Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (9. Senat) - L 9 SO 31/18 B ER

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Schwerin vom 15. August 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

1

Streitig ist die vorläufige Kostenübernahme für die Sondierung des Antragstellers mittels PEG mit Nahrung und Flüssigkeit während der Zeiten seines Schulbesuchs. Der am 3. Oktober 2010 geborene Antragsteller besucht seit September 2017 die Schule für Blinde und Sehbehinderte in Neukloster, wobei er innerhalb der Woche im Internat wohnt. Er ist dauerhaft auf Sondennahrung angewiesen. Die Sondierung erfolgt vormittags über einen Pflegedienst, nachmittags über eine internatsinterne Integrationshelferin. Ein Antrag der Eltern des Antragstellers auf Kostenübernahme der vormittäglichen Sondierung bei der Techniker Krankenkasse wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 8. September 2017 mit der Begründung abgelehnt, die Leistung sei über die Pflegeversicherung abzurechnen. Zwischenzeitlich ist nach den Angaben des Antragstellers ein Überprüfungsantrag gestellt worden.

2

Am 26. Oktober 2017 beantragte die Mutter des Antragstellers für diesen die Kostenübernahme für die vormittägliche Sondierung durch den Antragsgegner. Zur Begründung verwies sie auf die Ablehnung der Krankenkasse. Ihr Sohn bedürfe einer intensiven kostenaufwändigen Pflege, für die das Pflegegeld straff durchkalkuliert sei. Es sei daher nicht möglich, die zusätzlichen Kosten für den Pflegedienst zu tragen und man habe von einer möglichen Kostenübernahme seitens des Sozialamtes erfahren.

3

Mit Bescheid vom 4. Januar 2018 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Die Kosten für den Pflegedienst betrügen laut Rechnung 1.356,88 Euro und seien im vollen Umfang durch die monatliche Sachleistung der Pflegekasse in Höhe von maximal 1.612,00 Euro gedeckt.

4

Der dagegen erhobene Widerspruch vom 27. Januar 2018 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2018 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Leistungspflicht im Rahmen der Sozialhilfe bestehe angesichts der ausreichenden vorrangigen Leistungen der Pflegeversicherung nicht. Der Antragsteller könne auch auf Pflegesachleistungen umstellen. Soweit die Eltern das Pflegegeld benötigten, um zu Hause anfallende pflegebedingte Aufwendungen sowie den Eigenanteil im Internat decken zu können, sei die Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen allerdings vorrangig, was auch durch den Nachranggrundsatz der Sozialhilfe zum Ausdruck gebracht werde. Sollten nach Umstellung von Pflegegeld auf Pflegesachleistungen diese Pflegesachleistungen nicht ausreichen, um den Pflegebedarf vollumfänglich zu decken, wäre gegebenenfalls zu prüfen, inwieweit ein ergänzender Anspruch auf Pflegegeld nach § 64a SGB XII in Betracht komme. Gegen den vorgenannten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 23. Juli 2018 Klage beim Sozialgericht (SG) Schwerin erhoben (Az.: S 4 SO 49/18).

5

Am 24. Juni 2018 hat der Kläger beim SG Schwerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Seine Eltern könnten den beauftragten Pflegedienst für die vormittägliche Sondierung nicht bezahlen. Dies sei mit einem Pflegegeld in Höhe von 901,00 Euro monatlich nicht möglich. Die abgerechneten Kosten durch den Pflegedienst überstiegen den Betrag deutlich. Der von den Eltern beauftragte Pflegedienst sei inzwischen nicht mehr bereit die Sondierung ab dem 20. August 2018 vorzunehmen, da die Kostenübernahem ungeklärt sei und im vergangenen Schuljahr für die Sondierung des Antragstellers Kosten in Höhe von insgesamt 15.250,85 Euro aufgelaufen seien.

6

Der Antragsteller hat schriftsätzlich beantragt,

7

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren die Kosten für die Sondierung mit Nahrung und Flüssigkeit ab 20. August 2018 montags bis freitags immer vormittags zu übernehmen.

8

Der Antragsgegner hat schriftsätzlich beantragt,

9

den Antrag abzulehnen.

10

Zur Begründung hat er sich auf seine angefochtenen Bescheide bezogen.

