Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (6. Senat) - L 6 P 18/19 ER

Tenor

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Schiedsspruch der Antragsgegnerin vom 28. März 2019 wiederherzustellen, wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen Beschluss der Antragsgegnerin, mit welchem diese ihren Schiedsspruch zur Festsetzung der Pflegepersonalschlüssel („Personalkorridore“) im „Rahmenvertrag zur Sicherstellung einer wirksamen und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgung der Versicherten in Einrichtungen der vollstationären Pflege (gemäß § 75 Abs. 1 SGB XI)“ in Mecklenburg-Vorpommern (nachfolgend: Landesrahmenvertrag) für sofort vollziehbar erklärt hat. Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen den Schiedsspruch gerichteten Klage.

2

Beteiligte des Rechtsstreits sind die Verbände bzw. Vertreter der Kostenträger und der Leistungserbringer im Bereich der vollstationären Pflege in Mecklenburg-Vorpommern sowie die von diesen nach § 76 SGB XI gebildete Schiedsstelle (Antragsgegnerin). Während sich die Verbände der Leistungserbringer und die Landesverbände der Pflegekassen (Beigeladene zu 1. – 7. einerseits, zu 8. – 13. andererseits) als Parteien des Landesrahmenvertrages im Ergebnis der bereits im Frühjahr 2016 begonnenen Verhandlungen über die neuen, durch die Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade erforderlich gewordenen Pflegepersonalschlüssel einig geworden sind, vertritt der Antragsteller als Vertreter der Sozialhilfeträger die Auffassung, dass die sog. Personalkorridore enger und insbesondere so zu bemessen seien, dass (mit Ausnahme für den Pflegegrad 1) eine geringere maximale Personalausstattung als zuvor resultiert. Konsens zwischen allen Parteien des Landesrahmenvertrages besteht lediglich darin, dass eine Anhebung der Personalausstattung um einen zusätzlichen Schlüssel von 1:50 für alle Pflegestufen bzw. -grade erfolgen sollte.

3

Die Antragsgegnerin hat mit ihrem Schiedsspruch vom 28. März 2019, schriftlich begründet unter dem 02. April 2019, die neuen Personalkorridore entsprechend der Einigung zwischen Leistungserbringern und Pflegekassen festgesetzt und den Antrag der Sozialhilfeträger abgelehnt. Im Einzelnen:

4

Die ursprünglichen Personalkorridore in § 20 des Landesrahmenvertrages in der Fassung des Schiedsspruchs vom 25. November 2015 stellten sich wie folgt dar:

5

 Pflegestufe

 unterer Korridor

 oberer Korridor

 I     

 4,51 

 3,87 

 ll    

 3,26 

 2,52 

 IIl   

 2,22 

 1,82 

6

Die Verbände der Leistungserbringer und Pflegekassen hatten sich im Verlaufe der Verhandlungen auf folgende, dann auch von der Antragsgegnerin festgesetzte Werte geeinigt:

7

 Pflegegrad

 unterer Korridor

 oberer Korridor

 1     

 8,05 

 6,08 

 2     

 4,52 

 3,59 

 3     

 3,41 

 2,40 

 4     

 2,71 

 1,76 

 5     

 2,48 

 1,76 

8

Der Antragsgegner ist diesem Kompromiss nicht beigetreten, womit die Verhandlungen schließlich im Dezember 2018 ohne einvernehmliches Ergebnis endeten. Am 19. und 20. Dezember 2018 riefen sodann die Leistungserbringerverbände (mit dem o.g., mit den Landesverbänden der Pflegekassen geeinten Vorschlag) einerseits und der Antragsteller als Vertreter der Sozialhilfeträger andererseits die Antragsgegnerin an. Der Antrag der Sozialhilfeträger, beinhaltete folgende, von der Antragsgegnerin in ihrem beide Anträge erfassenden Schiedsspruch abgelehnte Korridore:

9

 Pflegegrad

 unterer Korridor

 oberer Korridor

 1     

 5,68 

 4,71 

 2     

 4,52 

 3,72 

 3     

 3,42 

 2,80 

 4     

 2,71 

 2,22 

 5     

 2,48 

 2,02 

10

Zur Begründung ihres Schiedsspruches hat die Antragsgegnerin ausgeführt, dass die vom Antragsteller vorgeschlagenen Korridore bereits nicht geeignet seien, die bisherige Personalausstattung zahlreicher Einrichtungen zu tragen. Das Modell nehme in den Korridoren der Pflegegrade 4 und 5 noch nicht einmal die Korridore der alten Pflegestufe III auf. Zudem sei seine Herleitung anhand der sog. Äquivalenzzahlen, ausgehend vom unteren Wert des bisherigen Korridors für die Pflegestufe I nicht zwingend; man hätte ebenso gut vom oberen Werte des Korridors der Pflegestufe III ausgehen können. Welche Ergebnisse sich hieraus nach Hinzurechnung der unstreitig vorzunehmenden Verbesserung der Personalausstattung um den Zusatzschlüssel 1:50 ergeben hätten, sei von den Sozialhilfeträgern trotz entsprechender Nachfrage nicht beantwortet worden.

11

Die zwischen den übrigen Vertragspartnern geeinte Lösung biete hingegen den Vorteil, alle derzeit geltenden Personalvereinbarungen abzudecken. Es lehne sich zudem an einen vom Gesetzgeber selbst (zur Überleitung von Leistungsansprüchen) in § 141 SGB XI entwickelten Maßstab an. Diese Kompromisslösung sei trotz der resultierenden sehr breiten Korridore bis zur Entwicklung eines breit wissenschaftlich fundierten und konsentierten Verfahrens im Sinne von § 113c SGB XI als Übergangslösung geeignet, während die Aufrechterhaltung des bisherigen Maßstabs, der keine feste Basis für die Berechnung von Personalmengen biete, nicht zumutbar sei.

12

Der Antragsteller hat in Vertretung aller Landkreise und kreisfreien Städte Mecklenburg-Vorpommerns am 03. Juni 2019 gegen den ihm am 02. Mai 2019 zugestellten Schiedsspruch der Antragsgegnerin Klage erhoben (L 6 P 8/19 KL), diese jedoch trotz entsprechender Aufforderung des Gerichts zunächst nicht begründet. Er hat wiederholt mit der Begründung um Fristverlängerung nachgesucht, dass eine außergerichtliche Einigung angestrebt werde, weshalb sich die Durchführung des Klagverfahrens möglicherweise erübrigen werde.

