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| Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet. |
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| Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Freiburg vom 04.10.2019, mit dem die auf die Verurteilung der Beklagten zum Erlass eines Bescheides in Bezug auf die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV gerichtete Untätigkeitsklage im Sinne des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG abgewiesen worden ist. Der Senat legt den im Berufungsverfahren gestellten weiteren Antrag dahin aus, dass die Klägerin lediglich hilfsweise die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Freiburg begehrt. |
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| Die von der Klägerin erhobene Untätigkeitsklage ist bereits unzulässig. |
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| Prüfungsmaßstab für die Frage, ob eine Untätigkeitsklage zulässig ist, ist § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG. Danach ist die Klage, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist, nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig. |
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| Die zulässige Erhebung einer Untätigkeitsklage setzt damit einen zuvor gestellten Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes voraus. |
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| Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG, wonach eine solche Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten „seit“ dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig ist (vergleiche auch: Binder: in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2017, § 88 Rn. 5, wonach der Verwaltungsakt „bereits bei der Behörde beantragt sein“ muss; Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, Stand 15.07.2017, § 88 Rn. 12, wonach eine Untätigkeitsklage voraussetzt, dass ein Antrag „gestellt worden“ ist; Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 16, wonach ein Bescheidungsanspruch grundsätzlich dann besteht, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes „gestellt wurde“; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 88 Rn. 3, wonach der Kläger einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes „gestellt haben“ muss; Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 9, wonach eine Untätigkeitsklage nur zulässig ist, wenn „zuvor“ ein Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes bei der Behörde gestellt worden ist; Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 88 Rn. 2, wonach ein entsprechender Antrag „gestellt sein“ muss). Zudem ist es nicht Aufgabe der Gerichte, anstelle der Verwaltung tätig zu werden. Aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten Gewaltenteilung ist es zunächst Sache der Verwaltung, sich mit den (vermeintlichen) Ansprüchen des einzelnen Bürgers zu befassen. Erst dann sind die Gerichte dazu berufen, das Handeln (gegebenenfalls auch eine Untätigkeit) der Verwaltung auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen. Diese Kompetenzverteilung würde unterlaufen, wenn die Sozialgerichte eine Angelegenheit anstelle der Verwaltung einer Regelung zuführen könnten, ohne dass letzterer infolge der fehlenden Antragstellung die Möglichkeit verblieben war, zuvor über das Begehren in dem gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsverfahren zu befinden (Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 9). Es genügt daher nicht, wenn mit der Erhebung einer Untätigkeitsklage gleichzeitig ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes gestellt werden würde. |
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| Ferner ist zu beachten, dass ein vor Erhebung der Untätigkeitsklage gestellter Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes auch dann notwendig ist, wenn die Behörde – wie vorliegend die Beklagte nach § 19 Satz 2 SGB IV, wonach Leistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung von Amts wegen erbracht werden, soweit sich aus den Vorschriften für die gesetzliche Unfallversicherung nichts Abweichendes ergibt – auch ohne Antrag von Amts wegen tätig werden müsste, da der Wortlaut des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG an den gestellten „Antrag“ anknüpft (Binder: in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2017, § 88 Rn. 5; Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, Stand 15.07.2017, § 88 Rn. 12; Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 16; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 88 Rn. 3; Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 9; Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 88 Rn. 2). |
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| Ein nach alledem vor Erhebung der Untätigkeitsklage zu stellender Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes liegt im Falle der Klägerin aber nicht vor. |
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| Prüfungsmaßstab für die Frage, ob überhaupt ein Antrag gestellt worden ist, ist zunächst § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB I, wonach Anträge auf Sozialleistungen beim zuständigen Leistungsträger zu stellen sind. Ferner ist zu beachten, dass ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes jede Erklärung ist, mit der die Gewährung einer bestimmten Sozialleistung in Form einer behördlichen, einzelfallbezogenen Regelung im Sinne des § 31 SGB X begehrt wird. Gegebenenfalls ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine bestimmte Erklärung einen Antrag beinhaltet. Maßgeblich ist, wie eine verständige Behörde das Vorbringen verstehen kann und muss. Vage Äußerungen reichen dabei nicht aus. Erforderlich ist, dass ein „konkretes, unmissverständliches Leistungsverlangen“ zum Ausdruck gebracht wird (Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, Stand 15.07.2017, § 88 Rn. 12; Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 17). |
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| Nach diesen Maßstäben ist die von Dr. S. unter dem 17.08.2006 erstellte ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit kein im Namen der Klägerin gestellter Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes, sondern ist nur aufgrund der in § 202 Satz 1 SGB VII normierten Verpflichtung erfolgt, wonach Ärzte ihren begründeten Verdacht, dass bei Versicherten eine Berufskrankheit besteht, dem Unfallversicherungsträger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle in der für die Anzeige von Berufskrankheiten vorgeschriebenen Form unverzüglich anzuzeigen haben. Dass es sich bei der ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit nicht um einen im Namen der Klägerin gestellten Antrag handelt, ergibt sich aus § 202 Satz 2 SGB VII in der Fassung bis zum 25.11.2019, wonach die Ärzte die Versicherten über den Inhalt der Anzeige zu unterrichten und ihnen den Unfallversicherungsträger und die Stelle zu nennen haben, denen sie die Anzeige übersenden. Würde es sich bei der ärztlich vorgenommenen Anzeige einer Berufskrankheit um einen im Namen der Klägerin gestellten Antrag auf Feststellung einer Berufskrankheit handeln, wäre eine Unterrichtung der Klägerin hierüber nicht mehr erforderlich. |
