Urteil vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (9. Senat) - L 9 SO 3/19 KL
Tenor
Der Schiedsspruch der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII beim Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern vom 12. November 2018 (Az. 07/18 SGB XII SchSt) wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Schiedsspruchs der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII beim Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern zur Festsetzung einer Vergütung für eine Fördergruppe für erwachsene Menschen mit geistigen, geistigen und mehrfachen Behinderungen (Leistungstyp A. 7 gemäß Anlage zum Landesrahmenvertrag für Mecklenburg-Vorpommern nach § 79 Abs. 1 SGB XII für stationäre und teilstationäre Einrichtungen, nachfolgend: LRV).
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Die Klägerin ist eine am 01. Juni 1993 gegründete gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren alleinige Gesellschafterin die Hansestadt Stralsund ist. Sie ist Mitglied des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Landesverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. (Paritätischer M-V). Die Klägerin betreibt eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), der eine Fördergruppe für Menschen mit geistigen, geistigen und mehrfachen Behinderungen nach dem Leistungstyp A. 7 mit 18 Plätzen in einem getrennten Gebäude angegliedert ist. Die WfbM verfügt ihrerseits über 300 Plätze. Eröffnet wurde die Fördergruppe im Jahre 2003.
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Die Leistungsvorhaltung erfolgt auf Grundlage einrichtungsbezogener Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen (LPV), zuletzt für den Zeitraum April 2018 bis März 2019. Die Vergütung erfolgte bisher im Rahmen einer Pauschale entsprechend einer Regelung in der Anlage zum LRV (Leistungstyp A. 7). Die Höhe dieser Vergütung, die bei Abschluss des Vertrages mit 44,32 € für das Jahr 2007 und mit 44,94 € für das Jahr 2008 festgesetzt worden war, wurde nachfolgend jährlich durch eine gemäß § 22 LRV gebildete „ständige Kommission zur Weiterentwicklung des Landesrahmenvertrages“ (sog. SK 22) neu festgesetzt. Die Pauschale betrug für den Zeitraum vom 01. März 2018 bis 28 Februar 2019 je Tag und Platz 55,40 €.
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Unter dem 6. Februar 2018 forderte die Klägerin den Beklagten zur Aufnahme von Verhandlungen über die Vereinbarung einer individuellen Gesamtvergütung für die von ihr betriebene Fördergruppe auf, woraufhin der Antragsgegner mit E-Mail vom 07. März 2018 lediglich auf die aktuelle Pauschale verwies. Am 13./16. März 2018 schlossen die Beteiligten eine LPV für die Zeit vom 01. April 2018 bis 31. März 2019, wobei eine Vereinbarung über die Höhe der Vergütung wie in den vorangegangenen LPV ausgespart blieb.
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Mit Antrag vom 05. April 2018, am 12. April 2018 bei der Schiedsstelle eingegangen, beantragte die Klägerin für die von ihr betriebene Fördergruppe die Festsetzung einer Vergütung in Höhe von 81,35 € pro Tag und Platz sowie in Höhe von 77,28 € pro Tag und Platz als Freihaltevergütung. Zur Begründung wurde im Kern vorgetragen, die konkrete Regelung der Höhe der Vergütung könne nicht Gegenstand des Landesrahmenvertrages sein. Die Regelungen wirkten jedenfalls nicht gegenüber der Klägerin, was ebenfalls für die Beschlüsse der SK 22 gelte. Sie sei als eine selbständige GmbH auch nicht an die Satzungsvorschriften des Paritätischen M-V verbunden, im Übrigen habe der Verband keine rechtsgeschäftlichen Vertretungsbefugnisse. Da eine Vergütungsvereinbarung bisher nicht zustande gekommen sei, sei eine solche durch die Schiedsstelle festzusetzen. Die Pauschale berücksichtige insbesondere nicht die gestiegenen Personalkosten. Sie halte die Pauschale nicht für auskömmlich.
