| |
| Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig. |
|
| Der 1959 geborene Kläger stellte am 18.10.2017 bei der Beklagten einen Antrag auf Anerkennung von Berufskrankheiten und legte ein Attest der Gemeinschaftspraxis S/N vom 01.09.2017 vor, wonach er u.a. unter Osteochondrose der Lendenwirbelsäule (LWS) sowie Spinalkanalstenose bei Zustand nach Bandscheibenvorfall LWS 2/3 sowie Discopathie und Zustand nach Lendenwirbelsäulenoperation LWS 4/5 leide. Daneben bestünden Gonarthrose beidseits und Knieendoprothesen beidseits, Coxarthrose rechts und Hüftendoprothese rechts, Handgelenksarthrose links sowie eine Rotatorenmanschettenruptur links. Aufgrund der Vielzahl der orthopädischen Erkrankungen sei auf einen beruflichen Zusammenhang (starke körperliche Belastung) zu schließen. Die Beklagte leitete BK-Feststellungsverfahren hinsichtlich des Wirbelsäulen- und des Knieleidens ein. |
|
| Hinsichtlich seiner beruflichen Tätigkeiten gab der Kläger auf einem entsprechenden Fragebogen der Beklagten für den Zeitraum 01.09.1974 bis 31.08.1977 eine Schreinerlehre (Lehrlingsarbeiten, letztes Lehrjahr Fenster- und Türmontage), für den Zeitraum 01.09.1977 bis 25.11.1977 Tätigkeiten als Schreinergeselle (Lackiererei, Fensterfertigung, Hebearbeiten und Kniearbeiten), für den Zeitraum Dezember 1977 bis Januar 1978 und Mai 1978 bis Oktober 1979 Tätigkeiten als Maschinenarbeiter (Kurbelwellen von der Palette auf den Schleifbock gehoben, poliert und wieder zurück auf die Palette gehoben, teils mit der Hand, teils mit Kran, pro Welle ca. 50 kg), für den Zeitraum Februar 1978 bis April 1978 Tätigkeiten als Schreiner im Küchenaufbau (Küchenblöcke und Elektrogeräte in LKW geladen und bei Kunden wieder ausgeladen und aufgebaut, Schreinerarbeiten in der Werkstatt) an. Von November 1979 bis September 2009 war der Kläger selbstständiger Inhaber eines Montagebetriebs für Garagentore und Servicearbeiten. Nach Übernahme der Firma durch seinen Sohn war der Kläger noch von Oktober 2009 bis Februar 2012 mit Tätigkeiten ohne Tragen schwerer Lasten (Kundendienstserviceaufträge, Arbeitsvorbereitung) beschäftigt. Seit Dezember 2012 bezieht er Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Nach seinen Angaben im Erhebungsbogen der Beklagten hatte der Kläger seit ca. 1978/1979 ständig Schmerzen in der Lendenwirbelsäule, die er auf seine schweren Arbeiten zurückführte. |
|
| Nach der im April 1974 durchgeführten Erstuntersuchung nach § 45 Abs. 1 des Jugendarbeitsschutzgesetzes war der Kläger zu Beginn seiner Ausbildung körperlich und geistig vollkommen gesund (vgl. ärztliche Mitteilung des K vom 11.04.1974). Laut von der Beklagten eingeholten Arztbriefen beim MVZ Wirbelsäulenzentrum am S1 bestand am 02.02.2016 ein Zustand nach mikrochirurgischer Dekompression LWK 2 bis 4 (26.11.2015), Osteochondrose der Wirbelsäule im Lumbalbereich, lumbale Bandscheibenprotrusion LWK 2/3, Foramenstenose LWS, Facettengelenksarthrose der LWS. Eine im Oktober 2015 durchgeführte kernspintomographische Untersuchung der LWS ergab eine geringe Pseudospondylolisthesis LWK 5/SWK 1, Zustand nach alter Fraktur des BWK 11, erosive Osteochondrosen LWK 2 bis SWK 1, im Segment LWK 2/3 erosive Osteochondrose Typ Modic 1, Spondylarthrose mit Punktum maximum L 5/S 1, breitbasiger Prolaps bis foraminal im Segment LWK 2/3, hier absolute spinale Enge, spinale Enge im Segment LWK 3/4 bei sehr diskreter Protrusion und sehr kräftigem epiduralem Fettgewebe, rechtsbetonte Neuroforamenenge, spinale Enge im Segment LWK 4/5 bei geringer Protrusion und sehr kräftigem epiduralem Fettgewebe, knöchern bedingte Neuroforamenenge links, geringe Protrusion L5/S1 bis foraminal, linksbetonte Neuroforamenenge, breitbasiger kleiner bis foramenal reichender Prolaps Th10/11 (vgl. Befundbericht des B vom 30.10.2015). Im November 2015 wurde eine knöcherne Dekompression mit Undercutting LWK 2/3 rechts und LWK 3/4 rechts durchgeführt (Entlassungsbericht der H-Klinik M-P vom 30.11.2015). Eine im Januar 2016 durchgeführte CT der LWS ergab eine regelrechte postoperative CT-Kontrolle bei Zustand nach Dekompression einer Spinalkanalstenose in den Etagen LWK 2/3 und 3/4 von rechts (Bericht des G vom 19.01.2016). |
|
| Die Beklagte zog darüber hinaus von der AOK U B ein Mitglieds- und Vorerkrankungsverzeichnis bei und holte bei G1 eine beratungsärztliche Stellungnahme ein. Mit Stellungnahme vom 21.02.2018 hielt G1 unter Berücksichtigung der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen an der LWS (großer Bandscheibenvorfall L 2/3, kleinerer Bandscheibenvorfall L 3/4, Bandscheibenvorwölbung L 5/S1 sowie massive degenerative Veränderungen LWK 2/3 bis LWK 5/SWK 1) ein belastungskonformes Schadensbild im Sinne der medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der LWS für nicht gegeben. |
|
| Mit Bescheid vom 22.03.2018 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers als BK nach Nr. 2108 ab. Es liege keine bandscheibenbedingte Erkrankung der Wirbelsäule im Sinne einer BK Nr. 2108 vor, weil es unter Berücksichtigung der vorliegenden Befunde und nach Auswertung der eingeholten radiologischen Aufnahmen an einem belastungskonformen Schadensbild an der LWS fehle. Charakteristisch für diese Berufskrankheit sei u.a. eine Betonung der Bandscheibenschäden – z.B. in Form einer Höhenminderung der Bandscheibe (Chondrose) – in den unteren drei Abschnitten der LWS, also den Segmenten zwischen dem fünften Lendenwirbelkörper (LWK) und dem ersten Wirbelkörper des Kreuzbeins (L 5/S 1), dem vierten und fünften LWK (L 4/L 5) und dem dritten und vierten LWK (L 3/L 4). Hierbei müsse die Verteilung von oben nach unten zunehmend sein. Eine derartige Schadensverteilung sei beim Kläger nicht gegeben. Bei ihm seien degenerative Veränderungen in den Segmenten L 2/3, L 3/4, L 4/5 und L 5/S 1 mit fortschreitenden Osteochondrosen festgestellt worden. Weiterhin bestehe ausschließlich in den oberen Segmenten der Lendenwirbelsäule bei L 2/3 und L 3/4 jeweils ein Bandscheibenvorfall. Im untersten Segment L 5/S 1 liege nur eine Bandscheibenvorwölbung vor, dies gelte ebenso auch für das Segment L 4/5. Da die beiden unteren Segmente keine bandscheibenbedingte Erkrankung aufwiesen und kein von oben nach unten zunehmendes Erkrankungsbild vorliege, spreche dies bereits gegen ein belastungskonformes Schadensbild. Hinzu komme, dass sich nach den Angaben des Klägers erste Wirbelsäulenbeschwerden bereits im jungen Erwachsenenalter ca. 1978/1979 bemerkbar gemacht hätten. Dies deute auf eine überragende Schadensanlage zur Entwicklung einer verschleißbedingten Erkrankung an der Wirbelsäule hin. Weiterhin seien neben der Wirbelsäule u.a. auch die Hüftgelenke und Kniegelenke von einer Arthrose betroffen. Dies spreche für einen allgemeinen Gelenkverschleiß ohne beruflichen Bezug. Ein Krankheitsbild im Sinne der BK Nr. 2108 sei somit auszuschließen. |
|
| Zur Begründung des hiergegen am 06.04.2018 erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, dass nach seiner Ansicht eine persönliche orthopädische Begutachtung erfolgen müsse, um die Entscheidung zu rechtfertigen. |
|
| Mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nachdem die beratungsärztliche Stellungnahme unter Berücksichtigung der sogenannten Konsensempfehlungen und der vorliegenden Befunde, insbesondere der bildtechnischen Befunde vorgenommen worden sei, sei eine orthopädische Begutachtung nicht erforderlich. Denn ein sogenanntes belastungskonformes Schadensbild liege beim Kläger nicht vor. |
|