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| Etwas Anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Beklagte in der von der Klägerin erhobenen Untätigkeitsklage „indirekt“ auch einen Antrag auf Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV gesehen und deswegen ein hierauf gerichtetes Verwaltungsverfahren eingeleitet hat. |
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| Zum einen teilt der Senat schon die so von der Beklagten vorgenommene Auslegung nicht. Denn bei einem an ein Gericht gerichteten Antrag auf Verpflichtung einer Behörde zur Vornahme eines Verwaltungsaktes handelt es sich um etwas Anderes als bei einem an die Behörde gerichteten Antrag auf die begehrte Feststellung oder Leistung. Die Antragstellung kann – jedenfalls vorliegend – auch nicht als Minus in der Erhebung der Untätigkeitsklage gesehen werden (so aber ohne Begründung Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 22; Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 10). So kann in einer an ein Gericht gerichteten Klageschrift regelmäßig schon deshalb kein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes durch den beklagten Leistungsträger gesehen werden, da das Gericht als Adressat des Schriftsatzes für den Erlass von Verwaltungsakten nicht zuständig und deshalb im vorliegend zu beurteilenden Zusammenhang gerade keine Stelle im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB I ist (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 29.11.2018 - L 8 AS 354/16, juris Rn. 46). Etwas Anderes folgt hier auch nicht aus dem Inhalt der Klageschrift, denn in dieser stützt die durch einen Rentenberater vertretene Klägerin ihre Untätigkeitsklage gerade darauf, dass mit der von Dr. S. verfassten Anzeige einer Berufskrankheit bereits ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes gestellt worden sei. Es ist daher nicht sachgerecht, in ihrer zum SG Freiburg erhobenen Untätigkeitsklage einen ersten oder weiteren an die Beklagte gerichteten Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes zu sehen, nachdem sie ein derartiges Ansinnen in ihrer Untätigkeitsklage nicht zum Ausdruck gebracht hat. Dass die Beklagte die Untätigkeitsklage zum Anlass für die Einleitung eines Feststellungsverfahrens genommen hat, ist vielmehr ihrer sich aus § 19 Satz 2 SGB IV ergebenden Verpflichtung, von Amts wegen Leistungen zu erbringen und damit auch entsprechende Ermittlungen anzustellen, geschuldet. |
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| Zum anderen wäre, selbst wenn man in der Untätigkeitsklage auch einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes sehen wollte, die Untätigkeitsklage schon deshalb unzulässig, da – wie oben bereits dargelegt – ein „vor“ Erhebung der Untätigkeitsklage gestellter Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes erforderlich wäre. |
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| Auch könnte eine mit einem Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes verbundene Untätigkeitsklage nicht nach Ablauf von sechs Monaten seit Stellung des Antrages auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig werden. Zwar soll eine vor Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist erhobene Untätigkeitsklage nachträglich zulässig werden, wenn während des anhängigen gerichtlichen Verfahrens die sechsmonatige Wartefrist abgelaufen ist (Binder: in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2017, § 88 Rn. 9; Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, Stand 15.07.2017, § 88 Rn. 29; Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 32; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 88 Rn. 5c; Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 7; Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 88 Rn. 7; BSG, Urteil vom 18.05.2011 - B 3 P 5/10 R, SozR 4-3300 § 71 Nr. 2, juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 26.08.1994 - 13 RJ 17/94, SozR 3-1500 § 88 Nr. 2, juris Rn. 19; anderer Ansicht Coseriu in: Zeihe/Hauck, SGG, 12. Auflage 2019, § 88 Rn. 5a), weswegen die Ansicht vertreten wird, dass das Gericht auch noch den Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist vor seiner Entscheidung abwarten kann (Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 32), soll (Binder: in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2017, § 88 Rn. 9, 17; BSG, Urteil vom 26.08.1994 - 13 RJ 17/94, SozR 3-1500 § 88 Nr. 2, juris Rn. 25) oder sogar muss (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 88 Rn. 5c; kritisch Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, Stand 15.07.2017, § 88 Rn. 30; anderer Ansicht Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 7). Dies kann jedoch nach der Überzeugung des Senats jedenfalls dann nicht gelten, wenn die sechsmonatige Wartefrist ganz erheblich unterschritten worden ist (Binder: in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2017, § 88 Rn. 9), und schon gar nicht gelten, wenn die Erhebung der Untätigkeitsklage und die Stellung des Antrages gleichzeitig erfolgen (Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 88 Rn. 7). Denn durch eine solche Vorgehensweise könnte sich ein Kläger – meist auch noch ohne Kostenrisiko – auf prozessual missbilligenswerte Weise Zeitvorteile verschaffen, was die Prozessordnung nicht vorsieht. Das Gericht wäre gehalten, den Erlass des Bescheides und dann auch noch den Erlass des Widerspruchsbescheides abzuwarten und das gesamte Verwaltungsverfahren „unter richterlicher Aufsicht“ zu halten. Eine derartige Zweigleisigkeit ist bei der Belastungssituation der Sozialgerichtsbarkeit kaum zu rechtfertigen und durch nichts geboten. Hält sich die Verwaltung später tatsächlich nicht an die Fristen, mag erneut geklagt werden (Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 88 Rn. 7; anderer Ansicht möglicherweise Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 22, wonach eine „als Minus in der Untätigkeitsklage“ zu sehende Antragstellung „zu diesem Zeitpunkt (noch)“ unzulässig sei). |
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| Nach alledem war der Gerichtsbescheid des SG Freiburg, mit dem es die unzulässige Untätigkeitsklage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, nicht aufzuheben. Deshalb und da das Verfahren auch nicht an einem wesentlichen Mangel gelitten hat, war der Rechtsstreit nicht nach § 159 Abs. 1 SGG an das SG Freiburg zurückzuverweisen, so dass auch der Hilfsantrag der Klägerin keinen Erfolg hat. |
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