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Die Klägerin hat beantragt,
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mit Wirkung ab dem 1. April 2018 die Vergütung für die in ihrer Trägerschaft betriebenen Fördergruppe für erwachsene Menschen mit geistigen, geistigen und mehrfachen Behinderungen (Leistungstyp A. 7), der ebenfalls in ihrer Trägerschaft betriebenen Werkstatt für behinderte Menschen, A.-S.-S., S., angegliedert ist, in Höhe von 81,35 € pro Tag und Platz sowie in Höhe von 77,28 € pro Tag und Platz (Freihaltevergütung) festzusetzen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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den Antrag insoweit abzuweisen, als er einen Betrag von 55,47 € übersteigt.
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Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, die Pauschale sei durch die Beschlüsse der SK 22 nach Maßgabe der Regelungen im Rahmenvertrag rechtmäßig festgesetzt. Hieran sei die Klägerin aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Paritätischen M-V gebunden; dieser sei nach seiner Satzung zur ausschließlichen Vertretung seiner Mitglieder gegenüber den auf Landesebene tätigen Organen und Behörden und gegenüber landesweit tätigen Verbänden und Einrichtungen befugt. Lediglich im Falle nicht geförderter solitärer Plätze im Einzelfall könne nach einer neueren Regelung der Ständigen Kommission vom 14. Januar 2010 bei erfolgter Zustimmung durch den Sozialhilfeträger ein Investitionsbedarf zu vereinbaren sein. Komme gleichwohl eine gesonderte Vergütungsvereinbarung zum Investitionsbedarf in Betracht, so müsse ausgeschlossen werden, dass Investitionskosten der Fördergruppe nicht bereits in der Vergütung der WfbM berücksichtigt worden seien. Der Beklagte gehe unter Berücksichtigung der dargelegten Kalkulation und der anzunehmenden Kostenvorteile einer Fördergruppe gegenüber einer WfbM (z.B. Energiekosten, andere Leitungsstruktur) derzeit davon aus, dass die gegenwärtige Pauschale neben den Personal- und Sachkosten auch die investiven Aufwendungen der Fördergruppe decke. Zudem müsse für einen Systemwechsel von der Pauschale zu Einzelverhandlungen eine Verständigung in der SK 22 erfolgen, wofür seitens des Antragsgegners eine grundsätzliche Bereitschaft bestehe, er sei jedoch nur einer der Vertragspartner.
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Mit Schiedsspruch vom 12. November 2018 hat die Schiedsstelle den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Antrag sei hinsichtlich der Zeit vor Antragseingang bei der Schiedsstelle bereits unzulässig, was sich aus § 77 Abs. 2 Satz 2, 3 SGB XII ergebe. Im Übrigen sei der Antrag nicht begründet. Die Antragstellerin müsse sich die vertraglichen Bindungen aufgrund ihrer Mitgliedschaft beim Paritätischen M-V, vor allem aber aus Treu und Glauben (venire contra factum proprium) zurechnen lassen. Der Paritätische M-V sehe sich offensichtlich zur Aushandlung der Pauschale mit Wirkung gegenüber seinen Mitgliedern im Rahmen seiner Tätigkeit im Rahmen der Verhandlung des Landesrahmenvertrages und der Mitwirkung in der SK 22 befugt. Die Antragstellerin sei Mitglied und könne sich den rechtlichen Wirkungen ihrer Mitgliedschaft durch Austritt jederzeit entziehen. Aber auch das Verhalten der Antragstellerin deute darauf hin, dass sie grundsätzlich von der Geltung des von ihrem Verband abgeschlossenen LRV ausgehe und diese Wirkung auch anerkenne. Sie wolle allein eine geschlossene Pauschale zum Leistungstyp A. 7 nicht gegen sich gelten lassen. Insoweit habe sie sich auch aktuell den Regelungen des LRV durch die abgeschlossene Leistung- und Prüfungsvereinbarung unterworfen, was die Geltung der Pauschale für die Leistungen für Fördergruppen des Leistungstyp A. 7 mit einschließe, die sie schließlich auch seit Jahren in der jeweiligen Höhe bezogen habe. Solange die Pauschale ihren wirtschaftlichen Interessen entsprochen habe, habe sie keine rechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit geltend gemacht. Sie hege auch keinen Zweifel daran, dass sie zumindest diese Pauschale weiterhin erhalten möchte. Sie verhalte sich widersprüchlich, in dem sie einerseits die Geltung des LRV akzeptiere, andererseits die Pauschale nicht gegen sich gelten lassen wolle. Mit dem von der Schiedsstelle getroffenen Schiedsspruch bleibe die Geltung des LRV zu Gunsten der Antragstellerin unberührt, d. h. sie erhalte auch weiterhin diese Pauschale für ihre Leistung.
