Beschluss vom Landessozialgericht NRW - L 7 AS 667/21 B ER
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 23.04.2021 geändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
1
Gründe:
2I.
3Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Dortmund, das den Antragstellern mit Beschluss vom 23.04.2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Wege der einstweiligen Anordnung für die Zeit vom 13.01.2021 bis 30.06.2021 zugesprochen hat.
4Der Antragsteller zu 1), geboren am 00.00.1968, ist mit der am 00.00.1974 geborenen Antragstellerin zu 2) verheiratet. Aus der Ehe sind fünf Kinder hervorgegangen, die Antragsteller zu 3) bis 7), die am 00.00.2002 (zu 3), 00.00.2005 (zu 4 und 5), 00.00.2011 (zu 6) und 00.00.2014 (zu 7) geboren sind. Die Antragstellerin zu 2) ist pakistanische Staatsbürgerin mit unbefristeter Niederlassungserlaubnis. Die übrigen Antragsteller sind deutsche Staatsbürger.
5Der Antragsteller zu 1) hat mit notariellem Vertrag vom 12.03.2008 ein Grundstück auf dem P-Straße 1 in Soest für rund 65.000 € erworben. Auf diesem Grundstück ließ er im Jahr 2008 ein zweigeschossiges Einfamilienhaus (125 m²) mit Carport errichten, in dem die Antragsteller bis heute leben. Die Baukosten betrugen rund 185.000 €. Die Antragsteller zu 1) und 2) nahmen zur Finanzierung der Immobilie zwei Darlehen bei der Commerzbank (IBAN DE000 … 23 und DE000…01) über insgesamt 130.000 € und ein Darlehen bei der NRW-Bank über 50.000 € (DE000…22) auf. Die Restschuld beträgt derzeit rund 143.000 €. Für Zins und Tilgung haben die Antragsteller hierfür zuletzt monatsdurchschnittlich rund 1.240 € (monatlich 855,13 € und 240 € an Commerzbank/ halbjährlich 875 € an die NRW Bank) aufgebracht. Daneben hat der Antragsteller zu 1) im April 2020 ein Darlehen über 20.000 € bei der Commerzbank wegen der Umschuldung eines früheren Kontos aufgenommen (IBAN DE000…01). Hierauf zahlt der Antragsteller zu 1) monatlich 400 € (rund 300 € Tilgung / rund 100 € Zinsen) an die Commerzbank. Zur Tilgung eines Verbraucherdarlehens bei der AXA aus dem Jahr 2018 (Nr. 000…15) hat der Antragsteller zu 1) monatlich rund 130 € in eine Lebensversicherung einzuzahlen.
6Der Antragsteller zu 1) war von 2006 bis zum 31.01.2020 Inhaber eines Bekleidungsgeschäfts („T“) in Soest. Zuletzt hatte er Ende Oktober 2019 für dieses Gewerbe ein Leasingfahrzeug angeschafft (Fabrikat Lexus, Listenpreis nebst Zubehör: 67.550 €, monatliche Leasingrate: 529,88 €). Er veräußerte das Geschäft nebst Inventar und Lager mit Vertrag vom 31.01.2020 für 9.982,91 € an einen Erwerber. Es wurde vereinbart, dass die Kaufsumme in Raten von dem Erwerber an den Antragsteller zu 1) gezahlt wird. Die Einzelheiten sind zwischen den Beteiligten umstritten. Der Antragsteller zu 1) gibt an, dass er aus seinem Gewerbe Schulden iHv 150.000 € habe. Mit den Ratenzahlungen des Erwerbers bediene er Schulden, die er bei früheren Lieferanten habe.
7Im Januar 2020 beantragten die Antragsteller erstmalig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bis auf das Kindergeld sei kein Einkommen vorhanden. Als Vermögen bestehe lediglich die selbst bewohnte Immobilie. Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellern in der Folgezeit für Januar 2020 bis Dezember 2020 vorläufig Leistungen iHv monatlich zuletzt 1.752,31 € (Bescheide vom 13.03.2020, 25.03.2020, 02.04.2020 und 17.05.2020).
8Auf den Fortzahlungsantrag der Antragsteller, die keine wesentlichen Änderungen in ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen angaben, teilte der Antragsgegner mit Schreiben vom 13.01.2021 mit, es sei eine Leistungsablehnung ab Januar 2021 beabsichtigt, weil den Kontoauszügen der Antragsteller regelbedarfsfremde Ausgaben in einem Umfang entnommen werden könnten, die Zweifel an der geltend gemachten Bedürftigkeit aufkommen ließen. Es sei von wesentlich höherem Einkommen oder Vermögen auszugehen.
9Am 13.01.2021 haben die Antragsteller bei dem Sozialgericht Dortmund einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie hätten bis auf das Kindergeld kein Einkommen. Mit Ausnahme der Liegenschaft P-Straße 1, die grundsicherungsrechtlich beliehen und sanierungsbedürftig sei, sei kein Vermögen vorhanden. Die Finanzierung des Hauses sei durch das Verhalten des Antragsgegners gefährdet. Das vorhandene Vermögen sei geschont. Erhebliches Vermögen iSv § 67 SGB II sei nicht vorhanden. Die laufenden Belastungen würden über hoch verzinste Kredite über die Kreditkarten der Antragsteller bedient. Bis auf ein Darlehen iHv von 1.500 € für die Finanzierung eines Pkws, den der Antragsteller zu 3) berufsbedingt benötige, habe man keine Zuwendungen von Dritten erhalten.
10Der Antragsteller zu 3) hat zum 16.02.2021 eine Vollzeitanstellung (40 Stunden/Woche) als Versandmitarbeiter gefunden. Der Antragsteller zu 1) hat zum 15.04.2021 einen Beschäftigungsvertrag (monatlich brutto 700 €) mit dem Erwerber seines ehemaligen Gewerbes abgeschlossen.
11Mit Bescheid vom 08.04.2021 hat der Antragsgegner den Leistungsantrag der Antragsteller ab dem 01.01.2021 mit der Begründung abgelehnt, die Antragsteller hätten ihre Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen. Die Einlassung der Antragsteller, sie finanzierten ihren Lebensunterhalt und die laufenden Verbindlichkeiten für das Haus und das Leasingfahrzeug über ihre Kreditkarten, sei nachweisbar falsch, da die Kreditkarten seit Januar 2021 kaum in Anspruch genommen worden seien. Dennoch würden Zinsen, Tilgung, Leasingraten und die sonstigen laufenden Kosten (Lebensversicherungsbeiträge etc.) von den Antragstellern bedient. Hiergegen haben die Antragsteller mit Schreiben vom 16.04.2021 Widerspruch eingelegt, den sie nicht begründet haben.
12Mit Beschluss vom 23.04.2021 hat das Sozialgericht dem Antrag stattgegeben und den Antragsgegner im Wege der Folgeabwägung verpflichtet, den Antragstellern in der Zeit vom 13.01.2021 bis zum 30.06.2021 Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
13Hiergegen hat der Antragsgegner am 26.04.2021 Beschwerde eingelegt und beantragt, die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts gemäß § 199 SGG bis zu einer Entscheidung über die Beschwerde auszusetzen. Die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Angaben der Antragsteller seien teilweise nachweisbar falsch und auch im Übrigen nicht plausibel.