13

Am 09. September 2019 haben die Leistungserbringerverbände (Beigeladene zu 1. - 7.) bei der Antragsgegnerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Schiedsspruchs vom 28. März 2019 beantragt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, der Antragsteller sei trotz der den Schiedsspruch in der Sache befürwortenden Haltung der Sozialministerin und des Landespflegeausschusses nicht bereit, seine noch immer nicht begründete Klage gegen den Schiedsspruch zurückzunehmen. Stattdessen sei er an die Leistungserbringerverbände herangetreten und habe um Nachverhandlungen gebeten, was von diesen abgelehnt worden sei, nachdem bereits vor dem Schiedsstellenverfahren über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren erfolglos verhandelt worden sei. Wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage seien Einzelverhandlungen auf Einrichtungsebene auch weiterhin nur im Rahmen der alten Personalkorridore möglich, da der Antragsteller den Schiedsspruch bei Pflegesatzverhandlungen nicht akzeptiere. Die vom Antragsteller beantragten Korridore seien bei insgesamt 23 Pflegeeinrichtungen im Land noch nicht einmal hinreichend, um die in den derzeitigen, nach altem Rechtsstand vereinbarten Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen festgelegten Personalmengen zu tragen, weshalb vom Antragsteller eigens eine Übergangsregelung vorgeschlagen werde. Weitere 12 Einrichtungen befänden sich seit dem vorgesehenen Inkrafttreten des Schiedsspruchs am 01. Mai 2019 in Neuverhandlungen, bei welchen sie jeweils Personalmengen geltend machten, die sich nur mit den neuen Personalkorridoren des Schiedsspruches abbilden ließen; diese Verhandlungen seien wegen der ablehnenden Haltung des Antragstellers jedoch ohne Erfolgsaussichten. Die Verhandlungen würden entweder von den jeweiligen Einrichtungsträgern nicht weiterverfolgt, weil man aufwändige Schiedsstellen- und Klagverfahren meiden wolle, oder lägen auf Eis, weil der Antragsteller als Vertreter der Sozialhilfeträger von seinem Vetorecht (gemeint: § 85 Abs. 5 Satz 2 SGB XI) Gebrauch gemacht und die Schiedsstelle angerufen habe. Letzteres gelte selbst im Falle einer Einrichtung, der bereits aufgrund der Öffnungsklausel im alten Landesrahmenvertrag (Betreuung von Bewohnern mit besonderem Interventionsbedarf) eine Personalausstattung oberhalb des oberen Korridors zugebilligt worden sei. Mehrere weitere Einrichtungen beabsichtigten ebenfalls Neuverhandlungen mit dem Ziel einer Personalausstattung, für welche es der Erhöhung der Korridore durch den Schiedsspruch bedürfe, sähen aber wegen der ablehnenden Haltung des Antragstellers noch von einem tatsächlichen Verhandlungsbeginn ab.

14

Vor diesem Hintergrund sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung geboten, da das Interesse der Leistungserbringer an der Umsetzung des Schiedsspruchs das Aussetzungsinteresse überwiege. Die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers gegen den Schiedsspruch seien als gering anzusehen, weshalb eine weitere Verzögerung bei der Umsetzung des Schiedsspruchs zu nicht mehr wiedergutzumachenden Nachteilen auf Seiten der Leistungserbringer führe. Der vom Antragsteller infolge der erweiterten Korridore befürchtete Personalmangel sei tatsächlich nicht zu erwarten. Zum einen werde durch die Erhöhung des Personalschlüssels in Einzelvereinbarungen regelmäßig nur erreicht, dass tatsächlich bereits vorgehaltenes Personal nunmehr auch refinanziert werden könne. Zum anderen sei zumindest mittelfristig mit einer Erhöhung des insgesamt verfügbaren Pflegepersonals zu rechnen und im Hinblick auf die angestrebte Qualitätsverbesserung auch zu wünschen; diese führe sodann wiederum zu einer Erhöhung der Attraktivität des Pflegeberufs. Ohne die sich aus dem Schiedsspruch ergebenden Verhandlungsmöglichkeiten sei hingegen damit zu rechnen, dass derzeit von Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern vorgehaltenes Personal nicht mehr gehalten werden könne und endgültig in andere Branchen oder Bundesländer abwandere.

15

Der Antragsteller hat erwidert, die ihm vom Landessozialgericht eingeräumte Frist zur Klagebegründung sei noch nicht verstrichen. Die von der Antragsgegnerin festgesetzten Korridore stellten keine ausgewogene Lösung dar. Es bestehe auch keine Eilbedürftigkeit, die neuen Personalkorridore umzusetzen. Ergänzend wird auf die Ausführungen des Antragstellers vom 23. September 2019 Bezug genommen.

16

Die Antragsgegnerin hat mit Beschluss vom 30. September 2019, schriftlich begründet unter dem 01. Oktober 2020, ihren Schiedsspruch vom 28. März 2019 für sofort vollziehbar erklärt.

17

Zur Begründung hat sie ausgeführt, die sofortige Vollziehung liege zum Einen im öffentlichen Interesse. Von einem besonderen öffentlichen Interesse sei im Hinblick auf die zwingende Notwendigkeit einer Neuordnung der Personalrichtwerte auszugehen, nachdem das Pflegestärkungsgesetz II den Begriff der Pflegebedürftigkeit umfassend neu definiert habe. Der Gesetzgeber habe zwar das Übergangsrecht auf der Ebene der Ansprüche der Pflegebedürftigen, der Verpflichtungen und Entgeltansprüche der Einrichtungen umfassend geregelt, aber gerade nicht in die Regelungen über die Personalmengen eingegriffen. Er habe jedoch in § 75 SGB Abs. 3 XI ausdrücklich die Pflicht der Vertragsparteien normiert, Personalanhaltszahlen nach „Pflegegrad" zu vereinbaren. Allein Mecklenburg-Vorpommern habe bislang keine Anpassung der Personalrichtwerte an die neuen Anforderungen an die Personalausstattung vorgenommen. Sowohl in Gesamtdeutschland wie in Ostdeutschland liege Mecklenburg-Vorpommern mit seinen bisherigen Regelungen am untersten Ende innerhalb einer großen Spreizung. Es gehe darum, den Abstand zum Durchschnitt zu verringern. Die Umsetzung der Neuregelungen in neue Richtwerte, die den gestiegenen Anforderungen Rechnung tragen, sei also zwingend im öffentlichen Interesse. Durch die Pflegesatzkommission seien mit guten pflege-fachlichen Gründen am 14. März 2016 zusätzliche Personalkapazitäten im Umfang von 1:50 unabhängig davon zugestanden worden, ob einzelne Einrichtungen bereits am oberen Ende der Korridore lagen. Dieser Zuschlag sollte bei den Verhandlungen über den Rahmenvertrag in die neuen Korridore eingearbeitet werden. Die von den Kostenträgern im März 2017 vorgenommene Umrechnung der alten auf Pflegestufen basierenden Korridore in die neuen nach Pflegegraden differenzierten Korridore habe dann trotz Erhöhung des Personalbestandes im Verhältnis 1:50 zu dem nicht überzeugenden Ergebnis geführt, dass geringere Höchstwerte als bisher resultierten, obwohl das PSG II unstreitig zu einer besseren Versorgung der Versicherten habe führen sollen. Die Landesverbände der Pflegekassen seien daher dem Vorschlag der Leistungserbringer beigetreten, der auch der Entscheidung der Antragsgegnerin zugrunde liege. Der Antragsteller halte gleichwohl an einem angeblich den alten Rahmenvertrag lediglich in neues Rechts umsetzenden Berechnungsverfahren fest, obschon es zu Ergebnissen führe, die Werte des alten Landesrahmenvertrages erreichten. In der Praxis der aktuellen Pflegesatzverhandlungen führe dies dazu, dass sich die Sozialhilfeträger selbst Erhöhungsverlangen verweigerten, die sich noch im Rahmen der alten Korridore bewegten, was zu neuen Verfahren vor der Schiedsstelle führe. Der Bedarf nach einer neuen, an die gesetzlichen Neuregelungen angepassten, klaren und eindeutigen Rahmenvereinbarung sei also dringend. Die gefundene Lösung knüpfe an bewährte Verfahren der Umrechnung der Pflegepersonalschlüssel an und verallgemeinere sie. Alle Einrichtungen seien darin mit ihren bisherigen Personalbeständen umfasst. Der vom Antragsteller vorgeschlagene „Bestandsschutz“ sei dagegen nur geeignet, bereits bestehende Einrichtungen zu erfassen, ermögliche aber neuen Einrichtungen keinen Zugang zum Markt. Die vom Antragsteller behauptete Gefahr einer Abwerbung von Pflegekräften infolge einer Verbesserung des Personalschlüssels einzelner Einrichtungen sei bereits deshalb nicht nachvollziehbar, weil es allein in den neuen Bundesländern zwischen 2016 und 2018 zu einem Wachstum der Zahl der Berufstätigen in der stationären Altenpflege von 148.000 auf 157.000 gekommen sei. In Mecklenburg-Vorpommern habe die Zahl der Beschäftigten in Pflegeheimen nach Daten des Statistischen Bundesamtes zwischen 2015 und 2017 von 14.528 auf 16.563 zugenommen. Hiernach sei die Zahl der Beschäftigten seit 1999 stetig gewachsen. Anders als vom Antragsteller dargestellt, gehe es mithin nicht um die Verwaltung und Verteilung eines dramatischen Mangels an Personal; es treffe nicht zu, dass die einen Einrichtungen Personal nur neu einstellen können, wenn sie es von anderen Einrichtungen abwerben. Es gebe seit Jahren eine in der Öffentlichkeit breit unterstütze Politik des Bundes, in der Altenpflege das Lohnniveau und die Arbeitsbedingungen, zu denen auch ausreichendes Personal gehört, zu erhöhen, um in Konkurrenz zu den Krankenhäusern wie allgemein auf dem Arbeitsmarkt und zwischen den Einrichtungen - die Attraktivität der stationären Pflege als Arbeitsplatz zu steigern. Der Gefahr eines Personalverlustes sei marktgerecht durch die Erhöhung der Löhne zu begegnen, was gemäß § 84 Abs. 2 Satz 5 SGB XI auch zu refinanzieren sei. Der Gefahr eines Versorgungsengpasses habe die Antragsgegnerin dadurch Rechnung getragen, dass sie die unteren Korridorwerte aus dem Angebot der Sozialhilfeträger übernommen habe, wodurch bei Personalengpässen ein vorübergehendes Absinken auf diese Werte ermöglicht werde. Ein anderer Kompromiss, der sowohl die zwingend gebotene Anpassung an die neuen Vorgaben der Pflegebedarfe und Verbesserung der Qualität gewährleiste und gleichzeitig die Versorgungssicherheit nicht gefährde, werde vom Antragsteller noch nicht einmal angedeutet und habe auch in den mehr als 2 1/2-jährigen Verhandlungen nicht erzielt werden können.

18

Die sofortige Vollziehbarkeit liege ferner auch im Interesse derjenigen Leistungserbringer, die zusätzliches Personal einstellen wollen. Hierbei handele es sich nicht um eine beliebige wirtschaftliche Maßnahme, sondern um eine dem gesetzlichen Auftrag zur Verbesserung der Versorgungsqualität geschuldete Notwendigkeit.

19

Es sei schließlich den Beteiligten nicht zuzumuten, auf die völlig ungewisse Festlegung von Personalrichtwerten nach § 113c SGB XI zu warten, zumal sehr unwahrscheinlich sei, dass hierbei Mecklenburg-Vorpommern als das Land mit der geringsten Personalausstattung in der stationären Versorgung zum Maßstab genommen werde. Eine Anpassung der niedrigsten Werte im Bundesgebiet werde zwingend geboten sein. Die Anpassungsprobleme würden gemildert, wenn schon jetzt eine Annäherung der Personalrichtwerte an den Bundesdurchschnitt erfolge.

20

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Eilantrag vom 09. Dezember 2019, welchen er, ergänzt durch einen Schriftsatz seiner nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom 17. März 2020, wie folgt begründet:

21

Der mit der Klage angegriffene Schiedsspruch der Antragsgegnerin vom 28. März 2019 sei rechtswidrig; an der sofortigen Vollziehung eines (offensichtlich) rechtswidrigen Verwaltungsaktes könne jedoch kein überwiegendes Interesse bestehe. Von der Rechtswidrigkeit des Schiedsspruchs sei insbesondere wegen dessen nicht hinreichender Begründung auszugehen; es werde nicht deutlich, aus welchen Gründen die festgesetzten großzügigen Korridore richtig seien. Vielmehr werde in erster Linie ausgeführt, weshalb dem Antrag des Antragstellers nicht gefolgt werde. Die bloße Bezugnahme auf die Expertise von Rothgang/Kalwitzki ersetze die erforderliche Begründung nicht. Auch setzte sich die Antragsgegnerin in ihrem Schiedsspruch nicht mit den möglichen negativen Folgen ihrer Entscheidung auseinander, insbesondere mit der erheblich höheren finanziellen Belastung der Bewohner, ihrer Angehörigen und der Sozialhilfeträger im Falle der Ausschöpfung der Personalkorridore. Zudem gehe die Antragsgegnerin fälschlich davon aus, dass durch die Personalkorridore die bestehende Personalausstattung aller Einrichtungen abgebildet werden müsse, denn eine ausnahmsweise Überschreitung der Korridore bleibe möglich. Die auch von der Antragsgegnerin als problematisch angesehene große Spreizung der Korridore sei abzulehnen.

22

Die vom Antragsteller vorgeschlagenen Korridore beruhten hingegen auf der Grundüberlegung, dass das bislang eingesetzte Personal auch weiterhin zur Verfügung stehe und um einen Schlüssel von 1:50 zu erweitern sei, um den fachlichen Anforderungen der Neuausrichtung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs mit dem Maßstab der Selbständigkeit Rechnung zu tragen. Hiervon ausgehend seien die neuen Personalschlüssel rechnerisch aus den alten entwickelt worden. Die Berechnungssystematik sei von der Antragsgegnerin nicht durchdrungen worden. Für Einrichtungen, die bei Inkrafttreten der neuen Korridore mit ihrer nachgewiesenen tatsächlichen Personalausstattung außerhalb des Korridors lägen, sollte bis zum 30. Juni 2020 ein befristeter Bestandsschutz gelten. Der Antragssteller habe mithin auf Grundlage eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens die Personalausstattung den Bedarfsverhältnissen entsprechend neu verteilt. Es bestehe auch kein besonderes Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Schiedsspruchs. Die Festlegung neuer, auf Pflegegraden basierender Personalkorridore sei keineswegs zwingend erforderlich, da zum einen alle Pflegeeinrichtungen im Wege der von der Pflegesatzkommission beschlossenen Überleitung bestehender Vergütungsvereinbarungen mit neuen, individuellen Personalkorridoren bzw. -schlüsseln ausgestattet worden seien. Es seien „auf der Grundlage der vereinbarten Gesamtpersonalausstattung im Lande neue bzw. übergeleitete Korridore gebildet“ worden, die im Schiedsstellenverfahren seitens der Sozialhilfeträger beantragt und auch im Rahmen aktueller Pflegesatzverhandlungen angeboten würden. Das Fehlen eines neuen Landesrahmenvertrages führe vor diesem Hintergrund nicht zu einer unhaltbaren Situation, zumal den wenigen, mit ihren individuellen Vereinbarungen außerhalb der angebotenen Korridore liegenden Einrichtungen Bestandsschutz zugesichert werde. Hierbei handele es sich um statistische Ausreißer.

