Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (8. Senat) - L 8 AS 158/20 B ER

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 3. April 2020 wird aufgehoben.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 24. März 2020 bis 30. September 2020 Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 370 € zu gewähren.

Dem Antragsteller wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für beide Instanzen unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. bewilligt.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners, die ihm nach einem Umzug entstandenen höheren Kosten der Unterkunft zu übernehmen.

2

Der Antragsteller bewohnte über vier Jahre eine 25 m² großen 1-Zimmerwohnung in der O.-Straße in A-Stadt für eine Gesamtmiete von zuletzt 215 €. In der Wohnung übernachtete er auf einer Couch mit Bettfunktion. Der Antragsteller bezieht laufend SGB II-Leistungen. Zuletzt bewilligte ihm der Antragsgegner mit Bescheid vom 27. September 2019 Arbeitslosengeld II für die Zeit von Oktober 2019 bis September 2020 in Höhe von monatlich 639 € (424 € Regelbedarf + 215 € Kosten der Unterkunft und Heizung).

3

Zuvor legte der Antragsteller beim Antragsgegner am 10. September 2019 einen Kostenvoranschlag für eine mit Fernwärme beheizte Zweizimmerwohnung mit zentraler Warmwasserversorgung in der A-Straße in A-Stadt mit einer Wohnfläche von 50,52 m² und einer monatlichen Gesamtmiete in Höhe von 370 € (255,13 € Nettomiete + 49,75 € Betriebskosten + 65,12 € Heizkosten) vor. Gleichzeitig beantragte er die Zusicherung zur Übernahme der Kosten für diese Wohnung. Zur Begründung dafür, dass sein Verbleib in der bisherigen Wohnung nicht möglich sei, gab der Antragsteller an, dass seine jetzige Wohnung so klein sei, dass in dieser kein Platz für ein Bett sei. Er schlafe seit ca. vier Jahren auf einer Couch. Der Platz in der Wohnung sei so gering, dass man dort Depressionen bekomme.

4

Auf mehrere Rückfragen des Antragstellers nach dem Bearbeitungsstand lehnte der Antragsgegner den Antrag mit Bescheid vom 30. September 2019 mit der Begründung ab, der Antragsteller habe als Grund für die Erforderlichkeit des Umzugs angegeben, dass der jetzige Wohnraum zu klein sei. Nach den dem Antragsgegner vorliegenden Unterlagen sei ersichtlich, dass der Antragsteller eine angemessene 1-Zimmer-Wohnung für eine Person bewohne. Dem Antrag auf Erteilung einer Zusicherung für die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II könne daher nicht entsprochen werden.

5

Am 22. Oktober 2019 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass er zum 1. Oktober 2019 umgezogen sei. Die Gesamtmiete für die neue Wohnung betrage 370 € (255,13 € Grundmiete + 49,75 € Nebenkosten + 65,12 € Heizkosten). Der Antragsteller legte dem Antragsgegner den entsprechenden Mietvertrag für eine Wohnung in der A-Straße in A-Stadt vor, der am 8. Oktober 2019 unterzeichnet wurde.

6

Mit Schreiben vom 29. Oktober 2019 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass durch den Umzug zum 1. Oktober 2019 keine Änderung in der Anspruchshöhe eingetreten sei und der Bewilligungsbescheid vom 27. September 2019 seine Gültigkeit behalte. Der Umzug sei ohne Zusicherung erfolgt, sodass die Miete nur in Höhe der bisherigen Mietkosten bei der Berechnung berücksichtigt werden könne. Hiergegen legte der Antragsteller am 12. November 2019 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2019 als unzulässig verworfen wurde.

7

Wegen der Neufestsetzung der Regelbedarfe zum 1. Januar 2020 wurden dem Antragsteller mit Änderungsbescheid vom 23. November 2019 für Januar bis September 2020 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 647 € (432 € Regelbedarf + 215 € Kosten Unterkunft und Heizung) bewilligt. Hiergegen legte der Kläger am 18. Dezember 2019 Widerspruch ein, welcher mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2020 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

8

Am 24. März 2020 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Neubrandenburg hiergegen Klage – S 3 AS 143/20 – erhoben sowie ebenfalls den vorliegend streitigen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und zur Begründung ausgeführt, dass er in der früheren Wohnung aufgrund der beengten Platzverhältnisse lediglich eine Couch gehabt habe, welche er jeden Abend zum Schlafen habe ausziehen und dafür alles wegräumen müssen. In Anbetracht dieser Umstände habe er dort keinen Besuch empfangen können und wollen. Im Laufe der Zeit habe sich bei ihm wegen zunehmender sozialer Isolierung eine Depression, welche er jedoch nicht ärztlich habe behandeln lassen, entwickelt. Dadurch habe er verstärkt Drogen konsumiert. Wegen der Drogenabhängigkeit sei er bei der Caritas in Betreuung gewesen, welche auf eine Entgiftung gedrängt habe. Er habe zunächst einen kalten Entzug zu Hause versucht, was jedoch nicht erfolgreich gewesen sei. Vom 26. August 2019 bis 6. September 2019 habe er sich zur stationären Entgiftung im Klinikum A-Stadt befunden. Dort habe er u.a. erkannt, dass seine häusliche Situation mit der sozialen Isolierung ein wichtiger zu ändernder Punkt sei, um künftig abstinent zu leben und seinem Arbeitswunsch nachkommen zu können.

9

Nach Erhalt des bis zum 1. Oktober 2019 befristeten Mietangebotes für die Wohnung in der A-Straße am 10. September 2019 sei ihm am selben Tage beim Antragsgegner bei der Abgabe des Antrags auf Zusicherung zur Übernahme der Mietkosten für diese Wohnung am Empfang gesagt worden, dass das klappen müsste, da die Miete im Rahmen sei. Mangels Antwort habe er bei dem Antragsgegner mehrmals telefonisch nachgefragt und immer die Auskunft erhalten, dass sein Antrag noch in Bearbeitung sei. Letztmalig habe er am 1. Oktober 2019 im Wohnungsmanagement nachgefragt, da er sich an diesem Tag habe entscheiden müssen. Die Mitarbeiterin des Antragsgegners habe ihm gesagt, dass eine Entscheidung noch nicht vorliege, es jedoch gut aussehe und sie sich wundern würde, wenn der Antrag abgelehnt werden würde. Der Antragsteller habe daraufhin den Vermieter informiert, dass er die Wohnung nehmen würde. Der Bescheid vom 30. September 2019, mit dem der Antragsgegner die Zusicherung abgelehnt habe, sei ihm erst zugegangen, nachdem er den Mietvertrag unterschrieben habe.

10

Da ihm weiterhin nur Kosten der Unterkunft in Höhe der alten Miete bewilligt worden seien, müsse er 155 € seiner Miete aus der Regelleistung bestreiten. Dadurch sei sein Existenzminimum nicht gedeckt. Der Antragsgegner sei zur Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten verpflichtet, da der Umzug für ihn – den Antragsteller – in seiner persönlichen Situation und unter Beachtung seiner gesundheitlichen Lage erforderlich gewesen sei. Er habe durch die beengten Wohnverhältnisse eine Depression entwickelt, sich sozial isoliert und dadurch den bereits vorhandenen Drogenkonsum verstärkt. Er habe dadurch auch seine letzte Erwerbstätigkeit verloren. Mit dem Vollzug der Entgiftung, der Aussicht auf eine neue Wohnung und deren Bezug hätten sich diese Probleme gebessert und er lebe seitdem abstinent. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die bisherige Wohnung mit 25 m² lediglich halb so groß wie eine angemessene Wohnung gewesen sei. Dass er nach seinem kalten Entzug bei Verbleib in seiner häuslichen Isolation rückfällig geworden sei und jetzt jedoch bei Umzug weiter abstinent lebe, spreche dafür, dass die Entscheidung zum Umzug richtig und notwendig gewesen sei. Zum Nachweis des stationären Aufenthalts hat der Antragsteller einen Entlassungsbericht vom 6. September 2019 mit der Diagnose „Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide: Abhängigkeitssyndrom“ vorgelegt.

11

Der Antragsteller hat beantragt,

12

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab Antragseingang vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs von 432 € zuzüglich der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 370 € zu bewilligen.

13

Der Antragsgegner hat beantragt,

14

den Antrag zurückzuweisen.

15

Die Wohnungsgröße allein indiziere keine Erforderlichkeit des Umzugs. Aus dem Entlassungsbericht des Klinikums gehe nicht hervor, dass der Antragsteller nicht in der zuvor bewohnten Wohnung hätte verbleiben können. Es sei davon auszugehen, dass Nichthilfeempfänger in einer entsprechenden Lebenssituation bei vergleichbaren Einkommensverhältnissen aus Gründen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit die mit einem Umzug verbundenen Kosten vermieden hätten. Eine Rechtsprechung, wonach einem Erwachsenen zwingend ein Wohn- und ein Schlafzimmer zur Verfügung stehen müssten, existiere nicht. Die zuvor bewohnte Wohnung werde als ausreichend und angemessen erachtet. Der Antragsteller befinde sich in keiner fachärztlichen Behandlung. Ein Wechsel des Wohnumfeldes sei mit dem Umzug ebenfalls nicht erfolgt, da er lediglich eine Querstraße weitergezogen sei.

16

Mit Beschluss vom 3. April 2020 hat das Sozialgericht die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei zulässig, aber unbegründet.

17

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn eine solche Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheine, wenn also dem Antragsteller das Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zugemutet werden könne. Dabei habe der Antragsteller gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 und § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) den Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) sowie die Dringlichkeit der Entscheidung des Gerichts (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.

18

Es bestehe kein Anordnungsanspruch.

19

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II würden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien. Erhöhten sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, werde nur der bisherige Bedarf anerkannt (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II).

20

Der Umzug sei nicht erforderlich gewesen. Insofern teile die Kammer uneingeschränkt die Auffassung des Antragsgegners, dass allein der Umstand, dass für eine Person maximal 50 m² angemessen seien, nicht dazu führe, dass diese Obergrenze durch einen Umzug auszuschöpfen sei. Dies gelte auch dann nicht, wenn, wie vorliegend, die angemessene Wohnfläche deutlich unterschritten werde. Die Kammer halte ein Wohnen auf einer Wohnfläche von 25 m² für eine Person nicht für menschenunwürdig oder gesundheitsgefährdend. Die Kammer sehe es auch nicht als ausgeschlossen an, dass man in einer Wohnung von dieser Größe Besuch empfangen könne. Dass der Antragsteller seine Couch jeden Abend zu einem Bett umbauen und am nächsten Tag wieder zurückbauen müsse, möge zwar lästig sein, begründe jedoch nicht die Erforderlichkeit eines Umzugs. Ebenso sei nicht ersichtlich, warum dieser Umstand dazu führen solle, dass der Antragsteller keinen Besuch empfangen könne.

21

Einzig denkbarer Grund für die Erforderlichkeit des Umzugs könnten vorliegend die gesundheitlichen Probleme und die Drogensucht des Antragstellers sein. Der Antragsteller habe angegeben, dass das beengte Wohnen zu Depressionen geführt habe. Eine ärztliche Bestätigung für diesen Vortrag gebe es jedoch nicht. Es bestehe kein genereller Zusammenhang zwischen kleinem Wohnraum und der Entwicklung einer Depression. Ob hier ausnahmsweise ein solcher Zusammenhang bestehen könnte, habe der Antragsteller nicht nachgewiesen.

22

Soweit der Antragsteller vortrage, dass er am 30. September 2019 dem Vermieter habe zusagen müssen, da die Wohnung sonst anderweitig vergeben worden wäre, sei anzumerken, dass der Mietvertrag erst am 8. Oktober 2019 unterzeichnet worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei dem Antragsteller die Ablehnung der Zusicherung vom 30. September 2019 bekannt gewesen. Der Antragsteller hätte demnach unter Berücksichtigung der Entscheidung des Antragsgegners den Mietvertrag nicht unterzeichnen müssen.