| Hiergegen hat der Kläger am 24.08.2018 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm erhoben und zur Begründung geltend gemacht, er habe über viele Jahre hinweg wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten ausgeführt. Nach der Schreinerlehre (davon das letzte Jahr in der Fenster- und Türenmontage) habe er von 1977 bis Januar 1978 als Maschinenarbeiter gearbeitet und habe dabei pro Tag 35 Kugelwellen (Gewicht 50 kg) von der Palette auf den Schleifbock heben, polieren und sie wieder zurück auf die Palette heben müssen. Diese Arbeit sei teils mit der Hand, teils mit einem Kran durchgeführt worden. Als Angestellter im Küchenaufbau (Februar 1978 bis April 1978) habe er Küchenblöcke und Elektrogeräte in einen LKW geladen, beim Kunden wieder ausgeladen und aufgebaut. Hierbei hätten die Küchenmöbel und Geräte auch in die Wohnungen der Kunden getragen werden müssen. Im Zeitraum November 1979 bis September 2009 (Tätigkeit als selbstständiger Garagentormonteur) habe er mit Mitarbeitern Garagentore auf die Laderampe seines LKW laden und wieder abladen, diese zur Garage tragen und einbauen müssen. Vorher habe das alte Tor ausgebaut werden müssen. Täglich hätten drei bis fünf Garagentore ein- und ausgebaut werden müssen. Im ärztlichen Attest der W vom 01.09.2017 sei eine Osteochondrose der LWS diagnostiziert worden. Eine derartige Osteochondrose sei geeignet zur Anerkennung einer BK Nr. 2108. Die Zunahme des Schadensbildes von oben nach unten sei zwar ein wichtiges Indiz, aber kein Ausschlusskriterium. Mit dem SG Aachen (Urteil vom 27.01.2005 - S 9 U 88/03 -) sei er der Auffassung, dass bei im Übrigen dichter Indizienkette zugunsten eines Kausalzusammenhanges, insbesondere auch fehlender Betroffenheit der oberen Wirbelsäulenabschnitte und fehlenden Anhaltspunkten für eine alternative Verursachung der Zusammenhang dennoch als wahrscheinlich anzusehen sei. |
|
| Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Ihr Beratungsarzt, der die medizinischen Kriterien für die Anerkennung einer BK 2108 durchaus kenne, habe gerade in Kenntnis der beim Kläger vorliegenden Osteochondrose das bestehende Krankheitsbild nicht als belastungskonform beurteilt. Das Vorliegen einer Osteochondrose allein sei also noch nicht hinreichend für die Anerkennung einer BK Nr. 2108. Darüber hinaus sprächen außer der Verteilung der Veränderungen auch das frühe Auftreten der Wirbelsäulenbeschwerden schon in jungen Jahren sowie die mannigfaltigen degenerativen Veränderungen der anderen Gelenke gegen einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang. |
|
| Das SG hat bei H ein fachorthopädisches Gutachten eingeholt. In seinem Gutachten vom 19.05.2019 hat H ausgeführt, dass sich beim Kläger zum Zeitpunkt des operativen Eingriffs kernspintomographisch ausgeprägte Bandscheibenschäden in den unteren vier lumbalen Etagen gefunden hätten, darüber hinaus knöcherne Begleitreaktionen in Form von teils ausgeprägten Spondylosen in diesen Segmenten. Darüber hinaus habe sich aber auch eine hochgradige Einengung des zentralen Wirbelkanals in Segment L 2/L 3 durch anlagebedingte Faktoren, die nichts mit einer Bandscheibenerkrankung zu tun hätten, gezeigt. Es habe also aus gutachterlicher Sicht eine konkurrierende Ursache für die damaligen massiven Beschwerden gegeben. Der Kläger habe auch selbst ausgeführt, dass er vor der Operation vor allen Dingen schmerzhafte Krämpfe in der Oberschenkelmuskulatur verspürt habe; diese seien eher nicht auf einen Bandscheibenschaden zurückzuführen. Nachdem im Rahmen des operativen Eingriffs knöcherne Dekompressionen durchgeführt, d.h. die Wirbelbögen L 2 und L 3 auf der rechten Seite abgetragen worden seien, was aus Sicht des Klägers zu einer weitgehenden Beschwerdefreiheit geführt habe, seien seine Beschwerden offenbar primär durch die knöchernen Einengungen hervorgerufen worden und nicht durch eine bandscheibenbedingte Erkrankung. Aus gutachterlicher Sicht lasse sich also eine bandscheibenbedingte Erkrankung nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, seiner Auffassung nach seien die Beschwerden aber eher auf primär anlagebedingte Faktoren zurückzuführen. Darüber