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Gegen diesen nach den Angaben der Klägerin am 18. Dezember 2018 zugestellten Beschluss (Empfangsbekenntnis nicht aktenkundig) hat die Klägerin am 17. Januar 2019 bei dem Landessozialgericht Klage erhoben. Zur Begründung wird eine formelle Rechtswidrigkeit im Hinblick auf verschiedene schwerwiegende Verfahrensfehler geltend gemacht. Der Schiedsspruch sei bereits verfahrensfehlerhaft, da die Schiedsstelle nicht unverzüglich entschieden habe (§ 77 Abs. 1 Satz 3 SGB XII). Der Schiedsstellenvorsitzende habe einen Vertreter des Beklagten trotz Rüge fehlender Bevollmächtigung zur Verhandlung zugelassen. Die Schiedsstelle habe ihre Amtsermittlungspflicht (§ 20 SGB X) verletzt, indem sie den Sachverhalt nicht aufgeklärt, noch irgendwelche substantiellen Maßnahmen ergriffen habe. Zu Unrecht habe die Schiedsstelle den Antrag entgegen höchstrichterlicher Rechtsprechung teilweise als unzulässig verworfen, denn ein Verbot rückwirkenden Inkrafttretens existiere nicht. Insoweit wird von Klägerseite auf die BSG-Entscheidung vom 23. Juli 2014 – B 8 SO 2/13 R, verwiesen. Die Schiedsstelle habe den Antrag auch nicht schlicht zurückweisen dürfen. Die Schiedsstelle sei nach den gesetzlichen Vorschriften verpflichtet, über die Gegenstände, über die keine Einigung erreicht worden sei, zu entscheiden. Allein eine Zurückweisung des Antrages sei unzulässig. Schließlich habe auch der Antragsgegner den Antrag gestellt, den Antrag der Klägerin nur insoweit abzuweisen, als er einen Betrag von 55,47 € übersteige. Mithin sei die Abweisung über die Festsetzung eines Betrags von 55,47 € hinaus formell rechtswidrig. Der angefochtene Schiedsspruch sei auch materiell rechtswidrig. Eine vertragliche Bindung aufgrund der Mitgliedschaft der Klägerin beim Paritätischen M-V bestehe unter keinem Gesichtspunkt, wie bereits im Schiedsverfahren dargelegt. Der Landesrahmenvertrag dürfe nach § 79 SGB XII keine konkrete Regelung in Bezug auf die Höhe des streitgegenständlichen Entgelts beinhalten. Die Landesrahmenverträge wirkten nur zwischen den vertragschließenden Parteien und nicht mit Wirksamkeit für die einzelnen Einrichtungsträger, was auch für Beschlüsse der SK 22 gelte. An einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage mangele es. Auch durch die aktuell abgeschlossene Leistungs- und Prüfungsvereinbarung habe sich die Klägerin nicht den Regelungen des Landesrahmenvertrages unterworfen. Es bestehe keine gesetzliche Ermächtigung zur Regelung von Vergütungspauschalen im Landesrahmenvertrag zur Ausführung der Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII.
