Beschluss vom Landessozialgericht NRW - L 19 AS 1104/16 B
Tenor
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.06.2016 geändert. Die Vergütung wird auf 166,41 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
1
Gründe:
2I.
3Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung streitig.
4Die Beschwerdeführerin vertrat die drei Kläger in den Widerspruchsverfahren xxx, das den Bescheid vom 04.09.2014 zum Gegenstand hatte, und xxx, das den Änderungsbescheid vom 01.12.2014 zum Gegenstand hatte. Unter dem 08.01.2015 erließ der Beklagte einen Abhilfebescheid, in dem er u.a. die Kosten der Kläger für das Widerspruchsverfahren XXX dem Grund nach übernahm, aber die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Beschwerdeführerin ablehnte.
5Gegen die ablehnende Entscheidung nach § 63 Abs. 2 SGB X legten die Kläger Widerspruch ein. Das Widerspruchsverfahren wurde unter dem Aktenzeichen xxx geführt. Durch Widerspruchsbescheid vom 13.04.2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
6Am 20.04.2015 haben die Kläger, vertreten durch den Beschwerdeführerin, Klage gegen den "Abhilfebescheid vom 08.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2015 hinsichtlich der Kostengrundentscheidung" erhoben.
7Durch Beschluss vom 27.08.2015 bewilligte das Sozialgericht Gelsenkirchen den Klägern Prozesskostenhilfe und ordnete die Beschwerdeführerin bei. Die Beschwerdeführerin erhielt aus der Staatskasse einen Vorschuss i.H.v. 404,60 EUR
8Im Erörterungstermin vom 27.04.2016 verpflichtete sich der Beklagte zur Übernahme der Kosten für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens mit dem Aktenzeichen xxx. Die Beschwerdeführerin nahm den Regelungsvorschlag an und erklärte den Rechtsstreit damit für erledigt. Der Erörterungstermin dauerte von 11.33 Uhr bis 11.50 Uhr.
9Die Beschwerdeführerin hat beantragt, ihre Vergütung aus der Staatskasse auf insgesamt 691,69 EUR festzusetzen und zwar in Höhe von:
10Verfahrensgebühr Nr. 3102, 1008 VV RVG 480,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 280,00 EUR Einigungsgebühr Nr. 1006,1005 VV RVG 300,00 EUR Tage-und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG 1/2 12,50 EUR PKW-Benutzung Nr. 7003 VV RVG 1/2 3,75 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR abzüglich Anrechnung § 15a VV RVG 175,00 EUR = 921,25 EUR 19 % MwSt. Nr. 7008 VV RVG 175,04 EUR Gesamt 1.096,69 EUR abzüglich gezahlten Vorschuss 404,60 EUR
11Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Vergütung am 04.05.2016 auf weitere 144,29 EUR festgesetzt. Er ging bei der Festsetzung von folgender Berechnung aus:
12Verfahrensgebühr Nr. 3102, 1008 VV RVG 320,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 280,00 EUR Tage-und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG 12,50 EUR PKW-Benutzung Nr. 7003 VV RVG 1/2 3,75 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 1/2 20,00 EUR abzüglich Anrechnung § 15a VV RVG 175,00 EUR = 461,25 EUR 19 % MwSt. Nr. 7008 VV RVG 87,64 EUR 548,89 EUR abzüglich gezahlten Vorschuss 404,60 EUR
13Eine Einigungsgebühr sei nicht entstanden, da ein Anerkenntnis vorliege. Der Ansatz einer leicht unterdurchschnittlichen Verfahrensgebühr von 200,00 EUR sei billig.
14Hiergegen legte die Beschwerdeführerin Erinnerung ein. Durch Beschluss vom 02.06.2016 hat das Sozialgericht die Erinnerung zurückgewiesen. Auf die Gründe wird Bezug genommen
15Gegen den am 6.06.2016 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen
16II. Der Senat entscheidet durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§ 1 Abs. 3, 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 RVG), da die Sache keine besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtsache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
17Die Beschwerde ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
18A. Die Beschwerde ist zulässig.
19Die Beschwerde ist statthaft. Die Beschwer der Beschwerdeführerin übersteigt den Betrag von 200,00 EUR. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Festsetzung ihrer Vergütung durch den Urkundsbeamten auf 144,29 EUR und begehrt die Festsetzung einer Vergütung von 691,69 EUR. Die Differenz zwischen festgesetzter und begehrter Vergütung beträgt mehr als 200,00 EUR. Die Beschwerdefrist von zwei Wochen (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG) ist gewahrt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 33 Abs. 4 S. 1 RVG).
20B. Die Beschwerde ist teilweise begründet.
21Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nach § 56 Abs. 2 RVG ist die gesamte Kostenfestsetzung, nicht nur die einzelne Gebühr, gegen deren Versagung bzw. Bemessung sich die Beschwerde richtet (vgl. Beschluss des Senats vom 30.09.2015 - L 19 AS 1453/15 B; LSG Thüringen, Beschlüsse vom 09.12.2015 - L 6 SF 1286/15 B - und vom 15.04.2015 - L 6 SF 331/15 B mit Wiedergabe des Meinungstandes; siehe auch Rechtsprechung des BSG Urteile vom 02.04.2014 - B 4 AS 27/13 R, SozR 4-1935 § 15 Nr. 1 vom 17.12.2013 - B 11 AL 15/12 R, NZS 2014, 239 und vom 09.01.2010 - B 13 R 63/09 R, wonach die Gebühren nur Berechnungsfaktoren der Kostenfestsetzung sind; a.A. LSG Bayern, Beschluss vom 21.06.2016 - L 15 SF 39/14 E, wonach bei einer nur teilweisen Anfechtung nur eine partielle, Überprüfung der vorangegangenen Entscheidung des Urkundsbeamten, nicht aber eine vollumfängliche Prüfung im Rahmen der Beschwerde nach § 56 Abs. 2 RVG erfolgt). Die Überprüfung wird allerdings ggf. durch den Antrag des Rechtsanwalts und das Verbot der "reformatio in peius" begrenzt (vgl. Beschlüsse des Senats vom 25.10.2010 - L 19 AS 1513/10 B, vom 22.08.2011 - L 19 AS 634/10 B, vom 16.05.2012 - L 19 AS 250/10 B und vom 12.06.2014 - L 19 AS 724/ 14 B; LSG Thüringen, Beschluss vom 15.04.2015 - L 6 SF 331/15 B; LSG Bayern, Beschlüsse vom 08.01.2013 - L 15 SF 232/12 B E und vom 03.12.2008 - L 15 B 964/08 SF KO).
22Die Vergütung der Beschwerdeführerin wird auf insgesamt 166,41 EUR festgesetzt. Die Verfahrensgebühr beläuft sich auf 105,00 EUR (1.), die Terminsgebühr auf 165,00 EUR (2.) und die Erledigungsgebühr auf 175,00 EUR (3.).
231. Nach dem Wirksamwerden der Beiordnung hat die Beschwerdeführerin sich auf einen Erörterungstermin vorbereitet, so dass der Tatbestand der Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG gegeben ist. Der Beschwerdeführerin hat für die Kläger ein nach § 183 SGG gerichtskostenfreies Verfahren betrieben.
24Unter Zugrundelegung des vorgegebenen Gebührenrahmens der Nr. 3102, 1008 VV RVG von 80,00 EUR bis 880,00 EUR ist die von der Beschwerdeführerin nach § 14 Abs. 1 RVG bestimmte Verfahrensgebühr von 480,00 EUR (Mittelgebühr) unbillig. Nach wertender Gesamtbetrachtung handelt es sich vorliegend nicht um einen Normal-/Durchschnittsfall, sondern um einen unterdurchschnittlichen Fall, der den Ansatz einer Verfahrensgebühr von 280,00 EUR, der Hälfte der Differenz zwischen der Mindest- und der Mittelgebühr (480,00 EUR - 80,00 EUR = 200,00 EUR + 80,00 EUR) rechtfertigt.
25Bei der Bestimmung der Betragsrahmengebühr ist von der Mittelgebühr auszugehen, die bei einem Normal-/Durchschnittsfall als billige Gebühr zu Grunde zu legen ist. Unter einem "Normalfall" ist ein Fall zu verstehen, in dem sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts unter Beachtung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt aller sozialrechtlichen Fälle abhebt (BSG, Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R, BSGE 104, 30, juris Rn. 34). Ob ein Durchschnittsfall vorliegt, ergibt sich aus dem Vergleich mit den sonstigen bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen Streitsachen. Die Mittelgebühr beträgt im vorliegenden Fall 480,00 EUR. Bei Abweichungen von einem Durchschnittsfall kann der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG eine geringere oder höhere Gebühr bis zur Grenze des vorgegebenen Rahmens ansetzen. Hinsichtlich der Überprüfung der Billigkeit einer Gebühr billigt die Rechtsprechung dem Rechtsanwalt einen Toleranzrahmen von bis zu 20 % zu (BSG, Urteil vom 01.07.2009, a.a.O., juris Rn.19 m.w.N.). Die in § 14 Abs. 1 RVG aufgezählten fünf Bemessungskriterien stehen selbstständig und gleichwertig nebeneinander. Sämtliche Kriterien sind geeignet, ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben oder unten zu begründen. Zudem kann das Abweichen eines Bemessungskriteriums von jedem anderen Bemessungskriterium kompensiert werden (BSG, Urteil vom 01.07.2009, a.a.O., juris Rn 38).
26Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist im Vergleich mit den übrigen sozialgerichtlichen Verfahren unterdurchschnittlich gewesen. Zu berücksichtigen ist der Arbeits- und Zeitaufwand, den ein Rechtsanwalt in der Sache betrieben hat und den er objektiv auf die Sache verwenden musste. Der durchschnittliche Umfang orientiert sich am Leitbild der zugehörigen Verfahrensordnung am Ablauf eines Verfahrens, jeweils bezogen auf das in der jeweiligen Gebührenziffer umschriebene Tätigkeitsfeld (BSG, Urteil vom 01.07.2009, a.a.O., juris Rn 28). Mit der Verfahrensgebühr in Klageverfahren vor dem Sozialgericht wird der Aufwand für Besprechung und Beratung des Mandanten, das Anfordern und die Sichtung von beigezogenen und eingeholten Unterlagen, die Rechtsprechungs- und Literaturrecherche, der Schriftverkehr mit dem Mandanten und dem Gericht sowie alle Tätigkeiten, für die mangels entsprechender Gebührenvorschriften nicht eine besondere Gebühr angesetzt werden kann, vergütet. Durchschnittlich umfangreich ist eine anwaltlichen Tätigkeit, bei der die Klage erhoben, Akteneinsicht genommen, die Klage begründet und zu den Ermittlungen des Gerichts Stellung genommen wird (LSG Thüringen, Beschluss 09.02.2016 - L 6 SF 25/15 B). Die Zahl der gefertigten Schriftsätze, einschließlich ihres Inhalts, kann ein Indiz für den zeitlichen Aufwand der anwaltlichen Tätigkeit darstellen (BSG, Urteil vom 01.07.2009, a.a.O., juris Rn. 30). Die Beschwerdeführerin hat eine Klageschrift ohne Begründung, der ein Prozesskostenhilfeantrag beigefügt gewesen ist und nach Akteneinsicht eine knapp einseitige Klagebegründung gefertigt. Neben der Vorbereitung auf einen Erörterungstermin sind keine Weitere zeitintensive Tätigkeiten - wie etwa das Lesen und Auswerten von medizinischen Gutachten, das Verfassen von Schriftsätzen, die sich mit komplexen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen auseinandersetzen, die Sichtung und Auswertung von Rechtsprechung, die den Rückschluss auf einen erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand zulassen, sind nicht angefallen bzw. nicht belegt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin die Kläger in dem Widerspruchsverfahren XXX vertreten, so dass sie schon vor der Akteneinsichtsnahme im wesentlich Kenntnis von dem maßgeblichen Sachverhalt, der der Beurteilung der Notwendigkeit ihrer Hinzuziehung im Widerspruchsverfahren zu Grunde zu legen war, Kenntnis hatte. Dieser arbeitserleichternde Umstand ist mitzuberücksichtigen. Damit ist der Umfang der Tätigkeit ist im Vergleich mit den übrigen sozialgerichtlichen Verfahren unterdurchschnittlich gewesen.
27Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit kann gerade noch vertretbar als durchschnittlich im Sinne der Bearbeitung eines Routinefalles bewertet werden (zu diesem Maßstab BSG, Urteil vom 01.07.2009, a.a.O., Rn. 35). Als Routinefall auf dem Gebiet des Sozialrechts ist die Darlegung eines Anspruchs auf Leistungen mittels Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Rechtsvorschriften, aber ohne umfangreichere Beweiswürdigung und eingehende Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur zu werten. Es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die für eine überdurchschnittliche Schwierigkeit sprechen. Es hat sich bei der im Widerspruchsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage - Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts i.S.v. § 63 Abs. 2 SGB X - um eine überschaubare Rechtsfrage gehandelt, zu der schon eine höchstrichterliche Rechtsprechung bestanden hat. Tatsächliche Schwierigkeiten sind nicht erkennbar (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 01.07.20009, a.a.O., juris Rn. 34) und auch nicht von der Beschwerdeführerin substantiiert vorgetragen worden. Allein der pauschale Vortrag, der Kammervorsitzende habe, den Sachverhalt als kompliziert angesehen, genügt hierfür nicht.
28Die Bedeutung der Angelegenheit war für die Kläger unterdurchschnittlich. Bei der Beurteilung der Bedeutung der Angelegenheit ist auf die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit abzustellen (vgl. BSG Urteil vom 01.07.2009, a.a.O., juris Rn. 37). Gegenstand des Widerspruchsverfahrens war keine Leistung, die das soziokulturelle Existenzminimum der Kläger sichert, sondern die Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zum Widerspruchsverfahren nach § 63 Abs. 2 SGB X als Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit von anwaltlichen Gebühren nach § 63 Abs. 3 SGB X ist. Bei Kosten der Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts handelt es sich nicht um einen Bedarf, der von den Regelungen des SGB II gedeckt ist (vgl. hierzu BSG; Beschluss vom 27.09.2010 - B 4 AS 98/10 B). Im Hinblick auf die Höhe des in Rede stehenden Gebührenanspruchs ist die Bedeutung im Vergleich mit den sonstigen bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen Streitsachen sogar als weit unterdurchschnittlich zu bewerten (vgl. Beschluss des Senats vom 15.05.2014 - L 19 AS 1994/13).
29Hinzu treten die erheblich unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse der Kläger, die während des Widerspruchsverfahrens und noch gegenwärtig auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II angewiesen sind.
30Ein besonderes Haftungsrisiko der Beschwerdeführerin ist nicht erkennbar.
31Bei Abwägung aller Kriterien des § 14 RVG, insbesondere auch der Tatsache, dass allein unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse die Herabbemessung der Mittelgebühr rechtfertigen können (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2009, a.a.O., juris Rn. 38), kommt dem konkreten Verfahren eine unterdurchschnittliche Bedeutung zu, so dass nur der Ansatz einer Gebühr von 280,00 EUR, die Hälfte der Differenz zwischen Mindest- und Mittelgebühr gerechtfertigt ist. Damit hat die Beschwerdeführerin die Toleranzgrenze von bis zu 20% (BSG Urteil vom 01.07.2009, a.a.O.) beim Ansatz einer Gebühr von 480,00 EUR überschritten, so dass der Ansatz ihrer Gebühr unbillig ist.
32Auf die Verfahrensgebühr von 280,00 EUR ist die Hälfte der vom Beklagten gezahlten Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren, d. h. 175,00 EUR, entsprechend der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, so dass sich die Verfahrensgebühr auf 105,00 EUR beläuft.
332. Die von der Beschwerdeführerin angesetzte Gebühr von 280,00 EUR für die Teilnahme an dem Termin nach Nr. 3106 VV RVG ist auch unter Beachtung des Toleranzrahmens von 20% unbillig. Grundsätzlich sind bei jeder Betragsrahmengebühr die Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG gesondert zu prüfen, sofern die VV RVG keine Sonderregelung enthält.
34Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist als unterdurchschnittlich zu bewerten. Bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist auf den tatsächlichen Arbeits- und Zeitaufwand für die Terminsteilnahme, der wesentlich durch die Anzahl und die Dauer der anberaumten Termine bestimmt wird, abzustellen. Der Arbeits- und Zeitaufwand für die Vorbereitung eines anberaumten gerichtlichen Termins ist nicht zu berücksichtigen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 25.05.2012 - L 19 AS 385/12 B - und vom 25.10.2010 - L 19 AS 1513/10 B - m.w.N.; LSG Thüringen, Beschluss vom 26.11.2014 - L 6 SF 1079/14 B m.w.N.), da mit der Terminsgebühr nur die Tätigkeit des Rechtsanwalts während eines gerichtlichen Termins - Vertretung des Mandanten im Termin - abgegolten wird. Die übrigen prozessualen Tätigkeiten werden, abgesehen von dem besonderen Mitwirken i.S.v. Nr. 1006 VV RVG, durch die Verfahrensgebühr abgegolten. Im Vergleich zu einer durchschnittlichen Terminsdauer von 30 bis 50 Minuten im sozialgerichtlichen Verfahren (vgl. LSG Sachsen, Beschluss vom 19.06.2013 - L 8 AS 45/12 B KO - m.w.N.; LSG Thüringen, Beschluss vom 10.04.2014 - L 6 SF 193/14 B - m.w.N.; Beschluss des Senats vom 15.01.2007 - L 19 B 13/06 AL) ist die Terminsdauer von 17 Minuten weit unterdurchschnittlich.
35Bezüglich der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger und deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse wird auf die Ausführungen zu der im Verfahren angefallenen Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG Bezug genommen. Es sind nach Aktenlage keine Unterschiede erkennbar und auch nicht vorgetragen worden, die insofern eine unterschiedliche Bewertung rechtfertigten. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass bei der Durchführung des gerichtlichen Termins tatsächliche Schwierigkeiten für die anwaltliche Tätigkeit, wie z.B. die Teilnahme an einer Beweisaufnahme mit Befragung von Zeugen und Sachverständigen, nicht entstanden sind (vgl. hierzu LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29.09.2011 - L 2 SF 73/11 E).
36Bei Abwägung aller Kriterien des § 14 RVG, insbesondere auch der Tatsache, dass allein unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse die Herabbemessung der Mittelgebühr rechtfertigen können (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2009, a.a.O., juris Rn. 38), ist der Ansatz einer Terminsgebühr von 165,00 EUR, die Hälfte der Differenz zwischen Mindest- und Mittelgebühr ([280,00 EUR + 50,00 EUR = 330,00 EUR: 2 = 115,00 EUR + 50,00 EUR) gerechtfertigt ist.
373. Ebenfalls ist eine Einigungsgebühr nach Nrn. 1000 Abs. 1 und Abs. 4, 1006 VV RVG entstanden, die der Beschwerdeführerin nach § 48 Abs. 1 S. 1 RVG zu vergüten ist.
38Nach Nrn. 1000 Abs. 1 S. 1 , 1006 VV RVG entsteht eine Einigungsgebühr in gerichtskostenfreien Verfahren für die Mitwirkung des Rechtsanwaltes bei dem Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit über die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 S. 2 VV RVG). Durch die zusätzliche Gebühr soll die mit der Einigung verbundene Mehrbelastung und erhöhte Verantwortung des beteiligten Rechtsanwalts vergütet werden; zudem soll die Belastung der Gerichte gemindert werden (BGH, Urteil vom. 20.11.2008 - IX ZR 186/07, FamRZ 2009, 30). Dies gilt gemäß Nr. 1000 Abs. 4 VV RVG auch bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts, soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann. Insoweit sind die Bestimmungen der §§ 53ff. SGB X über den öffentlich-rechtlichen Vertrag, insbesondere § 53 Abs. 2 SGB X, wonach ein öffentlich-rechtlicher Vertrag über Sozialleistungen (vgl. § 11 SGB I) nur geschlossen werden kann, soweit die Erbringung der Leistungen im Ermessen des Leistungsträgers steht, § 54 SGB X über die Voraussetzungen eines Vergleichsvertrages und die Formvorschrift des § 56 SGB X zu beachten. Bei einem Vergleichsvertrag i.S.v. § 54 SGB X handelt es sich entsprechend § 779 BGB um einen Vertrag, durch den eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts der der Rechtslage bestehenden Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird.
39Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist das Verfahren nicht durch ein angenommenes Anerkenntnis i.S.v. § 101 Abs. 2 SGG beendet worden, vielmehr durch einen Prozessvergleich. Ein Anerkenntnis und kein Vergleichsangebot liegt vor, wenn ein Beklagter einseitig und ohne Einschränkung erklärt, die von einem Kläger begehrte Rechtsfolge werde "ohne Drehen und Wenden" zugegeben (BSS, Urteil vom 06.05.2010 - B 13 R 16/09 R, SozR 4-1300 § 48 Nr. 19 m.w.N.), also die Erklärung das Zugeständnis enthält, dass der Klageanspruch - ganz oder teilweise - bestehe (BSG, Urteil vom 08.09.2015 - B 1 KR 1/15 R, SozR 4-1500 § 101 Nr. 2). Vorliegend sind die Erklärungen der Beteiligten im Erörterungstermin zwar darauf gerichtet gewesen, den konkreten Streit über den von den Kläger im Verfahren S 33 AS 1034/15 geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung der Beschwerdeführerin im Widerspruchsverfahren XXX nach § 63 Abs. 2 SGB X beizulegen und das anhängige Gerichtsverfahren zu beenden. Jedoch hat der Beklagte nicht den prozessualen Anspruch der Kläger anerkannt, sondern die Beteiligten haben sich dahingehend geeinigt, dass die Kläger den Anspruch auf Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung der Beschwerdeführerin im Widerspruchsverfahren XXX im gerichtlichen Verfahren nicht weiterverfolgen, also die Klage zurücknehmen, und der Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen die ablehnende Entscheidung betreffend die Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung der Beschwerdeführerin im Widerspruchsverfahren xx nach § 63 Abs. 2 SGB X übernimmt. Dies stellt ein gegenseitiges Nachgeben i.S.v. 54 Abs. 1 SGB X dar. Denn § 54 Abs. 1 SGB X verlangt nicht, dass sich das Nachgeben ausschließlich auf materielle Rechtspositionen bezieht. Auch ein Nachgeben in verfahrensrechtlichen Positionen, wie die Rücknahme einer Klage oder eines Widerspruchs, wird von Abs. 1 jedenfalls dann erfasst, wenn dadurch eine weitergehende materielle Rechtsposition nicht mehr aufrecht erhalten wird.(vgl. Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 54 Rn. 11b m.w.N.; BSG, Urteil vom 17.05.1989 - 10 RKg 16/88, SozR 1500 § 101 Nr. 8). Dies ist vorliegend der Fall.
40Die Einigungsgebühr beträgt nach Nr. 1006 VV RVG 175,00 EUR, die Hälfte der Differenz zwischen Mindest- und Mittelgebühr der Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG ([300,00 EUR - 50,00 EUR] = 250,00 EUR: 2 = 125,00 EUR + 50,00 EUR).
41Neben der Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG ist eine Pauschale nach Nr. 7003 VV RVG von 2,34 EUR (7,8 km x 2 = 15,6 x 0,30 EUR) = 4,68 EUR: 2) und eine Pauschale nach Nr. 7055 VV RVG von 12,50 EUR (25,00 EUR: 2) zu berücksichtigen. Damit steht der Beschwerdeführerin eine Vergütung von 479,84 EUR (105,000 EUR + 165,00 EUR + 175,00 EUR + 20,00 EUR + 2,34 EUR + 12,50 EUR) zu.
42Unter Berücksichtigung einer Umsatzsteuer von 91,17 EUR (19% von 479,84 EUR) beläuft sich der Vergütungsanspruch der Beschwerdeführerin gegenüber der Staatskasse auf insgesamt 571,01 EUR. Hiervon ist der geleistete Vorschuss von 404,60 EUR abzuziehen, so dass eine Vergütung von 166,41 EUR festzusetzen ist.
43Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 S. 2 RVG).
44Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 56 Abs. 2 S. 3 RVG).
45Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
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