zu bejahen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., Vor § 296 Rn. 11 f.; BeckOK-StPO/Cirener, § 296 Rn. 7 f.; KK-StPO/Paul, 8. Aufl., Vor § 296 Rn. 5 f.; jeweils m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund war das Schreiben vom 07.11.2018, das ersichtlich auch eine unmittelbare und ablehnende Reaktion auf die Entscheidung vom 26.10.2018 darstellt, (auch) als Rechtsmittel gegen diesen „Zwillingsbeschluss“ zu verstehen und selbiger zur Klarstellung aufzuheben. Damit ist das Beschwerdeverfahren förmlich in die Situation zurückversetzt, die mit Aufnahme der Niederschrift vom 25.09.2018 eingetreten war.

Eine weitergehende Entscheidung kann derzeit nicht getroffen werden. Die Akten sind dem Landgericht ausdrücklich (nur) mit dem Antrag zugeleitet worden, über eine mit dem Schreiben der Verurteilten vom 07.11.2018 eingelegte sofortige Beschwerde zu entscheiden. Das Schreiben war auch in der Tat aus den vorstehend dargelegten Gründen als ein eigenständiges Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 26.10.2018 zu begreifen. Die erkennende Kammer ist nicht befugt, die Vorlageverfügung dahingehend umzudeuten oder ergänzend auszulegen, dass - allein oder zusätzlich - eine Entscheidung über die („eigentliche“) sofortige Beschwerde vom 25.09.2018 gegen den („eigentlichen“) Beschluss vom 13.04.2018 begehrt wird.

Die Akten werden mit Blick auf das noch offene ursprüngliche Rechtsmittel erneut dem Beschwerdegericht vorzulegen sein. Die Kammer gibt dabei zu bedenken, dass die prozessuale Lage noch in anderer Hinsicht zu klären und ggf. zu „reparieren“ sein dürfte: Staatsanwaltschaft und Amtsgericht haben in keinem der beiden „Durchläufe“ (zunächst: Antrag vom 09.04.2018, Beschluss vom 13.04.2018; dann: Antrag vom 17.10.2018, Beschluss vom 26.10.2018) die schriftlichen Proteste der Verurteilten gegen den erhobenen Tatvorwurf als - verspäteten - Einspruch gegen den Strafbefehl gemäß § 410 Abs. 1 Satz 1, § 411 Satz 1 StPO behandelt. Die jeweils getroffenen Entscheidungen „hängen in der Luft“, indem sie verkennen, dass ein Wiedereinsetzungsantrag kein isolierter Selbstzweck ist. Dies ist umso überraschender, als die Verurteilte schon in ihrem ersten Schreiben vom 18.03.2018 abschließend unmissverständlich darum gebeten hatte, dass man „den Strafbefehl aufheben“ möge; auch die späteren Zuschriften vom 25.09.2018 und 07.11.2018 enthalten jeweils die ausdrückliche Bitte, „diesen Urteil wiederzuöffnen“ bzw. „diesen Fall erneut zu öffnen“. Eine Entscheidung über den in der Sache unzweifelhaft beabsichtigten Einspruch - vom Standpunkt des Amtsgerichts aus: durch Verwerfung im Beschlusswege (§ 411 Satz 1 StPO) - ist bis heute nicht ergangen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist wegen der vorläufigen und begrenzten Reichweite des vorliegenden Beschlusses nicht veranlasst.

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