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Die Klägerin beantragt,
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den Schiedsspruch der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII beim Landesamt für Gesundheit und Sozial Mecklenburg-Vorpommern vom 12. November 2018 (AZ. 07/18 SGB XII SchSt) aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
- 16
die Klage wird abgewiesen.
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Er hält den angegriffenen Schiedsspruch für formell und materiell rechtmäßig.
Entscheidungsgründe
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I. Die Klage ist zulässig.
- 19
1. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 4 SGB XII eröffnet, wobei das Landessozialgericht im ersten Rechtszug zuständig ist, § 29 Abs. 2 Nummer 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
- 20
2. Die Klage richtet sich gemäß § 77 Abs. 1 Satz 5 SGB XII nicht gegen die Schiedsstelle als diejenige Behörde, die den angegriffenen Verwaltungsakt erlassen hat, sondern ausnahmsweise unmittelbar gegen den Vertragspartner. Für den Abschluss von Vergütungsvereinbarungen ist Vertragspartner der Leistungserbringer nach dem Siebten bis Neunten Kapitel des SGB XII (Einrichtungsträger) grundsätzlich der überörtlicher Träger der Sozialhilfe, § 75 Abs. 3, SGB XII. Gemäß § 3 Abs. 3 SGB XII bestimmen die Länder die überörtlichen Träger der Sozialhilfe. In Mecklenburg-Vorpommern sind seit dem Jahr 2016 gemäß § 2 Abs. 2 Landesausführungsgesetz SGB XII (AG-SGB XII M-V) Vom 20. Dezember 2004 SGB XII-AG M-V die Kreise und kreisfreien Städte die überörtlichen Sozialhilfeträger, während dem Beklagten gemäß Abs. 3 der Norm die Rolle der zentralen Stelle der Sozialhilfeträger zugewiesen wird. Als solche ist er „als Vertreter der Sozialhilfeträger“ u.a. sachlich zuständig für „den Abschluss von Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen nach § 75 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“ sowie für die „Mitarbeit in den Schiedsstellen nach § 76 des Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie § 80 SGB XII soweit auf die überörtlichen Träger der Sozialhilfe abgestellt wird“, § 4 Abs. 2 Nrn. 1 und 8 SGB XII-AG M-V (in der Fassung des Gesetzes vom 27. Januar 2018, GVOBl. M-V S. 38; nunmehr Nrn. 1 und 6 in der Fassung des Gesetzes vom 16. Dezember 2019, GVOBl. M-V S. 796, 800). Als gesetzlicher Vertreter des eigentlich sachlich zuständigen Landkreises Vorpommern-Rügen ist der Beklagte mithin Vertragspartner der Klägerin und richtiger Beklagter.
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3. Der Schiedsspruch stellt einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X dar. Eines Vorverfahrens bedurfte es entgegen § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht, § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG i.V.m. § 77 Abs. 1 Satz 6 SGB XII. Schließlich hat die Klägerin auch die für Anfechtungsklagen geltende einmonatige Klagefrist des § 87 Abs. 1 SGG gewahrt, da sie gegen den am 18. Dezember 2018 zugestellten Schiedsspruch am 17. Januar 2019 Klage erhoben hat. Einer Beiladung der Schiedsstelle nach § 75 Abs. 2 SGG bedurfte es nicht, da ihr als bloße Vertragshelferin keine eigenen Rechte zustehen (vergleiche BSG, Urteil vom 23 Juni 2014 – B 8 SO 2/13 R).
