Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - L 2 AL 2/19

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 03. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

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Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 21. Dezember 2017 bis 30. April 2018.

2

Die 1962 geb. Klägerin war seit 1994 Geschäftsführerin einer GmbH, deren Alleingesellschafter ab 1996 ihr Ehemann war. Die Innungskrankenkasse Nord stellte mit Bescheid vom 07. Juni 2012 die Versicherungspflicht der Klägerin in allen Zweigen der Sozialversicherung fest.

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Nach dem Bezug von Krankengeld wurde die Klägerin mit Wirkung zum 29. Oktober 2017 ausgesteuert. Der Sohn der Klägerin meldete diese am 30. November 2017 zum 21. Dezember 2017 arbeitslos. Auf Aufforderung der Beklagten wurde für den Sohn eine Vollmacht der Klägerin vorgelegt. Zudem wurde ein ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin K. vom 11. Dezember 2017 vorgelegt, worin bescheinigt wird, dass es der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei, lange zu sitzen oder zu stehen. Sie könne die Agentur für Arbeit nicht persönlich aufsuchen und sei nicht transportfähig.

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Die Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht des behandelnden Arztes K. vom 27. Dezember 2017 ein. Dieser teilte mit, die Klägerin leide an einer schweren Spondylolisthesis L5/S1 und es bestehe eine Opiatunverträglichkeit. An aktuellen Beschwerden und Funktionseinschränkungen gab er an, die Klägerin liege oft und habe starke Schmerzen. Genutzt würden u. a. ein Rollator und eine Rückenbandage. Eine Mitbehandlung bei einem Neurochirurgen war bis Februar 2017 erfolgt.

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Des Weiteren wurde durch die Beklagte ein Pflegegutachten vom 07. November 2017 von Frau F. beigezogen. Hierin heißt es u. a., das Gehen und Stehen sei innerhalb der Wohnung frei möglich. Nach eigenen Angaben der Versicherten sei das Gehen außerhalb nur im Bereich des Wohnhauses (Garten) sicher möglich. Das Treppensteigen erfolge eigenständig. Seitens der Gutachterin wurde eingeschätzt, dass der Klägerin das Verlassen der Wohnung, das Fortbewegen außerhalb der Wohnung, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel im Nahverkehr und die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen selbstständig möglich seien. Ein Rollator ermögliche ein sicheres Gehen außerhalb der Wohnung. Ein Pflegegrad wurde nicht festgestellt.

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Schließlich wurde eine sozialmedizinische gutachterliche Stellungnahme von Frau Dr. S. vom 2. Januar 2018 eingeholt, die einschätzte, dass die Klägerin vollschichtig leistungsfähig sei.

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Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30. Januar 2018 die Gewährung von Arbeitslosengeld mit der Begründung ab, dass die Klägerin in den letzten 2 Jahren vor dem 21. Dezember 2017 weniger als 12 Monate versicherungspflichtig tätig gewesen sei und daher die Anwartschaftszeit gemäß §§ 142,143 SGB III nicht erfülle.

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Die Klägerin erhob hiergegen am 13. Februar 2018 Widerspruch. Sie habe wegen einer Erkrankung in den letzten 2 Jahren mehr als 12 Monate nicht sozialversicherungspflichtig gearbeitet. Bis dahin habe sie in einem noch immer ungekündigten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden, sodass sie die Anwartschaftszeit erfülle.

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Am 05. April 2018 sprach der Ehemann der Klägerin bei der Beklagten vor und gab an, dass seine Frau aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, persönlich vorzusprechen. Sie sei nicht arbeitsfähig und stehe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.

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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2018 unter Abänderung des Bescheids vom 30. Januar 2018 zurück. Sie lehnte den Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld nunmehr wegen fehlender Verfügbarkeit ab. Die Klägerin stehe den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit nicht zur Verfügung, weil sie nicht bereit sei, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben. In dem Antrag habe die Klägerin angegeben, dass sie seit dem 2. Mai 2016 arbeitsunfähig krankgeschrieben sei. Die Frage, ob sie eine Rente beantragt habe, sei mit Nein beantwortet worden. Weiter habe sie sich durch einen Arzt bestätigen lassen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, die Agentur für Arbeit persönlich aufzusuchen. Sie habe ihrem Ehemann und ihrem Sohn die Vollmacht erteilt, in sämtlichen Angelegenheiten und Fragen vor der Agentur für Arbeit aufzutreten. Auch in dem am 5. April 2018 geführten Gespräch mit dem Ehemann der Klägerin habe dieser angegeben, dass die Klägerin nach wie vor arbeitsunfähig sei. In dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 2. Januar 2018 sei festgestellt worden, dass eine Minderung der Leistungsfähigkeit, die eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung nicht zulasse, nicht vorliege und dass eine Leistungsfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt im Fall der Klägerin vorliege. Da die Klägerin mit dieser Feststellung nicht einverstanden gewesen sei und weiter angegeben habe, nicht arbeitsfähig zu sein, sei eine ärztliche Überprüfung erfolgt, in dessen Ergebnis an der getroffenen Feststellung des Gutachtens vom 2. Januar 2018 festgehalten worden sei.

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Hiergegen hat die Klägerin am 7. Mai 2018 Klage vor dem Sozialgericht Stralsund (SG) erhoben. Die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB III seien bei der Klägerin gegeben. Sie berufe sich auf die Regelung des § 145 Abs. 1 SGB III. Die Klägerin sei allein deshalb nicht arbeitslos, weil sie wegen einer Minderung ihrer Leistungsfähigkeit keine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende versicherungspflichtige Beschäftigung unter den Bedingungen ausüben könne, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt üblich seien. Arbeitslosengeld könne aber auch dann nur gezahlt werden, solange der Rentenversicherungsträger noch keine verminderte Erwerbsfähigkeit festgestellt habe. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Im Übrigen bleibe auszuführen, dass die Klägerin auf Beantragung einer Rente wegen Erwerbsminderung durch die Beklagte als auch durch ihre Krankenversicherung nicht hingewiesen worden sei. Die Klägerin werde daher einen entsprechenden Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung stellen.

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Die Klägerin hat beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, einen neuen Bescheid zu erlassen, mit dem der Klägerin Arbeitslosengeld bewilligt wird.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Es seien mehrere Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt. Eine persönliche Arbeitslosmeldung der Klägerin liege bisher nicht vor. Sie sei noch nicht persönlich in der Agentur für Arbeit vorstellig geworden, sondern habe sich lediglich durch Bevollmächtigte vertreten lassen. Entsprechend der vorliegenden sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahme vom 2. Januar 2018 sei die Klägerin folgerichtig leistungsfähig. Das ärztliche Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin K. vom 11. Dezember 2017, das eine Transportunfähigkeit ausweise, sei daher nicht nachvollziehbar. Des Weiteren sei die Verfügbarkeit der Klägerin nicht gegeben. Sie stelle sich ausdrücklich nicht entsprechend der sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahme vom 2. Januar 2018 der Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Außerdem sei die Erfüllung der Anwartschaftszeit nicht geklärt.

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Das SG hat mit Urteil vom 03. Dezember 2018 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach §§ 136ff. SGB III. Es fehle an der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale Verfügbarkeit und persönliche Arbeitslosmeldung.

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Die Nahtlosigkeitsregelung des § 145 Abs. 1 SGB III fingiere lediglich das Merkmal der Verfügbarkeit. Die Anwendung der Norm setze weiter voraus, dass die Agentur für Arbeit die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm – Minderung der Leistungsfähigkeit auf weniger als 15 Stunden wöchentlich für eine Dauer von über sechs Monaten – selbst ermittele und feststelle. Die medizinischen Ermittlungen der Beklagten hätten eine Erwerbsminderung mit einer voraussichtlichen Dauer von mehr als sechs Monaten gerade nicht ergeben. Die Klägerin stelle sich subjektiv auch nicht der Vermittlung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung.