23

Die von der Antragsgegnerin festgesetzten breiten Korridore eröffneten den Einrichtungen die Möglichkeit, ihr Personal weiter aufzustocken, was ungeachtet der finanziellen Belastung grundsätzlich zu begrüßen sei, wenn denn genug Pflegekräfte vorhanden wären. Leider gehe dies jedoch zu Lasten anderer Pflegeeinrichtungen, denn die Anzahl der zur Verfügung stehenden Pflegekräfte sei stark begrenzt. Es entstehe die Gefahr, dass in einigen Pflegeeinrichtungen dringend benötigte Kapazitäten abgebaut würden, womit ein Versorgungsnotstand entstehe.

24

Dass die durchschnittliche Personalausstattung in Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich zu anderen Bundesländern am niedrigsten ist, sage nichts über die Richtigkeit der Personalkorridore aus, weil das Gesetz gerade länderindividuelle Personalrichtwerte vorsehe. Eine besondere Eilbedürftigkeit lasse sich hiermit nicht begründen. Indem die Antragsgegnerin zudem keine eigenen Feststellungen zu den insoweit maßgeblichen Zahlenwerten angestellt habe, habe sie schließlich ihre Pflicht zur Amtsermittlung aus § 20 SGB X verletzt.

25

Es treffe zu, dass 23 der insgesamt 247 vollstationären Pflegeeinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern zum 31. Dezember 2016 noch innerhalb der alten Korridore lagen, die vom Antragssteller beantragten neuen Korridore jedoch überschritten. Dabei sei jedoch zu bedenken, dass im Jahr 2019 nur 142 Einrichtungen zu Neuverhandlungen aufgefordert und hiervon nur 29 Einrichtungen eine über den vom Antragsteller vorgeschlagenen Korridoren liegende Personalausstattung beantragt hätten. Zudem gehörten 12 dieser Einrichtungen bereits zu der Gruppe der 23, deren bisherige Personalausstattung über den neuen, vom Antragsteller befürworteten Korridoren liege. Die große Mehrheit der Einrichtungen sehe demnach keinen Bedarf für eine Erhöhung der Korridore. Es lasse sich vielmehr von „statistischen Ausreißern“ sprechen, durch welche die Bedarfsgerechtigkeit des Korridorvorschlags des Antragstellers nicht in Frage gestellt werde. Schließlich sei auch im neuen Landesrahmenvertrag die Möglichkeit eine Überschreitung des oberen Korridors im Falle der Betreuung von Bewohnern mit besonderem Interventionsbedarf vorgesehen. Um derartige Einrichtungen handele es sich bei den genannten Ausreißern.

26

Die Anordnung des Sofortvollzugs sei auch deshalb fehlerhaft, weil die Begründung Elemente (zu § 113c SGB XI, Mecklenburg-Vorpommern im Bundesvergleich) enthalte, die in der Schiedsstellensitzung mit den Parteien gar nicht thematisiert worden seien, worin ein Gehörsverstoß zu sehen sei. Hierzu sei etwa darauf hinzuweisen, dass in Mecklenburg-Vorpommern eine 40 Stunden-Woche und damit ein überdurchschnittliche Jahresarbeitszeit gelte. Da gemäß § 113c SGB XI auf Bundesebene bis zum 30. Juni 2020 ohnehin ein Verfahren zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen zu entwickeln sei, sei es im Ergebnis sachgerecht, diese Frist abzuwarten und bis dahin die vom Antragsteller vorgeschlagenen Korridore anzuwenden.

27

Der Antragsteller beantragt,

28

die aufschiebende Wirkung der Klage vom 06. März 2019 gegen den Schiedsspruch 06/18 vom 28. März 2019 / 02. April 2019 unter Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 30. September 2019 wieder herzustellen.

29

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

30

den Eilantrag zurückzuweisen.

31

Sie führt zur Begründung aus, es sei mangels Begründung der Klage gegen den Schiedsspruch vom 28. März 2019 bereits fraglich, ob der Antrag überhaupt zulässig sein könne. Der Antrag sei aber jedenfalls unbegründet. Soweit der Antragsteller ausführe, dass es einzelnen Einrichtungen schwer falle, noch genügend Personal zu finden, so dass sie ihre Kapazitäten reduzieren müssten, sei dies der Antragsgegnerin bekannt und von ihr dadurch berücksichtigt worden, dass sie die alten, unteren Korridore nicht erhöht habe, damit keine Einrichtung gezwungen werde, ihre Kapazitäten zu reduzieren. Dem Antragsteller sei keineswegs das rechtliche Gehör verweigert worden, denn die Erwägungen zum Vergleich der Personalausstattung im Bundesvergleich sei durchaus Gegenstand der Erörterungen in der Sitzung anlässlich der Anordnung des Sofortvollzuges gewesen. Im Übrigen stelle die Anordnung keinen Verwaltungsakt dar und dürfe nach ganz herrschender Meinung auch von Amts wegen und ohne Gewährung rechtlichen Gehörs ergehen. Zu widersprechen sei dem Vortrag des Antragstellers, es gebe für die Neufestsetzung der Personalkorridore keine Eile, da auch die alten Korridore nur von wenigen Einrichtungen ausgeschöpft würden. Damit werde impliziert, dass Verhandlungen von Einrichtungen mit dem Ziel einer Ausschöpfung dieser Korridore problemlos möglich seien, was aber in der Praxis wegen der Weigerungshaltung des Antragstellers gerade nicht zutreffe, was anhand mehrerer Beispiele erläutert wird. Zudem sichere die einrichtungsindividuelle Überleitung lediglich die Fortführung des status quo, ermöglich es jedoch nicht, die Personalmenge an eine geänderte Zusammensetzung der Pflegebedürftigen oder eine Änderung des Pflegekonzepts geschweige denn an die gestiegenen Anforderungen des neuen Rechts an die Qualität der Pflege anzupassen. Soweit der Antragsteller auf von ihm beabsichtigte neue Verhandlungen abstelle, handele es sich eben um bloße Absichtserklärungen, ohne dass tatsächlich ein substantielles, klar berechnetes und abgewogenes Angebot vorgelegt werden würde. Auch der Hinweis auf eine angeblich durch die neuen Korridore drohende Gefahr eines Personalnotstandes gehe fehl, da die bereits bestehende Mangelsituation im Bereich der Pflegekräfte allein durch die Wirkungen des Marktes behoben werden könne und vom Gesetzgeber gerade ein verstärkter Wettbewerb um Arbeitskräfte bezweckt werde, was auch in der Vergangenheit zu einem steten Wachstum der Beschäftigtenzahl geführt habe (Hinweis auf BT-Drs. 18/10510, S. 116, Begründung zu den Änderungen von §§ 84, 89 Abs. 2 SGB XI im Beschluss des Gesundheitsausschusses vom 30. November 2016). Die vom Antragsteller offenbar bezweckte Deckelung der Personalmenge noch unterhalb des Niveaus der alten Korridore mit dem Ziel einer Gleichverteilung in der Fläche laufe den Intentionen des Gesetzgebers zuwider.