23

Gegen den am 8. April 2020 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 7. Mai 2020 Beschwerde erhoben und zur Begründung ausgeführt, das Sozialgericht habe zu Unrecht die Erforderlichkeit seines Umzuges zum 1. Oktober 2019 und damit einen Anordnungsanspruch verneint. Zwar werde in dem vorgelegten Entlassungsbericht vom 6. September 2019 nicht bestätigt, dass das beengte Wohnen zu Depressionen geführt habe. Neben der Diagnose ergebe sich jedoch daraus, dass er – der Antragsteller – sich dort zum wiederholten Male in stationärer Behandlung befunden und bereits einen kalten Entzug zu Hause versucht habe und dass er in der Klinik gelernt habe, seine eigene Situation zu reflektieren und gewillt gewesen sei, fortan ein abstinentes Leben zu führen. Damit würden seine Einschränkungen und sein Wille nach Veränderung ausreichend glaubhaft gemacht. Für ihn sei daher von einem vernünftigen Grund im Sinne der Rechtsprechung auszugehen, wonach sich jeder andere in dieser Situation mit dem Willen nach einer Veränderung ebenso entschieden hätte. Da er bis heute abstinent sei, wisse er auch, dass er die richtige Entscheidung getroffen habe.

24

Unabhängig davon sei die Kappung der Mietkosten auf die Kosten der alten Wohnung rechtswidrig, da eine solche nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 17. Februar 2016 – B 4 AS 12/15 R – nur zulässig und beizubehalten sei, wenn rechtmäßig Angemessenheitswerte festgestellt worden seien, d. h. eine schlüssige KdU-Richtlinie vorliege. Ob die derzeit gültige KdU-Richtlinie des Landkreises M. eine solche schlüssige Richtlinie darstelle, sei bisher nicht festgestellt worden. Vielmehr habe das Beschwerdegericht bereits in verschiedenen Verfahren grundsätzlich Zweifel hieran geäußert. Daher sei bereits aus diesem Grunde die Kappung rechtswidrig.

25

Der Antragsteller beantragt,

26

den Beschluss des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 3. April 2020 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab 24. März 2020 vorläufig monatlich Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung seines Lebensunterhalts in Höhe des Regelbedarfs von 432 € zuzüglich der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 370 € zu bewilligen sowie ihm Prozesskostenhilfe für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

27

Der Antragsgegner beantragt,

28

die Beschwerde zurückzuweisen.

29

Er hat u.a. ausgeführt, die zitierte BSG-Rechtsprechung sei nicht einschlägig, da sie sich auf eine alte Gesetzesfassung bezogen habe. Mit der Gesetzesänderung vom 26. Juli 2016 sei das Wort „angemessen“ aus § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II gestrichen worden.

II.

30

Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist zulässig und begründet.

31

Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung einen Anspruch auf Übernahme der Bedarfe der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II für seine neue Wohnung in voller Höhe von monatlich 370 € im vorliegend streitbefangenen Zeitraum vom 24. März 2020 bis 30. September 2020 und damit einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

32

Der Antragsteller, bei dem im Übrigen unstreitig die weiteren Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II vorliegen, hat gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II einen Anspruch auf Übernahme seiner Wohnungskosten. Diese überschreiten nicht die Angemessenheitsobergrenze der seit 1. Januar 2018 gültigen KdU-Richtlinie des Landkreises M. für Einpersonenhaushalte in A-Stadt (Region D) bei Beheizung mit Warmwassererwärmung durch Fernwärme von mindestens 418,71 € (342 € Bruttokaltmiete + mindestens 76,71 € Heizkosten) und sind daher (auch) aus der Sicht des Antragsgegners angemessen.

33

Auch ist der Anspruch entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Sozialgerichts nicht gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf die Aufwendungen für die bisherige Wohnung in Höhe von 215 € begrenzt. Nach dieser Norm wird nur der bisherige Bedarf anerkannt, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen.

34

Unabhängig von der vorliegend streitigen Frage nach der Erforderlichkeit des Umzugs des Antragstellers ist die Deckelung im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II dann ausgeschlossen, wenn für den örtlichen Vergleichsraum keine zutreffenden abstrakten Angemessenheitsgrenzen bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2016 – B 4 AS 12/15 R –, Rn. 18). Der insoweit erhobene Einwand des Antragsgegners, dass sich die vorgenannte Rechtsprechung des BSG zum Ausschluss der Kappung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II lediglich auf dessen bis zum 31. Juli 2016 gültige Fassung bezieht, greift nicht durch. Denn das BSG hat seine Rechtsauffassung nicht allein auf den damaligen Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, sondern vor allem auf die Systematik des § 22 Abs. 1 SGB II gestützt und hieraus abgeleitet, dass die gedeckelten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach einem nicht erforderlichen Umzug innerhalb eines Vergleichsraums entsprechend den Veränderungen der durch ein schlüssiges Konzept bestimmten Angemessenheitsgrenze ab dem Umzugszeitpunkt zu dynamisieren sind (vgl. BSG, wie vor).

