Beschluss vom Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 10 KO 2552/19

Tenor

Die Erinnerung gegen den Kostenansatz vom 17.11.2015 im Verfahren L 11 KR 5077/13 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

 
I.
Die Erinnerungsführerin wendet sich gegen die Erhebung von Gerichtskosten.
Im Verfahren L 11 KR 5077/13 ging es um die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung, die von der Erinnerungsführerin und damaligen Klägerin, ein in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung vom Landkreis als alleinigem Gesellschafter betriebener Träger eines örtlichen Klinikums, erbracht worden war und die sie gegenüber der Beklagten mit der Leistungsklage durchzusetzen versuchte. Mit Urteil vom 24.03.2015 wies der 11. Senat die Berufung der erstinstanzlich unterlegenen Beklagten zurück und setzte den Streitwert mit 38.706,13 EUR fest. Nachdem die Erinnerungsführerin im nachfolgenden Revisionsverfahren die Klage zurückgenommen hatte, stellte das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 29.10.2015 fest, dass die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat und verwies dabei auf § 197a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. Regelungen der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Mit Schreiben vom 17.11.2015 hat die Kostenbeamtin die Gerichtsgebühren nach der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz (GKG) - Kostenverzeichnis (KV) - Nr. 7120 abgerechnet und die Kosten gegenüber der Erinnerungsführerin mit 1.904,00 EUR angesetzt. Hiergegen wendet sich die Erinnerungsführerin und macht ihre Kostenfreiheit auf Grund § 7 des Landesjustizkostengesetzes Baden-Württemberg (LJKG), das vorliegend analog anzuwenden sei, geltend. Der Erinnerungsgegner sieht keinen Raum für eine Analogie.
II.
Über Erinnerungen des Kostenschuldners gegen den Kostenansatz entscheidet das Gericht, bei dem die Kosten angesetzt sind (§ 66 Abs. 1 Satz 1 GKG). Nach § 66 Abs. 6 Satz 2 und 3 GKG entscheidet der für das Kostenrecht zuständige 10. Senat nach Übertragung durch den Einzelrichter in seiner Besetzung mit drei Berufsrichtern.
Die Erinnerung gegen den Kostenansatz nach § 66 GKG ist zulässig.
Sie ist insbesondere - da § 66 GKG für ihre Einlegung keine Frist vorsieht - nicht fristgebunden. Die Erinnerungsführerin hat ihr Recht, Erinnerung einzulegen, auch nicht verwirkt. Dabei kann offen bleiben, ob Verwirkung bei Rechtsbehelfen überhaupt in Betracht kommt (vgl. hierzu OLG Köln, Beschluss vom 07.01.2014, I-2 Wx 302/13, 2 Wx 302/13, in juris). Die Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden „besonderen Umstände“ liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Verwirkung tritt innerhalb einer vierjährigen Verjährungsfrist - die auch vorliegend gilt (§ 5 Abs. 1 Satz 1 GKG) - grundsätzlich nicht ein (zum Ganzen BSG, Urteil vom 23.06.2015, B 1 KR 26/14 R, in juris; OLG Köln, a.a.O.). Dem entsprechend kommt dem Umstand, dass die Erinnerungsführerin die Gerichtskosten bereits im Dezember 2015 zahlte, keine entscheidende Bedeutung zu.
Die Erinnerung ist indessen nicht begründet.
Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 GKG ist das GKG (auch) für Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach dem SGG anzuwenden, soweit nach diesem Gesetz das GKG anzuwenden ist. Dies ist in Verfahren nach § 197a SGG der Fall. Die Kostengrundentscheidung des BSG beruht - wie sich aus dem Beschluss selbst ergibt - auf § 197a SGG i.V.m. den Vorschriften der VwGO, weil die Erinnerungsführerin nicht zu dem durch Gerichtskostenfreiheit privilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört. Diese Entscheidung ist im Rahmen der Festsetzung der Gerichtskosten verbindlich (BSG, Beschluss vom 29.09.2017, B 13 SF 2/17 S, in juris). Auch die Erinnerungsführerin zieht dies nicht in Zweifel.
