Beschluss vom Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 13 R 293/07 B

Tenor

Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22. November 2006 aufgehoben.

Die Staatskasse hat dem Beschwerdeführer die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

 
Die Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) nicht abgeholfen hat, ist zulässig, weil form- und fristgerecht eingelegt; Beschwerdeausschließungsgründe liegen nicht vor.
Die Beschwerde ist auch sachlich in vollem Umfang begründet.
Gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i. V. m. § 380 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO - werden einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, die durch das Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt. Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt. Gemäß Art. 6 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch beträgt das Ordnungsgeld zwischen 5,00 EUR und 1.000,00 EUR.
Zwar ist der Beschwerdeführer als Zeuge nach Maßgabe des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 377 Abs. 2 ZPO ordnungsgemäß geladen worden. Denn die Ladung entsprach § 377 Abs. 2 ZPO und war formlos ohne Zustellung möglich (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 2 SGG; vgl. auch § 377 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Anders als für die Ladung zu einer mündlichen Verhandlung und die Beteiligten des Rechtsstreits gilt für die Ladung eines Zeugen keine besondere gesetzliche Ladungsfrist (vgl. OLG Düsseldorf OLGR Düsseldorf 1994, 170; Zöller/Greger, ZPO, § 377 Rz. 4b; Damrau in MüKomm, ZPO, § 380 Rz. 3).
Gemäß § 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterbleibt die Auferlegung von Kosten und die Festsetzung eines Ordnungsmittels, wenn das Ausbleiben des Zeugen rechtzeitig genügend entschuldigt wird. Erfolgt die Entschuldigung nicht rechtzeitig, so unterbleiben die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung eines Ordnungsmittels nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Zeugen an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Erfolgt die Glaubhaftmachung oder die genügende Entschuldigung nachträglich, so werden die gegen den Zeugen getroffenen Anordnungen wieder aufgehoben (§ 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO).
Genügend ist eine Entschuldigung dann, wenn bei Würdigung aller Umstände dem Zeugen das Erscheinen nicht zugemutet werden kann (vgl. Reichold in Thomas/Putzo Zivilprozessordnung, 27. Aufl., § 382 Rdnr. 2; ähnlich Bundesfinanzhof Beschluss vom 10. November 1987 - V B 66/85 -in Juris).
Der Beschwerdeführer hat sein Ausbleiben zum Termin zu seiner Vernehmung als Zeuge am 22. November 2006 genügend entschuldigt. Seinem vor dem Termin eingegangenen Entschuldigungsschreiben vom 22. November 2006 ist zu entnehmen, dass er sich aufgrund der Kurzfristigkeit der Ladung wegen der Tätigkeit in seiner internistischen/kardiologischen Praxis zur Terminswahrnehmung nicht in der Lage sah. Angesichts dessen, dass die Ladung zum Termin lediglich fünf Tage vorher erfolgte und dabei der Termin lediglich eine halbe Stunde nach dem Ende der regulären Sprechstunde bestimmt wurde, war dem Zeugen nach den konkreten Umständen das Erscheinen nicht zuzumuten. Bei einer internistisch, insbesondere kardiologisch ausgerichteten Praxis erfolgt von akuten Erkrankungen abgesehen die Behandlung regelmäßig aufgrund feststehender Termine, die häufig schon längere Zeit vorher vereinbart sind. Die Ladung ist ihm am Freitag, den 17. November 2006 um 13:25 Uhr zugegangen. Von daher ist nachvollziehbar, dass die Kurzfristigkeit der Ladung - zwischen Ladung und Termin lag noch ein Wochenende - den Beschwerdeführer vor besondere Schwierigkeiten gestellt hat. Dazu kommt, dass die Terminstunde lediglich eine halbe Stunde nach dem Ende der regulären Sprechstunde sein sollte. Es ist aber allgemein bekannt, dass auch bei Ende der angekündigten Praxisöffnungszeit häufig noch Patienten, seien sie nach Terminvereinbarung oder spontan in die Praxis gekommen, auf die Behandlung warten. Auch wenn grundsätzlich die zwingende öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen als Zeuge beruflichen Verpflichtungen vorgeht, muss bei der Terminierung auf offenkundige, insbesondere auch durch öffentlich-rechtliche Vorschriften überlagerte berufliche Belange Rücksicht genommen werden; dies gilt in Sonderheit, wenn - wie hier - die Ladung ganz kurzfristig erfolgt. Deshalb ist zu Recht die Auffassung vertreten worden, dass bei kurzfristiger Ladung an den Entschuldigungsversuch eines Zeugen vor dem Termin keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden dürfen (OLG Düsseldorf OLGR Düsseldorf 1994, 170 zur betriebsbedingten Unabkömmlichkeit eines Selbständigen). Im Beschwerdeverfahren hat der Beschwerdeführer die Schwierigkeiten, die sich aufgrund der kurzfristigen Terminierung für ihn ergaben, dahin präzisiert und konkretisiert, dass es ihm in der kurzen Zeitspanne auch nicht möglich war, in einem Notfall eines seiner kardiologischen Patienten einen Vertreter mit fachkardiologischer Kompetenz zu finden, um auf diese Weise die ihm obliegende Notdienstverpflichtung bis zum Beginn des organisierten Notdienstes am Abend zu erfüllen. Angesichts der Kurzfristigkeit der Ladung, der Ladung auf einen Zeitpunkt kurz nach dem Ende der regulären Praxisöffnungszeit und den aufgezeigten Schwierigkeiten, eine Notdienstvertretung zu erhalten, kann das Ausbleiben des Beschwerdeführer im Beweisaufnahmetermin nicht als pflichtwidrig betrachtet werden. Deshalb ist der Beschwerdeführer als entschuldigt anzusehen (vgl. auch OLG Düsseldorf a.a.O.). Ob die genügende Entschuldigung des Beschwerdeführers rechtzeitig war, kann offen bleiben. Rechtzeitig ist die Entschuldigung nur, wenn sie noch so zeitig erfolgt, dass sich das Gericht darauf einstellen kann, z.B. durch Aufhebung des Termins und Abladung der Beteiligten (vgl. OLG Nürnberg, OLGR Nürnberg 1998, 348 ff., abgedruckt in Juris; Zöller/Greger a.a.O. § 381 Rz. 2). Die Entschuldigung ist am Terminstag per Fax um 11:53 Uhr beim Gericht eingegangen. Hierauf sind die Bevollmächtigten der Klägerin telefonisch vom Nichterscheinen des Beschwerdeführers informiert worden. Ob und weshalb die Beklagte nicht informiert werden konnte, erschließt sich ebenso wenig aus den Akten, wie der weitere Umstand, ob die Beteiligten aufgrund der Kurzfristigkeit der Ladung den Termin überhaupt wahrnehmen konnten und wollten und weshalb er, falls dies nicht der Fall war, nicht aufgehoben worden ist. Selbst wenn die Entschuldigung nicht rechtzeitig gewesen wäre, hat der Beschwerdeführer doch glaubhaft gemacht, dass ihn an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft. Nach seinem glaubhaften Vorbringen hat er sich am Terminstag zu dem Zeitpunkt entschuldigt, als absehbar war, dass er aufgrund des erforderlichen Zeitbedarfs für die noch zu versorgenden Patienten den Termin um 14:00 Uhr nicht würde wahrnehmen können. Als schuldhafte Verspätung der Entschuldigung kann nicht angesehen werden, wenn ein ganz kurzfristig als Zeuge geladener Arzt sich erst dann zur Entschuldigung entschließt, wenn aufgrund des für die Versorgung der in seiner Praxis noch anwesenden Patienten erforderlichen Zeitbedarfs absehbar ist, dass ein Erscheinen im Termin nicht möglich sein wird.
Soweit das Sozialgericht dem Beschwerdeführer als durch sein Nichterscheinen entstandene Kosten 100 EUR auferlegt hat, gibt es hierfür keine gesetzliche Grundlage. Diese Entscheidung hat das Sozialgericht damit begründet, dass hierdurch der zusätzliche Mehraufwand für die fruchtlose Terminierung und die Absetzung des Beschlusses abgegolten werden soll. Das Sozialgericht übersieht, dass es sich bei den durch das Ausbleiben verursachten nach § 380 Abs. 1 Satz 1 ZPO auferlegbaren Kosten lediglich um solche handelt, die, weil vermeidbar, den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten oder deswegen entstehen, dass weitere Zeugen geladen waren (vgl. Huber in Musielak, ZPO, § 380 Rz. 3; Damrau in MüKomm, a.a.O. § 380 Rz. 6). Der zusätzliche Zeitaufwand des Gerichts kann durch diese Kostentragungspflicht nicht ausgeglichen werden (vgl. BFH, Beschluss vom 1. Juni 1988 - XB 41/88 - in Juris; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. November 1981 - L 5 S 61/81 - Leitsatz in Juris).
Mit den außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers war die Staatskasse zu belasten (vgl. BFH, Beschluss vom 10. November 1987 - VB 66/85 - in Juris).
10 
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).

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