Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (8. Senat) - L 8 B 211/06

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stralsund vom 04. Oktober 2006 - S 6 ER 108/06 AS - geändert:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, unter Änderung des Bewilligungsbescheides vom 14. September 2006 der Antragstellerin über die bereits bewilligten Leistungen hinaus vorläufig für den Monat September 2006 einen Betrag von 10,26 und für die Monate Oktober 2006 bis Februar 2007 jeweils einen Betrag von weiteren 53,23 als Leistungen der Grundsicherung zu bewilligen.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin 1/3 ihrer außergerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht zu erstatten.

Der Antragstellerin wird für beide Instanzen Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt A beigeordnet.

Gründe

I.

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Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II. Auf ihren Folgeantrag vom 01.September 2006 hin bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin durch Bescheid vom 14. September 2006 Leistungen der Grundsicherung in Höhe von 121,27 pro Monat.

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Hiergegen legte die Antragstellerin unter dem 20. September 2006 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, die Kosten ihrer Unterkunft (Bungalow auf dem Hausgrundstück ihrer Eltern) betrügen 150,00 . Zudem lebe sie mit ihren Eltern nicht einem Haushalt.

3

Am 27. September 2006 hat die Antragstellerin um die Gewährung vorläufigen sozialgerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie geht davon aus, sie habe einen Bedarf von 375,00 pro Monat.

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Die Antragsgegnerin ist dem Vorbringen entgegen getreten.

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Durch Beschluss vom 04. Oktober 2006 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, ein Anordnungsanspruch sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Dabei hat das Gericht die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung alternativ sowohl unter der Voraussetzung abgelehnt, dass die Antragstellerin mit ihren Eltern in einem gemeinsamen Haushalt lebe, als auch für den Fall, dass sie einen eigenen Haushalt begründet habe. Für den Fall der Annahme einer Bedarfsgemeinschaft hat das Gericht einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 31,37 pro Monat ermittelt, dass heißt einen Betrag, der unter dem von der Antragsgegnerin anerkannten Betrag von 121,27 liegt. Für den Fall, dass die Antragstellerin einen eigenen Hausstand inne hat, hat das Gericht einen Bedarf von 174,50 ermittelt und somit eine Unterdeckung in Höhe von 53,23 . Das Sozialgericht hat aber gemeint, das tatsächliche Existenzminimum dürfte nach Auffassung der Kammer tatsächlich unterhalb der Regelsätze des § 20 Abs. 2 SGB II liegen. So sei unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Absenken der Regelleistung von Gesetzes wegen zulässig. Die Kammer sei daher der Auffassung, dass eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache dadurch vermieden werden könne, dass in einem sozialgerichtlichen Eilverfahren die Leistungen nur mit einem Abschlag zugesprochen würden. Ein solcher Abschlag von im vorliegenden Fall rund 19 % sei von der Antragstellerin hinzunehmen. Aus diesen Gründen sei auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.

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Der Beschluss ist der Antragstellerin am 10. Oktober 2006 zugestellt worden. Mit ihrer am 01. November 2006 eingelegten Beschwerde reicht die Antragstellerin eine (weitere) eidesstattliche Versicherung vom 13. Oktober 2006 ein und trägt zur Begründung vor: Kindergeld beziehe sie nicht. Die Auffassung

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des Sozialgerichts, dass die Antragstellerin mit 81 % der ihr zustehenden Leistungen auszukommen habe, sei rechtsirrig. Das soziokulturelle Existenzminimum werde unterschritten. Sie bewohne ein eigenes Wohngebäude und wirtschafte nicht mit ihren Eltern "aus einem Topf". Für die Monate September und Oktober 2006 habe sie noch kein Arbeitsentgelt erhalten.

II.

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Die Beschwerde ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

9

Die Antragsgegnerin ist im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 SGG) zu verpflichten, der Antragstellerin die im Tenor ausgesprochenen Leistungen zu bewilligen. Der Senat geht davon aus, dass die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat, wobei das Vorliegen eines Anordnungsanspruches in der Regel - und so auch hier - das Vorliegen eines Anordnungsgrundes indiziert.

10

Der Senat folgt der Antragstellerin bei der Einschätzung, dass sie einen eigenen Hausstand besitzt, das heißt nicht mit ihren Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 SGB II zusammenlebt. Die Antragstellerin hat zum einen einen Mietvertrag über ein selbstständiges Wohngebäude (Bungalow) vom 01. Juni 2006 vorgelegt. Zum anderen hält die Antragstellerin an ihrer Aussage fest, sie habe einen eigenen Hausstand, obwohl ihr dadurch die in § 22 Abs. 2a und § 20 Abs. 2 a SGB II vorgesehenen Kürzungen entgegen zu halten sind. Schließlich hat die Antragstellerin das Vorliegen eines eigenen Hausstandes noch einmal durch eidesstattliche Versicherung vom 13. Oktober 2006 bekräftigt. Es kann nach Auffassung des Senates nicht Inhalt der Amtsermittlung sein, in einem sozialgerichtlichen Eilverfahren, dass auf eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage angelegt ist, weitergehende Ermittlung anzustellen. Daher legt der Senat zugrunde, dass zwischen der Antragstellerin und ihren Eltern keine Bedarfsgemeinschaft anzunehmen ist. Dies hat das Sozialgericht auch in seiner Alternativbegründung (ab Seite 9 des angefochtenen Beschlusses) als eine Möglichkeit angenommen. Der Senat übernimmt für seine Entscheidung die weiteren vom Sozialgericht angestellten Berechnungen des Bedarfes der Antragstellerin. Er legt also zugrunde, dass der Antragstellerin der geminderte Regelsatz von 276,00 (§ 20 Abs. 2a SGB II) zur Verfügung zu stellen ist und die Bewilligung von Kosten der Unterkunft wegen § 22 Abs. 2 a SGB II ausscheidet.