11

Mit Beschluss vom 15. August 2018 hat das SG den Eilantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es mangele bereits an einem Anordnungsanspruch. Zur Begründung nehme das Gericht auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid des Antragsgegners Bezug. Ergänzend sei auszuführen, die Gabe von Sondennahrung sei grundsätzlich dem Bereich der Pflegeversicherung zuzurechnen. Ausweislich der Rechnung des Pflegedienstes vom 8. Juni 2018 seien die Kosten für Mai 2018 für Aufbereitung und Verabreichung von Sondenkost in Höhe von 1.509,09 Euro über die Pflegeversicherung abgerechnet worden. Weitergehende ungedeckte Bedarfe seien nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. Die Kosten für die Internatsunterbringung übernehme der Antragsgegner ausweislich des Bescheides vom 14.Juni 2018 für das Schuljahr 2018/2019.

12

Gegen diesen am 20. August 2018 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 24. August 2018 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung wird ausgeführt, inzwischen hätten sich die Eltern entschlossen bei der Pflegeversicherung einen Antrag auf Umstellung in Kombinationspflege zu stellen. Hierdurch erhalten sie Pflegeleistungen im Umfang von 1.995 Euro monatlich zuzüglich eines geringeren Pflegegeldes. Nur so habe sichergestellt werden können, dass die Kosten für die vormittägliche Sondierung in Höhe von etwa monatlich 1.500 bis 1.600 Euro beglichen werden können. Allerdings erhielten sie nunmehr lediglich ein Pflegegeld von ca. 170 Euro, was nicht zur Deckung der monatlichen Kosten in der Häuslichkeit an den Wochenenden und den Ferien ausreiche. Der Antrag werde weiter verfolgt, weil es einer Regelung bedarf, um nicht nur die Sondierung des Antragstellers in der Förderschule sicher zu stellen, sondern auch die eigene Pflege durch die Eltern in der Häuslichkeit. Zur Stützung des Begehrens haben die Eltern eine Darstellung des Tagesablaufs sowie der Sondierungszeiten zur Akte gereicht.

13

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,

14

den Beschluss des Sozialgerichts Schwerin zum Aktenzeichen S 4 SO 50/18 ER vom 15. August 2018 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren die Kosten für die Sondierung mit Nahrung und Flüssigkeit ab dem 20. August 2018 montags bis freitags immer vormittags während des Besuchs der Förderschule Neukloster zu übernehmen.

15

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

16

die Beschwerde zurückzuweisen.

17

Er vertritt die Auffassung, es sei weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Durch die Umstellung auf Kombinationsleistungen seien die Kosten für die Gabe von Sondennahrung in der Schulzeit vollumfänglich abgedeckt. Außerhalb der Schulzeiten erhielten die Eltern zudem ungekürztes Pflegegeld für die Tage, an denen sich der Beschwerdeführer in der Häuslichkeit befinde. Es sei kein darüber hinaus gehender Bedarf für die Sondierung, die durch den Sozialhilfeträger zu decken wäre, geltend gemacht. Auch seien die im Haushalt der Eltern anfallenden Kosten nicht derart außergewöhnlich, dass sie durch das Pflegegeld zu decken wären. Kosten für Nahrung, Kochsalz, Taschentücher, Fruchtmus und Caprisonne, Benzinkosten etc. fielen auch in anderen Haushalten an und seien nicht pflegebedingt. Es gebe auch die Möglichkeit weitere Pflegehilfsmittel über die sogenannte Pflegebox zu erhalten. Im Ergebnis bleibe fraglich, welche pflegebedingten Leistungen nicht abgedeckt seien. Ein möglicher Restanspruch sei nicht konkret dargelegt bzw. beziffert.

18

Die vom Senat zum Rechtsstreit beigeladene Pflegekasse hat schriftsätzlich mitgeteilt, der Antragsteller erhalte seit dem 1. Januar 2017 Pflegeleistungen des Pflegegrades 5. Bis zum 31. August 2018 habe er Anspruch auf Pflegegeld in Höhe von monatlich 901 Euro gehabt. Seit dem 1. September 2008 bestehen Kombinationsleistungen. Diese beinhalteten Pflegesachleistungen bis zu einer Höhe von 1.995 Euro monatlich und Pflegegeld bis zu 901 Euro monatlich, wobei die Höhe des Pflegegeldes abhängig sei von den in Anspruch genommenen Sachleistungen. Die Sondierung werde über die Grundpflege durch den Pflegedienst erbracht und sei somit über die Sachleistung abgerechnet.