19

Des Weiteren fehle es auch an der Arbeitslosmeldung nach § 141 SGB III. Die Klägerin sei selbst nie in der zuständigen Agentur für Arbeit erschienen. Abweichend von dem Erfordernis der persönlichen Arbeitslosmeldung nach § 141 Abs. 1 Satz 1 SGB III unter persönlicher Vorsprache gestatte § 145 Abs. 1 Satz 3 SGB III der leistungsgeminderten Person die Arbeitslosmeldung durch einen Vertreter oder eine Vertreterin. Diese Regelung gelte nach ihrem systematischen Zusammenhang nur für die von der Nahtlosigkeitsregelung des § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III erfassten Fälle, so dass „leistungsgeminderte Person“ im Sinne von Satz 3 des § 145 Abs. 1 SGB III nur die- oder derjenige sei, deren bzw. dessen Leistungsfähigkeit auf weniger als 15 Stunden wöchentlich für eine Dauer von über sechs Monaten herabgesunken sei.

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Die in diesem Sinne leistungsgeminderte Person müsse darüber hinaus wegen gesundheitlicher Einschränkungen nicht in der Lage gewesen sein, sich persönlich arbeitslos zu melden. Diese Voraussetzung werde keineswegs durch die vorliegende Leistungsminderung indiziert, denn auch voll erwerbsgeminderte Personen könnten in der Lage sein, Behörden persönlich aufzusuchen. Die gesundheitsbedingte Unfähigkeit, sich persönlich arbeitslos zu melden, die etwa bei Bettlägerigkeit bestehe, müsse vielmehr durch Vorlage geeigneter Unterlagen konkret nachgewiesen werden. Dies könne, wenn die BA dies akzeptiere, durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolgen. Im Streitfall sei die mit einer Arbeitsunfähigkeit regelmäßig verbundene Vermutung, dass eine persönliche Meldung aus gesundheitlichen Gründen nicht vorgenommen werden könne, jedoch von den Sozialgerichten zu überprüfen, denn Arbeitsunfähigkeit sei nicht in jedem Einzelfall gleichbedeutend mit einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, sich persönlich arbeitslos zu melden.

21

Sobald der Arbeitslose allerdings wieder zu einer persönlichen Vorsprache in der Lage sei, habe er die persönliche Meldung bei der zuständigen Arbeitsagentur unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB) und damit in der Regel einen Tag nach Wegfall des Hinderungsgrundes, nachzuholen (§ 145 Abs. 1 Satz 4 SGB III). Bei verspäteter Meldung entfalle die erleichterte Meldung nach Satz 3 mit der Folge, dass die Arbeitslosmeldung erst mit der verspäteten persönlichen Arbeitslosmeldung wirksam werde.

22

Es sei nicht nachgewiesen, dass die Klägerin nicht bei der Agentur für Arbeit erscheinen könne. Sie leide an Spondylolisthesis L5/S1 (Wirbelgleiten) und einer lumbosakralen Wurzelläsion (Bandscheibenvorfall) links. Nach dem Pflegegutachten vom 7. November 2017 sei die Klägerin vom Sachverständigen im Morgenmantel mit darüber liegendem Lumbosakral-Stützgürtel im Eigenheim angetroffen worden. Ein Pflegegrad habe nicht festgestellt werden können. Des Weiteren könne sich die Klägerin im Haus über zwei Etagen und im Garten ohne Hilfe bewegen. Die attestierte Transportunfähigkeit könne daher nicht nachvollzogen werden, auch nicht die Begrenzung des sicheren Gehens auf die Häuslichkeit. Das Pflegegutachten, das zeitnah zur Aussteuerung aus dem Krankengeldbezug erstellt sei, belege vielmehr die Transportfähigkeit der Klägerin.

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Im Ergebnis sei der Anspruch auf Arbeitslosigkeit bereits wegen der fehlenden persönlichen Arbeitslosmeldung der Klägerin nicht entstanden.

24

Gegen das am 07. Dezember 2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04. Januar 2019 Berufung eingelegt. Sie berufe sich auf § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III, ihre Leistungsfähigkeit sei auf weniger als 15 Stunden wöchentlich für eine Dauer von über 15 Monaten herabgesunken. Zudem sei die gesundheitsbedingte Unfähigkeit, eine Behörde aufzusuchen, nachgewiesen und ergebe sich aus dem vorgelegten Attest. Zudem habe sie ein weiteres Attest vom 12. Januar 2018 von Herr K. vorgelegt. Dieses bestätigt, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, lange zu sitzen oder zu stehen, und deshalb die Agentur für Arbeit nicht aufsuchen könne. Sie sei nicht transportfähig. Die Klägerin trägt weiter vor, das Pflegegutachten belege gerade nicht ihre Transportfähigkeit und diene nur der Feststellung eines Pflegegrades.

25

Auf Nachfrage des Senats hat die Klägerin mitgeteilt, im Mai 2018 einen Rentenantrag gestellt zu haben, auf den ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. Mai 2018 bis 30. April 2021 gewährt worden ist. Streitig sei daher nur noch der Zeitraum 21. Dezember 2017 bis 30. April 2018.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

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das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 03. Dezember 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld vom 21. Dezember 2017 bis 30. April 2018 zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes die Rentenakten der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) beigezogen. Diese hat im Rahmen des Antrages auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente einen Befundbericht von Dr. K. vom 12. Juli 2018 eingeholt, der als Diagnosen eine Spondylolisthesis und ein Schmerzsyndrom des Rückens mitgeteilt hat. Es bestünden rezidivierende Rückenschmerzen, eine starke Bewegungseinschränkung (mobil mit Rollator), die Gehstrecke liege unter 50m. Die Klägerin könne nicht lange stehen oder sitzen, die Mobilität sei deutlich eingeschränkt. Nachdem die Klägerin im Rentenverfahren angegeben hatte, keinen Gutachter aufsuchen zu können, hat der Hausarzt K. ergänzend bestätigt, die Klägerin sei schmerzgeplagt und daher nicht fähig, öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch zu nehmen.

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Des Weiteren ließ die DRV vom Facharzt für Chirurgie Dr. D. ein Gutachten erstellen. Dieser stellte bei der Klägerin folgende Diagnosen:

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- Rezidivierende Lumbalgie bei Spondylolisthesis L5/S1 mit Bandscheibenprolaps sowie Muskelminderung im li. Oberschenkel

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- Rezidivierende Iliosakralgelenkarthrose

34

- Chronisches Schmerzsyndrom

35

- Gonarthrose II. Grades li > re bei Z. n. Arthroskopie li.

36

- Operativ versorgte Ellenbogengelenkfraktur li. nach Metallentfernung und verbliebener Bewegungseinschränkung

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- Besenreißervarizen

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- Senk-Spreizfuß

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Es bestehe noch ein Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten für drei bis unter sechs Stunden zeitweise im Stehen und Gehen, überwiegend im Sitzen mit weiteren qualitativen Funktionseinschränkungen wie etwa dem Ausschluss von längeren Märschen, von Heben und Tragen über 10 kg sowie von Tätigkeiten mit Vorbeuge oder Überstreckung der Wirbelsäule. Die angegebenen Beschweren im Bereich der unteren LWS seien durch das seit 2016 gesicherte Wirbelgleiten verursacht. Die festgestellte Leistungsminderung gelte seit dem 30. Mai 2018 (Gutachten vom 20. Februar 2019). Der beratende Arzt der DRV, Dr. E., datierte den Eintritt der Leistungsminderung auf den 02. Mai 2016 (Beginn der Arbeitsunfähigkeit).

40

Mit Schreiben des Gerichts vom 3. April 2020 haben die Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zur Absicht des Senats erhalten, die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückzuweisen. Die Klägerin hat hierauf mitgeteilt, an der Berufung festzuhalten. Sie habe sich im Hinblick auf ihre dokumentierten gesundheitlichen Einschränkungen nicht in der Lage gesehen, die Beklagte aufzusuchen.

41

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der DRV Bezug genommen. Diese haben bei der Entscheidungsfindung des Senats vorgelegen.

II.

42

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

43

Der Senat durfte den Rechtsstreit durch Beschluss im Sinne von § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher gehört worden.

44

Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 21. Dezember 2017 bis 30. April 2018.

45

Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld setzt nach § 137 Abs. 1 SGB III Arbeitslosigkeit (Nr. 1), eine Arbeitslosmeldung (Nr. 2) und die Erfüllung der Anwartschaftszeit (Nr. 3) voraus.

46

Nach § 138 Abs. 1 Nr. SGB III ist arbeitslos, wer u.a. den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Gemäß Abs. 5 der Vorschrift steht den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung, wer – neben weiteren Voraussetzungen - eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie oder ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (Nr. 1). Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat sich die oder der Arbeitslose persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden.

47

Vorliegend fehlt es für einen Leistungsanspruch der Klägerin an der persönlichen Arbeitslosmeldung. Die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt bei der Beklagten persönlich vorgesprochen. Die durch den Sohn der Klägerin als deren Vertreter vorgenommene Arbeitslosmeldung war nicht wirksam.

48

Nach § 145 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld auch eine Person, die allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil sie wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist (Satz 1). Die Feststellung, ob eine verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt, trifft der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (Satz 2). Kann sich die leistungsgeminderte Person wegen gesundheitlicher Einschränkungen nicht persönlich arbeitslos melden, so kann die Meldung durch eine Vertreterin oder einen Vertreter erfolgen (Satz 3). Die leistungsgeminderte Person hat sich unverzüglich persönlich bei der Agentur für Arbeit zu melden, sobald der Grund für die Verhinderung entfallen ist (Satz 4).

49

Die Voraussetzungen, unter denen eine Arbeitslosmeldung wirksam auch durch einen Vertreter erfolgen kann, liegen nicht vor. Die Klägerin gehört bereits nicht zum Kreis der leistungsgeminderten Personen iSv § 145 Abs. 1 Satz 3 SGB III. Diese Regelung gilt nach ihrem systematischen Zusammenhang nur für die von der Nahtlosigkeitsregelung des § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III erfassten Fälle, so dass „leistungsgeminderte Person“ im Sinne von Satz 3 des § 145 Abs. 1 SGB III nur die- oder derjenige ist, deren bzw. dessen Leistungsfähigkeit auf weniger als 15 Stunden wöchentlich für eine Dauer von über sechs Monaten herabgesunken ist (Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 145 SGB III (Stand: 06.02.2019), Rz. 29 mwN). Ein solch eingeschränktes Leistungsvermögen lag bei der Klägerin jedoch nicht vor.

50

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Sozialgerichtsgesetz - SGG) steht zur Überzeugung des Senates fest, dass die Klägerin zumindest noch für drei bis unter sechs Stunden pro Tag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein konnte.

51

Das Leistungsvermögen der Klägerin wird durch Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eingeschränkt. Bei der Klägerin liegen eine rezidivierende Lumbalgie bei Spondylolisthesis L5/S1, eine rezidivierende Iliosakralgelenkarthrose, ein Z. n. operativ versorgte Ellenbogengelenkfraktur, eine Gonarthrose und ein chronisches Schmerzsyndrom vor.

52

Diese Gesundheitsstörungen führen dazu, dass die Klägerin noch leichte Tätigkeiten zumindest drei bis unter sechs Stunden, überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und im Stehen, in wechselnder Körperhaltung in Tagesschicht, ohne längere Märsche, ohne Heben und Tragen über 10 kg, ohne Tätigkeiten mit Vorbeuge oder Überstreckung der Wirbelsäle verrichten kann.

53

Diese Gesundheitsstörungen und das hieraus resultierende Leistungsvermögen ergeben sich aus dem überzeugenden Verwaltungsgutachten von Dr. D.. Dessen Einschätzung entspricht im Wesentlichen der sozialmedizinischen Beurteilung durch Frau Dr. S., die der Klägerin sogar ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt attestiert hat.

54

Darüber hinaus erfüllt die Klägerin auch nicht die weitere Voraussetzung der Unmöglichkeit der persönlichen Arbeitslosmeldung wegen gesundheitlicher Einschränkungen nach § 145 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB III. Auf der Grundlage des im November 2017 – und damit im engen zeitlichen Zusammenhang zur Antragstellung auf Arbeitslosengeld - erstellten Pflegegutachtens ist der Senat davon überzeugt, dass es der Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht unmöglich war, sich weder vor noch am 21. Dezember 2017 noch zu einem späteren Zeitpunkt persönlich bei der Beklagten arbeitslos zu melden. Aufgrund des Gutachtens ist zwar von einer eingeschränkten Mobilität der Klägerin auszugehen. Sie konnte sich jedoch im eigenen Haus über zwei Etagen eigenständig bewegen und war außerhalb des Hauses mit Hilfe eines Rollators mobil. Seitens der Gutachterin wurde eingeschätzt, dass der Klägerin das Verlassen der Wohnung und Fortbewegen außerhalb der Wohnung sowie die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel im Nahverkehr ebenso möglich war wie die selbstständige Teilnahme beispielsweise an öffentlichen Veranstaltungen. Diese Einschätzung wird durch das im Rentenverfahren erstellte Gutachten von Dr. D., bei dem die Klägerin offenbar auch zur Begutachtung erschienen ist, gestützt. Der Gutachter stellte zwar ein deutlich eingeschränktes Gangbild fest, das allerdings mittels Rollator deutlich verbessert war. Unter den aktuellen Beschwerden wurde die Gehstrecke mit Rollator mit ca. 500m beschrieben, danach sei eine Pause erforderlich.

55

Für den Senat nicht plausibel sind die Ausführungen des Hausarztes K. in seinen Attesten vom 11. Dezember 2017 und 12. Januar 2018, die Klägerin könne nicht lange stehen und sitzen, sei deshalb nicht transportfähig und könne die Agentur für Arbeit nicht aufsuchen. Dem entgegen steht bereits der Befundbericht des Arztes K. vom 27. Dezember 2017, wonach u. a. ein Rollator genutzt wird, was nur beim Vorhandensein einer gewissen Mobilität schlüssig erscheint. Zudem hat derselbe Arzt in seinem Befundbericht vom 12. Juli 2018 von einer zwar deutlich eingeschränkten, mit Rollator aber durchaus gegebenen Mobilität berichtet. Die Einschätzung des Arztes, die Klägerin sei aufgrund ihrer Schmerzen nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, ist nicht überzeugend. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb nicht zumindest ein Taxi hätte genutzt werden können. Im Ergebnis lassen die von Dr. K. mitgeteilten Einschränkungen keinesfalls den Schluss zu, dass es der in A-Stadt wohnhaften Klägerin nicht möglich war, die ebenfalls in A-Stadt befindlichen Räumlichkeiten der Beklagten ggfs. mithilfe eines Taxis und/oder Rollators bzw. Rollstuhls und ggfs. mit vorheriger Terminabsprache aufzusuchen.

56

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

57

Gründe für eine Revisionszulassung gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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