11

Als Einkommen der Antragstellerin ist das Kindergeld von 154,00 anzusetzen. Dies folgt aus dem neu gefassten, ab 01. Juli 2006 gültigen § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass das Kindergeld eventuell an den Vater der Antragstellerin ausgezahlt wird. Es wird Sache der Antragstellerin sein, die Weiterleitung des Kindergeldes an sich selbst sicherzustellen.

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Der Senat folgt dem Sozialgericht auch im Wesentlichen bei der Einschätzung der Höhe des Arbeitsentgeltes, das von dem Bedarf der Antragstellerin abzusetzen ist. Diese hat nämlich erklärt, dass sie im Monat September 2006 ca. fünf Stunden gearbeitet habe und im Übrigen ca. zehn Stunden pro Monat arbeite, und zwar bei einem Arbeitsentgelt von 4,75 pro Stunde. Dies ergibt für den Monat September 2006 einen Betrag von 23,75 und für die Folgemonate einen Betrag von 47,50 . Nicht entscheidend ist, dass das Arbeitsentgelt evtl. nicht monatsgenau ausgezahlt wird.

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Von dem so ermittelten Einkommen der Antragstellerin (Kindergeld und Arbeitsentgelt) sind 100,00 pro Monat abzuziehen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II). Werden von den so ermittelten Beträgen wiederum die gewährten Leistungen in Höhe von 121,27 abgesetzt, verbleibt für den Monat September 2006 ein Betrag von 76,98 und für die Folgemonate von je 53,23 .

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Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senates setzt eine einstweiligen Anordnung taggenau erst ab dem Tag der Antragstellung bei Gericht ein, wobei pauschalierend ein Monat mit 30 Tagen anzusetzen ist. Da die einstweilige Anordnung erst am 27. September 2006 beantragt worden ist, sind für den Monat September nur 4/30 zuzuerkennen, das heißt ein Betrag von 10,26 .

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Der Senat folgt nicht der Auffassung des Sozialgerichts, dass, weil hier nur vergleichsweise geringe Beträge im Streit sind, dies dazu führen muss, entweder den Anordnungsanspruch oder den Anordnungsgrund zu verneinen. Die Leistungen der Grundsicherung stellen das abzusichernde Existenzminimum dar. Daher kann nicht allein mit dem Hinweis auf die geringe Höhe einer eventuell im Wege der einstweiligen Anordnung geltend zu machenden Differenz zwischen dem bestehenden Anspruch und dem von dem Träger der Grundsicherung gewährten Betrag der Anordnungsgrund verneint werden. Dazu müssten im konkreten Fall besondere Anhaltspunkte hinzutreten, die den Wegfall des Anordnungsgrundes bewirken könnten. Solche liegen im vorliegenden Fall nicht vor. Damit bleibt es auch im vorliegenden Fall bei dem Grundsatz, dass das Vorliegen des Anordnungsanspruches auch die Annahme eines Anordnungsgrundes indiziert.

16

Auch aus den Regelungen des SGB II, wonach Leistungen der Grundsicherung - insbesondere bei Verstößen gegen Obliegenheiten - vorübergehend gekürzt werden können (§ 31 SGB II), folgt nicht, dass durch eine einstweilige Anordnung, wegen des Verbotes der unzulässigen endgültigen Vorwegnahme der Hauptsache, regelmäßig nur Leistungen in Höhe von weniger als 100 % des bestehenden Anspruches zugesprochen werden dürfen. Die Regelung über die Kürzung von Leistungen sind bereits im Bundessozialhilfegesetz enthalten gewesen. Sie dienen im Wesentlichen der Sanktionierung von Verstößen gegen Obliegenheiten. Auch wenn vermutet werden kann, dass noch weitere (Geld-)Mittel vorhanden sind, aus denen der jeweilige Hilfeempfänger seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte, oder wenn er sich weigert, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen und auf diese Weise seinen Lebensunterhalt sicherstellen könnte, kam und kommt eine Kürzung in Betracht. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass das soziokulturelle Existenzminimum auch bei Leistungen unterhalb des vom SGB II normierten Bedarf als sichergestellt werden kann.

17

Im vorliegenden Fall kommt noch erschwerend hinzu, dass die Antragstellerin ohnehin wegen des ihr nicht genehmigten Auszuges aus dem elterlichen Haus mit zweierlei Sanktionen belegt wird: Kürzung des Regelsatzes und Aberkennung der Kosten der Unterkunft. Jedenfalls bei den schon verhängten Sanktionen erscheint eine Kumulierung mit weiteren Kürzungen nicht mehr vertretbar.

18

Aus den vorstehend genannten Ausführungen folgt, dass die Rechtsverfolgung der Antragstellerin hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und ihr daher für beide Instanzen Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO in Verbindung mit § 73a SGG zu bewilligen ist.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Da die Antragstellerin nur teilweise obsiegt hat, sind ihre außergerichtliche Kosten nur in einem entsprechenden Umfang für erstattungsfähig zu erklären.

20

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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