Beschluss vom Landessozialgericht NRW - L 7 AS 260/21 B
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 04.02.2021 wird zurückgewiesen.
1
Gründe:
2I.
3Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren, das gegen die Aufhebung eines Leistungsbescheides wegen eines Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II gerichtet ist.
4Der am 00.00.1984 geborene Kläger ist armenischer Staatsbürger mit Niederlassungserlaubnis. Er war im Sommersemester 2020 (April 2020 bis September 2020) eingeschriebener Student im Vollzeitstudium, 9. Fachsemester, mit dem Abschlussziel Master of Arts (Regelstudienzeit: 2 Semester). Seinen Lebensunterhalt finanzierte der Kläger zuletzt als freischaffender Musiker. So ging der Kläger nach eigenen Angaben in 2019 und Frühjahr 2020 einer Vollzeittätigkeit in der Philharmonie S nach.
5Am 30.03.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Frage, ob er eingeschriebener Student sei, verneinte der Kläger. Er gab an, freischaffender Künstler zu sein und seinen Lebensunterhalt pandemiebedingt nicht mehr bestreiten zu können. Er schätzte seinen voraussichtlichen Gewinn in den nächsten sechs Monaten in einer Anlage EKS mit 0 € ein.
6Mit Bescheid vom 07.04.2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen iHv monatlich 716,28 € für März 2020 bis August 2020 (432 € Regelbedarf, 9,94 € Mehrbedarf Warmwasser, 274,34 € Unterkunfts- und Heizbedarfe). Der Vorläufigkeitsvorbehalt erfolgte aufgrund der unklaren Einkommensverhältnisse.
7Im April 2020 nahm die Beklagte aufgrund des vom Kläger gezahlten Semesterbeitrags zur Kenntnis, dass der Kläger eingeschriebener Student in Vollzeit ist. Sie nahm daher mit Bescheid vom 15.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2020 den Bewilligungsbescheid vom 07.04.2020 für die Zeit ab dem 01.05.2020 gemäß §§ 40 Abs. 1 und 2 Nr. 3 SGB II, 330 Abs. 2 SGB III, 45 Abs. 2 SGB X zurück. Der Kläger sei gemäß § 7 Abs. 5 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Leistungen stünden dem Kläger auch nicht nach § 27 SGB II zu. Die fehlende Anhörung sei durch die Möglichkeit zur Stellungnahme im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden.
8Hiergegen hat der Kläger am 12.08.2020 Klage bei dem Sozialgericht Duisburg erhoben und für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe beantragt. Der Anhörungsmangel sei nicht geheilt worden. Die Beklagte habe ihr Ermessen pflichtwidrig ausgeübt. Die Leistungseinstellung zum Mai 2020 bedeute für den Kläger eine besondere Härte. Der Kläger habe zudem nicht schuldhaft gehandelt, sodass ihm Vertrauensschutz zukomme.
9Mit Beschluss vom 04.02.2021 hat das Sozialgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg. Der Beklagte habe die vorläufige Leistungsbewilligung zu Recht gemäß §§ 41a Abs. 2 Satz 4 und 5 SGB II, 45 SGB X für die Zukunft zurückgenommen. Der Anhörungsmangel sei im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden. Ermessensfehler seien angesichts des bindenden Charakters ausgeschlossen. Vertrauensgesichtspunkte seien nicht zu berücksichtigen, weil die Voraussetzungen für die vorläufige Bewilligung nicht mehr vorgelegen hätten und die Leistungsbewilligung für die Zukunft zurückgenommen worden sei. Der Kläger sei aufgrund des Leistungsausschlusses nicht leistungsberechtigt gewesen, §§ 7 Abs. 5, 27 SGB II.
10Gegen den Beschluss hat der Kläger am 10.02.2021 Beschwerde eingelegt. Der Leistungsausschluss greife nur bei einem Studium in Vollzeit. Der Kläger habe im streitgegenständlichen Zeitraum aber nur ein Teilzeitstudium ausgeübt. Er stünde kurz vor dem Abschluss seines Studiums.
11Auf Nachfrage des Senats hat der Kläger seine bisherigen Leistungsnachweise dargelegt. Danach habe der Kläger bis zum Frühjahr 2021 48 von 60 erforderlichen Creditpoints (CP) wie folgt erzielt:
12Semester | Fach | Beurteilung | CP |
16 |
Recht und Moral (200.0016) |
Gut |
4 |
16 |
Kultur, Politik, Managementent (200.0064) |
Ausreichend |
5 |
16 |
Digital Transformation Lab (200.0119) |
Sehr gut |
5 |
17 |
NRW Trilogie (200.0157) |
Gut |
6 |
17 |
Das Prinzip Fundraising (200.0019) |
Gut |
5 |
17 |
Kunst- und Kulturmanagment (200.0158) |
Befriedigend |
6 |
17 |
Startup the future (200.0129) |
Befriedigend |
4 |
18 |
Betriebsführung in Kulturorganisation (200.017) |
Gut |
5 |
18 |
Wahrheit der Musik (200.0230) |
Teilnahme |
2 |
19 |
Musik und Kommunikation |
Gut |
2 |
19 |
Geshcäfts- und Kommunikation (200.0021) |
Gut |
4 |
Mit Schriftsatz vom 01.04.2021 hat der Kläger mitgeteilt, dass er am 31.01.2021 seine Abschlussprüfung bestanden habe und die Kontoauszüge für die Monate Mai 2020 bis August 2020 vorgelegt.
14II.
15Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren, weil seine Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
16Ein Rechtsschutzbegehren hat hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen Rechtsfrage abhängt. Die Prüfung der Erfolgsaussichten für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Prozesskostenhilfe ist auch zu bewilligen, wenn in der Hauptsache eine Beweisaufnahme erforderlich ist und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (BVerfG Beschlüsse vom 04.05.2015 – 1 BvR 2096/13; vom 09.10.2014 – 1 BvR 83/12 und vom 19.02.2008 – 1 BvR 1807/07; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 22.12.2020 – L 7 AS 692/20 B, vom 16.01.2019 – L 7 AS 1085/18 B, vom 20.04.2016 – L 7 AS 1645/15 B und vom 15.02.2016 – L 7 AS 1681/15 B).
17Mit zutreffender Begründung, auf die der Senat gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug nimmt, hat das Sozialgericht eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage verneint. Die Leistungsbewilligung vom 07.04.2020 erfolgte zu Unrecht und war damit rechtswidrig, weil der Kläger als eingeschriebener Student in Vollzeit gemäß § 7 Abs. 5 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen war. Soweit der Kläger geltend macht, er würde sein Studium nur in Teilzeit betreiben und sei deswegen nicht nach § 7 Abs. 5 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 03.08.2017 – L 7 AS 1439/17 B ER), ist dem entgegenzuhalten, dass der Kläger ausweislich der Immatrikulationsbescheinigung in der Zeit vom 01.04.2020 bis 31.08.2020, also auch im streitgegenständlichen Zeitraum von Mai 2020 bis August 2020 als Student in Vollzeit eingeschrieben war. Das Studium ist dem Grunde nach auch förderfähig nach dem BAföG, was der Kläger nicht bestreitet. Ob der Kläger die subjektiven Fördervoraussetzungen erfüllt (vgl. Urteil des Senats vom 22.07.2010 – L 7 AS 123/09) oder sein Studium ernsthaft betreibt, ist für den Leistungsausschluss unerheblich (Beschluss des Senats vom 13.08.2014 – L 7 AS 1439/14 B ER).
18Auch die Voraussetzungen nach § 27 SGB II liegen bei dem Kläger nicht vor. Der Kläger hat keine Mehrbedarfe nach § 21 SGB II, mit Ausnahme des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 7 SGB II, den Personen, die nach § 7 Abs. 5 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sind, nicht beanspruchen können (§ 27 Abs. 2 SGB II). Eine besondere Härte iSv § 27 Abs. 3 SGB II ist bei dem Kläger nicht gegeben. Maßgeblich ist, ob der Ausschluss von Leistungen auch unter Berücksichtigung des § 7 Abs. 5 SGB II zugrunde liegenden Zwecks, eine verdeckte Ausbildungsförderung (über Leistungen nach dem BAföG hinaus) nach dem SGB II zu verhindern, übermäßig hart, d.h. unzumutbar und in hohem Maße unbillig erscheint (BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 28/07 R). Eine unbillige Härte liegt insbesondere vor, wenn wegen einer Ausbildungssituation Hilfebedarf entstanden ist, der nicht anderweitig gedeckt werden kann und begründeter Anlass für die Annahme besteht, die vor dem Abschluss stehende Ausbildung werde ohne die Zubilligung von Leistungen nicht beendet (Beschluss des Senats vom 05.11.2020 – L 7 AS 1395/20 B ER). Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Der Kläger hat selbst mit Widerspruchsbegründung vom 29.04.2020 geltend gemacht, er würde das Studium im „Nebenstudium“ – neben seiner freischaffenden Tätigkeit - betreiben. Gegen eine unbillige Härte spricht auch, dass der Kläger seit 10 Jahren als Student eingeschrieben ist, wovon er 9 Fachsemester in dem auf 2 Fachsemester ausgelegtem Abschlussfach Master of Arts eingeschrieben war. Erst jüngst am 31.03.2021 hat der Kläger das auf zwei Regelsemester ausgelegte Studium abgeschlossen. Für die coronabedingten Ausfälle seiner Einkünfte, hat der Kläger zudem Überbrückungshilfen erhalten. So hat der Kläger ausweislich seiner Kontoauszüge 7.000 € Corona-Soforthilfe und 200 € von der Deutschen Orchesterhilfe erhalten. Daneben finden sich bereits vor dem Zufluss dieser Corona-Hilfen laufende Einnahmen aus einem Oboenunterricht (monatlich 105 €), ein Konzerthonorar und Bareinzahlungen iHv insgesamt 1.450 €, sodass auch aus diesem Grund eine besondere Härte iSv § 27 Abs. 3 SGB II nicht angenommen werden kann.
19Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die Beklagte kein Ermessen ausüben musste, weil § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II auf § 330 Abs. 2 SGB III verweist, sodass der Bewilligungsbescheid zurückzunehmen war und dass ein anfänglicher Anhörungsmangel im Widerspruchsverfahren geheilt wurde (vgl. zu alledem: BSG Urteil vom 08.12.2020 - B 4 AS 46/20 R).
20Dass der Beklagte die vorläufige Bewilligung nach § 45 SGB X zurückgenommen hat, führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides. Zwar hält das Gesetz mit § 41a Abs. 6 SGB II ausdrücklich eine spezielle Regelung vor, um Überzahlungen aus vorläufiger Leistung abzuschöpfen, ohne auf den Grund der Überzahlung abzustellen, also unabhängig von dem Grund der anfänglichen Rechtswidrigkeit. Allerding schließt die Regelung auch eine Anpassung zu Ungunsten des Leistungsberechtigten mit Wirkung für die Vergangenheit gemäß §§ 45, 48 SGB nicht grundsätzlich aus. Für eine von Anfang an auf unzutreffende Annahmen basierende rechtswidrige vorläufige Entscheidung zugunsten des Leistungsberechtigten – hier in Verkennung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 SGB II -, ist die Anpassung für die Zukunft nach § 45 SGB X vorzunehmen, ohne dass eine Vertrauensschutzprüfung nach § 45 Abs. 2 SGB X erfolgt (vgl. zu alledem: Grote-Seifert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 41a Rn. 43 – 46). Da die Beklagte den Bescheid nur für die Zukunft zurückgenommen hat, waren Vertrauensgesichtspunkte folglich nicht zu beachten, § 41a Abs. 2 Satz 5 SGB II. Ohnehin hat der Kläger die Antragsfragen mindestens grob-fahrlässig falsch beantwortet, sodass er sich auf Vertrauensschutz nicht berufen kann (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).
21Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).
22Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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