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II. Die Klage ist auch begründet. Der Schiedsspruch der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII vom 12. November 2018 war aufzuheben, da er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
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1. Statthafte Klageart ist insoweit allein die isolierte Anfechtungsklage. Die Schiedsstelle wird, soweit die Vertragspartner nicht ohne ihre Hilfe eine einvernehmliche Regelung finden, das Schiedsverfahren fortzusetzen haben, ohne dass der Senat den Schiedsspruch inhaltlich durch eine eigene Regelung ersetzen könnte. Es kommt mithin weder ein Leistungs- noch ein Verpflichtungsurteil, auch nicht in Form eines sog. Bescheidungsurteils in Betracht. Das folgt bereits daraus, dass die Schiedsstelle nicht Beteiligte ist. Insoweit zutreffend wird von der Klägerin auch (lediglich) die Aufhebung des Schiedsspruches begehrt.
- 24
2. In formeller Hinsicht dürfte die Entscheidung der Schiedsstelle allerdings nicht zu beanstanden sein. Insbesondere ist ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 20 SGB X nicht anzunehmen. Die Kläger hat weder konkret dargelegt noch ist dem Senat ersichtlich, welche Tatsachen die Schiedsstelle nach der insoweit maßgeblichen, von ihr vertretenen Rechtsauffassung hätte ermitteln müssen. Auf weitere Ausführungen zur formellen Rechtmäßigkeit im Einzelnen wird verzichtet, da der Schiedsspruch jedenfalls materiell rechtswidrig ist.
- 25
3. Entscheidungen der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII unterliegen zwar nur im eingeschränkten Umfang der gerichtlichen Kontrolle (Urteil des BSG vom 23. Juli 2014 – B 8 SO 3/13 R, juris Rn. 20, sowie Urteil vom 07. Dezember 2015 – B 8 SO 21/14 R -, juris - Rn. 12 m. W. N.; Urteil des erkennenden Senats vom 06. September 2012 – L 9 SO 11/10; Urteil des LSG B-Stadt-Brandenburg vom 05. Dezember 2013 - L 23 SO 38/10 KL). Die Entscheidung der Schiedsstelle stellt eine Schlichtungsmaßnahme eines aus weisungsfreien Interessenvertretern paritätisch zusammengesetzten Gremiums dar, deren Entscheidungsspielraum sich am Vereinbarungsspielraum der Vertragsparteien orientiert. Die Schiedsstelle agiert als Vertragshilfeorgan, welcher ein erheblicher Gestaltungsspielraum zukommt. Sie ist zur Entscheidung über diejenigen Punkte berufen, die in den vorangegangenen Vergütungsverhandlungen streitig geblieben sind. Sie muss alle Sachverhaltselemente, über welche die Vertragsparteien vorab eine einvernehmliche Regelung getroffen haben, oder die aus anderen Gründen nicht mehr umstritten sind, im Schiedsspruch ohne eigene Prüfung zugrunde legen. Gerichtlich überprüfbar ist die im Rahmen des ganz erheblichen Entscheidungsspielraums getroffene Entscheidung der Schiedsstelle lediglich darauf, ob in einem fairen Verfahren der Sachverhalt unter Wahrung des rechtlichen Gehörs ermittelt worden ist, der bestehende Beurteilungsspielraum gewahrt und zwingendes Gesetzesrecht beachtet worden ist. Auch muss die von der Schiedsstelle bei Abwägung der öffentlichen und privaten Belange getroffenen Entscheidung hinreichend begründet worden sein (vgl. Urteile des BSG vom 7. Oktober 2015 – B 8 SO 21/14 R und vom 14. Dezember 2000 – B 3 P 19/00 R).
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4. Der Schiedsstellenspruch ist wegen Verstoßes gegen zwingendes Gesetzesrecht rechtswidrig, da die Schiedsstelle sich zu Unrecht an der beantragten Festsetzung einer individuellen Vergütung gehindert gesehen hat. Entgegen der Rechtsauffassung der Schiedsstelle sind Einzelverhandlungen nicht aufgrund der im LRV vereinbarten bzw. von der SK 22 festgesetzten Pauschale ausgeschlossen. Für eine derartige (verbindliche) Pauschale fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.
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Nach § 79 Abs. 1 SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung (a.F., nunmehr weitgehend inhaltsgleich § 80) schlossen der überörtliche Träger der Sozialhilfe und die kommunalen Spitzenverbände auf Landesebene mit den Vereinigungen der Träger der Einrichtungen auf Landesebene gemeinsam und einheitlich Rahmenverträge zu den Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 und § 76 Abs. 2 SGB XII, und zwar unter anderem über die nähere Abgrenzung der den Vergütungspauschalen und -beträgen nach § 75 Abs. 3 zugrunde zu legenden Kostenarten und -bestandteile sowie die Zusammensetzung der Investitionsbeträge nach § 76 Abs. 2 (vgl. § 79 Nr. 1 SGB XII a.F.). Rahmenverträge unterscheiden sich von konkreten Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen dadurch, dass sie lediglich allgemeine Festlegungen darüber enthalten, welchen Inhalt die noch mit einzelnen Einrichtungen abzuschließenden Einzelvereinbarungen nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner haben sollen. Wie bereits der Begriff Rahmenvertrag verrät, geben sie einen Rahmen bzw. eine Richtschnur vor. Es werden allgemeine Bedingungen, die für alle Verträge gelten sollen „vor die Klammer gezogen“ (vergl. Hauck/Noftz, SGB XII, 2010, § 79 Rn. 3). Sie sind aber nicht unmittelbar verbindlich, d.h. haben keinen normsetzenden Charakter. Ihre Inhalte werden nicht automatisch in die Einzelverträge einbezogen, sind jedoch bei Abschluss der Einzelvereinbarung als Vorgaben zu beachten. Es muss Raum für die individuelle Aushandlung der Einzelvereinbarung verbleiben. Insbesondere dürfen keine für alle Einrichtungsträger verbindlichen Festlegungen zur konkreten Höhe der Vergütung getroffen werden, die individuellen Vergütungsvereinbarungen entgegenstehen (vergl. Grube/Warendorf, SGB XII, 6. Aufl., Rz 13 mit Hinweis auf Hessisches LSG, Urteil vom 25. Februar 2011 – L 7 SO 237/10 KL; Lange, in: juris PK, 3. Aufl., § 80 SGB XII, Rn. 38). Dementsprechend konnte Regelungsgegenstand eines Rahmenvertrages nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 SGB XII a.F. nur die „nähere Abgrenzung“ und die „Zusammensetzung“ der Vergütungsbestandteile sein, nicht jedoch die Festlegung konkreter Vergütungssätze selbst (vgl. Hessisches LSG, a.a.O).
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Der Senat vermag auch keine Befugnis des Paritätischen M-V zur rechtsgeschäftlichen Vertretung der Klägerin zum Abschluss einer individuellen Vergütungsvereinbarung zu erkennen, welche im Übrigen erst durch die Neufassung des Gesetzes mit Wirkung zum 01. Januar 2020 (§ 75 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 18. April 2019) ausdrücklich vorgesehen ist. Nach dieser Vorschrift kann die Vereinbarung auch zwischen dem Träger der Sozialhilfe und dem Verband, dem der Leistungserbringer angehört, geschlossen werden, soweit der Verband eine entsprechende Vollmacht nachweist. Die Klägerin ist zwar Mitglied des Paritätischen M-V, zu dessen Aufgaben nach § 2 Abs. 3 Ziffer 3 seiner Satzung u.a. die „Vertretung der Mitglieder gegenüber dem Gesamtverband, den Gebietskörperschaften und den auf Landesebene tätigen Verbänden und Einrichtungen“ gehört. Insoweit dürfte der Verband wohl auch ohne ausdrückliche Bevollmächtigung zum Abschluss von Landesrahmenverträgen nach § 79 Abs. 1 SGB XII befugt sein und insoweit auch mit Wirkung gegenüber seinen Mitgliedern handeln können. Gleichwohl ergibt sich hieraus keine rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis für den Abschluss konkreter Einzelvergütungsvereinbarungen für seine Mitglieder. Mit dem Beitritt zum Verband kann eine Übertragung einer entsprechenden Vertretungsmacht allenfalls insoweit angenommen werden, wie dem Verband vom Gesetz auch entsprechende Aufgaben zugeschrieben werden. Als Vereinigung von Trägern der Einrichtungen auf Landesebene im Sinne von § 79 SGB XII a.F. ist dem Paritätischen M-V gerade die Mitwirkung beim Abschluss von Rahmenverträgen zugewiesen, nicht jedoch die Vertretung einzelner Einrichtungsträger bei Verhandlungen über Vergütungsvereinbarungen.
