Urteil vom Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 2 R 4112/06

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 5. Juli 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 13. Dezember 2004 streitig, mit dem die Beklagte - nach Bewilligung der Altersrente - drei Vormerkungsbescheide aufgehoben hat.
Auf seinen Antrag vom April 2001 bewilligte die Beklagte dem im Juli 1936 geborenen Kläger mit Bescheid vom 23. Mai 2001 ab 1. August 2001 Regelaltersrente in Höhe von monatlich 3.338,19 DM. Dabei berücksichtigte sie in Anwendung des § 58 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) idF des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996 (- in Kraft vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2001 -) 36 Monate mit nachgewiesenen Zeiten beruflicher Ausbildung (Fachschulausbildung vom 11. März 1956 bis 22. Februar 1959). Die gegenüber dem Kläger - früher - erlassenen Vormerkungsbescheide vom 19. Mai 1988, 28./29. Januar 1999 sowie 27. April 1999 (letzterer nicht in den Akten und nicht rekonstruierbar), in denen sie im erstgenannten Bescheid weitere Zeiten der Hochschulausbildung (3. November 1959 bis 31. Oktober 1961; 1. Mai 1963 bis 18. Mai 1965) sowie Fachschulausbildung (1. Oktober 1971 bis 28. März 1972) als rentenrechtliche Zeiten und in dem nachfolgenden Bescheid dieselben Zeiten mit dem Zusatz „Höchstdauer überschritten“ festgestellt hatte, hatte die Beklagte im Regelaltersrentenbescheid - wie sie selbst einräumt - nicht aufgehoben. Den Widerspruch, den der Kläger gegen die Rentenhöhe im Hinblick auf diese früher vorgemerkten Ausbildungszeiten einlegte, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2001). Die dagegen zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhobene Klage S 6 RA 1775/01) hat das SG mit Urteil vom 7. Mai 2003 abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger im Juni 2003 Berufung eingelegt (L 2 RA 2309/03); dieses Verfahren wurde zum Ruhen gebracht (Beschluss des erkennenden Senats vom 17. November 2003) und vom Kläger im Oktober 2004 wieder angerufen (L 2 RA 4548/04).
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Urteile vom 30. März 2004 - B 4 RA 36/02 R und 46/02 R) hob die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 13. Dezember 2004 die oben genannten Vormerkungsbescheide für die Zukunft ab 1. Januar 2005 auf. Mit weiterem Bescheid vom 27. Februar 2006 stellte sie die Regelaltersrente für die Zeit vom 1. August 2001 bis 31. Dezember 2004 - unter Berücksichtigung der für diesen Zeitraum noch nicht aufgehobenen oben genannten Vormerkungsbescheide - neu fest. Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 13. Dezember 2004 blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2005).
Deswegen hat der Kläger am 2. August 2005 Klage zum SG erhoben. Mit Urteil vom 5. Juli 2006 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, entgegen der Auffassung des Klägers schließe § 149 Abs. 5 S. 2 SGB VI nicht die Anwendung des § 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aus.
Der Kläger hat am 16. August 2006 Berufung eingelegt und geltend gemacht, die Aufhebung der Vormerkungsbescheide sei rechtswidrig, weil sie spätestens unter Beachtung des § 149 Abs. 5 S. 2 SGB VI im Regelaltersrentenbescheid hätte geschehen müssen. Diese Vorschrift sei „lex speziales“ gegenüber § 48 SGB X, sodass auch eine Aufhebung für die Zukunft nicht in Betracht komme, weswegen ihm höhere Altersrente zustehe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 5. Juli 2006 sowie den Bescheid vom 13. Dezember 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
10 
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
11 
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Veraltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
13 
Der Senat konnte gem. § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Aktenlage entscheiden, nachdem keiner der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen und auf diese Möglichkeit sowohl in der Ladung als auch mit gesondertem Schreiben vom 4. September 2007 hingewiesen worden ist.
14 
Die Berufung des Klägers ist gemäß § 143 SGG statthaft, da die Beschränkungen des § 144 SGG nicht eingreifen; sie ist gemäß § 151 SGG frist- und formgerecht eingelegt und somit insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
15 
Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 2004/Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2005, den der Kläger zulässigerweise mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) angreift. [Dieser Bescheid ist nicht gem. § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des parallelen Berufungsverfahrens L 2 R 4344/07 (vormals L 2 RA 4548/04) geworden, weil er den dort streitgegenständlichen Regelaltersrentenbescheid weder abgeändert noch ersetzt hat. Nach Auffassung des Senats zwingt auch der Gedanke der Prozessökonomie nicht zur Einbeziehung, zumal hiermit immer der Verlust einer Tatsacheninstanz einhergeht.]
16 
Die Beklagte hat die teilweise Aufhebung der Vormerkungsbescheide vom 19. Mai 1988, 28./29. Januar 1999 sowie 27. April 1999 auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützt; dabei bedurfte es nach Auffassung des Senat einer Aufhebung der Vormerkungsbescheide vom 28./29. Januar 1999 und 27. April 1999 nicht, weil die Beklagte in diesen Feststellungsbescheiden bereits die seit 1. Januar 1997 (bis 31. Dezember 2001) geltenden gesetzlichen Änderungen im Bereich der Berücksichtigung von Ausbildungszeiten umgesetzt hatte. Anders sieht es hinsichtlich des Vormerkungsbescheids vom 19. Mai 1988 aus, in dem die Beklagte noch die weiteren Zeiten der Hochschulausbildung (3. November 1959 bis 31. Oktober 1961; 1. Mai 1963 bis 18. Mai 1965) sowie Fachschulausbildung (1. Oktober 1971 bis 28. März 1972) ohne Einschränkung als rentenrechtliche Zeiten vorgemerkt hatte. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
17 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X durch die Vorschrift des § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI nicht ausgeschlossen. Hiernach ist der Feststellungsbescheid bei Änderungen der dem Feststellungsbescheid zu Grunde liegenden Vorschriften durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben; die §§ 24 und 48 SGB X sind nicht anzuwenden (so inhaltsgleich Art. 38 Satz 2 Halbsatz 2 des Renten-Überleitungsgesetzes ).
18 
Im Vormerkungsbescheid vom 19. Mai 1988 hat die Beklagte auf der Grundlage des bei seinem Erlass geltenden Rechts Feststellungen über Tatbestände einer rentenversicherungsrechtlich relevanten Vorleistung, die grundsätzlich in den späteren Rentenbescheid und damit in den Rentenwert eingehen, getroffen (vgl. u.a. BSG Urt. v. 30.03.2004 B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr. 1). Durch den Vormerkungsbescheid werden also rechtserhebliche Tatbestände von beitragsfreien Zeiten für die jeweiligen Bezugsmonate verbindlich festgestellt mit der Folge, dass diese Zeiten als so genannte beitragsfreie Zeiten im Leistungsfall grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Nicht Gegenstand eines Vormerkungsbescheids ist dagegen die abschließende Entscheidung über die Anrechnung und Bewertung dieser Zeiten (BSG a.a.O). Dementsprechend hat die Beklagte mit dem Vormerkungsbescheid unter Hinweis auf den beigefügten Versicherungsverlauf und die darin enthaltenen Daten die Zeiten bis 31. Dezember 1981 verbindlich als Tatbestände rechtserheblicher Zeiten festgestellt. Im Versicherungsverlauf hatte sie neben den Zeiten der Fachschulausbildung vom 11. März 1956 bis 22. Februar 1959 auch die Zeiten vom 3. November 1959 bis 31. Oktober 1961, vom 1. Mai 1963 bis 18. Mai 1965 und vom 1. Oktober 1971 bis 28. März 1972 als Zeiten der Fachschulausbildung vorgemerkt. Der Vormerkungsbescheid vom 19. Mai 1988 ist durch Änderung der Rechtslage nicht kraft Gesetzes abgeändert worden ist. Vormerkungsbescheide bedürfen einer ausdrücklichen Aufhebung (BSG, Urt. vom 30. April 2004 - B 4 RA 36/02 R und B 4 RA 46/02 R -). Diese (ausdrückliche) Aufhebung ist nicht durch die nachfolgenden Feststellungsbescheide vom 28./29. Januar 1999 bzw. 27. April 1999 und auch nicht im Rentenbescheid vom 23. Mai 2001 vorgenommen worden, sodass eine Aufhebung nach § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI - wie die Beklagte selbst einräumt - versäumt worden ist.
19 
Hinsichtlich der streitigen Frage, ob § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI (inhaltsgleich Art. 38 RÜG) lex speziales gegenüber § 48 SGB X ist, schließt sich der Senat dem Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Februar 2006 - L 14 RA 97/03 - (veröffentlich in Juris) an, in dem zu dem Verhältnis des § 38 RÜG zu § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ausgeführt worden ist, dass die Vorschrift des Art. 38 RÜG lediglich eine verwaltungstechnische Erleichterung gegenüber den engeren Voraussetzungen des § 48 SGB X für die Anpassung an geänderte rechtliche Verhältnisse darstelle, die bislang fehlende Aufhebung eines Herstellungsbescheids unter Beachtung aller Voraussetzungen des § 48 SGB X aber auch nach Rentenbewilligung nicht ausgeschlossen sei. Das selbe gilt nach Auffassung des Senats hinsichtlich Vormerkungsbescheiden und ergibt sich insbesondere aus der Gesetzesbegründung. Satz 2 des § 149 Abs. 5 SGB VI ist mit dem 1. SGB III ÄndG vom 12. November 1997 mit Wirkung zum 1. Januar 1998 eingefügt worden. In der Gesetzesbegründung (BTDrucks. 13/8994, 88) hat der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass mit der Einführung dieser Vorschrift eine Verwaltungsvereinfachung normiert werden sollte. In der Begründung hat er ausgeführt, dass Feststellungsbescheide lediglich Beweissicherungsfunktion hätten. Über die Anrechnung und Bewertung der festgestellten Daten werde erst bei der Feststellung der Leistung entschieden. Gleichwohl seien nach dem geltenden Recht bei jeder Rechtsänderung die Feststellungsbescheide aufzuheben und durch neue zu ersetzen. Dies sei für die Rentenversicherungsträger äußerst verwaltungsaufwändig. Die Einführung der genannten Vorschrift befreie die Rentenversicherungsträger von der Verpflichtung, bei jeder Rechtsänderung Millionen von Feststellungsbescheiden zu überprüfen. Dies könne im Rahmen der vorgeschriebenen regelmäßigen Unterrichtung der Versicherten über die in ihrem Versicherungskonto gespeicherten Daten oder aber im Rentenbescheid erfolgen, wenn dieser vor dem neuen Feststellungsbescheid ergehe. Hieraus ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers erkennbar, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung eine erleichterte Möglichkeit der Aufhebung - ohne Beachtung der §§ 24 und 48 SGB X - für nicht mehr der aktuellen Rechtslage entsprechender Feststellungsbescheide zu schaffen. Nach Auffassung des Senats ergibt die Gesetzesbegründung zu § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI keinen Hinweis dafür, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung darüber hinaus beabsichtigte, die Rücknahme von Vormerkungs-/Festellungsbescheiden nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 45ff SGB X) einzuschränken; vielmehr ist aus der Begründung des Gesetzes zu erkennen, dass alleiniger Grund für die Einführung des Satzes 2 des § 149 Abs. 5 SGB VI eine Verwaltungsvereinfachung sein sollte.
20 
Der entgegenstehenden Rechtsauffassung des Sozialgerichts Reutlingen in der Entscheidung S 3 R 3187/06 (Sprungrevision anhängig - Az.: S 3 R 3187/06), in der zu dem Verhältnis des § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zu § 48 SGB X darauf abgestellt worden ist, dass der Rentenbescheid eine „markante Zäsur“ im rentenrechtlichen Verfahren darstelle, und deswegen - abgeleitet aus der Entscheidung des BSG vom 23. August 2005 4 RA 21/04 R> nach Erlass des Rentenbescheids jedwede Korrektur im Zusammenhang mit Vormerkungsbescheiden ausgeschlossen sei, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Insbesondere zwingt die vom SG zitierte Entscheidung B 4 RA 21/04 R nicht zu der von ihm vorgenommenen Schlussfolgerung; das Gegenteil ist der Fall. Das BSG hat in der genannten Entscheidung die Möglichkeit der Aufhebung des Vormerkungsbescheids nach § 48 SGB X und des Rentenbescheids nach § 45 SGB X geprüft - was nicht erforderlich gewesen wäre, wenn § 149 Abs. 5 S. 2 SGB VI lex speziales zu den allgemeinen Rücknahmevorschriften, insbesondere § 48 SGB X, wäre. Es hat lediglich in dem konkreten Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 SGB X im Hinblick auf den früheren Vormerkungsbescheid verneint, weil ein solcher durch Übernahme der rentenerheblichen Daten in den Rentenbescheid nicht mehr existent war und deshalb kein Raum mehr für eine Aufhebung blieb. Anders liegt der Fall, wenn - wie hier - die rentenerheblichen Daten der Vormerkungsbescheide nicht in den Rentenbescheid übernommen worden sind, weil dann (bestandskräftige) Vormerkungsbescheide existieren, die - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - noch nach § 48 SGB X aufgehoben werden können. Eine Aufhebung des Rentenbescheids nach § 45 SGB X verbietet sich - wie das BSG zu Recht entschieden hat - nur so lange bestandskräftige Vormerkungsbescheide den Rentenversicherungsträger binden. Für den Senat ist auch das Argument des SG, aus Gründen der Gleichbehandlung dürfe es keinen Unterschied machen, ob der Rentenversicherungsträger unrichtig gewordene Vormerkungsbescheide im Rentenbescheid berücksichtige oder zu Unrecht nicht berücksichtige, nicht überzeugend, weil es keinen „Anspruch auf fehlerhaftes Verwaltungshandeln“ und diesbezügliche Gleichbehandlung gibt. Zudem berücksichtigt das SG das öffentliche Interesse, das darauf gerichtet ist, dem materiellen Recht entsprechende Bescheide zu erlassen und somit diesem Recht entgegenstehende Leistungen (Überzahlungen) zu vermeiden, nicht ausreichend, wenn es die Möglichkeit der Rücknahme fehlerhafter Rentenbescheide über die §§ 45 bis 48 SGB X hinaus einschränkt; dem Vertrauensschutz des einzelnen Versicherten wird durch diese Vorschriften ausreichend Rechnung getragen.
21 
Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X hinsichtlich des Vormerkungsbescheids vom 19. Mai 1988 formell- und materiellrechtlich erfüllt. Die nach § 24 SGB X vorgeschriebene Anhörung des Klägers ist mit Schreiben vom 15. November 2004 erfolgt. Die Vormerkungsbescheide stellen einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar (s.o). Es ist auch eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eingetreten. Dabei ist gemäß § 300 SGB VI auf das für den Rentenbeginn maßgebende Recht, also das zum 1. August 2001 geltende (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht § 300 SGB VI Rdnr. 2 m.w.N.) abzustellen, wobei unbeachtlich bleibt, ob die Rente danach neu festzustellen gewesen ist (§ 300 Abs. 3 SGB VI). Der dem Kläger erteilte Vormerkungsbescheid vom 19. Mai 1988 ist durch eine Rechtsänderung bezüglich der Anrechnung/Berücksichtigung von Ausbildungszeiten rechtswidrig geworden. Die Berücksichtigung von Zeiten der schulischen Ausbildung ist durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl I 1461) zum 1. Januar 1997 neu geregelt worden. Danach sind nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI i.d.F. bis zum 31. Dezember 2001 Zeiten der schulischen Ausbildung einschließlich des Hochschulbesuchs erst ab Vollendung des 17. Lebensjahres zu berücksichtigen und die Anrechenbarkeit auf eine Höchstdauer von 3 Jahren begrenzt. Der angefochtene Bescheid vom 13. Dezember 2004, der nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB VI den insoweit rechtswidrig gewordenen Vormerkungsbescheid für die Zukunft ab 1. August 2005 aufgehoben hat, als Ausbildungszeiten vorgemerkt worden waren, die der aktuellen Rechtslage nicht mehr entsprochen haben, ist somit rechtmäßig.
22 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
23 
Auf Grund der Tatsache, dass eine höchstrichterliche Entscheidung zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage des Verhältnisses von § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zu § 48 Abs. 1 Satz 1 BGB X noch nicht vorliegt, war die Revision zuzulassen.

Gründe

 
12 
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
13 
Der Senat konnte gem. § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Aktenlage entscheiden, nachdem keiner der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen und auf diese Möglichkeit sowohl in der Ladung als auch mit gesondertem Schreiben vom 4. September 2007 hingewiesen worden ist.
14 
Die Berufung des Klägers ist gemäß § 143 SGG statthaft, da die Beschränkungen des § 144 SGG nicht eingreifen; sie ist gemäß § 151 SGG frist- und formgerecht eingelegt und somit insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
15 
Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 2004/Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2005, den der Kläger zulässigerweise mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) angreift. [Dieser Bescheid ist nicht gem. § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des parallelen Berufungsverfahrens L 2 R 4344/07 (vormals L 2 RA 4548/04) geworden, weil er den dort streitgegenständlichen Regelaltersrentenbescheid weder abgeändert noch ersetzt hat. Nach Auffassung des Senats zwingt auch der Gedanke der Prozessökonomie nicht zur Einbeziehung, zumal hiermit immer der Verlust einer Tatsacheninstanz einhergeht.]
16 
Die Beklagte hat die teilweise Aufhebung der Vormerkungsbescheide vom 19. Mai 1988, 28./29. Januar 1999 sowie 27. April 1999 auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützt; dabei bedurfte es nach Auffassung des Senat einer Aufhebung der Vormerkungsbescheide vom 28./29. Januar 1999 und 27. April 1999 nicht, weil die Beklagte in diesen Feststellungsbescheiden bereits die seit 1. Januar 1997 (bis 31. Dezember 2001) geltenden gesetzlichen Änderungen im Bereich der Berücksichtigung von Ausbildungszeiten umgesetzt hatte. Anders sieht es hinsichtlich des Vormerkungsbescheids vom 19. Mai 1988 aus, in dem die Beklagte noch die weiteren Zeiten der Hochschulausbildung (3. November 1959 bis 31. Oktober 1961; 1. Mai 1963 bis 18. Mai 1965) sowie Fachschulausbildung (1. Oktober 1971 bis 28. März 1972) ohne Einschränkung als rentenrechtliche Zeiten vorgemerkt hatte. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
17 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X durch die Vorschrift des § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI nicht ausgeschlossen. Hiernach ist der Feststellungsbescheid bei Änderungen der dem Feststellungsbescheid zu Grunde liegenden Vorschriften durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben; die §§ 24 und 48 SGB X sind nicht anzuwenden (so inhaltsgleich Art. 38 Satz 2 Halbsatz 2 des Renten-Überleitungsgesetzes ).
18 
Im Vormerkungsbescheid vom 19. Mai 1988 hat die Beklagte auf der Grundlage des bei seinem Erlass geltenden Rechts Feststellungen über Tatbestände einer rentenversicherungsrechtlich relevanten Vorleistung, die grundsätzlich in den späteren Rentenbescheid und damit in den Rentenwert eingehen, getroffen (vgl. u.a. BSG Urt. v. 30.03.2004 B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr. 1). Durch den Vormerkungsbescheid werden also rechtserhebliche Tatbestände von beitragsfreien Zeiten für die jeweiligen Bezugsmonate verbindlich festgestellt mit der Folge, dass diese Zeiten als so genannte beitragsfreie Zeiten im Leistungsfall grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Nicht Gegenstand eines Vormerkungsbescheids ist dagegen die abschließende Entscheidung über die Anrechnung und Bewertung dieser Zeiten (BSG a.a.O). Dementsprechend hat die Beklagte mit dem Vormerkungsbescheid unter Hinweis auf den beigefügten Versicherungsverlauf und die darin enthaltenen Daten die Zeiten bis 31. Dezember 1981 verbindlich als Tatbestände rechtserheblicher Zeiten festgestellt. Im Versicherungsverlauf hatte sie neben den Zeiten der Fachschulausbildung vom 11. März 1956 bis 22. Februar 1959 auch die Zeiten vom 3. November 1959 bis 31. Oktober 1961, vom 1. Mai 1963 bis 18. Mai 1965 und vom 1. Oktober 1971 bis 28. März 1972 als Zeiten der Fachschulausbildung vorgemerkt. Der Vormerkungsbescheid vom 19. Mai 1988 ist durch Änderung der Rechtslage nicht kraft Gesetzes abgeändert worden ist. Vormerkungsbescheide bedürfen einer ausdrücklichen Aufhebung (BSG, Urt. vom 30. April 2004 - B 4 RA 36/02 R und B 4 RA 46/02 R -). Diese (ausdrückliche) Aufhebung ist nicht durch die nachfolgenden Feststellungsbescheide vom 28./29. Januar 1999 bzw. 27. April 1999 und auch nicht im Rentenbescheid vom 23. Mai 2001 vorgenommen worden, sodass eine Aufhebung nach § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI - wie die Beklagte selbst einräumt - versäumt worden ist.
19 
Hinsichtlich der streitigen Frage, ob § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI (inhaltsgleich Art. 38 RÜG) lex speziales gegenüber § 48 SGB X ist, schließt sich der Senat dem Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Februar 2006 - L 14 RA 97/03 - (veröffentlich in Juris) an, in dem zu dem Verhältnis des § 38 RÜG zu § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ausgeführt worden ist, dass die Vorschrift des Art. 38 RÜG lediglich eine verwaltungstechnische Erleichterung gegenüber den engeren Voraussetzungen des § 48 SGB X für die Anpassung an geänderte rechtliche Verhältnisse darstelle, die bislang fehlende Aufhebung eines Herstellungsbescheids unter Beachtung aller Voraussetzungen des § 48 SGB X aber auch nach Rentenbewilligung nicht ausgeschlossen sei. Das selbe gilt nach Auffassung des Senats hinsichtlich Vormerkungsbescheiden und ergibt sich insbesondere aus der Gesetzesbegründung. Satz 2 des § 149 Abs. 5 SGB VI ist mit dem 1. SGB III ÄndG vom 12. November 1997 mit Wirkung zum 1. Januar 1998 eingefügt worden. In der Gesetzesbegründung (BTDrucks. 13/8994, 88) hat der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass mit der Einführung dieser Vorschrift eine Verwaltungsvereinfachung normiert werden sollte. In der Begründung hat er ausgeführt, dass Feststellungsbescheide lediglich Beweissicherungsfunktion hätten. Über die Anrechnung und Bewertung der festgestellten Daten werde erst bei der Feststellung der Leistung entschieden. Gleichwohl seien nach dem geltenden Recht bei jeder Rechtsänderung die Feststellungsbescheide aufzuheben und durch neue zu ersetzen. Dies sei für die Rentenversicherungsträger äußerst verwaltungsaufwändig. Die Einführung der genannten Vorschrift befreie die Rentenversicherungsträger von der Verpflichtung, bei jeder Rechtsänderung Millionen von Feststellungsbescheiden zu überprüfen. Dies könne im Rahmen der vorgeschriebenen regelmäßigen Unterrichtung der Versicherten über die in ihrem Versicherungskonto gespeicherten Daten oder aber im Rentenbescheid erfolgen, wenn dieser vor dem neuen Feststellungsbescheid ergehe. Hieraus ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers erkennbar, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung eine erleichterte Möglichkeit der Aufhebung - ohne Beachtung der §§ 24 und 48 SGB X - für nicht mehr der aktuellen Rechtslage entsprechender Feststellungsbescheide zu schaffen. Nach Auffassung des Senats ergibt die Gesetzesbegründung zu § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI keinen Hinweis dafür, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung darüber hinaus beabsichtigte, die Rücknahme von Vormerkungs-/Festellungsbescheiden nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 45ff SGB X) einzuschränken; vielmehr ist aus der Begründung des Gesetzes zu erkennen, dass alleiniger Grund für die Einführung des Satzes 2 des § 149 Abs. 5 SGB VI eine Verwaltungsvereinfachung sein sollte.
20 
Der entgegenstehenden Rechtsauffassung des Sozialgerichts Reutlingen in der Entscheidung S 3 R 3187/06 (Sprungrevision anhängig - Az.: S 3 R 3187/06), in der zu dem Verhältnis des § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zu § 48 SGB X darauf abgestellt worden ist, dass der Rentenbescheid eine „markante Zäsur“ im rentenrechtlichen Verfahren darstelle, und deswegen - abgeleitet aus der Entscheidung des BSG vom 23. August 2005 4 RA 21/04 R> nach Erlass des Rentenbescheids jedwede Korrektur im Zusammenhang mit Vormerkungsbescheiden ausgeschlossen sei, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Insbesondere zwingt die vom SG zitierte Entscheidung B 4 RA 21/04 R nicht zu der von ihm vorgenommenen Schlussfolgerung; das Gegenteil ist der Fall. Das BSG hat in der genannten Entscheidung die Möglichkeit der Aufhebung des Vormerkungsbescheids nach § 48 SGB X und des Rentenbescheids nach § 45 SGB X geprüft - was nicht erforderlich gewesen wäre, wenn § 149 Abs. 5 S. 2 SGB VI lex speziales zu den allgemeinen Rücknahmevorschriften, insbesondere § 48 SGB X, wäre. Es hat lediglich in dem konkreten Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 SGB X im Hinblick auf den früheren Vormerkungsbescheid verneint, weil ein solcher durch Übernahme der rentenerheblichen Daten in den Rentenbescheid nicht mehr existent war und deshalb kein Raum mehr für eine Aufhebung blieb. Anders liegt der Fall, wenn - wie hier - die rentenerheblichen Daten der Vormerkungsbescheide nicht in den Rentenbescheid übernommen worden sind, weil dann (bestandskräftige) Vormerkungsbescheide existieren, die - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - noch nach § 48 SGB X aufgehoben werden können. Eine Aufhebung des Rentenbescheids nach § 45 SGB X verbietet sich - wie das BSG zu Recht entschieden hat - nur so lange bestandskräftige Vormerkungsbescheide den Rentenversicherungsträger binden. Für den Senat ist auch das Argument des SG, aus Gründen der Gleichbehandlung dürfe es keinen Unterschied machen, ob der Rentenversicherungsträger unrichtig gewordene Vormerkungsbescheide im Rentenbescheid berücksichtige oder zu Unrecht nicht berücksichtige, nicht überzeugend, weil es keinen „Anspruch auf fehlerhaftes Verwaltungshandeln“ und diesbezügliche Gleichbehandlung gibt. Zudem berücksichtigt das SG das öffentliche Interesse, das darauf gerichtet ist, dem materiellen Recht entsprechende Bescheide zu erlassen und somit diesem Recht entgegenstehende Leistungen (Überzahlungen) zu vermeiden, nicht ausreichend, wenn es die Möglichkeit der Rücknahme fehlerhafter Rentenbescheide über die §§ 45 bis 48 SGB X hinaus einschränkt; dem Vertrauensschutz des einzelnen Versicherten wird durch diese Vorschriften ausreichend Rechnung getragen.
21 
Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X hinsichtlich des Vormerkungsbescheids vom 19. Mai 1988 formell- und materiellrechtlich erfüllt. Die nach § 24 SGB X vorgeschriebene Anhörung des Klägers ist mit Schreiben vom 15. November 2004 erfolgt. Die Vormerkungsbescheide stellen einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar (s.o). Es ist auch eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eingetreten. Dabei ist gemäß § 300 SGB VI auf das für den Rentenbeginn maßgebende Recht, also das zum 1. August 2001 geltende (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht § 300 SGB VI Rdnr. 2 m.w.N.) abzustellen, wobei unbeachtlich bleibt, ob die Rente danach neu festzustellen gewesen ist (§ 300 Abs. 3 SGB VI). Der dem Kläger erteilte Vormerkungsbescheid vom 19. Mai 1988 ist durch eine Rechtsänderung bezüglich der Anrechnung/Berücksichtigung von Ausbildungszeiten rechtswidrig geworden. Die Berücksichtigung von Zeiten der schulischen Ausbildung ist durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl I 1461) zum 1. Januar 1997 neu geregelt worden. Danach sind nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI i.d.F. bis zum 31. Dezember 2001 Zeiten der schulischen Ausbildung einschließlich des Hochschulbesuchs erst ab Vollendung des 17. Lebensjahres zu berücksichtigen und die Anrechenbarkeit auf eine Höchstdauer von 3 Jahren begrenzt. Der angefochtene Bescheid vom 13. Dezember 2004, der nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB VI den insoweit rechtswidrig gewordenen Vormerkungsbescheid für die Zukunft ab 1. August 2005 aufgehoben hat, als Ausbildungszeiten vorgemerkt worden waren, die der aktuellen Rechtslage nicht mehr entsprochen haben, ist somit rechtmäßig.
22 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Auf Grund der Tatsache, dass eine höchstrichterliche Entscheidung zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage des Verhältnisses von § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zu § 48 Abs. 1 Satz 1 BGB X noch nicht vorliegt, war die Revision zuzulassen.

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