hinaus ergebe sich aus gutachterlicher Sicht auch ein Zweifel, ob der Kläger zum Zeitpunkt des Beschwerdebeginns schon langjährig entsprechenden beruflichen Belastungen unterworfen gewesen sei. Der Kläger selbst habe ausgeführt, dass er seit Mitte der achtziger Jahre immer wieder ambulant wegen Rückenschmerzen behandelt worden sei. Darüber hinaus entspreche das radiologisch diffuse Schadensbild in den Etagen L 2/L 3 bis L 5/S 1 nicht dem theoretisch zu fordernden Muster (mit einem von oben nach unten zunehmenden Schadensbild). Es fehle auch an den von den Konsensempfehlungen geforderten Begleitspondylosen. |
|
| Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein weiteres fachorthopädisches Gutachten bei F eingeholt. In seinem Gutachten vom 24.10.2019 hat F die Auffassung vertreten, dass die von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen (chronisch rezidivierendes LWS-Syndrom, sensibles Nervenwurzelreizsyndrom L 5 links, Bandscheibenschaden in der LWS) die Merkmale einer bandscheibenbedingten Erkrankung erfüllten. Daneben liege in der BWS ein Morbus Forestier vor. Eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition solle auf jeden Fall noch eingeholt werden. Auf ergänzende Nachfrage durch das SG hat F mit ergänzender Stellungnahme vom 25.05.2020 mitgeteilt, dass seiner Auffassung nach entsprechend den Konsensempfehlungen die Konstellation B 2 angesetzt werden könne. In den Röntgenaufnahmen vom 23.10.2019 werde in den Segmenten L 2 bis S 1 eine Chondrose Grad III festgehalten, ebenso werde in der MRT-Untersuchung vom 30.10.2015 ein Bandscheibenschaden in den Segmenten LWK 4/5 und LWK 5/SWK 1 nachgewiesen. |
|
| Die Beklagte hat unter Berücksichtigung der Tätigkeitsbeschreibungen durch den Kläger Stellungnahmen zur Arbeitsplatzexposition vorgelegt (BG Bau vom 07.04.2020, BGHM vom 24.07.2020), auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Da unter Berücksichtigung der beim Kläger im Rahmen eines Telefongesprächs erhobenen Angaben zu Arbeitsplätzen, Tätigkeiten und Expositionen die Richtwerte des Verfahrens (Druckkraft 3,2 kN bzw. Mindesttagesdosis) nicht erreicht worden seien, errechne sich nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) eine berufliche Gesamtbelastungsdosis für den Zeitraum 01.09.1974 bis 30.09.2009 in Höhe von 0 x 106 Nh. Das dritte Zusatzkriterium der B 2-Konstellation „Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen“ könne beim Kläger als erfüllt angesehen werden; die als selbstständiger Garagenmonteur erreichte MDD-Tagesdosis erreiche 1,7 kN und 2,8 kN und liege somit bei einem Wert über der geforderten hohen Belastungsspitze. Mit weiterer beratungsärztlicher Stellungnahme vom 03.08.2020 hat G1 daran festgehalten, dass sich bei den vorliegenden multisegmentalen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule kein Hinweis auf ein belastungskonformes Schadensbild ergebe. Der Hauptbefund finde sich im Segment L 2/3 mit entsprechenden degenerativen Veränderungen. Dies sei einer Konstellation der Konsensempfehlungen nicht zuzuordnen. |
|
| Mit Urteil vom 28.01.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger zwar - entgegen den Ausführungen in der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten - die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die geltend gemachte BK Nr. 2108 erfülle. Dies ergebe sich aus den Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten und der BG Bau unter Zugrundelegung des MDD. An diesem Berechnungsmodell sei trotz diverser Schwächen des MDD als Grundlage für die Konkretisierung der im Text der BK Nr. 2108 zur Kennzeichnung der beruflichen Einwirkungen verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe festzuhalten, weil aktuell kein den wissenschaftlichen Erkenntnisstand besser abbildendes Alternativmodell zur Verfügung stehe (mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R -). Allerdings sei die dem MDD zugrundeliegende Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang bei Männern mit dem Wert von 2.700 N pro Arbeitsvorgang anzusetzen, und es könne das Erreichen einer bestimmten Mindesttagesdosis, wie nach dem MDD gefordert, nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr verlangt werden, sodass bei der Berechnung auch die Tage mit Tagesdosen, die unterhalb der Mindesttagesdosis lägen, zu berücksichtigen seien. Im Hinblick auf die bestehenden Unsicherheiten seien die Richtwerte des MDD für die Gesamtbelastungsdosis zu halbieren, sodass von einem langjährigen Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. einer langjährigen Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung auszugehen sei, wenn mindestens die Hälfte des nach dem MDD ermittelten Wertes für die Gesamtbelastungsdosis erreicht oder überschritten würde. Zwar gehe der Präventionsdienst der Beklagten im Ergebnis davon aus, dass die Gesamtdosis von 12,5 MNh unterschritten sei. Dieser Einschätzung liege jedoch die fehlerhafte Annahme zugrunde, dass im Rahmen der MDD-Berechnung eine Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang bei Männern mit dem Wert 3,2 kN pro Arbeitsvorgang anzusetzen und das Erreichen einer bestimmten Mindesttagesdosis zu verlangen sei. Wie dargelegt entspreche dies nicht mehr der Rechtsprechung des BSG. Unter Beachtung der dargelegten aktuell geltenden Vorgaben errechne sich – unter Berücksichtigung der vom Präventionsdienst der Beklagten unter Anwendung einer Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang bei Männern mit 3,2 kN pro Arbeitsvorgang ermittelten Tagesdosiswerte (Firma J GmbH & Co. Holzbauwerke: 3,1 x 103 Nh, Firma D AG: 2,3 x 103 Nh, Firma M: 1,3 x 103 Nh, Firma D AG: 3,2 x 103 Nh, Firma G: 2,4 x 103 Nh, Firma G: 3,2 x 103 Nh) eine Gesamtbelastungsdosis von 15,5 x 103 MNh, womit der hälftige Orientierungswert von 12,5 MNh überschritten sei. Zwischen der beruflichen Belastung und dem beim Kläger festgestellten Wirbelsäulenschaden bestehe jedoch kein kausaler Zusammenhang. Der beim Kläger bestehende Lendenwirbelsäulenschaden sei nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Zwar liege beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in Form von Bandscheibenvorfällen in den Segmenten L 2/3 und L 3/4 sowie Bandscheibenvorwölbungen in den Segmenten L 4/5 und L 5/S 1 vor, was sich für die Kammer aus dem Gutachten des H ergebe. Die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS sei jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit durch berufliche Einwirkungen verursacht. Das beim Kläger vorliegende Verteilungsmuster der Erkrankung an der Wirbelsäule entspreche nach Art, Ausprägung und Lokalisation des Krankheitsbildes nicht der spezifischen Einwirkung in Form von Heben und Tragen schwerer Lasten. Beim Kläger liege im Bereich der LWS ein breitbasiger Prolaps bis foraminal im Segment LWK 2/3 vor. Der Sachverständige H habe zutreffend darauf hingewiesen, dass bei dem Kläger ein diffuses Schadensbild in den Etagen L 2/3 bis L 5/S 1 bestehe. In Übereinstimmung dazu habe auch G1 multisegmentale degenerative Veränderungen der Wirbelsäule beschrieben und zu Recht darauf hingewiesen, dass sich der Hauptbefund im Segment L 2/3 mit entsprechenden degenerativen Veränderungen finde und damit nicht dem zu fordernden und bereits dargelegten belastungskonformen Schadensbild einer BK Nr. 2108 entspreche. Die Einschätzung des Sachverständigen F, wonach eine Konstellation B 2 vorliege, überzeuge hingegen nicht. Zwar komme eine Konstellation B 2 grundsätzlich in Betracht, nachdem beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung in den Segmenten L 4/5 und L 5/S 1, aber keine Begleitspondylose vorliege. Es liege zudem ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen vor (Befundkonstellation B 2, dritter Spiegelstrich – drittes Zusatzkriterium). Dennoch seien die für einen wesentlichen Zusammenhang sprechenden medizinischen Gründe unter Berücksichtigung der einschlägigen Konstellationen der Konsensempfehlungen mangels belastungskonformen Schadensbild nicht deutlich überwiegend, sodass ein wesentlich beruflicher Entstehungszusammenhang der bandscheibenbedingten LWS-Erkrankung des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit festzustellen sei. |
|
| Gegen das ihm am 04.02.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10.02.2021 Berufung eingelegt. Mit der Entscheidung durch das SG bestehe kein Einverständnis. Das Gutachten des F sei weitaus umfassender und überzeugender als das Gutachten des H. F habe angemerkt, dass die Begründung des H sehr oberflächlich sei bzw. dieser nicht ausreichend begründet habe, weshalb kein berufsbedingter Zusammenhang der Bandscheibenschäden vorliege. F habe demgegenüber überzeugend begründet, weshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem berufsbedingten Zusammenhang auszugehen sei. Daher halte er auch mit Blick auf die Ergebnisse der Arbeitsplatzexposition das Gutachten des F für überzeugend, zumal ebenfalls H einen berufsbedingten Zusammenhang nicht ausgeschlossen habe. |
|
|
|
| das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28. Januar 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit gemäß Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen. |
|
|
|
| die Berufung zurückzuweisen. |
|
| Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt der Akte und das ihrer Auffassung nach zutreffende erstinstanzliche Urteil. |
|
| Auf Veranlassung durch den Senat hat die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 04.11.2021 vorgelegt, gemäß der die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK Nr. 2108 vorliegen. Danach habe eine Korrektur und Neuberechnung mit Hilfe der IFA-Anamnese-Software eine berufliche Gesamtdosis des Versicherten für den Zeitraum 01.09.1974 bis 30.09.2009 in Höhe von 22,00 MNh ergeben. Dies entspreche einem prozentualen Anteil von 88 Prozent des Orientierungswertes von 25 MNh für Männer. Damit sei der mindestens geforderte hälftige Orientierungswert von 12,5 MNh gemäß der BSG-Rechtsprechung erreicht. |
|
| Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei C, H1. C hat in seinem Gutachten vom 04.02.2022 beim Kläger |
|
| - mittelgradige degenerative Veränderungen in den Halswirbelsäulenbewegungssegmenten C 5/C 6 und C 6/C 7 in Form einer Verschmälerung der Bandscheibenfächer sowie nach vorne weisender knöcherner Randwülste an den zugehörigen Grund- und Deckplatten, mit mittelgradigen Verspannungen der kräftig entwickelten Schulternackenmuskulatur, Klopfschmerzangabe über den Dornfortsätzen der unteren Halswirbelsäule sowie mittelgradiger Einschränkung der Beweglichkeit, |
|
| - im Bereich der Brustwirbelsäule röntgenologisch zwischen Th 7 und Th 10 insbesondere nach rechtsseitig ausladende knöcherne Randwülste an den zugehörigen Grund- und Deckplatten, die die Zwischenwirbelräume spangenartig überbrücken mit altersentsprechend unauffälligem klinischem Befund und |
|
| - im Bereich der Lendenwirbelsäule röntgenologisch eine geringe linkskonvexe Seitauslenkung mit einem hieraus resultierenden Winkel von acht Grad, zwischen L 2 und L 5 insbesondere auf der rechten Seite nach seitlich ausladende knöcherne Randwülste, die die Zwischenwirbelräume zum Teil spangenartig überbrücken sowie eine Chondrose Grad III in den Bewegungssegmenten L 2/L 3 bis L 5/S 1 mit reizloser Narbe nach Spinalkanalerweiterung in den Segmenten L 2/L 3 und L 3/L 4 rechts 11/2015, mittelgradigen Verspannungen der kräftig entwickelten paravertebralen Muskulatur, Klopfschmerzangabe über den Dornfortsätzen der mittleren Lendenwirbelsäule sowie endgradiger Einschränkung der Beweglichkeit |
|
