Urteil vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (6. Senat) - L 6 KR 2/16

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgericht Stralsund vom 27. November 2015 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 4.185,89 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich seit dem 13. November 2008 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Beklagte berechtigt war, gegen Vergütungsansprüche der Klägerin mit einem Rückzahlungsanspruch in Höhe von 4.185,89 € aufzurechnen, weil die Klägerin wegen einer entsprechenden Überzahlung für die Behandlung der Versicherten der Beklagten Z. zu Unrecht bereichert war. Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob als Nebendiagnose die C78.0 (Sekundäre bösartige Neubildung der Lunge) und die C78.7 (Sekundäre bösartige Neubildung der Leber) zu kodieren waren.

2

Die seinerzeit 51jährige Versicherte der Beklagten Z. wurde am 25. April 2008 nach zweitägiger Behandlung in der Klinik für Neurologie in U. in das Krankenhaus der Klägerin (Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie) verlegt, weil als Ursache einer progredienten Parese des linken Beins ein Bandscheibenvorfall in Höhe L4/L5 mit Kompression der Nervenwurzel vermutet wurde. Nach Ausschluss des Bandscheibenvorfalls als Beschwerdeursache stellte sich im Rahmen der weiteren Diagnostik (MRT Schädel) als ursächlich ein Hirn-Tumor mit erheblichem Ödem heraus. Am 29. April 2008 wurde der Tumor operativ entfernt, der sich bereits intraoperativ als Metastase darstellte. Histopathologisch wurde eine Metastase eines hellzelligen Primärkarzinoms beschrieben, welches in erster Linie im Bereich der Nieren zu suchen sei. Bei der postoperativen Primärtumorsuche (CT Thorax und Abdomen) wurde ein primäres Nierenzellkarzinom rechts festgestellt, ferner eine diffuse Metastasierung der Lunge beidseits, Metastasen im Bereich der 9. und 10. Rippe links und im Zwerchfell, der Verdacht auf eine Metastasierung der Leber sowie Lymphknotenschwellungen im Bereich der Lunge und der Leiste. Daraufhin erfolgte eine Vorstellung der Versicherten in der urologischen Klinik zur Planung der weiteren (palliativen) Tumor-Therapie (operativ und Chemo), was die Versicherte nach entsprechender Beratung jedoch ablehnte. Aufgrund von Brustschmerzen und diffuser Rückenschmerzen erfolgte im Rahmen eines Schmerzkonsils durch die Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Klägerin eine Umstellung der Schmerzmedikation u.a. auf Opioide, im Hinblick auf eine reaktive Depression ferner ein psychotherapeutisches Konsil. Am 08. Mai 2008 wurde die Versicherte in die Häuslichkeit entlassen.

3

Die Klägerin stellte die Behandlung der Beklagten am 16. Juni 2008 mit der DRG B02C (Komplexe Kraniotomie oder Wirbelsäulen-Operation od. andere aufwändige Operation am Nervensyst. mit Beatm. >95 Std., m. Strahlentherapie <9 Bestr., intraop. Monitoring, kompliz. Proz. od. großem intrakr. Eingr. ohne äußerst schw. CC, ohne Beatm. >95 Std.) mit einer BWR von 4,677 und einem Gesamtbetrag in Höhe von 12.786,39 Euro in Rechnung. Dabei kodierte sie als Hauptdiagnose die C79.3 (sekundäre bösartige Neubildung des Gehirns und der Hirnhäute) und als Nebendiagnose die C64 (Bösartige Neubildung der Niere, ausgenommen Nierenbecken), ferner weitere Nebendiagnosen, u.a. die C78.0 (Sekundäre bösartige Neubildung der Lunge) und die C78.7 (Sekundäre bösartige Neubildung der Leber).

4

Die Beklagte veranlasste eine Prüfung durch den MDK. Es bestünden Zweifel an der verschlüsselten Hauptdiagnose, da die Verlegung aus U. mit der Hauptdiagnose M51.1 (lumbale und sonstige Bandscheibenschäden mit Radikulopathie) erfolgt sei. Zudem sei ein Ressourcenverbrauch bezüglich der kodierten Neubildungs-Nebendiagnosen zweifelhaft.

5

Der MDK vertrat nach Einsicht in den Entlassungsbericht die Auffassung, dass die Nebendiagnosen C78.0 und C78.7 mangels Ressourcenverbrauchs nicht zu kodieren seien. Es sei weder eine Mitbehandlung noch eine weiterführende Diagnostik in Bezug auf diese beiden Nebendiagnosen erfolgt. Nach der operativen Entfernung der Hirnmetastase sei ein Staging zur Primärtumorsuche mittels CT-Thorax und -Abdomen durchgeführt worden, wobei das Nierenkarzinom festgestellt worden sei. Die Diagnostik, das urologische Konsil und die Schmerzmittelgabe seien ausschließlich zur Behandlung des Primärtumors (Nephrektomie) bzw. zur Behandlung der Schmerzen im linken Bein vorgenommen worden. Wegen der Schmerztherapie sei die (nicht erlösrelevante) zusätzliche Kodierung der Nebendiagnose R52.2 (Sonstiger chronischer Schmerz) möglich. Es resultiere die DRG B20B (Kraniotomie oder große Wirbelsäulen-Operation mit komplexer Prozedur, Alter > 15 Jahre, ohne intraoperatives neurophysiologisches Monitoring, mit komplexer Diagnose) mit einer BWR von 3,127.

6

Nach erfolgloser Aufforderung zur Rechnungskorrektur verrechnete die Beklagte am 06. November 2008 den bereits gezahlten Betrag vollständig; am 13. November 2008 überwies sie den sich aus der geänderten DRG ergebenden Betrag in Höhe von 8.600,50 Euro.

7

Die Klägerin hielt in nachfolgendem Schriftwechsel zwischen den Beteiligten an der Kodierbarkeit der beiden streitigen Nebendiagnosen fest. Das postoperative Staging, Vorstellung in der Inneren Medizin, CT-Abdomen und CT-Thorax, die Vorstellung der Versicherten in der Urologie und in der Schmerztherapie sowie die Planung des weiteren Vorgehens bei metastasierender Erkrankung stellten einen Ressourcenverbrauch auch mit Bezug auf die streitigen Nebendiagnosen dar. Es habe sich um eine multimodale Schmerztherapie (Einstellung auf Sevredol, Dipidolor, Novamin, Imbun und Morphium) bei diffusem Tumorschmerz gehandelt, die nicht ausschließlich zur Behandlung des Primärtumors und der Schmerzen des linken Beines erfolgt sei.