II.

19

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das SG den Eilantrag abgewiesen. Zur Überzeugung des Senats ist weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, vgl. § 86b Abs. 2 SGB i. V. m. § 920 ZPO.

20

Streitgegenstand des Verfahrens ist ausschließlich ein Anspruch auf Kostenübernahme für die vormittägliche Sondierung des Antragstellers während der Zeiten des Schulbesuchs von montags bis freitags. Das Gericht entscheidet nur über die vom Kläger zur Entscheidung gestellten Anträge, vgl. § 123 SGG. Die Voraussetzungen für eine vorläufige Verpflichtung zur Kostenübernahme dieser konkreten Kosten durch den Antragsgegner sind nicht gegeben. Vielmehr kann mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Anordnungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner hinsichtlich dieser Kosten aktuell ausgeschlossen werden. Darüber hinaus ist auch keine Dringlichkeit für eine vorläufige Entscheidung erkennbar.

21

Bereits unmittelbar nach der Antragstellung beim Sozialgericht haben die Eltern des Antragstellers im August 2018 auf Kombinationspflege umgestellt. Aufgrund der maximal möglichen Pflegesachleistungen seitens der Pflegeversicherung in Höhe von 1.995 Euro ist sichergestellt, dass die nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers derzeitigen Kosten für die Sondierung durch den Pflegedienst in Höhe von monatlich 1.500 bis 1.600 Euro gedeckt werden können. Die möglichen Hilfen zur Pflege durch den Antragsgegner sind gemäß § 63b Absatz 1 SGB XII nachrangig. Die Vorschrift lautet wie folgt: „Die Leistungen der Hilfe zur Pflege werden nicht erbracht, soweit Pflegebedürftige gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten.“ Jedenfalls ab Umstellung auf Kombinationspflege und tatsächlicher Inanspruchnahme der Pflegesachleistungen scheidet mithin gegenwärtig ein Anspruch gegenüber dem Antragsgegner aus. Ob dies bereits zuvor über den allgemein geregelten Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 1 SGB XII gegolten hat und der Antragsteller fiktiv auf die mögliche Inanspruchnahme der Pflegesachleistung zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit verwiesen werden durfte, kann hier dahinstehen. Insoweit könnte gleichwohl eine Verpflichtung zur vorläufigen Leistung des Sozialhilfeträgers bestehen, um dann gegebenenfalls Erstattungsansprüche gegenüber dem Hilfebedürftigen geltend zu machen. Diskutabel erscheint trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Regelung über eine Nachrangigkeit bei möglicher Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen ausnahmsweise in dieser Konstellation eine Nachrangigkeit der Sozialhilfeleitung zu bejahen. Schließlich ist hier tatsächlich auch ein Pflegedienst durch die Eltern des Antragstellers bereits beauftragt worden. Die Umstellung auf Pflegesachleistungen könnte mithin eine zumutbare Rechtshandlung darstellen (vgl. Meßling, in: jurisPK – SGB XII, § 63b SGB XII Rz. 16 ff.). Letztlich kommt es auf die vorgenannte Rechtsfrage nicht an, da – wie gesagt – unmittelbar nach Antragstellung beim Sozialgericht auf die Kombinationsleistung umgestellt worden ist. Ausweislich der vorliegenden Rechnung des Pflegedienstes ist bereits für Mai 2018 mit der Pflegeversicherung abgerechnet worden. Die dem Antragsteller maximal zustehenden Pflegesachleistungen decken aber die tatsächlichen Kosten der vormittäglichen Sondierung, weswegen ein ungedeckter Anspruch gegenüber dem Antragsgegner derzeit insoweit auszuschließen ist.

22

Im Übrigen mangelt es jedenfalls an einem Anordnungsgrund, da aus den vorgenannten Gründen keine Notwendigkeit für eine vorläufige Regelung erkennbar ist. Die Kosten für die vormittägliche Sondierung sind derzeit gesichert. Mithin besteht keinerlei Gefährdung des Antragstellers, weswegen auch aus diesem Grunde der Erlass der begehrten Anordnung abzulehnen ist.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

24

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen