Urteil vom Landgericht Wuppertal - 5 O 462/11
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand
2Die Klägerin nimmt die Beklagte aufgrund behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler im Rahmen einer notfallmäßigen Behandlung am 03.11.2008 in Anspruch.
3Die am 11.07.1992 geborene Klägerin kollabierte im Zeitraum von 2007 bis Juni 2008 mehrfach. Am 03.11.2008 stellte sich die Klägerin bei ihrer Hausärztin, Frau Dr. E, V vor. Gegen 14.45 Uhr wurde sie dort wegen eines Schwächeanfalls von dem Notarzt der Feuerwehr der Beklagten notfallmäßig behandelt. Im Rahmen des Notfalleinsatzes wurde ein peripherer venöser Zugang in Form einer Venenverweilkanüle über dem Griffelfortsatz der körperfernen Speiche des linken Unterarms gelegt. Hinsichtlich des gefertigten Notarzteinsatzprotokolls wird auf Blatt 94 der Gerichtsakte verwiesen.
4Aufgrund der Diagnose einer Sehnenscheidenentzündung wurde am 10.02.2009 bei der Klägerin ein operativer Eingriff durchgeführt, in dessen Rahmen eine Eröffnung des 1. Strecksehnenfaches und eine Resektion eines anhängenden distalen Streckensehnenfachganglions erfolgten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den OP-Bericht vom 10.02.2009 (Anlage K 2, Bl. 46 d. A.) verwiesen.
5Am 17.10.2010 unterzog sich die Klägerin einer zweiten Operation im G Klinikum V, in der nach der Neurolyse des Ramus superficialis Nervus radialis eine Neurom-Resektion und Rekonstruktion mittels Neurotube erfolgte. Hinsichtlich der Einzelheiten der Operation wird auf den Entlassungsbericht vom 17.10.2010 (Anlage K 2, Bl. 47 f. d. A.) verwiesen. Im Anschluss daran erhielt die Klägerin sechs Termine Physiotherapie.
6Nach einer MRT-Untersuchung am 27.05.2011 wurde der Verdacht auf ein Neurom flächig entlang des Processus styloideus radii links, wohl möglicherweise ausgehend vom oberflächigen Ast des Nervus radialis bei nachbarschaftlicher Beziehung bestätigt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Befundes wird auf den Bericht vom 30.05.2011 (Anlage K 4, Bl. 49 f. d. A.) verwiesen. Die Klägerin unterzog sich wegen anhaltender Schmerzen am 05.09.2011 einer dritten Operation im G Klinikum V. Im Rahmen der Operation erfolgten eine Narbenexzision und eine Entfernung des Neurotubes und der umgebenden Kapsel. Hinsichtlich der Einzelheiten wird wiederum auf den OP-Kurzbericht (Bl. 73 d. A.) verwiesen.
7Die Klägerin behauptet, dass die Behandlung durch den Notarzt der Beklagten am 03.11.2008 behandlungsfehlerhaft erfolgt sei. Schon das Legen eines Venenzugangs sei nicht indiziert gewesen, da sie lediglich einen Schwächeanfall erlitten habe. Darüber hinaus sei der Venenzugang nicht fachgerecht gesetzt worden. Sie habe bereits beim Legen des Zugangs starke Schmerzen und ein Taubheitsgefühl erlitten.
8Behandlungsfehlerbedingt sei es zu einem iatrogenen Neurom eines Astes des Ramus superficialis Nervus radialis bei Dysästhesien der zweiten Zwischenfingerspalte gekommen. Infolge der Behandlungsfehler sei zudem der Daumen und Zeigefinger der linken Hand bis zum Handgelenk taub. In der Falte zwischen dem Zeige- und Mittelfinger trete konstant ein stechender Schmerz auf. Dieses gelte auch bei leichtestem Druck auf die Eintrittsstelle. Die Operationen am 10.02.2009, 14.10.2010 und am 05.09.2011 seien allein behandlungsfehlerbedingt erforderlich gewesen.
9Die Klägerin beantragt mit der der Beklagten am 26.04.2012 zugestellten Klage,
101.
11die Beklagte zu verurteilen, an sie aus Anlass des Notfalleinsatzes am 03.11.2008 ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, mindestens jedoch 5.500,00 Euro,
122.
13festzustellen, dass die Beklagte dazu verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen Schäden aus Anlass des Notfalleinsatzes am 03.11.2008 sowie solche zukünftigen immateriellen Schäden, die einer heute nicht absehbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin erfolgen und die auf der streitgegenständlichen Behandlung beruhen, zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und/oder andere Dritte übergegangen sind.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie behauptet, die notfallmäßige Betreuung sei lege artis erfolgt. Insbesondere sei das Legen eines Venenzugangs indiziert gewesen, da die Klägerin Anzeichen eines Krampfanfalles gezeigt habe. Das Legen des Venenzuganges selbst sei ordnungsgemäß erfolgt. Das iatrogene Neurom sei nicht durch den hier streitgegenständlichen Einsatz, sondern durch die Sehnenscheidenentzündung ausgelöst worden.