8

Am 30. Mai 2012 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Stralsund Klage erhoben und den Differenzbetrag in Höhe von 4.185,89 Euro geltend gemacht. Ebenso wie der Primärtumor seien auch die streitigen Nebendiagnosen Anlass zum Staging (CT Lungen und Abdomen) gewesen, da zur Festlegung der Therapie nicht nur der Primärtumor, sondern auch dessen Ausbreitung festzustellen sei. Die diagnostischen Maßnahmen hätten sich mithin ebenso auf die sekundären Neubildungen in Lunge und Leber bezogen; auch die geplanten – von der Versicherten letztlich abgelehnten – therapeutischen Maßnahmen, die nicht nur die Nephrektomie, sondern auch eine systemische Chemotherapie und systemische Strahlenbehandlung beinhaltet hätten, hätten neben dem Primärtumor auch die sekundären Neubildungen betroffen. Gleiches gelte für die Umstellung der Schmerzmedikation. Eine Nebendiagnose könne im Falle diagnostischer Maßnahmen kodiert werden, wobei es nicht erheblich sei, um welche und ob es sich um weiterführende diagnostische Maßnahmen handele. Die CT-Untersuchungen von Thorax und Abdomen seien nicht (wie der MDK meint) nur aus „klassifikatorischen“ Gründen durchgeführt worden, sondern zum Zwecke der Therapieplanung, was offensichtlich Teil des Patientenmanagements im Sinne der Kodierrichtlinien (D003d DKR 2008, Nebendiagnose) sei und zwar auch dann, wenn der Patient den Therapievorschlag letztlich ablehne. Fänden sich bei einem Staging nach einer Metastasen-OP neben dem Primärtumor weitere Metastasen, so erfüllten die Diagnosen allesamt die Nebendiagnosedefinition der DKR.

9

Die Klägerin hat beantragt,

10

die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.185,89 € für Behandlungskosten der Versicherten Z. (Fall-Nr.: 2008056908) in der Zeit vom 25. April 2008 bis zum 8. Mai 2008 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich seit dem 13. November 2008 zu zahlen.

11

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

13

Sie hat sich auf die Stellungnahmen des MDK gestützt. Die streitigen Nebendiagnosen seien im Rahmen der Primärtumorsuche festgestellt worden, ohne dass eine weiterführende Diagnostik oder Therapie eingeleitet worden sei. Ein Tumorkonsil sei nicht erfolgt. Es handele es sich um eine rein klassifikatorische Abbildung. Eine Kodierung der Knochenmetastasen mit C79.5 sei nicht möglich, da kein konkreter Nachweis geführt worden sei. Der Befund der bildgebenden Diagnostik, auf den sich die Verdachtsdiagnose Knochenmetastase beziehe, sei zudem nicht in der Patientenakte enthalten.

14

Das Sozialgericht hat von der Klägerin die Patientenakten beigezogen und Beweis erhoben durch ein internistisches Sachverständigengutachten des Herrn Dr. M. vom 26. September 2013 nebst ergänzenden Stellungnahme vom 23. August 2014 und aus Dezember 2014. Der Sachverständige bestätigte zunächst die (unstreitige) Kodierung der Hirnmetastase (C79.3) als Hauptdiagnose und des Nierenzellkarzinoms als Nebendiagnose aufgrund der Speziellen Kodierrichtlinie (SKR) 0201f, ferner die Kodierung verschiedener weiterer, ebenfalls unstreitiger Nebendiagnosen. Ebenfalls kodierbar seien sämtliche Metastasen (Lunge, Rippen, Leber, Lymphknoten), da diese sowohl Anlass für diagnostischen Aufwand (CT), für therapeutischen Aufwand (Schmerztherapie) und für Aufwand durch ärztliche Leistungen in Form des Konsils und mehrerer Aufklärungsgespräche gewesen seien. Insbesondere die Thorax-CT sei für die bloße Primärtumorsuche bei Verdacht auf ein Nierenkarzinom nicht notwendig gewesen; sie habe vielmehr auf ein Gesamt-Staging abgezielt. Ein hellzelliges Karzinom im Thorax sei eine Rarität. Zur Primärtumorsuche sei daher eine CT des Bauchraums ausreichend gewesen. Da Nierenzellkarzinome in etwa 55 % zu pulmonalen Metastasierungen führten, sei die CT-Thorax zur Feststellung bzw. zum Ausschluss von Lungenmetastasen erforderlich gewesen, um das weitere onkologische Therapiekonzept festzulegen. Hierfür bedürfe es der Kenntnis über das gesamte Ausmaß der Metastasierung, da sowohl mögliche lokale wie auch systemische Therapien hierauf abzustimmen seien. Ergänzend wird auf den Inhalt des Sachverständigengutachten und der ergänzenden Stellungnahmen Bezug genommen.

15

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 27. November 2015 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Krankenhausbehandlung der Versicherten Z. in der Zeit vom 25. April 2008 bis zum 8. Mai 2008 sei auf der Grundlage der Fallpauschale B02B abzurechnen gewesen und nicht, wie von der Klägerin geltend gemacht, mit der Fallpauschale B02C, sodass die Beklagte unter Berücksichtigung der Verrechnung und der am 13. November 2008 erfolgten Zahlung in Höhe von 8.650,00 Euro den der Klägerin zustehenden Vergütungsanspruch bereits vollständig erfüllt habe. Nach der Rechtsprechung des BSG ergebe sich aus den Kodierrichtlinien, dass nur solche Nebendiagnosen zusätzlich zur Hauptdiagnose kodierfähig seien, deren Versorgung weitere und in Bezug auf die Haupterkrankung nicht gebotene Leistungen des Krankenhauses ausgelöst haben. Nur wenn wegen einer Nebenerkrankung zusätzliche Leistungen zu erbringen seien, rechtfertige dies die Kodierung der entsprechenden Nebendiagnose. Maßstab hierfür sei (jedenfalls bei Operationen) die "Abweichung von dem Standardvorgehen für eine spezielle Prozedur". Erfordere eine Begleiterkrankung besondere Leistungen der Diagnostik, der Therapie oder der Betreuung/Pflege und wirke sie sich somit im "Patientenmanagement" aus, so sei das für die Kodierung bei operativ zu versorgenden Haupterkrankungen beachtlich, wenn die Erbringung dieser Leistungen in der von der Fallpauschale für die Haupterkrankungen abgedeckten Standardversorgung nicht vorgesehen sei. Hiernach habe die Beklagte zu Recht eine Kodierfähigkeit der Nebendiagnosen C78.0 und C78.7 mangels Ressourcenverbrauchs abgelehnt. Insoweit sei nicht entscheidungsrelevant, dass die nach der Entfernung der Hirnmetastase am 30. April 2008 durchgeführten CT-Untersuchungen nicht mehr zum Zwecke der Diagnostik der Hirnmetastase, sondern zur Festlegung der onkologischen Therapie erfolgt seien, wofür eine Primärtumorsuche und eine Stadiendiagnostik in Abhängigkeit des (wahrscheinlichen) Primärtumors (hier wahrscheinlich ein Nierenzellkarzinom) erforderlich gewesen sei. Dies entspreche auch der von der Klägerin zur Begründung der Klage angeführten S2-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie bei Patienten mit Hirnmetastasen, spinalen Metastasen und Meningeosis neoplastica im Erwachsenalter. Hiernach sei bei der Feststellung von Hirnmetastasen und unbekanntem Primärtumor eine CT des Thorax die wichtigste diagnostische Maßnahme zur Primärtumorsuche; in seltenen Fällen sei eine ausführliche Primärtumorsuche etwa mittels CT des Abdomen sinnvoll. Hieraus folge nach Auffassung der Kammer, dass der diagnostische Aufwand durch die beiden CT des Thorax und Abdomen noch der Haupterkrankung im Sinne der DKR D002f zuzurechnen sei. Eine Planung des weiteren Vorgehens komme in der Onkologie, wie auch von der Klägerin ausgeführt, erst in Betracht, wenn die Ausbreitung des Tumors, hier des metastasierenden Nierenzellkarzinoms, festgestellt worden sei. Eine Kodierung der metastasensuspekten Befunde in Lunge, Leber und Knochen komme deshalb nur im Falle eines über die bloße Diagnostik hinausgehenden Ressourcenverbrauchs in Betracht. Befunde dürften nur dann kodiert werden, wenn ihnen eine klinische Bedeutung im Sinne einer therapeutischen Konsequenz oder einer weiterführenden Diagnostik zukomme, was hier jedoch nicht der Fall gewesen sei, weil die Versicherte in einem ausführlichen Gespräch zum CT-Befund eine weitere Behandlung abgelehnt habe. Auch das anschließende urologische bzw. schmerztherapeutische Konsil rechtfertige die Kodierbarkeit der beiden streitigen Nebendiagnosen nicht, denn der hierdurch verursachte Aufwand könne diesen Nebendiagnosen nicht zugerechnet werden. Das urologische Konsil sei dem Primärtumor (C64) zuzurechnen. Eine Berücksichtigung der Schmerztherapie als Ressourcenverbrauch mit Bezug auf die Knochenmetastasen (C79.5) sei bereits deshalb ohne Erlöswirksamkeit, weil die Klägerin sie bei der Abrechnung nicht als Nebendiagnose kodiert habe. Zudem könne nicht festgestellt werden, dass der durch die Schmerztherapie verursachte Ressourcenverbrauch einer der Nebendiagnosen C78.0, C78.7 oder C79.5 zuzurechnen sei. Der MDK habe schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass die diffusen Rückenschmerzen und Brustschmerzen keiner bestimmten Körperregion zugeordnet werden könnten, womit lediglich die Kodierung von nicht erlösrelevanten Nebendiagnosen R52.0 bzw. R52.2 bzw. R07.4 in Betracht gekommen sei, zumal die Schmerzsymptomatik möglicherweise auch den bereits kodierten Nebendiagnosen M51.2 (Bandscheibenvorfall) und C64 (Nierenkarzinom) bzw. dessen infiltrativen Wachstum geschuldet sei.

16

Gegen das der Klägerin am 11. Dezember 2015 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung vom 07. Januar 2016, mit der sie ihr bisheriges Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag.

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Die Klägerin beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 27. November 2015 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.185,89 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich seit dem 13. November 2008 zu zahlen.

19

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

21

Sie verweist zunächst auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung. Ergänzend führt sie – abweichend von ihrem bisherigen Vortrag – aus, dass die Primärtumorsuche und alle Diagnostik zur Feststellung etwaiger weiterer Absiedlungen noch der Diagnostik der Hirnmetastase zuzurechnen sei, da ohne diese Kenntnis ein individueller Therapieplan nicht erstellt werden könne. Zudem bezweifelt sie, dass tatsächlich von Lungenmetastasen des Nierenkarzinoms auszugehen sei, da mangels histologischer Absicherung nicht sicher auszuschließen sei, dass es sich um Absiedlungen eines anderen Primärtumors gehandelt haben könnte. Um aber selbst bei Annahme einer gesicherten Diagnose diese kodieren zu können, fehle es an einem (weiteren) Ressourcenverbrauch. Der Aufwand der Therapieplanung erfülle die Voraussetzungen der Nebendiagnosendefinition nach ihrem Wortlaut nicht.

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Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurochirurgie Dr. med. D. vom 08. April 2017 nebst ergänzender Stellungnahme vom 16. Januar 2018. Auch dieser Sachverständige befürwortet zum einen die „unstreitigen“ Haupt- und Nebendiagnosen, daneben mit ähnlicher Begründung wie der erstinstanzliche Gutachter auch eine Kodierbarkeit der Lungenmetastasen als weitere Nebendiagnose (mit sicherem Befundnachweis). Die CT des Thorax sei ein eigenständiger diagnostischer Aufwand, der der Frage einer Metastasierung im Brustkorb nachgegangen, dieser Diagnose zuzuordnen und für die weitere Therapieplanung erforderlich gewesen sei. Eine eigentlich zu erwartende präoperative Röntgenaufnahme des Thorax, die ggf. auch diese Diagnose hätte liefern können, sei nicht dokumentiert. Zwar würden in der Praxis CT von Thorax und Abdomen oft zugleich durchgeführt; es handele sich gleichwohl um eigenständige Untersuchungen, die schon aus Strahlenschutzgründen eine je eigene Rechtfertigung bedürften. Die Kodierrichtlinien verlangten nicht, dass eine Nebendiagnose bereits bekannt sein müsse, bevor ein sie betreffender diagnostischer Aufwand als Ressourcenverbrauch berücksichtigt werden könne; ebenso plausibel wertbar sei ein diagnostischer Aufwand, der erst zur Nebendiagnose führe. Ferner sei durch die Lungenmetastasen ein erhöhter Aufwand im Rahmen der Entscheidungsfindung und Beratung in Bezug auf das Weiterbehandlungskonzept angefallen, da sich die Behandlungsstrategien bei Nierenzellkarzinomen in Abhängigkeit vom Vorhandensein von Metastasen essentiell unterschieden (ggf. neben der Entfernung der tumortragenden Niere auch Chemotherapie- bzw. Immuntherapie). Auch die patientenseitige Entscheidung zur Weiterbehandlung hänge wesentlich hiervon ab, weshalb die mehreren seitens der Urologie geführten Beratungsgespräche ebenfalls auch durch diese Nebendiagnose verursacht worden seien und einen entsprechenden Ressourcenverbrauch darstellten. Dass die Versicherte sich letztlich gegen eine weitere Therapie entschieden habe, lasse den behandlerseitigen Aufwand nicht nachträglich entfallen. Die Lebermetastasen (Verdachtsdiagnose) seien hingegen nicht kodierbar. Die Schmerztherapie ordnet auch Dr. D. (bei geklagten Rücken- und Brustschmerzen) der (definitiven) Diagnose Knochenmetastasen der Rippen zu, womit auch die C79.5 sowie R52.2 „sachlich zutreffend“ seien, wenngleich klägerseits nicht geltend gemacht. Die Schmerzsymptomatik lasse sich nicht den Lungen- und Lebermetastasen zuordnen. Ergänzend wird auf den Inhalt des Sachverständigengutachten und der ergänzenden Stellungnahme Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Senat konnte gemäß § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Termin zur mündlichen Verhandlung auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandeln und entscheiden, nachdem die Beklagte in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war. Die Beklagte hat in Kenntnis dieses Hinweises und trotz der Anordnung gemäß § 111 Abs. 3 SGG, einen über die Sach- und Rechtslage ausreichend unterrichteten Vertreter zu entsenden, auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichtet und dies am Tag zuvor schriftlich mitgeteilt, ohne eine Verlegung des Termin zu beantragen.

24

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

25

Das Sozialgericht hat die auf Zahlung in Höhe von 4.185,89 Euro gerichtete Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Klägerin stand der in Rechnung gestellte Betrag für die stationäre Behandlung der Versicherten der Beklagten vom 25. April bis 08. Mai 2008 zu, sie war also durch die vollständige Bezahlung der Abrechnung vom 16. Juni 2008 nicht zu Unrecht bereichert. Der Beklagten stand mithin kein aufrechenbarer Bereicherungsanspruch zu, sodass die erklärte „Verrechnung“ vom 06. November 2008 nicht die Erfüllung des unstreitigen und vom Senat nicht näher zu prüfenden Zahlungsanspruchs der Klägerin aus der Behandlung eines anderen Versicherten der Beklagten bewirkt hat.

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Wegen der Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage und der gesetzlichen und vertraglichen Grundlagen des Vergütungsanspruchs der Klägerin wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen. Zur Klarstellung sei ferner vorangestellt, dass seitens der Beteiligten und des MDK ebenso wie seitens der beiden gerichtlichen Sachverständigen zutreffend davon ausgegangen wird, dass bereits die Kodierbarkeit einer der beiden in erster Linie diskutierten sekundären Neubildungen (der Lunge oder der Leber, C78.0 oder C78.7) ausreicht, um anstelle der von der Beklagten befürworteten DRG B20B mit einer Bewertungsrelation (BWR) von 3,127 die DRG B02C (BWR: 4,677) anzusteuern, nachdem die Kodierung der Hirnmetastase als Hauptdiagnose, der weiteren Nebendiagnosen (C64 - Primärkarzinom der Niere, G81.1 - Spastische Hemiparese und Hemiplegie) sowie der OPS für die chirurgische Entfernung des Hirntumors (5-010.00 und 5-015.0) nicht in Zweifel steht und mit den einschlägigen Kodierrichtlinien einerseits und den vorliegenden Krankenunterlagen andererseits in Einklang steht. Die resultierenden „Grouper-Ergebnisse“ konnten durch eine eigene Prüfung seitens des Senats ebenso bestätigt werden wie das sich unter Berücksichtigung des im Jahr 2008 maßgeblichen individuellen Basisfallwerts der Klägerin (§ 17b Abs. 3 Satz 5 i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 3 Krankenhausfinanzierungsgesetz) ergebende Effektiventgelt, welches mit der Rechnung der Klägerin vom 16. Juni 2008 zutreffend ermittelt wurde.

27

Klarzustellen ist ferner, dass auf tatsächlicher Ebene zur vollen Überzeugung des Senats vorliegend nicht lediglich von „metastasensuspekten Befunden“ in der Lunge oder von einer (vom MDK ebenfalls diskutierten) bloßen Verdachtsdiagnose auszugehen ist, sondern von (computertomografisch) gesicherten Lungenmetastasen. Der Senat gewinnt diese Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere auf der Grundlage der beiden, insoweit übereinstimmenden gerichtlichen Sachverständigengutachten, die überzeugend darlegen, dass die im Entlassungsbericht wiedergegebene radiologische Befundlage auch ohne eigene Auswertung der Aufnahmen und ohne den eigentlichen (schriftlichen) Radiologie-Befund für diese Feststellung hinreicht. Hierfür spricht insbesondere die (hinsichtlich Lungen- und Leberbefund) differenzierte Befundbeschreibung, wonach die in der CT-Abdomen abgebildete Raumforderung in der Leber lediglich als „Verdacht auf eine Metastasierung der Leber“ interpretiert wird, während der Lungenbefund ohne den Hauch eines Zweifels als „diffuse Metastasierung der Lunge beidseits“ beschrieben wird. Dafür, dass diese Schilderung den tatsächlich erhobenen radiologischen Befund im Rahmen des an den Hausarzt gerichteten Entlassungsberichts nicht zutreffend wiedergeben würde, ist nichts ersichtlich.