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Ungeachtet der bereits fehlenden Vertretungsmacht des Paritätischen M-V fehlt es aber überhaupt an einer Befugnis der Partner des LRV zur Festsetzung von konkreten, individuellen Vergütungen einzelner Einrichtungen. Weder in den bundesgesetzlichen Regeln des SGB XII, noch in den Bestimmungen des LRV selbst findet sich eine Grundlage dafür, dass durch Festschreibung einer Pauschale in einer Anlage zum Landesrahmenvertrag bzw. nachfolgend durch Festsetzungen einer Vertragskommission der Vergütungsanspruch konkreter Einrichtungen bestimmt werden könnte.
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Folgerichtig findet sich für 32 der insgesamt 34 unterschiedlichen Leistungstypen, die in den Anlagen zum LRV beschrieben werden, auch keine Regelung zur Vergütungshöhe. § 1 Abs. 1 LRV stellt zutreffend fest, dass der Vertrag (lediglich) die Rahmenbedingungen für die von Diensten zu erbringenden Leistungen regelt, darunter die Rahmenbedingungen für die leistungsgerechten Vergütungen. Gemäß § 2 Abs. 1 sind die Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen zwischen dem jeweiligen Träger der Einrichtung und dem zuständigen Sozialhilfeträger abzuschließen, was gemäß Abs. 2 der Vertragsklausel „für jede Einrichtung […] gesondert“ zu erfolgen hat. § 11 Abs. 1 LRV regelt, dass die Vergütung leistungsgerecht sein und den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie den Leistungsvereinbarungen entsprechen muss, wobei Art, Höhe und Laufzeit der Vergütung nach Abs. 2 „zwischen dem Träger der Einrichtung und dem Sozialhilfeträger vereinbart“ werden. „Für jede Einrichtung sind auf der Basis der vereinbarten Leistungstypen Vergütungsvereinbarungen gesondert abzuschließen“ (§ 11 Abs. 2 Satz 2). Der Vertrag sieht an keiner Stelle eine Ausnahme von diesem ausdrücklichen und bundesrechtskonformen Grundsatz der individuellen Vereinbarung der Vergütungen vor.
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Entsprechend den vorgenannten Regelungen werden in den die einzelnen Einrichtungstypen beschreibenden Anlagen zum Vertrag weitere allgemeine Regelungen getroffen. Ausschließlich für den hier maßgeblichen Leistungstyp A. 7 (und für den Leistungstyp A.9 - Integrative Kindertagesstätten) ist in diametralem Gegensatz zu diesen Grundsätzen am Ende der jeweiligen Anlage geregelt, dass „die Vergütung in Form einer Pauschale ermittelt“ werde, welche „jährlich zwischen dem Kommunalen Sozialverband und der Vereinigung der Träger von Einrichtungen verhandelt und durch die Kommission gemäß § 22 des Vertrages beschlossen“ werde. Nach § 22 LRV bilden die Vertragspartner „eine ständige Kommission zur Weiterentwicklung des Landesrahmenvertrages. Diese fasst die zu den Leistungstypen genannten Beschlüsse einstimmig.“ Diese Bestimmung enthält bereits nach ihrem Wortlaut keine Ermächtigung zur Festlegung von für einzelne Einrichtungen verbindlichen Vergütungsregelungen. Sie beauftragt eine in ihrer Zusammensetzung nicht näher beschriebene Kommission lediglich mit der „Weiterentwicklung des Landesrahmenvertrages“, ohne dass hiermit (in irgendeiner rechtlich zulässigen Weise) eine Änderung des Vertrages selbst gemeint sein könnte. Der Inhalt des Vertrages ist zwischen den Vertragspartnern ausgehandelt und festgeschrieben worden. Jegliche Änderung bedarf daher auch der Zustimmung aller Vertragspartner. Eine „Kommission“ kann allenfalls Änderungsvorschläge entwickeln, über deren Annahme sodann die Vertragspartner zu befinden hätten.