| festgestellt. Nach eigenen überschlägigen Berechnungen sei der hälftige Orientierungswert von 12,5 x 106 Nh gemäß BSG-Urteil etwa Ende 1995 erreicht gewesen. Prinzipiell seien zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK Nr. 2108 als erfüllt anzusehen, allerdings lasse sich eine plausible zeitliche Korrelation zwischen beruflicher Belastung einerseits und Entwicklung einer bandscheibenbedingten Erkrankung andererseits nicht wahrscheinlich machen. Vom Kläger sei im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung ein Arztbrief des K vom 11.09.1979 vorgelegt worden, in dem dieser angegeben habe, dass der Kläger „seit zwei Jahren an rezidivierenden Lumbalgien im LWS-Bereich“ leide. Dies bedeute, dass die entsprechenden Beschwerden im Bereich der LWS 1977 begonnen hätten. Am 25.11.1977 habe die berufliche Belastungsdosis bei 0,9 x 106 Nh gelegen; im September 1979 bei etwa 1,9 x 106 Nh. Wenn man diese von K beschriebenen rezidivierenden Lumbalgien als erste Hinweise auf eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich der LWS interpretiere, dann lasse sich hieraus eine plausible zeitliche Korrelation zwischen der beruflichen Belastung einerseits und der Entwicklung einer bandscheibenbedingten Erkrankung andererseits nicht ableiten. Dass es sich bei den Angaben von „rezidivierenden Lumbalgien“ tatsächlich um klinische Hinweise auf eine bandscheibenbedingte Erkrankung gehandelt habe, werde durch den von K beschriebenen röntgenologischen Befund bestätigt. Er beschreibe nämlich eine beginnende Osteochondrose in den Segmenten L 4/L 5 und L 5/S 1. Zwar datiere die nächste auswertbare Röntgenaufnahme erst vom 29.03.2007. Diese zeige jedoch eindeutig eine vorangeschrittene Chondrose in den Bewegungssegmenten L 3/L 4, L 4/L 5 und L 5/S 1, sodass es plausibel erscheine, dass eine 1979 beginnende Chondrose der unteren beiden Segmente in den Folgejahren zugenommen und schließlich auch das darüber liegende Segment L 3/L 4 erfasst habe. Unter medizinischen Gesichtspunkten bestünden keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Kläger unter einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule leide. Die seinerzeit (2015) operierte Spinalkanalstenose müsse mit Wahrscheinlichkeit als sekundäre Folge der stattgehabten Chondroseentwicklung angesehen werden, insoweit könne der beratungsärztlichen Stellungnahme des G1 vom 21.02.2018 nicht zugestimmt werden. Auch wenn damit die röntgenologischen Veränderungen prinzipiell als belastungskonform anzusehen seien, so ließen sie sich jedoch aufgrund ihrer zeitlichen Entwicklung der beruflichen Belastung nicht kausal zuordnen. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass sich entsprechende Veränderungen ja auch in einer beruflich nicht exponierten Normalpopulation fänden. Die besondere Betroffenheit der unteren Segmente der Lendenwirbelsäule entspreche insoweit der normalen Verteilung solcher Osteochondrosen, da die Belastung der Bandscheibenfächer auch unter Normalbedingungen nach unten hin zunehme. Insofern sei davon auszugehen, dass die Erkrankung des Klägers schicksalsmäßig und aus innerer Ursache heraus entstanden sei. An seiner Einschätzung hat C auch nach Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen durch den Kläger Arztbrief (Chirurgie L vom 17.01.1978, Arztbrief der S1 und N1 vom 29.12.1994, Bescheid des Versorgungsamtes Ulm vom 27.08.1996, gutachterliche Stellungnahme vom 07.06.1997 im Rahmen eines Neufeststellungsantrags nach dem Schwerbehindertengesetz) mit ergänzender gutachterlicher Stellungnahme vom 09.05.2022 festgehalten. Auch nach Vorlage dieser Arztbriefe spreche weiterhin alles dafür, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers vor dem Beginn einer beruflich adäquaten Belastung angefangen habe und dann, ihrer Natur entsprechend, vorangeschritten sei. |
|
| Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die beigezogenen Akten der Beklagten verwiesen. |
|