28

Gemäß § 128 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung bedarf es, um eine Tatsache feststellen zu können, keineswegs einer letzten, niemals zu erlangenden Gewissheit, sondern einen an Sicherheit oder Gewissheit grenzenden Grad der Wahrscheinlichkeit, der ernste, vernünftige Zweifel zum Schweigen bringt (Giesbert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 128 SGG, Rn. 26, m. w. N.). Dabei ist in Krankenhausabrechnungsstreitigkeiten zu berücksichtigen, dass sich der Beweismaßstab darauf richtet, ob die Befundlage im Zeitpunkt der Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst die Annahme einer definitiven Diagnose und nicht lediglich einer Arbeits- oder Verdachtsdiagnose gerechtfertigt hat, nicht jedoch auf den der Diagnose entsprechenden körperlichen Zustand selbst, da sich dieser unmittelbar nur in den seltensten Fällen feststellen lässt. Letzte Sicherheit, die sich gerade in der Medizin (allenfalls) im Rahmen der Leichenschau erzielen lässt, ist mithin nicht verlangt. Die durch die behandelnden Ärzte der Klägerin, bestätigt durch zwei gerichtliche Sachverständigengutachten, vorgenommen Einschätzung, dass vor dem Hintergrund eines eindeutigen feingeweblichen Befundes des dem Gehirn der Versicherten entnommenen Präparats in Zusammenschau mit einem hierzu passenden, durch bildgebende Verfahren festgestellten raumfordernden Befund der rechten Niere die in der CT dargestellten Veränderungen im Bereich beider Lungenflügel als Tochtergeschwulste eines Nierenzellkarzinoms zu interpretieren sind, genügt zur Überzeugung des Senats für die Annahme gesicherter Lungenmetastasen als Diagnose, auch ohne dass eine histologische Bestätigung im Wege einer (medizinisch nicht gebotenen) Probeentnahme vorliegt. Auch die spekulativen Ausführungen des MDK, dass ebenso Absiedlungen eines anderen Primärtumors (bspw. eines Dick- oder Enddarmkrebses oder eines Lungenkarzinoms) denkbar seien, erscheinen derart weit hergeholt, dass sie für die vorliegende Beurteilung außer Betracht bleiben können.

29

Besonderer Erwähnung im Zusammenhang mit den „unstreitigen“ Kodierschritten bedarf einzig die Kodierung der Tochtergeschwulst im Gehirn und nicht des Primärtumors in der Niere als Hauptdiagnose. Dies folgt aus der SKR 0201f der DKR 2008, wonach zwar grundsätzlich „der Malignom-Kode [also der Kode für den Primär-Tumor] für jeden Krankenhausaufenthalt zur Behandlung der bösartigen Neubildung und zu notwendigen Folgebehandlungen […] sowie zur Diagnostik (z.B. Staging) […] als Hauptdiagnose anzugeben ist, bis die Behandlung endgültig abgeschlossen ist.“ Ausnahmsweise ist jedoch die Metastase als Hauptdiagnose und der Primär-Tumor als Nebendiagnose zu kodieren, wenn „die Aufnahme nur zur Behandlung von Metastasen“ erfolgt. Vorliegend erfolgte die Krankenhausaufnahme im Hinblick auf die durch die Hirnmetastase verursachte Beinparese; allein die Hirnmetastase wurde auch (operativ) behandelt, während der Primärtumor der Niere zwar computertomografisch gesichert, selbst jedoch keiner Behandlung zugeführt worden ist. Die Kodierung der Hirnmetastase als Hauptdiagnose war mithin korrekt, auch wenn das Nierenzellkarzinom (medizinisch, nicht aber kodiertechnisch) als Haupterkrankung anzusehen ist.

30

Diese begriffliche Unterscheidung ist insoweit von Bedeutung, als das Sozialgericht beide Begriffe unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 25. November 2010 – B 3 KR 4/10 R, Rn. 17 – fälschlich gleichgesetzt hat. Für die hier allein in Rede stehende Frage, ob (weitere) Metastasen als Nebendiagnose zu kodieren waren, kommt es keineswegs darauf an, ob deren Versorgung weitere, in Bezug auf die Haupterkrankung nicht gebotene Leistungen des Krankenhauses ausgelöst haben, denn das BSG hat den Begriff der Haupterkrankung in seiner Entscheidung aus unerklärlichen Gründen und trotz der eng am Wortlaut zu orientierenden Auslegung (vgl. BSG, Urteil vom 08. Oktober 2019 – B 1 KR 35/18 R) synonym mit dem Begriff der Hauptdiagnose verwendet. Der Begriff der „Haupterkrankung“ ist den DKR jedoch fremd.

31

Ob mit anderen Worten für die Kodierfähigkeit einer Nebendiagnose ein über den bereits durch die Hauptdiagnose verursachten Aufwand hinausgehender zusätzlicher Ressourcenverbrauch zu fordern ist und wie diese Frage ggf. für spätere Fassungen der DKR zu beantworten ist, kann hier dahinstehen. Sowohl die CT des Brustkorbs als auch die CT des Bauchraumes waren vorliegend nicht bereits durch den Hirntumor geboten, nachdem dieser laut OP-Bericht etwa kirschgroße Tumor „– soweit beurteilbar – vollständig entfernt“ worden war. Die (allerdings nur einmalig und ohne besonderen Nachdruck) vom MDK vertretene gegenteilige Auffassung kann unter Verweis auf die weiteren Stellungnahmen des MDK und die beiden gerichtlichen Sachverständigengutachten nur als abwegig bezeichnet werden. Nachdem die Natur der Raumforderung im Schädel als Tochtergeschwulst feststand, diente die weitere Diagnostik der (bis zum patientenseitigen Behandlungsabbruch obligaten) Suche nach dem Primarius sowie nach etwaigen weiteren Absiedlungen und nicht etwa der Diagnostik oder Therapie der entfernten Hirnmetastase.

32

Ungeachtet der Frage, ob auch die CT des Brustkorbs der Suche nach dem Primarius oder von vornherein allein der Suche nach weiteren Metastasen zuzuordnen war (hierzu später), liegt hierin jedenfalls kein der Hauptdiagnose (hier: Hirnmetastase) zuzuordnender Aufwand mehr vor, sondern ein Aufwand der durch eine oder mehrere Nebendiagnose(n) (Primarius und/oder Metastasen im Thorax) veranlasst wurde. Die vom Sozialgericht zitierte Entscheidung des BSG zum Verhältnis zwischen Haupt- und Nebendiagnose ist insoweit gar nicht einschlägig. Dies gilt erst Recht für die vom BSG den DKR entnommene und vom Sozialgericht wiedergegebene Formulierung, wonach jedenfalls bei Operationen eine Begleitkrankheit, die das Standardvorgehen für eine spezielle Prozedur beeinflusst, als Nebendiagnose kodiert wird. Diese bis heute in den DKR enthaltene Regelung stellt keineswegs eine zusätzliche Voraussetzung für die Kodierung einer Nebendiagnose derart auf, dass diese stets „das Standardvorgehen für eine spezielle Prozedur beeinfluss[en]“ müsste, sondern erlaubt in einem solchen Fall vielmehr ausdrücklich die Kodierung, selbst wenn die Abweichung vom Standardvorgehen gerade keinen zusätzlichen Ressourcenverbrauch mit sich bringt. Inwieweit diese Kodierregel vorliegend allerdings von Bedeutung sein soll, erschließt sich dem Senat nicht.

33

Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass das BSG in seiner Entscheidung aus 2010, a.a.O., Rn. 21, davon ausgegangen ist, dass die (alte) Begleiterkrankung, die den zusätzlichen diagnostischen Aufwand ausgelöst hatte, durchaus „dem Grunde nach kodierfähig“ gewesen sei, lediglich nicht die Kodierung des vom Krankenhaus gewählten, eine akute Erkrankung ausweisenden ICD-10-Codes erlaubte. Mit anderen Worten hat das BSG in dieser Entscheidung ausdrücklich bestätigt, dass ein diagnostischer Aufwand zur Abklärung einer Begleiterkrankung auch dann zu deren Kodierfähigkeit führt, wenn das Ergebnis dieser Diagnostik keine weiteren (diagnostischen, therapeutischen oder pflegerischen) Folgen hat.

34

Soweit vorliegend seitens des MDK wiederholt darauf verwiesen wird, dass die streitigen Nebendiagnosen „außer der Feststellung, dass sie vorliegen“, keinen „weitergehenden“ Aufwand verursacht hätten, ist dieser Einwand im Ergebnis irrelevant. Auch der einmalige, erst zur Feststellung des Vorliegens oder des Ausmaßes der Begleiterkrankung führende diagnostische Aufwand rechtfertigt deren Kodierung als Nebendiagnose, soweit die Diagnostik gerade auf die Feststellung (bzw. den Ausschluss) gerade dieser Begleiterkrankung gerichtet war.

35

Die Frage, ob ein therapeutischer Aufwand, der überhaupt erstmals zu einer Diagnose führt, ausreicht, um gerade diese Diagnose zu kodieren, auch wenn keinerlei weiterer Aufwand mehr entsteht, wird bislang von der Rechtsprechung kaum berührt. Eine Verschlüsselung der (definitiven) Diagnose C78.0 wird vom MDK schlicht mit der Begründung abgelehnt, sie erfülle die Vorgaben der DKR nicht, da sie „außer der Feststellung, dass sie vorliegen“, keinen „weitergehenden“ Aufwand verursacht haben. Eine derartige Forderung lässt sich den DKR indes nicht entnehmen. Hiernach ist lediglich verlangt, dass

36

„die [Nebendiagnosen] das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:

37
therapeutische Maßnahmen
38
diagnostische Maßnahmen
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erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand“.
40

Die Argumentation des MDK geht im Kern dahin, dass ein Faktor in diesem Sinne nicht durch eine Erkrankung erforderlich wird, die im Zeitpunkt des Aufwands nicht bereits diagnostiziert ist. Diese Auffassung findet jedoch im Wortlaut der DKR keine Stütze. Eine konkrete Erkrankung, sei sie auch nur eine vermutete oder befürchtete, selbst wenn sie sich noch nicht zu einer Verdachtsdiagnose verdichtet hat, macht eine gerade auf ihre Bestätigung (oder ihren Ausschluss) gerichtete Untersuchung im Sinne der DKR erforderlich. Bestätigt die Untersuchung das Vorliegen der Erkrankung, führt dies zu deren Kodierbarkeit. Insoweit ist eine gewissermaßen „retrograde“ Beeinflussung des Patientenmanagements in dem Sinne denkbar, dass eine noch gar nicht bekannte Diagnose die sie überhaupt erst zu Tage fördernde diagnostische Maßnahme erforderlich macht. Für eine Erforderlichkeit im Sinne der DKR ist mit anderen Worten nicht zwingend eine Kausalität in dem Sinne zu verlangen, dass die Diagnose als Wirkursache zeitlich dem durch sie verursachten Aufwand vorangehen muss. Vielmehr reicht es aus, dass die (vermutete) Diagnose derart wirksam wird, dass ihre Bestätigung (bzw. ihr Ausschluss) als causa finalis den diagnostischen Aufwand herbeiführt.

41

Wenn wie vorliegend anhand der Histologie mit hoher Wahrscheinlichkeit ein primäres Nierenzellkarzinom anzunehmen ist, welches wiederum mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in die Lunge streut, handelt es sich daher bei einem in der hierauf veranlassten Tomografie erhobenen positiven CT-Befund nicht um einen für Kodierfragen belanglosen Zufallsfund, sondern um eine kodierfähige Nebendiagnose.

42

Hierdurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von den nicht zur Kodierbarkeit führenden Zufallsfunden, wie bspw. in der Kodierempfehlung Nr. 357 der Sozialmedizinischen Expertengruppe (SEG) 4 des MDK beschrieben:

43

Eine Patientin wird mit einer dekompensierten Herzinsuffizienz stationär aufgenommen. Sechs Jahre zuvor war bei der Patientin ein Mammakarzinom brusterhaltend operiert worden, Lymphknoten waren nicht befallen, eine Behandlung des Mammakarzinoms erfolgt derzeit nicht. Bei der Röntgenuntersuchung des Thorax wird eine Lungenmetastase festgestellt. Weiterführende Diagnostik {CT, Biopsie} erfolgt während dieses Aufenthaltes nicht, ...“.

44

In dem beschriebenen Fall wurde die Rö-Thorax-Untersuchung bereits durch die Hauptdiagnose Herzinsuffizienz veranlasst; die Lungenmetastase stellte sich als bloßer Zufallsbefund, sozusagen als „Beifang“ dar, was allein ihre Kodierung als Nebendiagnose nicht erlaubt, solange nicht weitergehender Aufwand mit Bezug gerade auf die Metastase folgt.

45

Da die beiden Computertomografien (von Brust- und Bauchraum) vorliegend nicht der weiteren Abklärung der Hauptdiagnose Hirnmetastase, sondern der Suche nach dem Primärtumor und (mit erheblicher Wahrscheinlichkeit vorliegender) weiterer Metastasen dienten, wie letztlich auch der MDK zugesteht, handelt es sich bei den festgestellten Lungenmetastasen mithin nicht um „Beifang“ in dem vorbeschriebenen Sinne. Allerdings wird vom MDK und ihm folgend vom Sozialgericht vertreten, dass die Tomografien allein oder zumindest in erster Linie zum Zwecke der Primärtumorsuche durchgeführt worden seien. Dass dabei gleichsam „en passant“ auch etwaige Metastasen mitentdeckt wurden, sei ohne Bedeutung für die Kodierung. Auch dieser Einwand trägt im Ergebnis nicht. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass bereits nach den DKR 2008 sinngemäß die erst in der Fassung von 2010 aufgenommene Klarstellung zur Zuordnung eines Ressourcenverbrauchs zu mehreren Nebendiagnosen Anwendung finden dürfte, wonach „[b]ei Patienten, bei denen einer dieser erbrachten Faktoren auf mehrere Diagnosen ausgerichtet ist, […] alle betroffenen Diagnosen kodiert werden“ können (D003i). Auch hierzu liegt eine Kodierempfehlung der SEG 4 vor (Nr. 26):

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„Nach Diskussion dieses Problems für die Überarbeitung der DKR 2005 bestand in der Selbstverwaltung (AG Klassifikation) Einvernehmen, dass die DKR in solchen Fällen eine Zuordnung zu nur einer Nebendiagnose (die dann auch nur kodierbar wäre) nicht zulassen. Entsprechend gäbe es keine Grundlage, die übrigen, auf diese Maßnahme/auf dieses Medikament bezogenen Nebendiagnosen strittig zu stellen. Primäre Voraussetzung ist jedoch, dass die Krankheitsbilder beim Patienten vorliegen.“

47

Da nach den übereinstimmenden und überzeugenden Angaben des MDK, der Klägerin und der gerichtlichen Sachverständigengutachten zur Diagnostik bei bösartigen Erkrankungen neben der Feststellung der konkreten Tumorentität und der Lokalisation des Primärtumors auch die Beurteilung des Ausbreitungsgrades im Sinne eines Stagings erforderlich ist, um eine Wahl des Therapieregimes zu ermöglichen, bedarf es keiner weiteren Erwägungen, um die die durchgeführten großräumigen Computertomografien der Suche sowohl nach dem Primärtumor als auch nach weiteren Metastasen zuzuordnen, ohne dass der eine den anderen Aspekt vollständig verdrängen könnte. Folgerichtig hat der erstinstanzliche Sachverständige ausgeführt, dass sämtliche durch die Tomografien festgestellte Metastasen auch kodierbar seien, was durch den zweitinstanzlichen Sachverständigen lediglich hinsichtlich der Lebermetastase anders beurteilt wurde, da es sich hierbei lediglich um eine Verdachtsdiagnose gehandelt habe. Diese Einschätzungen sind aus Sicht des Senats schlüssig und überzeugend, setzen allerdings voraus, dass sich entsprechend der o.g. Kodierempfehlung Nr. 26 bereits vor 2010 ein auf mehrere Nebendiagnosen gerichteter Aufwand allen Nebendiagnosen zuordnen ließ, sodass auch alle Nebendiagnose kodiert werden konnten. Der Wortlaut der Kodierrichtlinien stand einer derartigen Auslegung jedenfalls nicht entgegen.

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Selbst wenn man aber die Richtlinienänderung im Jahre 2010 nicht als bloße Klarstellung, sondern als konstitutiv für die Kodierbarkeit mehrerer Nebendiagnosen (und nicht lediglich der medizinisch vorrangigen) ansehen wollte, führte dies vorliegend zu keinem anderen Ergebnis, da zur Überzeugung des Senats und entgegen der Auffassung des Sozialgerichts die CT des Thorax einen Aufwand darstellt, der nicht durch die Suche nach dem Primärtumor, sondern durch die Suche nach Metastasen im Brustraum erforderlich wurde. Diese bereits vom erstinstanzlichen Sachverständigen überzeugend dargelegte und vom Gutachter in zweiter Instanz bestätigte Auffassung wird durch die Argumentation des Sozialgerichts nicht in Frage gestellt.

49

Beide Sachverständig haben dargelegt, dass allein die CT des Abdomens der Primärtumorsuche gedient hat, nachdem die hellzellige Hirnmetastase eindeutig auf ein Nierenzellkarzinom hingewiesen hat, während hellzellige Thorax-Karzinome selten bis gar nicht vorkommen. Die Thorax-CT hat damit von vornherein der Feststellung von Lungen-Metastasen gedient, die mit 55 % die häufigste Art von Metastasen des Nierenzellkarzinoms darstellen. Somit hat die durch die CT bestätigte Nebendiagnose C78.0 eindeutig einen Ressourcenverbrauch verursacht, der sich gerade nicht der weiteren Nebendiagnose C64 zuordnen lässt.