17Die Kammer hat Beweis erhoben nach Maßgabe der Beschlüsse vom 04.06.2012 (Bl. 63 ff. d. A.) und vom 22.04.2013 (Bl. 191 f. d. A.) durch Einholung von Sachverständigengutachten. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Gutachten des Sachverständigen Dr. C2 vom 17.01.2013 (Bl. 130 ff. d. A.), des Sachverständigen Dr. X vom 21.01.2013 (Bl. 117 ff. d. A.) und des Sachverständigen Dr. C vom 04.02.2013 (Bl. 164 ff. d.A.) sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 25.06.2013 (Bl. 211 ff. d. A.).
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen zur Gerichtsakte gelangten Schriftsätze der Parteien sowie auf die im Original beigezogenen Behandlungsunterlagen der Beklagten verwiesen.
19Entscheidungsgründe
20I.
21Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
221.
23Der Klägerin steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schadensersatz aufgrund der ärztlichen Behandlung durch den Notarzt der Feuerwehr der Beklagten am 03.11.2008 zu. Ein solcher Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte folgt nicht unter dem Gesichtspunkt deliktischer Schadenansprüche nach §§ 823 ff. BGB und insbesondere nicht aus Amtshaftungsgrundsätzen nach § 839 BGB, Art. 34 GG.
24Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer nicht fest, dass dem Notarzt im Laufe der Behandlung der Klägerin am 03.11.2008 ärztliche Fehler unterlaufen sind. Im Arzthaftungsrecht trägt grundsätzlich der Patient die Beweislast für einen ärztlichen Behandlungsfehler, also eine Abweichung der ärztlichen Behandlung vom medizinischen Standard (BGH, VersR 1999, 716). Der Nachweis für einen Behandlungsfehler durch den Notarzt, der der Beklagten zuzurechnen wäre, ist nach den für die Kammer in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen nicht erbracht.
25Zur Beurteilung des Behandlungsgeschehens und seiner Folgen stützt sich die Kammer auf das internistische Gutachten von Dr. C vom 04.02.2013. Sie stützt sich auf das chirurgische Zusatzgutachten von Dr. X vom 21.01.2013 sowie auf das neurologische Zusatzgutachten von Dr. C2 vom 17.01.2013. Ergänzend legt sie die Erläuterungen der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 25.06.2013 zugrunde. An der jeweiligen Sachkunde der Gutachter als Chefarzt der medizinischen Abteilung Allgemeine Innere Medizin im Marien-Hospital Euskirchen, als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie im Marien-Hospital Euskirchen und als Chefarzt der neurologischen Abteilung in dem Marien-Hospital Euskirchen hat das Gericht keine Zweifel. Solche sind auch von den Parteien nicht geäußert worden. Die Sachverständigen haben sich mit dem streitgegenständlichen Behandlungsfall unter Berücksichtigung des wechselseitigen Vortrages der Parteien sowie unter Auswertung der vorgelegten Behandlungsunterlagen eingehend auseinandergesetzt. Die Kammer hat ihre jeweils plausiblen Ausführungen nachvollzogen und sich zu eigen gemacht.
26a) Ein ärztliches Versäumnis ergibt sich nicht aufgrund einer fehlenden Indikation des Eingriffs. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. X hat für das Anlegen des venösen Zugangs eine Indikation bestanden, und zwar unabhängig davon, ob hier ein Krampfereignis oder ein Schwächeanfall vorlag. Dieses Ergebnis wird sowohl von dem Sachverständigen Dr. C2 als auch von dem Sachverständigen Dr. C geteilt.
27b) Die Kammer nimmt auch keinen Behandlungsfehler beim Legen des Zuganges an. Ein Behandlungsfehler ist nicht in einer fehlerhaften Lokalisation des Zugangs zu sehen. Sowohl in ihren schriftlichen Gutachten als auch in ihren Erläuterungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung führen die Sachverständigen Dr. X, Dr. C2 und Dr. C aus, dass die Anlage eines venösen Zugangs – wie hier erfolgt - am radialen Handgelenk üblich ist.
28Einen Behandlungsfehler bei dem Legen des Zugangs selbst kann auch nicht festgestellt werden. Selbst wenn mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. C2 davon auszugehen ist, dass die von der Klägerin beklagte Nervverletzung durch das Legen des Zugangs verursacht wurde, ist darin kein Behandlungsfehler zu sehen. Auch unter Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst lässt sich eine solche Nervverletzung nach den Ausführungen des Sachständigen nicht sicher vermeiden. Es ist daher ein schicksalhaftes Ereignis anzunehmen. Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. C und Dr. X ist ebenfalls ein ärztliches Versäumnis im Rahmen des Legens des Zugangs zu verneinen.
29Selbst wenn die Kammer zugunsten der Klägerin unterstellt, dass sie eine von ihr empfundene Schmerzsensation dem Notarzt geschildert hätte, ist die (Weiter-)Behandlung der Klägerin durch den Notarzt nicht fehlerhaft. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. C2 war die Nervschädigung – die als solches keinen Behandlungsfehler darstellt – zu diesem Zeitpunkt schon eingetreten. Aus diesem Grund kann in der Weiterbehandlung auch kein Behandlungsfehler gesehen werden. Nach alledem muss ein ärztliches Versäumnis des Notarztes ausscheiden.
302.
31Weitere Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte sind nicht ersichtlich.
32II.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
34Streitwert: 6.500,00 Euro.
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