14Der Senat hat unter dem 17.05.2021 folgende Verfügung erlassen:
15„Zur Vorbereitung einer zeitnahen Entscheidung werden die Antragsteller aufgefordert, folgende Unterlagen vorzulegen:
16- Alle Kontoauszüge aller Antragsteller für Januar 2021 bis laufend (auch ggf. Kreditkarten, Paypal, Auslandskonten). Insbesondere sind folgende Kontoauszüge des Antragstellers zu 1) vorzulegen:
171. Spardabank, IBAN DE000…58
182. Advanzia Bank, IBAN LU000…73
193. Santander ComfortCard
204. American Express
215. Barkley Card
226. Raiffeisen Westfalen eG
237. Santander, IBAN DE 000…81
24- Alle Lohnabrechnungen des Antragstellers zu 3) seit Februar 2021
25- Ggf. alle Lohnabrechnungen des Antragstellers seit April 2021
26Daneben werden Sie gebeten, folgende Fragen zu beantworten:
271) Wurden seit Januar 2021 die Verbindlichkeiten für den Pkw-Leasingvertrag (monatlich 529,88 €), die Zins- und Tilgungslasten für das Haus bei der Commerzbank, NRW-Bank (monatlich rund 1.240,96 €) sowie die Beiträge in die AXA-Lebensversicherung (monatlich 128,13 €) bedient? Wenn ja, wie konnte das allein mit Kindergeld sichergestellt werden?
282) Seit dem 16.02.2021 bzw. 15.04.2021 gehen die Antragsteller zu 1) und 3) sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen nach. Zusammen mit Wohngeld, Kindergeld und Kinderzuschlag dürfte damit Hilfebedürftigkeit wegfallen (§ 12a SGB II). Zuletzt haben die Antragsteller ein Wohngeld von 737 € bezogen (Bescheid der Gemeinde Soest vom 17.02.2020 - Blatt 108 VA). Bei 5 Kindern ist zudem ein Kinderzuschlag (neben dem Kindergeld) von bis zu 1.025 € möglich. Haben die Antragsteller bereits einen Wohngeld- und Kinderzuschlagsantrag gestellt? Wenn nein, ist dies unverzüglich nachzuholen oder es sind Hinderungsgründe zu benennen. Kann ggf. der Leistungsantrag angepasst werden?
293) Warum wurde bei dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe beantragt? Ausweislich der Kontoauszüge sind die Antragsteller rechtsschutzversichert.
304) Woher stammte das Geld für die Kontoeinzahlung iHv 1.170 € am 04.01.2021 und iHv 450 € am 05.01.2021?
315) Was hat es mit dem Guthaben auf dem IBAN-Konto DE000…58 auf sich, für das der Antragsteller zu 1) regelmäßig Dividende erhält?
326) Aus den Kontoauszügen ist ersichtlich, dass Führerscheinkosten (vermutlich für den Antragsteller zu 3) erbracht wurden. Wann hat der Antragsteller zu 3) seinen Führerschein erhalten? Wie wurden die Kosten hierfür erbracht?
337) In welcher Höhe hat Herr B K den Kaufpreis für Inventar und Lager iHv 9.982,91 € (Kaufvertrag vom 31.01.2020) erbracht?
348) Welche Antragsteller haben neben dem Antragsteller zu 1) ein eigenes Konto? Ggf. welche?
359) Ist im Hinblick auf die geltend gemachten Schulden von 150.000 € ein Insolvenzverfahren eingeleitet worden? Wenn ja, wird um Benennung des gerichtlichen Aktenzeichens gebeten.“
36Unter dem 27.05.2021 haben die anwaltlich vertretenen Antragsteller mitgeteilt, dass sie die Verfügung des Senats vom 17.05.2021 am 25.05.2021 erhalten hätten und unverzüglich bearbeiten würden. Die Rechtsschutzversicherung habe den Deckungsschutz für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt. Mit Schriftsatz vom 03.06.2021 haben die Antragsteller Fristverlängerung um eine Woche beantragt.
37Mit Beschluss vom 14.06.2021 hat der Senat die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 23.04.2021 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Beschwerdeverfahrens L 7 AS 667/21 B ER ausgesetzt, nachdem die Antragsteller auf die Verfügung vom 17.05.2021 nicht weiter reagiert hatten.
38Am 24.06.2021 hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller fernmündlich für die Erledigung der Verfügung vom 17.05.2021 um Fristverlängerung um eine Woche gebeten, die der Senat mit Fristende zum 01.02.2021 gewährt hat. Am 02.07.2021 haben die Antragsteller u.a. Lohnabrechnungen für den Antragsteller zu 1) für April 2021 und für den Antragsteller zu 3) für März bis April 2021 sowie die Kontoauszüge des Antragstellers zu 1) vom 29.12.2020 bis zum 24.06.2021 vorgelegt. Sie haben geltend gemacht, durch weiteres Überziehen des Kreditlimits der Kreditkarten die fälligen Raten für das Immobiliendarlehen, für das Fahrzeug sowie die AXA-Versicherung beglichen zu haben. Hierzu werde Geld von den Kreditkarten abgebucht und bar auf die Girokonten eingezahlt. Der Antragsteller zu 3) habe im September 2020 seinen Führerschein erhalten. Hierzu habe sein Onkel ihm ein Darlehen iHv 1.500 € zur Verfügung gestellt. Ein Insolvenzverfahren sei bisher nicht eröffnet worden.
39II.
40Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antragstellern Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung zugesprochen.
41Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 05.09.2017 - L 7 AS 1419/17 B ER und vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER).
42Gemessen hieran war der Antrag abzulehnen, denn die Antragsteller haben weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
43Für den volljährigen Antragsteller zu 3) folgt dies bereits daraus, dass er seit Februar 2021 einer bedarfsdeckenden Vollzeit-Erwerbstätigkeit als Zusteller bei H mit einem Nettodurchschnittsgehalt von monatlich rund 1.450 € erzielt und damit auch nicht mehr Mitglied der antragstellenden Bedarfsgemeinschaft ist.
44Aber auch für die übrigen Antragsteller, die keine eidesstattlichen Versicherungen vorgelegt haben, ist Hilfebedürftigkeit iSv §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 SGB II nicht glaubhaft gemacht. Die Antragsteller erhalten seit Januar 2021 kein Alg II und geben an, im Wesentlichen vom Kindergeld iHv monatlich 1.163 € zu leben. Dies deckt sich nicht mit dem Ausgabeverhalten der Antragsteller. Allein für die Ausgabepositionen Telekommunikation (monatlich rund 120 €), Lotteriespiele (monatlich rund 50 €), Zins und Tilgung für Kredite (monatlich rund 1.020 €), Fahrzeugleasing (monatlich 529,88 €), Private Krankenversicherung (monatlich 180 €), Gewerbesteuertilgungsrate (monatlich 150 €), Lebensversicherung (monatlich rund 130 €) haben die Antragsteller ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge in der ersten Jahreshälfte 2021 monatlich rund 2.200 € ausgegeben, was mit dem Kindergeld nicht möglich ist. Hinzu kommen weitere Ausgabepositionen für die kalten Betriebskosten, Grundbesitzabgaben, Energiekosten, die die Antragsteller im Wesentlichen ohne größere Rückbelastungen aus ihrem Girokonto bestreiten können. Ausgaben für Lebensmittel und Bekleidung wurden dabei nicht über das Girokonto bestritten, ohne dass – bis auf einige sporadische Kreditkartenbelastungen – erkennbar wäre, wie diese laufenden Kosten für einen siebenköpfigen Haushalt bestritten werden.