50

Das angegriffene Urteil gibt diese Argumentation des Sachverständigen nicht wieder und setzt sich daher auch nicht mit ihr auseinander. Stattdessen wird auf eine Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) „bei Patienten mit Hirnmetastasen, spinalen Metastasen und Meningeosis neoplastica im Erwachsenalter“ verwiesen auf welche die Klägerin in der Klagebegründung Bezug genommen habe. Klägerseits war (zwar nicht in der Klagebegründung, aber mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2014) in Reaktion auf das Sachverständigengutachten auf eine Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN, „Hirnmetastasen und Meningeosis neoplastica“, Stand 3/2014, AWMF-Register-Nr. 030/060) hingewiesen worden, wie vom Sozialgericht im Tatbestand auch angeführt. In dieser Leitlinie heißt es in der Tat, zur Primärtumorsuche gehöre regelmäßig eine CT-Thorax und nur fakultativ eine CT-Abdomen. Im Wortlaut:

51

Im Einzelfall erforderlich

52

Primärtumorsuche bei unbekanntem Primärtumor. Die CT des Thorax ist die wichtigste diagnostische Maßnahme vor einer Biopsie. In seltenen Fällen kann eine ausführliche Primärtumorsuche sinnvoll sein, die u.a. CT von Becken/Abdomen/Thorax/Hals oder Fluorodeoxyglukose-(FDG)-Positronenemissionstomografie [PET]/CT, gynäkologische, gastrointestinale, urologische und Hals-Nasen-Ohren-ärztliche sowie endokrinologische Diagnostik umfassen kann (Mavrakis et al. 2005)

53

Allerdings ist zum einen zu berücksichtigen, dass diese Leitlinie im maßgeblichen Zeitpunkt im Jahr 2008 noch gar nicht veröffentlicht war, zum anderen, dass die CT des Thorax zur Primärtumorsuche hierin „vor einer Biopsie“ empfohlen wird. Im vorliegenden Fall machte sich die Primärtumorsuche indes erst nach der Biopsie erforderlich, nachdem im Rahmen der sofort vorzunehmenden Hirn-Operation die Hirnmetastase entfernt worden war. Da die Ärzte der Klägerin infolgedessen bereits vor der Suche nach dem Primärtumor konkrete Hinweise auf dessen Lokalisation hatten, kommt der allgemeinen Natur der in der Leitlinie enthaltenen Empfehlungen schon keine entscheidende Bedeutung zu. Nimmt man ferner die bereits seinerzeit von der DGN veröffentlichten Versionen ihrer Leitlinien in den Blick, die als archivierte Versionen auch weiterhin abrufbar sind, lässt sich feststellen, dass es zwei unterschiedliche Leitlinien der DGN mit Bezug zum vorliegenden Fall gab, zum einen „Solide Hirnmetastasen“, zum anderen „Spinale Metastasen und Meningeosis neoplastica“, was die vom Vortrag der Klägerin abweichende Bezeichnung der Leitlinie in den Gründen des Urteils des Sozialgerichts erklären könnte, ohne dass die zweitgenannte Leitlinie vorliegend medizinisch einschlägig wäre. Zudem trifft diese Leitlinie keine Aussage zur Suche nach dem Primärtumor, der bei spinalen Metastasen in der Brustwirbelsäule meist ein Bronchial- oder Mammakarzinom sei, bei Metastasen in der Lendenwirbelsäule ein Prostatakarzinom. In der Leitlinie der DGN zu soliden Hirnmetastasen aus 2008 hieß es wörtlich:

54

Im Einzelfall erforderlich

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Begrenzte Primärtumorsuche bei unbekanntem Primärtumor (Thoraxaufnahme, Mammographie, Abdomensonographie, Stuhluntersuchung auf okkultes Blut, ggf. CT von Thorax, Abdomen und Becken, ggf. in Zukunft häufiger primär Ganzkörper-FDG-Positronenemissionstomographie [PET]) (Mavrakis et al. 2005)

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Hier wurde also (unter Verweis auf die gleiche Arbeit!) noch eine andere Strategie beschrieben. Entscheidend ist jedoch, dass die auf den vorliegenden Fall bezogene konkrete Beweisaufnahme in Form von zwei Sachverständigengutachten eine vom Standardvorgehen nach Leitlinie abweichende Vorgehensweise nahelegt, die allein die CT-Abdomen der Primärtumorsuche zuordnet, die CT-Thorax hingegen der Suche nach weiteren Metastasen, die anhand der Histologie insbesondere in der Lunge zu erwarten waren.

57

Da schon allein die CT des Thorax als durch die Nebendiagnose C78.0 verursachter Ressourcenverbrauch anzusehen ist, was zur Kodierfähigkeit dieser Nebendiagnose führt und die Klageforderung begründet, weil hierdurch die abgerechnete Fallpauschale B02C angesteuert wird, kann es der Senat dahinstehen lassen, ob auch die weiteren klägerseits angeführten, insbesondere ärztlichen Maßnahmen im Sinne der DKR berücksichtigungsfähigen Aufwand darstellen. Allerdings spricht einiges dafür, insbesondere die ärztlichen Beratungen „im Angesicht des Todes“ als berücksichtigungsfähigen Teil des Patientenmanagements (Betreuungsaufwand) anzusehen, da dieser weit über das übliche Maß hinausgegangen sein dürfte. Da die DKR den Faktor Betreuungsaufwand ausdrücklich neben dem Pflege- und Überwachungsaufwand erwähnen, muss diesem Begriff eine eigenständige Bedeutung zukommen, die nicht nur bspw. den Einsatz des Sozialdienstes oder die Betreuung im Bereich der Pädiatrie umfassen dürfte, sondern auch die eingehende und (nach Möglichkeit) einfühlsame, somit zeitaufwendige ärztliche Beratung des Patienten im Zusammenhang mit einer äußerst schwierigen und folgenschweren Lebensentscheidung.

58

Eine ebenfalls in die B02C führende Kodierung von Lymphknotenmetastasen (C77.8 – Sekundäre und nicht näher bezeichnete bösartige Neubildung: Lymphknoten mehrerer Regionen) oder von Metastasen an den Rippen (C79.5 – Sekundäre bösartige Neubildung des Knochens und des Knochenmarkes), erscheint zwar medizinisch nicht ohne weiteres ausgeschlossen, kann jedoch die Klageforderung schon deshalb nicht begründen, weil die Klägerin eine hierauf gestützte Rechnung bislang weder förmlich noch sinngemäß gestellt hat, vgl. BSG, Urteil vom 09. April 2019 – B 1 KR 3/18 R.

59

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

60

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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