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Selbst wenn man eine von ihrem Wortlaut hinreichend klare Ermächtigung der SK 22 im Landesrahmenvertrag zur Fortschreibung des Vertrages selbst annehmen wollte, so wäre hiermit keine Erweiterung des durch den Vertrag überhaupt regelbaren Gegenstandes selbst verbunden, da dieser verbindlich und abschließend durch Bundesrecht bestimmt ist. Der Landesrahmenvertrag darf – wie bereits ausgeführt – nur Vorgaben für Vergütungsbestandteile treffen und mag auch Empfehlungen für die Vergütungsverhandlungen regeln; gleichwohl ist die Kompetenz für die konkrete Festsetzung für einzelne Einrichtungen vom Bundesgesetzgeber eindeutig den einzelnen Einrichtungsträgern (Leistungserbringern) zugewiesen. Allein diese sollen die Vergütung unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit individuell unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ausgehandelt (§ 75 Abs. 3 Satz 2 SGB XII a.F.) bzw. bei mangelnder Einigung nach diesen Kriterien von der Schiedsstelle festsetzen lassen. Nur so kann dem Wirtschaftlichkeitsgebot Rechnung getragen und sichergestellt werden, dass die Vergütung für die jeweilige Einrichtung auch auskömmlich ist. Eine bindende pauschale Festsetzung auf überörtlicher Ebene für alle Einrichtungen eines Leistungstyps verstößt erkennbar gegen den eindeutig geäußerten Willen des Gesetzgebers.
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5. Zu Unrecht hat die Schiedsstelle ferner den Antrag der Klägerin hinsichtlich des Beginns der angestrebten Vergütungsvereinbarung insoweit bereits für unzulässig erachtet, als der Zeitraum vor Antragseingang bei der Schiedsstelle (mithin die Zeit vom 01. bis 04. April 2018) betroffen ist. Insoweit hat die Schiedsstelle den ihr zukommenden Gestaltungsspielraum verkannt. Sie ist durch § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB XII nicht daran gehindert, den Schiedsspruch bereits vor Antragseingang bei ihr in Kraft zu setzen. Durch diese Norm soll lediglich verhindert werden, dass Vergütungen nachträglich nach den bereits entstandenen Kosten abgerechnet werden, also ein Gewinn- oder Verlustausgleich ohne Rücksicht auf die im Leistungszeitpunkt gültigen Vereinbarungen durchgeführt werden kann, vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 2014 – B 8 SO 2/13 R, unter Hinweis auf BT – Drucks. 12/5510, S 10 zu Nr 4. Es gilt der Grundsatz, dass die Beteiligten bzw. die Schiedsstelle über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vereinbarung bei prospektivem Verhandeln frei entscheiden können.
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Vorliegend dürfte es angesichts der zwischen den Beteiligten zum 01. April 2018 geschlossenen Leistung- und Prüfungsvereinbarung nicht nur in der Kompetenz der Schiedsstelle, sondern sogar naheliegen, dem Antrag der Klägerin folgend auch die Vergütung für die Zeit ab dem 01. April 2018 festzusetzen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
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Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, vergl. § 160 Abs. Abs. 2 SGG.
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