35

Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geht der Senat zwar grundsätzlich von der Angemessenheit der in den Richtlinien der zuständigen kommunalen Träger festgesetzten abstrakten Angemessenheitsgrenzen aus, wenn sich nicht eine offensichtliche Rechtswidrigkeit aufdrängt (vgl. Beschluss vom 11. Januar 2018 – L 8 AS 48/17 B ER).

36

Letzteres ist vorliegend jedoch der Fall.

37

Die vorliegende KdU-Richtlinie kann im streitigen Eilrechtschutzverfahren nicht zur Bestimmung der Mietobergrenze herangezogen werden, weil bei der Bestimmung der Mietobergrenzen auf der Grundlage der Datensätze im Rahmen der Erhebung zur Erstellung eines schlüssigen Konzepts jedenfalls bei der Datenauswertung offensichtliche Fehler aufgetreten sind.

38

Nach dem zugrunde liegenden Konzept (vgl. die Darstellung ab Seite 13 in der Zusammenfassung der Projektergebnisse durch die Fa. R. & P.) sollten zur Ermittlung der Mietobergrenze nur Daten von Wohnungen einfachen Standards berücksichtigt werden, dies einerseits durch Heranziehung von Daten von SGB II- und XII-Leistungsempfängern und andererseits durch Mieter- und Vermieterbefragungen. Zur Vermeidung von Zirkelschlüssen ist nach der Rechtsprechung des BSG bei einer Dateneinbeziehung von Wohnungen nur einfachen Standards als Angemessenheitsgrenze die obere Preisgrenze (sog. Spannoberwert) dieses Segments zu wählen (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 44/14 R –, juris m.w.N.).

39

Entgegen der Darstellung auf Seite 21 des der KdU-Richtlinie zugrunde liegenden Konzepts ist vorliegend jedoch ersichtlich nicht der Spannoberwert (jeweils bezogen auf den Vergleichsraum und die Haushaltsgröße) des hier zugrunde gelegten unteren Segments, d.h. der Wohnungen einfachen Standards ermittelt worden. So ergibt eine Auswertung der Rohdaten für die hier maßgebliche Region D für Wohnungen bis 50 m², dass der laut Konzept ermittelte „Spannoberwert“ für die Nettokaltmiete von 5,11 € pro m² offenkundig unzutreffend ist und stattdessen im Bereich des Mittelwertes der jeweiligen Mietenspanne liegt. Damit handelt es sich bei den als Angemessenheitsgrenze ermittelten Werten ersichtlich nicht um den Spannoberwert im Sinn der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. So folgen aus den von den Wohnungsunternehmen zur Verfügung gestellten Rohdaten eine Mietpreisspanne (netto kalt) von 2,69 € bis 7,48 € und ein durchschnittlicher Quadratmeterpreis für diese Wohnungen von 5,17 €, sodass 51,6 % dieser Wohnungen eine höhere Nettokaltmiete als 5,11 €/m² aufweisen. Aus den entsprechenden Rohdaten für SGB XII-Leistungsempfänger ergibt sich eine Spanne von 0,04 € bis 19,28 € pro m² mit einer Nettokaltmiete von durchschnittlich 4,93 €. Ein Anteil von 41,7 % dieser Wohnungen sind danach teurer als 5,11 €/m². Entsprechend ist auch bereits der 14. Senat in seinem Beschluss vom 13. Mai 2019 – L 14 AS 85/19 B ER –, juris, bei summarischer Prüfung der aktuellen KdU-Richtlinie des Antragsgegners bezogen auf Einpersonenhaushalte im Vergleichsraum G zu der Einschätzung gelangte, die dort ermittelte Angemessenheitsgrenze entspreche offenkundig nicht dem Spannoberwert im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, sondern stattdessen demMittelwert der jeweiligen Mietenspanne.

40

Aus den vorgenannten Gründen folgt zugleich die hinreichende Erfolgsaussicht des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens i.S.v. § 114 ZPO i.V.m. § 73a SGG, sodass aufgrund der ebenfalls bestehenden Bedürftigkeit des Antragstellers die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren in erster Instanz und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren begründet sind.

41

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.

42

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen