Beschluss vom Landessozialgericht NRW - L 7 AS 170/21 B
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 04.01.2021 geändert. Dem Kläger wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt D K, Köln, beigeordnet.
1
Gründe:
2I.
3Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Köln, das die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine auf Aufhebung einer endgültigen Leistungsfestsetzung und Erstattung gerichtete Klage abgelehnt hat.
4Der 1974 geborene Kläger lebte bis 2014 mit seiner Partnerin und drei gemeinsamen Kindern in einer Eigentumswohnung in der X-Straße 6, Köln, die jeweils zur Hälfte ihm und seiner früheren Partnerin gehörte. Nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin beantragte der Kläger im August 2014 erstmalig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Das hälftige Eigentum an der Wohnung gab der Kläger an. Der Beklagte bewilligte dem Kläger zunächst darlehens- und später zuschussweise Leistungen, weil er davon ausging, dass das Vermögen des Klägers angesichts einer Gesamtgrundschuld von 193.500 € nicht die Freibetragsgrenzen überstieg.
5Am 19.07.2018 beantragte der Kläger Leistungen ab September 2018. Er gab erneut das Teileigentum an seiner Eigentumswohnung an. Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 27.08.2018 Leistungen für September 2018 bis August 2019 iHv monatlich 1.174,27 €.
6Im Oktober 2018 nahm der Kläger eine geringfügige Beschäftigung im Sicherheitsgewerbe auf. Aufgrund des voraussichtlich schwankenden Einkommens hob der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 12.11.2018 den Leistungsbescheid vom 27.08.2018 ab Dezember 2018 auf und bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 12.11.2018 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 24.11.2018 und 06.06.2019 auf vorläufiger Basis Leistungen für Dezember 2018 iHv 1.054,27 €, für Januar bis April 2019 iHv monatlich 1.062,45 € (Regel- und Mehrbedarfsanpassung zum 01.01.2019) und für Mai 2019 iHv 1.429,27 € (inklusive Heizkostennachzahlung iHv 366,82 €).
7Mit notariellem Vertrag vom 19.12.2018 übereignete der Kläger seinen Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung an seine frühere Partnerin für 100.000 €, „jederzeit zahlbar, jedoch fällig am 31.03.2019“. Die frühere Partnerin übernahm im Innenverhältnis die Grundschulden und alle auf diesen Grundschulden valutierenden Verbindlichkeiten und überwies das Auseinandersetzungsguthaben von 100.000 € am 14.03.2019 auf ein vom Antragsteller am 17.12.2018 eröffnetes Konto bei der Fidor-Bank. Von dem Fidor-Bankkonto sowie dem Zufluss der 100.000 € unterrichtete der Kläger den Beklagten nicht. Das Konto wurde nach sukzessiver Abbuchung auch größerer Summen ohne Restguthaben am 02.03.2020 geschlossen.
8Mit Schreiben vom 13.06.2019 wurde das geringfügige Beschäftigungsverhältnis des Klägers zum 30.06.2019 gekündigt. Zum Zwecke der abschließenden Leistungsfestsetzung forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 28.08.2019 auf, u.a. seine Lohnabrechnungen vorzulegen. Er belehrte den Kläger darüber, dass bei mangelnder Mitwirkung eine Nullfestsetzung und vollständige Erstattungspflicht in Betracht komme. Mit Schreiben vom 27.11.2019 erinnerte der Beklagte an sein Mitwirkungsschreiben vom 28.08.2019. Der Kläger legte seine Lohnabrechnungen nicht vor.
9Mit Bescheid vom 30.12.2019 setzte der Beklagte die Leistungen des Klägers für Dezember 2018 bis Mai 2019 mit monatlich 0 € endgültig fest. Mit gesondertem Erstattungsbescheid vom 30.12.2019 forderte der Beklagte vom Kläger die in Dezember 2018 bis Mai 2019 erbrachten Leistungen iHv (1.054,27 € + (4 x 1062,45 €) +1.429,27 € =) 6.733,34 € zurück.
10Der Kläger überreichte dem Beklagten am 23.01.2020 eine Lohnabrechnung für September 2018, eine Einkommensbescheinigung vom 16.11.2018, die Einkünfte von jeweils 153,90 € im September und Oktober 2018 auswies sowie das Kündigungsschreibens des Arbeitgebers vom 13.06.2019. Der Kläger legte am 03.02.2020 gegen „die Rückforderung“ Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2020 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung verwies der Beklagte auf die Tatbestandswirkung der endgültigen Leistungsfestsetzung.
11Hiergegen hat der Kläger am 23.07.2020 Klage bei dem Sozialgericht Köln erhoben und Prozesskostenhilfe beantragt. Er habe alle angeforderten Unterlagen eingereicht. Die Rechtsfolgenbelehrung in dem Aufforderungsschreiben vom 28.08.2019 sei fehlerhaft, denn § 41a Abs. 3 SGB II sei keine Präklusionsvorschrift. Nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz sei zudem davon auszugehen, dass sich der Kläger gegen beide Bescheide vom 30.12.2019 zur Wehr setzen wollte. Über den Widerspruch gegen den die Leistungen endgültig festsetzenden Bescheid habe der Beklagte noch nicht entschieden.
12Mit Beschluss vom 04.01.2021 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Bei sachgerechter Auslegung sei nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz davon auszugehen, dass sich der Kläger mit seinem Widerspruch und der Klage gegen beide Bescheide vom 30.12.2019 wenden wollte. Es sei unschädlich, dass der Widerspruchsbescheid nur einen Teil des Streitgegenstandes behandle. Die so verstandene Klage habe aber keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Nullfestsetzung und volle Erstattung für Dezember 2018 bis Mai 2019 sei nicht zu beanstanden, da der Kläger in diesem Zeitraum über verwertbares Vermögen oberhalb der Schonvermögensgrenze verfügt und damit mangels Hilfebedürftigkeit zu Unrecht Leistungen bezogen habe.
13Am 21.01.2021 hat der Kläger Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Das Sozialgericht habe die Hauptsache in das PKH-Antragsverfahren vorverlagert, was unzulässig sei. Ferner sei dem Beklagten das Vermögen vom Zeitpunkt des ersten Leistungsantrags im August 2014 bekannt gewesen. Der Beklagte habe dieses Vermögen selbst als unterhalb der Schonvermögensgrenzen bewertet. Bei seinem Fortzahlungsantrag im Juli 2018 habe der Kläger die Auseinandersetzungssumme von 100.000 € von seiner früheren Lebensgefährtin, die erst kurz vor Abschluss des notariellen Vertrages das Angebot unterbreitet habe, ihm seinen Miteigentumsanteil abzukaufen, noch nicht erhalten. Die Auseinandersetzungssumme sei ihm erst im März 2019 zugeflossen und könne daher allenfalls als Einkommen berücksichtigt werden.
14II.
15Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
16Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
17Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann der am 23.07.2021 vom Kläger erhobenen Klage hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden. Bei verständiger Würdigung des klägerseitigen Begehrens hat dieser – entsprechend dem mit Schriftsatz vom 11.09.2020 angekündigten Klageantrag – lediglich Anfechtungsklage gegen den Erstattungsbescheid vom 30.12.2019, aber keine (kombinierte Anfechtungs- und Leistungs-) Klage gegen den die Leistungen für den Zeitraum 01.12.2018 bis 31.05.2019 endgültig festsetzenden (gesonderten) Bescheid vom 30.12.2019 erhoben.
18Eine andere Auslegung des Klagebegehrens widerspricht den schriftsätzlich formulierten Anträgen des rechtsanwaltlich vertretenen Klägers einerseits und der von diesem geäußerten Rechtsauffassung, dass über den Widerspruch gegen letzteren Bescheid durch den Beklagten noch nicht entschieden worden sei. Der formulierte Hilfsantrag betreffend den die endgültige Festsetzung der Leistungen regelnden Bescheid vom 30.12.2019 ist lediglich aus Gründen anwaltlicher Vorsorge angekündigt worden für den Fall einer abweichenden rechtlichen Würdigung durch das Sozialgericht.
19Zu Recht ist das Sozialgericht mit zutreffender Begründung hingegen unter Verweis auf den Meistbegünstigungsgrundsatz davon ausgegangen, dass der Kläger (natürlich) gegen beide Bescheide des Beklagten vom 30.12.2019 Widerspruch einlegen wollte. Hinsichtlich des Widerspruchs gegen die endgültige bescheidmäßige Festsetzung der Leistungen fehlt es jedoch entgegen der Auffassung des Sozialgerichts an der Durchführung des nach § 78 Abs. 1 SGG obligatorischen Vorverfahrens. Zutreffend hat das Sozialgericht insoweit erkannt, dass der Widerspruchsbescheid sich zu diesem gesonderten Bescheid nicht verhält, sondern lediglich auf dessen Tatbestandswirkung für den Erstattungsbescheid vom 30.12.2019 verweist. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegt auch nicht der Fall einer (im Einzelfall ggf. genügenden) Entscheidung nur über „einen Teil der belastenden Regelungen des angefochtenen Verwaltungsaktes“ vor. Vielmehr behandelt der Widerspruchsbescheid vom 17.07.2020 „sämtliche“ Regelungen des Erstattungsbescheides, nicht jedoch den (weiteren) Bescheid vom 30.12.2019 über die endgültige Leistungsfestsetzung.
20Eine (inzidenter) Prüfung der endgültigen Leistungsfestsetzung erfolgt im Verfahren gegen den Erstattungsbescheid nicht (vgl. schon Beschluss des Senats vom 13.06.2016 – L 7 AS 707/16 B; LSG NRW Beschluss vom 11.03.2021 – L 6 AS 2081/19 B, jeweils m.w.N.). Der Betroffene muss vielmehr, wenn er Einwände gegen die Höhe der Erstattungsforderung aufgrund der endgültigen Leistungsfestsetzung hat, auch gegen diese Entscheidung vorgehen. Dementsprechend wird der Beklagte über den unbeschieden gebliebenen Widerspruch gegen den endgültigen Festsetzungsbescheid vom 30.12.2019 zu entscheiden haben. Voraussetzung für eine rechtmäßige Erstattungsforderung ist nämlich, dass die endgültig zustehende Leistungshöhe feststeht (LSG NRW Beschluss vom 11.03.2021 a.a.O.).
21Ist der endgültige Leistungsbescheid mit Aussicht auf Erfolg angefochten (vgl. BSG Urteil vom 28.11.2018 – B 14 AS 34/17 R für den hier nicht gegebenen Fall der Bestandskraft dieses Bescheids), ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass sich dies auch auf die Erfolgsaussichten eines Rechtsstreites gegen den Erstattungsbescheid auswirkt, der korrigiert werden muss, wenn der endgültige Leistungsbescheid geändert wird (zu dieser Konstellation etwa LSG NRW Beschluss vom 11.03.2021 – L 6 AS 2081/19 B a.a.O., Rn. 19, juris). Zur Überzeugung des Senats gilt dies auch, wenn nicht einmal eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde als „Herrin des Vorverfahrens“ über den Widerspruch gegen den endgültigen Leistungsbescheid vorliegt.
22Der Senat lässt dahinstehen, wie die Erfolgsaussichten der Klage gegen den Erstattungsbescheid in der hier gegebenen Konstellation zu beurteilen sind, wenn ein Erfolg des Widerspruchs gegen den endgültigen Leistungsbescheid ausgeschlossen erscheint. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben, weil sich etwa im Zusammenhang mit der Verwertung des Miteigentumsanteils ersichtlich komplexe tatsächliche und rechtliche Fragen stellen, etwa hinsichtlich der Frage der zeitnahen Verwertbarkeit durch Veräußerung an die ehemalige Lebensgefährtin sowie des Vorhandenseines bereiter Mittel und ggf. anderweitiger Verwertungsmöglichkeiten z.B. durch Beleihung).
23Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen ausweislich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vom 30.07.2020 vor. Nach den vorliegenden Fidor-Kontoauszügen ist die Abstandszahlung von 100.000 € vollständig verbraucht. Ggf. daran bestehenden (berechtigten) Zweifeln, wird in den Hauptsacheverfahren nachzugehen sein und kann nicht vorgreiflich im auf summarische Prüfung angelegten PKH-Verfahren geklärt werden.
24Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO).
25Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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Referenzen
- 14 AS 34/17 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 127 Entscheidungen 1x
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- SGG § 177 1x
- 6 AS 2081/19 2x (nicht zugeordnet)
- 7 AS 707/16 1x (nicht zugeordnet)
- § 41a Abs. 3 SGB II 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 73a 2x