32

Nach Vorliegen der Klagebegründung im Hauptsacheverfahren (Schriftsatz vom 07. Februar 2020) hat die Antragsgegnerin auf den ihr nach der Rechtsprechung zukommenden Spielraum bei der Entscheidungsfindung hingewiesen (zuletzt Urteil des BSG vom 26. September 2019 – B 3 P 1/18 R, Rn. 18). Den gesetzlichen Vorgaben, insbesondere in § 75 Abs. 3 Satz 2 SGB XI, habe sie Rechnung getragen, während der Antragsteller die Personalmenge gerade für die hohen Pflegegrade kappen wolle. Die neuen, erst nach dem Schiedsspruch vom Antragsteller vorgetragenen Argumente, insbesondere zur konkreten Berechnung der Verteilung der totalen Personalmenge in Mecklenburg-Vorpommern auf alle Einrichtungen, habe der Schiedsspruch naturgemäß nicht berücksichtigen können, da die Zahlen seinerzeit noch gar nicht vorgelegt worden seien. Die führten indes zu keinem anderen Ergebnis, da nicht Personal zu verteilen, sondern Pflegebedürftige in konkreten Einrichtungen ausreichend zu versorgen seien.

33

Die Beigeladenen zu 1.- bis 7. stellen keinen ausdrücklichen Antrag.

34

Sie vertreten die Auffassung, dass dem Eilantrag des Antragstellers kein Erfolg beschieden sein könne. Im Rahmen der Schiedsstellensitzung vom 29. September 2019 seien alle Aspekte hinsichtlich der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Schiedsspruchs vom 28. März 2019 vollumfänglich erörtert worden. Der Vorsitzende der Antragsgegnerin habe die Beteiligten mehrfach gefragt, ob noch etwas vorzutragen sei, was allseits, auch seitens des Antragstellers verneint worden sei. Die Antragsgegnerin habe zu Recht angenommen, dass das Vollziehungsinteresse das Aussetzungsinteresse überwiege, nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer zu erwartenden Dauer des Hauptsacheverfahrens von mehreren Jahren. Wegen der bislang fehlenden Regelung über die neuen Personalkorridore sei es seit 2017 in Pflegesatzverhandlungen zum Teil zu großen Verwerfungen gekommen. Der Antragsteller lasse es selbst nach der Anordnung des Sofortvollzugs nicht zu, dass die festgesetzten Personalkorridore zur Anwendung gelangen. Zur Vermeidung von Schiedsstellen- bzw. Klagverfahren hätten bereits fünf Einrichtungen in Pflegesatzverhandlungen ihre Anträge auf die maximal vom Antragsteller „zugelassenen“ Werte reduziert; in drei Verfahren habe der Antragsteller von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht. Unter Darstellung einer beispielhaften Berechnung für eine Mustereinrichtung wird dargelegt, dass der Vorschlag des Antragstellers zu einer maximalen Personalausstattung führen würde, die noch unter den bisherigen, aus einer bloßen Überleitung der alten Korridore resultierenden Maximalwerten läge, während der angegriffene Schiedsspruch die Möglichkeit einer deutlichen Personalmehrung mit sich bringe. Die Antragsgegnerin sei zutreffend davon ausgegangen, dass mit den von dem Antragsteller anerkannten Personalkorridoren dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff keine Rechnung getragen würde. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des angegriffenen Schiedsspruchs liege unter Berücksichtigung des Entscheidungsspielraums der Antragsgegnerin nach alledem nicht vor, da er erkennbar kein zwingendes Gesetzesrecht verletze und in einem fairen Verfahren unter Wahrung des rechtlichen Gehörs mit hinreichender Begründung ergangen sei. Die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens seien demnach gering. Ergänzend wird auf die Stellungnahme der Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen zu 1.- bis 7. vom 14. April 2020 Bezug genommen.

35

Die Beigeladenen zu 8. bis 13. haben ebenfalls keinen ausdrücklichen Antrag gestellt; sie messen dem Eilantrag jedoch keine Erfolgsaussichten bei, da die Schiedssprüche der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden seien.

II.

36

Der Antrag ist zulässig.

37

Insbesondere ist der Antragsteller in seiner Eigenschaft als Vertreter der am Abschluss des Landesrahmenvertrags gemäß § 75 Abs. 1 Satz 3 SGB XI zu beteiligenden überörtlichen Träger der Sozialhilfe antragsbefugt. Überörtliche Sozialhilfeträger sind in Mecklenburg-Vorpommern gemäß § 2 Abs. 2 SGB XII-AG M-V die Landkreise und kreisfreien Städte; sie werden gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII-AG M-V vom Antragsteller (zentrale Stelle der Sozialhilfeträger, § 2 Abs. 3 SGB XII-AG M-V) bei der Mitarbeit in der Schiedsstelle nach § 76 SGB XI vertreten, soweit auf die überörtlichen Träger der Sozialhilfe abgestellt wird.

38

Der Antragsteller wendet sich gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch zutreffend mit einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen den Beschluss der Antragsgegnerin, mit welchem diese ihren als Verwaltungsakt anzusehenden Schiedsspruch vom 28. März 2020 für sofort vollziehbar erklärt hat. Der Antrag richtet sich nach einhelliger Meinung entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht auf die Anordnung, sondern auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, vgl. etwa Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 86b, Rn. 91.

39

Der Antrag ist jedoch unbegründet Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Schiedsspruchs vom 28. März 2019 durch die Antragsgegnerin ist formell wie materiell rechtmäßig. Gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG kann die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen hat, in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnen.

40

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des als Verwaltungsakt anzusehenden Schiedsspruchs (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 25. Januar 2017 – B 3 P 3/15 R – Rn. 16) mit zutreffender Begründung bejaht. Sie ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die gegen ihren Schiedsspruch erhobene Klage, auch wenn diese zunächst nicht begründet worden ist, aufschiebende Wirkung entfaltet, da es an einer Ausnahmeregelung zu § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG fehlt. Bei ihrer (in Schriftform und mit schriftlicher Begründung ergangenen) Entscheidung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG hatte sie demnach zum einen die Erfolgsaussichten der gegen den Schiedsspruch gerichteten Klage, zum anderen das besondere, das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegende Interesse (der Öffentlichkeit oder eines Beteiligten) an der sofortigen Vollziehung des Schiedsspruches zu berücksichtigen. Diesen Anforderungen wird der Beschluss der Antragsgegnerin vom 30. September 2019 gerecht.

41

Die durch das Zweite Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften – Zweites Pflegestärkungsgesetz (PSG II) vom 21. Dezember 2015, BGBl. I S. 2424, mit seinem Inkrafttreten am 01. Januar 2017 erforderlich gewordene Änderung des Landesrahmenvertrages konnten nach der zutreffenden Einschätzung der Antragsgegnerin und sämtlicher Beigeladener nicht noch länger aufgeschoben werden. Die hiergegen seitens des Antragstellers erhobenen Einwendungen tragen im Ergebnis nicht.

42

Bei der Festsetzung der neuen Personalkorridore mit Schiedsspruch vom 28. März 2019 hat die Antragsgegnerin zumindest nach summarischer Prüfung im Eilverfahren zwingendes Gesetzesrecht verfahrensrechtlicher und auch materiell-rechtlicher Art beachtet und ist zudem in einem fairen Verfahren auf der Basis eines hinreichend ermittelten Sachverhalts zu einer Entscheidung innerhalb der Grenzen ihres Beurteilungsspielraums gekommen. Der Schiedsspruch wird daher voraussichtlich der (nur eingeschränkten, vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2017 – B 3 P 3/15 R – Rn. 30 ff.) gerichtlichen Prüfung Stand halten.

43

Die Antragsgegnerin hat insbesondere alle bis zu ihrer Entscheidung vom 28. März 2019 von den Vertragspartnern vorgetragenen Argumente berücksichtigt und gewürdigt. Sie war auch nicht gehalten, vor dieser Entscheidung weitere eigene Erhebungen anzustellen. Die Schiedsstelle unterliegt zwar grundsätzlich dem Untersuchungsgrundsatz nach § 20 SGB X (BSG, a.a.O., Rn. 44). Die Ermittlungspflicht von Amts wegen ist jedoch beschränkt, denn das Schiedsverfahren ist in besonderem Maße von den Mitwirkungspflichten der Beteiligten geprägt. Zudem muss die Schiedsstelle bei der Bestimmung von Art und Umfang der Ermittlungen dem Beschleunigungsgrundsatz gerecht werden und kann sich deshalb regelmäßig auf den von den Beteiligten vorgebrachten Sachverhalt und die von ihnen beigebrachten Unterlagen stützen. Weitergehende, eigene Ermittlungen der Schiedsstelle, zB durch die Einholung von Gutachten oder Auskünften von Dritten, sind zwar nicht ausgeschlossen, setzen aber voraus, dass sich die Beteiligten auf deren Durchführung durch die Schiedsstelle und die Übernahme der Kosten einigen; andernfalls unterfallen solche Ermittlungen regelmäßig weitgehend dem Beurteilungsspielraum der Schiedsstelle und nicht der Amtsermittlungspflicht (BSG, a.a.O., Rn. 45). Da sich die Antragsgegnerin vorliegend bei ihrer Einschätzung, Mecklenburg-Vorpommern liege im Bundesvergleich am untersten Rand einer großen Bandbreite von Personalschlüsseln, auf allgemein zugängliche Informationen gestützt hat, welchen die Antragsgegnerin bis heute nicht substantiiert begegnet ist, geht die Aufklärungsrüge der Antragsgegnerin im Ergebnis ins Leere.

44

Der Antragsteller verkennt ferner, dass es das „richtige“ Ergebnis in einem möglichst auf Konsens abzielenden Schiedsverfahren nicht gibt, zumal wenn das Ziel eines solchen Verfahrens die Festlegung mehr oder weniger „gegriffener“ Personalschlüssel bzw. Personalkorridore ist. Allenfalls lässt sich ein konkreter Vorschlag dann als „falsch“ und ein entsprechender Schiedsspruch als rechtswidrig einstufen, wenn er wesentlichen, von einem Landesrahmenvertrag gemäß gesetzlichem Auftrag zu verfolgenden Zielen nicht gerecht wird. Letzteres dürfte hier auf den von der Antragsgegnerin abgelehnten Vorschlag des Antragstellers zutreffen. Personalkorridore, die nicht geeignet sind, eine bisher mögliche und von zahlreichen Einrichtungen tatsächlich vorgehaltene Personalausstattung abzubilden, dürften von vornherein als sinnvolle Grundlage für künftige, dem Ziel einer Verbesserung der Qualität der Pflege dienenden Pflegesatzverhandlungen ausscheiden. Wenn nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten 23 von insgesamt 247 vollstationären Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern mit ihrer nach dem alten Landesrahmenvertrag verhandelten Personalausstattung die vom Antragsteller vorgeschlagenen neuen Personalkorridore nicht einhalten würden, kann eindeutig nicht mehr von „statistischen Ausreißern“ gesprochen werden. Die vorgeschlagene Bestandsschutzregelung kann diesem Problem auch nicht abhelfen, da es eine solche Regelung anderen Einrichtungen, seien es bestehende oder noch zu errichtende, nicht ermöglichen würde, eine vergleichbare Personalausstattung anzustreben.

45

Der Antragsteller geht ferner fehl in der Annahme, dass eine rein arithmetische Ermittlung neuer Werte der Garant für die „Richtigkeit“ des Ergebnisses sein könnte. Ebenso wenig kann sich die „Unrichtigkeit“ der festgesetzten Personalkorridore bereits aus der Abweichung von dem von ihm dargelegten Berechnungsweg ergeben. Auch wenn zwischen den Vertragspartnern grundsätzlicher Konsens über einige Elemente der vorzunehmenden Neuberechnung bestanden hat, etwa hinsichtlich der pauschalen Erhöhung um einen Schlüssel von 1 zu 50 oder der grundsätzlichen Anlehnung an die von Rothgang/Kalwitzki 2015 („Vergütung vollstationärer Pflegeeinrichtungen nach Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs“, Expertise für das Bundesministerium für Gesundheit, Endbericht vom 1. Dezember 2015) entwickelte Methodik, verbleiben bei der mathematischen Umsetzung dieses Konsenses erhebliche Spielräume, die zumindest nach vorläufiger Einschätzung des Senates durch den Schiedsspruch vom 28. März 2019 nicht überschritten worden sind. Diese Einschätzung sei anhand folgender Beispiele erläutert:

46

Die vereinbarte Erhöhung um den pauschalen Zusatzschlüssel von 1 zu 50 ist in dem Sinne zu verstehen, dass für je 50 Pflegebedürftige unabhängig von deren Pflegebedarf (Einstufung in Pflegegrade bzw. -stufen) eine Vollzeitkraft zusätzlich zur Verfügung stehen soll. Sie lässt sich mathematisch wie folgt umsetzen, wobei „x“ für den neuen, verbesserten Personalschlüssel (Anzahl Pflegebedürftiger je Vollzeitkraft) steht, „y“ für den alten Schlüssel:

Abbildung

47

Diese Art der pauschalen Erhöhung ist Konsens zwischen den Vertragspartnern, auch wenn sie im Widerspruch zu der Darstellung auf Seite 9 im Schiedsspruch über die Anordnung des Sofortvollzuges vom 30. September 2019 (schriftliche Fassung vom 01. Oktober 2019) steht, wonach eine pauschale Erhöhung von 1 Vollzeitkraft je 50 Vollzeitkräften, mithin eine Erhöhung von 2 % vereinbart worden sei. Das ergibt sich etwa aus den Ausführungen des Antragstellers in der Klagebegründung vom 07. Februar 2020. Hier wird auf den Seiten 4 unten bis 5 oben in tabellarischer Form dargestellt, wie „das zwischen den Vertragsparteien bereits geeinte Mehrpersonal im Umfang von 1:50“ hinzuzurechnen ist. Die dort wiedergegebenen Zahlenwerte ergeben sich aus der o.g. Formel, nicht jedoch aus einer Erhöhung um 2 %. Auch die Antragsgegnerin geht in ihrer Antragserwiderung vom 27. Januar 2020 nunmehr zutreffend davon aus, dass die vereinbarte Erhöhung „1 neue Vollzeitkraft auf 50 Pflegebedürftige“ beinhalten sollte (Seite 2 Mitte).

48

Hiermit ist jedoch noch nichts darüber ausgesagt, ob die pauschale Erhöhung in einem ersten Schritt auf die „alten Korridore“ anzuwenden ist, um hernach die Umrechnung von Pflegestufen auf Pflegegrade vorzunehmen, oder ob diese Schritte in umgekehrter Reihenfolge zu vollziehen sind. Verwendet man den Korridor der Pflegestufe I als „Ankerwert“ ergibt sich zwar für beide Rechenwege das gleiche Ergebnis für den Korridor des Pflegegrades 2. Erstere Methode führt jedoch zu einer höheren Personalausstattung bei den höheren Pflegegraden 3 bis 5, während der Korridor für den Pflegegrad 1 geringer ausfällt. Die zweite, vom Antragsteller offenbar präferierte Methode führt zum umgekehrten Ergebnis: Der Korridor für den niedrigsten Pflegegrad 1 beinhaltet dann eine bessere Personalausstattung, bei den höheren Pflegegraden resultieren hingegen signifikant niedrigere Werte. Keiner der beiden Rechenwege lässt sich als „richtig“ oder „falsch“ bezeichnen, da beide dem Konsens zwischen den Vertragspartnern, eine Verbesserung der Ausstattung um den Schlüssel 1 zu 50 vorzunehmen, Rechnung tragen. Bedenkt man jedoch, dass die Anzahl der Heimbewohner, die dem Pflegegrad 1 zugeordnet sind, gegen Null tendiert, erscheint der vom Antragsteller präferierte Berechnungsweg in höherem Maße begründungsbedürftig als der umgekehrte.

49

Auch soweit die Äquivalenz-Zahlen und das Modell 3 aus der Rothgang-Expertise nach den Überlegungen der Vertragspartner grundsätzlich auf die Ermittlung der neuen Korridore Anwendung finden sollten, bestehen nicht unerhebliche Abweichungen in den Ergebnissen abhängig davon, welcher der alten Korridore als Referenzwert oder Ankerwert fungiert. Die von Rothgang entwickelten Äquivalenzzahlen treffen grundsätzlich nur eine Aussage über das Verhältnis der Personalbedarfe der einzelnen Pflegegrade zueinander, weshalb sie sich – ohne Veränderung dieses Zahlenverhältnisses – unterschiedlich darstellen lassen:

50

 Pflegegrad

 PGr 1 = 1

 PGr 2 = 1

 PGr 3 = 1

 PGr 4 = 1

 PGr 5 = 1

 1     

 1,00 

 0,78 

 0,57 

 0,45 

 0,41 

 2     

 1,29 

 1,00 

 0,74 

 0,58 

 0,52 

 3     

 1,75 

 1,36 

 1,00 

 0,78 

 0,71 

 4     

 2,24 

 1,74 

 1,28 

 1,00 

 0,91 

 5     

 2,46 

 1,91 

 1,41 

 1,10 

 1,00 

51

Während also das Verhältnis der Äquivalenzzahlen zueinander unabhängig davon ist, welcher Pflegegrad als „Ankerwert“ angenommen wird, trifft dies nicht auf die Auswahl derjenigen Pflegestufe zu, die für die Umrechnung in Pflegegrade im Rahmen des Modells 3 der Rothgang-Expertise als Ausgangswert gewählt wird. Die in Kapitel 4.2.4 der Expertise dargestellte Umrechnungsmethode, die dem Modell 3 zugrunde liegt, dient nicht in erster Linie der Entwicklung neuer Personalrichtwerte in einem Landesrahmenvertrag, sondern der Ermittlung einer einrichtungsbezogenen Umschlüsselung bei fixiertem Budget, wobei der Pflegegrad 2 als Referenzwert dient.

52

Verwendet man stattdessen den Mittelwert des „alten“ Korridors der Pflegestufe III (2,02) als „Ankerwert“ für die Errechnung des Korridors für den Pflegegrad 5, was bei einem Anteil von fast 90 % der in Pflegestufe III eingestuften Heimbewohner mit eingeschränkter Alltagskompetenz plausibel erscheint, resultiert ein Korridor zwischen 2,16 und 1,89, der durch den vereinbarten Zusatzschlüssel von 1:50 auf 2,07 bis 1,82 zu erhöhen wäre. Bereits der so (mathematisch ebenfalls „richtig“) ermittelte Wert für den neuen oberen Korridor liegt deutlich unter dem vom Antragsteller favorisierten Wert von 2,02, der gerade einmal dem alten, noch nicht einmal um 1:50 verbesserten Mittelwert der Pflegestufe III entspricht. Der von den Beigeladenen geeinigte und von der Antragsgegnerin festgesetzte neue obere Korridorwert von 1,76 hat hingegen den entscheidenden Vorteil, dass der bisherige obere Korridorwert der Pflegestufe III (verbessert um den Zusatzschlüssel 1:50) erhalten bleibt, sodass in keinem Fall eine Reduzierung der Personalmengen resultiert, bzw. durch eine Bestandsschutzregelung vermieden werden müsste.

53

Für die festgesetzten oberen Korridorwerte lassen sich mithin durchaus tragfähige Argumente vorbringen, womit sie sich als eine von zahlreichen möglichen, jedenfalls nicht „rechtswidrigen“ Lösungen darstellen. Auch soweit der Antragsteller, die kritischen Erwägungen der Antragsgegnerin in ihrem Schiedsspruch aufgreifend, die Weite oder Spreizung der neuen Korridore problematisiert, folgt hieraus nicht eine Überschreitung des der Antragsgegnerin zugebilligten Ermessensspielraums und somit nicht die Rechtswidrigkeit ihrer Festsetzung.

54

Die von Rothgang/Kalwitzki, a.a.O., Kapitel 6.2., vorgeschlagenen Ansätze zum „Erhalt länderspezifischer Regelungen zur Personalbemessung“, insbesondere bei der Verwendung von Personalkorridoren, knüpfen wesentlich an die Spreizung dieser Korridore („Intervallbreite“) in den bisherigen Rahmenverträgen an. Dabei werden die bisherigen relativen Intervallbreiten für die Pflegestufen um den Faktor 2/3 reduziert, um sie dann um die für die Pflegegrade anhand der Äquivalenzzahlen ermittelten neuen Mittelwerte „herumzulegen“. Dieses Verfahren ist fraglos in rechnerischer Hinsicht plausibel; zwingend ist es hingegen nicht, worauf die Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung zutreffend hinweist: Der Gesetzgeber gibt gerade keine Methode vor. Er regelt mit der Überleitungsvorschrift für einzelne Versicherte in § 141 Abs. 2 SGB XI lediglich den Übergang der Leistungsansprüche, welche über die „Bewohnerstruktur“ konkreter Einrichtungen von erheblichem Einfluss auf deren Budgetberechnungen ist. Vorliegend ist aber gerade nicht das Budget konkreter Einrichtungen, sondern die mögliche Personalausstattung aller Einrichtungen des Landes im Streit. Nur vor diesem Hintergrund sind offenbar die Leistungserbringer (Beigeladenen zu 1. bis 7.) im Verlauf der Verhandlung von den von ihnen ursprünglich beantragten engeren Korridoren abgerückt und haben die unteren Korridore aus dem Vorschlag der Kostenträger übernommen. Es erscheint im Ergebnis gut begründet, der Erfassung wenigstens der aktuell bereits vorhandenen Personalausstattungen bei der Festsetzung der neuen Korridore größeres Gewicht beizumessen als einer „sklavischen“ Anwendung nicht verbindlicher Rechenmodelle oder gar einer Verhinderung der Möglichkeit einer Personalmehrung, wobei letzterer Aspekt vor dem Hintergrund der angestrebten Verbesserung der Qualität der stationären Pflege ohnehin wenig überzeugend erscheint.

55

Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich eine Pflegeeinrichtung, der es gelingt, im Rahmen der Pflegesatzverhandlungen eine Personalmehrung durchzusetzen, ohne bereits über entsprechendes, bislang nicht refinanziertes Personal zu verfügen, der Gefahr eines Regresses nach § 115 Abs. 3 SGB XI aussetzt. Die Wahrscheinlichkeit eines derartigen Vertragsabschlusses ohne entsprechende Personalgewinnungsmöglichkeiten auf dem freien Arbeitsmarkt erscheint vor diesem Hintergrund begrenzt. Die Argumentation der Antragsgegnerin, dass mit einem verschärften, mit Lohnerhöhungen einhergehenden Wettbewerb um Pflegekräfte auch eine Erhöhung der Attraktivität des Pflegeberufs und damit eine Zunahme der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte zu rechnen ist, erscheint zudem überzeugender als der fast planwirtschaftlich anmutende Ansatz des Antragsteller, der von einem vollkommen statischen Arbeitsmarkt ausgeht. Dieser Ansatz wird zudem durch die von der Antragsgegnerin angeführte statistische Entwicklung im Sinne einer seit Jahrzehnten zunehmenden Arbeitskräftezahl widerlegt.

56

Die tatsächlich von der Antragsgegnerin entsprechend der Einigung zwischen den Beigeladenen festgesetzten Werte gehen abweichend von der vorstehenden, nur als Beispiel dargelegten Berechnung nicht vom Mittelwert, sondern von der oberen Grenze des alten Korridors der Pflegestufe III aus (1,82). Durch Anwendung des Zusatzschlüssels von 1:50 ergibt sich der neue obere Korridorwert von 1,76. Auch dieser Ansatz stellt eine plausible und rechnerisch richtige, durch das Gesetz nicht ausgeschlossene Herangehensweise dar, die zudem den Vorteil genießt, dass sich auch alle Einrichtungen, die die alten Korridore voll oder weitestgehend ausgeschöpft haben, in den neuen Korridoren wiederfinden.

57

Der Schiedsspruch verlässt auch nicht deshalb den Bereich des rechtlich Zulässigen, weil die festgesetzten Korridore eine ganz erhebliche Spannbreite aufweisen. Die Antragsgegnerin hat sich mit diesem „Problem“ ausführlich auseinandergesetzt und es im Ergebnis als notwendiges Übel hingenommen. Die Spreizung ließe sich nicht nur, wie der Antragsteller offenbar meint, dadurch verringern, dass die oberen Korridorwerte abgesenkt werden, sondern ebenso gut dadurch, dass die unteren Werte angehoben werden, was dem ursprünglichen Vorschlag der Leistungserbringer entspräche. Im Interesse einer bereits mit den Landesverbänden der Pflegekassen gefundenen Einigung hat die Antragsgegnerin hiervon abgesehen. Unter dem weiteren Gesichtspunkt eines zusätzlichen Spielraumes „nach unten“ für den Fall eines wider Erwarten eintretenden Personalnotstandes ist gegen diese Einschätzung der Antragsgegnerin nichts zu erinnern.

58

Zudem ist es bei dem grundsätzlich konsensorientierten Schiedsverfahren nicht fernliegend, gerade dem Vorschlag schließlich „den Zuschlag“ zu gewähren, der nach langjährigen Verhandlungen die Zustimmung der ganz überwiegenden Zahl der Verhandlungspartner gefunden hat. In einer solchen Situation erscheint es ferner nicht ermessensfehlerhaft, ein einzelnes Element dieses Vorschlags (hier die identischen oberen Korridorwerte für die Pflegegrade 4 und 5) auch dann in die Entscheidung aufzunehmen, wenn es nicht dem gemeinhin Üblichen entspricht. Das gilt jedenfalls dann, wenn anders als bei der Festlegung der Personalschlüssel im Rahmen von Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen konkreter Einrichtungen lediglich ein abstrakter Rahmen für das maximal Zulässige abgesteckt wird, der erst in Einzelvereinbarungen seinen konkreten Niederschlag finden muss.

59

Da somit nach zumindest summarischer Prüfung die Klage des Antragstellers gegen den Schiedsspruch der Antragsgegnerin vom 28. März 2019 ohne überwiegende Erfolgsaussichten ist, weil die Antragsgegnerin mit ihrem Schiedsspruch die Grenzen des ihr zugebilligten Ermessensspielraums nicht überschritten hat, reicht für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anordnung des Sofortvollzuges ein schlichtes Überwiegen des Interesses hieran gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der weiteren Suspendierung des Schiedsspruches aus. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen hat die Antragsgegnerin im Ergebnis zutreffend vorgenommen.

60

Wie oben gezeigt gibt es keinen rechnerisch eindeutigen Weg zur Überleitung der alten, nach Pflegestufen bemessenen Personalkorridore in neue, nach Pflegegraden zu bemessenden Werten. Der Vortrag des Antragstellers, einer alsbaldigen Festsetzung neuer Richtwerte bedürfe es daher gar nicht, ist daher nur aus seiner Sicht richtig, weil er in konkreten Verhandlungen die von ihm selbst errechneten Werte anwendet und darüber hinaus gehende Anträge schlicht nicht zulässt. Genau dies war der Anlass für den Antrag der Beigelanden zu 1. bis 7., die sofortige Vollziehung anzuordnen. Das Interesse einer zeitnahen Anwendung der neuen Korridore hat die Antragsgegnerin in ihrer Entscheidung zu Recht als überwiegend gewertet, nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines eindeutigen gesetzlichen Auftrags im Sinne einer anzustrebenden Verbesserung der Qualität der Pflege.

61

Dabei hat die Antragsgegnerin insbesondere maßgeblich das trotz jahrelanger Verhandlungen allein in Mecklenburg-Vorpommern noch immer zu beklagende Fehlen einer Neuregelung und die aktuelle Situation bei konkreten Pflegesatzverhandlungen berücksichtigt. Auch dort verfolgt der Antragsteller offenbar eine hinhaltende Taktik, die schon deshalb regelmäßig von Erfolg gekrönt ist, weil jede Verzögerung durch das im Gesetz angelegte Verbot rückwirkender Pflegesatzvereinbarungen (§ 85 Abs. 3 Satz 1 SGB XI) einseitig die Kostenträger „honoriert“. Auch hierzu sei auf die von beiden Hauptbeteiligten wiederholt in Bezug genommene Expertise von Rothgang/Kalwitzki, a.a.O., S. 58, verwiesen:

62

„In spieltheoretischer Sicht ist eine solche Konstellation, bei der eine Seite durch Abwarten gewinnt, daher nicht geeignet, Verhandlungen zu beschleunigen.“

63

Wenngleich von der Antragsgegnerin in ihrer angegriffenen Entscheidung nicht explizit ausgeführt, erscheint es naheliegend, dass die Anordnung des sofortigen Vollzuges auch dann geboten sein kann, wenn es anderenfalls ein Beteiligter in der Hand hätte, die Wirkung eines Verwaltungsaktes mithilfe einer Hinhaltetaktik so lange zu hinauszuzögern, bis allein durch Zeitablauf seine Erledigung eintritt.

64

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Mangels eigener Anträge der Beigeladenen kommt eine Erstattung ihrer Kosten nicht in Betracht.

65

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.

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