§ 2 GKG regelt, in welchen Verfahren (sachliche Kostenfreiheit) bzw. für welche Personen (persönliche Kostenfreiheit) Kostenfreiheit besteht. Soweit jemandem, der von den Kosten befreit ist, Kosten des Verfahrens auferlegt werden, sind Kosten nicht zu erheben (§ 2 Abs. 5 Satz 1 erster Halbsatz GKG); bereits erhobene Kosten sind zurückzuzahlen (zweiter Halbsatz).
10 
Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 GKG bleiben sonstige bundesrechtliche Vorschriften, durch die Verfahren vor den ordentlichen Gerichten und den Gerichten der Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit eine sachliche oder persönliche Befreiung von Kosten gewährt wird, unberührt. Nach Satz 2 der Regelung bleiben landesrechtliche Vorschriften, die für diese Verfahren eine sachliche oder persönliche Befreiung von Kosten gewähren, unberührt.
11 
Auf Grund des § 2 Abs. 3 Satz 2 GKG findet § 7 LJKG auch bei Verfahren nach dem GKG Anwendung. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 LJKG sind u.a. Gemeinden, Gemeindeverbände und Zweckverbände, soweit die Angelegenheit nicht ihre wirtschaftlichen Unternehmen betrifft, von der Zahlung der Gebühren, die die ordentlichen Gerichte in Zivilsachen erheben, befreit. Diese Gebührenfreiheit besteht auch dann, wenn - wie hier - ein Landkreis als alleiniger Gesellschafter einer GmbH in dieser Rechtsform Krankenhäuser betreibt (mit ausführlicher Begründung OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.08.2007, 7 W 54/07, und OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.09.2008, 8 W 406/08, beide in juris).
12 
Hierauf beruft sich die Erinnerungsführerin. Sie räumt zwar ein, dass sich diese Regelung nur auf Verfahren vor den ordentlichen Gerichten bezieht, meint aber, die Vorschrift müsse analog auf (gerichtskostenpflichtige) Verfahren vor den Sozialgerichten Anwendung finden. Dies ist indessen nicht der Fall. Die Voraussetzungen für eine Analogie liegen nicht vor.
13 
Die analoge Anwendung einer Rechtsvorschrift setzt voraus, dass erstens eine (anfängliche oder nachträgliche) Gesetzeslücke besteht, zweitens der nicht geregelte Tatbestand dem gesetzlich festgelegten ähnlich ist und drittens beide Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind (BSG, Urteil vom 18.09.2012, B 2 U 11/11 R, in juris).
14 
Der Senat verneint bereits das Bestehen einer Gesetzeslücke.
15 
Es trifft zwar zu, wie die Erinnerungsführerin darlegt, dass die letzte Bekanntmachung des LJKG vom 15.01.1993 datiert und die Gerichtskostenpflicht nach § 197a SGG erst zum 02.01.2002 durch das Sechste Gesetz zur Änderung des SGG vom 17.08.2001 (6. SGGÄndG, BGBl. I S. 2001 ff.) eingeführt worden ist. Richtig ist somit, dass der Landesgesetzgeber bei der letzten Bekanntmachung des § 7 LJKG, worauf die Erinnerungsführerin abstellt, die gerichtskostenpflichtigen Verfahren nach SGG nicht berücksichtigen konnte. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um eine planwidrige Lücke handelt.
16 
Seit Erlass des LJKG vom 30.03.1971 (GBl. BW S. 96 ff.) ist es zu einer Vielzahl von Änderungsgesetzen gekommen, allein seit dem 6. SGGÄndG zu 15 Änderungen und Anpassungen (vgl. die Nachweise in Dürig, Gesetze des Landes Baden-Württemberg unter Nr. 26). Dabei ist dem Landesgesetzgeber die Einführung teilweiser Gerichtskostenpflicht in Verfahren vor den Sozialgerichten bekannt gewesen. Dies folgt schon daraus, dass der Landesgesetzgeber auch im Bereich des SGG eventuell erforderlich werdende Anpassungen an das von ihm erlassene Ausführungsgesetz zum SGG (AGSGG vom 21.12.1953, GBl. BW S. 235) durch Änderungen des SGG zu prüfen hat und dies - wie die Einfügung des § 9a AGSGG durch das Gesetz zur Änderung des LJKG und anderer Gesetze vom 17.01.2014 (GBl. BW S. 49 ff.) als Reaktion auf die Anfügung von Abs. 4 in § 73a SGG durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskosten- und Beratungshilferechts vom 31.08.2013 (BGBl. I S. 3533 ff.) zeigt - auch tut. Hätte der Landesgesetzgeber tatsächlich eine Reglung wie § 7 Abs. 1 Nr. 2 LJKG auch für die gerichtskostenpflichtigen Verfahren nach § 197a SGG für sachgerecht gehalten, hätte er längst für eine Ergänzung des § 7 LJKG sorgen können. Dabei hat der Landesgesetzgeber durchaus auf Änderungen bundesrechtlicher Vorschriften gerade im LJKG reagiert. Insbesondere mit dem Vierten Gesetz zur Bereinigung des baden-württembergischen Landesrechts vom 04.05.2009 (GBl. BW S. 195 ff.) erfolgten umfangreiche Anpassungen, auch an die Vorschriften des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 05.04.2004 (BGBl. I S. 718 ff.). U.a. wurde mit Art. 3 dieses Gesetzes auch das LJKG geändert und u.a. an bundesrechtliche Vorschriften angepasst (s. LTDrs. BW 14/4110 S. 1, 2, 31). Dass der Landesgesetzgeber § 7 LJKG nicht an die Änderung des SGG durch das 6. SGGÄndG im Sinne der Erinnerungsführerin angepasst hat, spricht somit für einen fehlenden gesetzgeberischen Willen zur Ausweitung der Kostenfreiheit und damit für ein „beredtes Schweigen“ des Gesetzgebers, was die Annahme einer (unbeabsichtigten) Regelungslücke ausschließt.
17 
Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass nach der von der Erinnerungsführerin selbst herangezogenen Literatur § 7 LJKG - als Ausnahmevorschrift - eng auszulegen sei und sich grundsätzlich - so auch die Ansicht des Erinnerungsgegners - einer Ausdehnung durch Analogie entziehe (Böhringer/Falk, Landesjustizkostengesetz Baden-Württemberg, 8. Auflage, § 7 Rdnr. 4; ebenso OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.09.1998, 8 W 486/98, in juris).
18 
Damit bedarf es keiner Erörterung der beiden weiteren Voraussetzungen für eine Analogie. Lediglich am Rande weist der Senat darauf hin, dass der Landesgesetzgeber eine Kostenfreiheit für die in § 2 Abs. 3 GKG ebenfalls angesprochenen finanzgerichtlichen Verfahren gerade nicht vorsah und dass der von der Erinnerungsführerin angeführte Aspekt, es hänge vom Zufall ab, ob es sich um eine Streitigkeit mit einem privaten Krankenversicherungsunternehmen (dann vor den ordentlichen Gerichten mit Gebührenfreiheit) oder mit einer gesetzlichen Krankenkasse (dann nach § 197a SGG Gebührenpflicht) handle, insoweit vom Senat nicht nachvollzogen werden kann, als eine unmittelbare Rechtsbeziehung der Erinnerungsführerin mit privaten Krankenversicherungsunternehmen nicht erkennbar ist.
19 
Auch im Übrigen ist der Kostenansatz rechtmäßig. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG werden die Kosten des Rechtsmittelverfahrens - hier der beim Landessozialgericht Baden-Württemberg anhängig gewesenen Berufung - bei dem Rechtsmittelgericht angesetzt. Gegenstand des Kostenansatzes ist u.a. die Berechnung der Gerichtskosten und die Feststellung des Kostenschuldners (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Kostenverfügung). Nach § 34 GKG i.V.m. der Gebührentabelle (Anlage 2 zum GKG) beträgt die Gebühr bei dem hier festgesetzten Streitwert 476,00 EUR. Da nach KV Nr. 7120 für das Berufungsverfahren im Allgemeinen 4,0 Gebühren anfallen und die Ermäßigungstatbestände der KV Nrn. 7121 und 7122 (Fälle der Erledigung der Berufung ohne streitiges Urteil) nicht vorliegen, ergeben sich Gerichtskosten in Höhe von 1.904,00 EUR. Die Gebührenfestsetzung als solche ist somit korrekt. Einwände macht die Erinnerungsführerin auch nicht geltend.
20 
Die Entscheidung zu den Gebühren und Kosten beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.
21 
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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