45Auch im Übrigen ist eine Hilfebedürftigkeit nicht zu erkennen. Besonders bemerkenswert ist etwa, dass die Antragsteller Anfang 2021 sogar eine Gewerbesteuerabbuchung iHv rund 9.000 € aus ihren laufenden Einnahmen bestreiten konnten. Die Einlassung der Antragsteller, sie hätten diese laufenden Einnahmen aus ihren Kreditkarten, mithin auf Darlehensbasis bestritten, ist nicht glaubhaft, denn den Kontoauszügen ist zu entnehmen, dass die Salden auf den Kreditkarten ebenfalls laufend aus dem Girokonto bestritten wurden. Hinsichtlich des American Express Kontos wurden etwa drei Abrechnungen für Januar 2021 (988,43 €), März 2021 (566,24 €) und Mai 2021 (121,99 €) vorgelegt, deren Salden ausweislich der Kontoauszüge im jeweils selben Monat aus dem Girokonto ausgeglichen wurden. Auch im Übrigen kann den Kontoauszügen nicht entnommen werden, dass die Antragsteller ihren Lebensunterhalt auf Kreditbasis bestritten hätten. Im Gegenteil: Wies das Barclays-Konto am 08.03.2021 noch ein Saldo von 9.019 € auf, reduzierte sich die Verbindlichkeit sogar bis zum 07.05.2021 auf 8.802 €. Ähnlich verhält es sich mit der Kreditkarte von „Gebührenfrei.de“ (Saldo im Dezember 2020: 4.954 €/ Saldo im Mai 2021: 4.534 €). Das Kreditkartenkonto bei der Raiffeisenbank, das ausweislich der Abrechnung für April 2021 iHv rund 150 € ausschließlich für das Betanken des Leasingfahrzeugs bzw. für „Komplett-Wäsche“/ „Premium-Wäsche“ des Pkws genutzt wurde, wurde ebenfalls aus dem Girokonto laufend ausgeglichen. Weitere Kreditkartenabrechnungen haben die Antragsteller trotz großzügiger Fristverlängerung des Senats über knapp 2 Monate nicht vorgelegt. Auch die weiteren Kontoauszüge, die der Senat – auch für den Antragsteller zu 3), der ein eigenes Konto hat – angefordert hat, sind nicht vorgelegt worden.
46Für den Senat spricht zudem gegen die geltend gemachte Hilfebedürftigkeit, dass der Antragsteller zu 3) trotz der prekären Lebensverhältnisse, die die Antragsteller behaupten, seinen Führerschein und den Erwerb eines eigenen Pkws finanzieren konnte. Hierauf angesprochen hat der Antragsteller zu 3) jeweils situationsangepasst geltend gemacht, dies durch ein Darlehen seines Onkels finanziert zu haben, obwohl zuvor die Inanspruchnahme von (weiteren) Darlehen sogar verneint wurde. Bei der Darlehenshöhe haben die Antragsteller sich zudem selbst widersprochen. Zunächst haben sie das Darlehen für den Pkw-Erwerb mit 1.500 € (Schriftsatz vom 25.03.2021) und später mit 1.000 € (Schriftsatz vom 13.04.2021) beziffert. Da der Pkw des Antragstellers zu 3) ausweislich des Kaufvertrags vom 05.10.2020 für 2.200 € angeschafft wurde, ist auch nicht glaubhaft gemacht, wie die Differenz zum darlehensweise finanzierten Teil des Kaufpreises finanziert wurde.
47Bei dieser Sachlage kann der Senat auch keinen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit erkennen. Die Antragsteller, von denen zwei Mitglieder zuletzt einer sozialpflichtigen Beschäftigung nachgehen, konnten in den letzten Monaten ihren Lebensunterhalt ohne ersichtliche Probleme bestreiten und haben angesichts der hohen Tilgungsanteile in den Kreditverträgen sogar Vermögen aufgebaut. Hinzu kommt, dass der Antragsteller zu 1) von dem Erwerber seines früheren Unternehmens monatliche Zuwendungen aus dem Warenbestandverkauf erwarten kann. Dass er diese für Schulden bei seinen Lieferanten verwendet, ist bisher nicht ersichtlich. Der Antragsteller zu 1) hat ausweislich der Kontoauszüge lediglich Gewerbesteuerschulden aus seinem früheren Gewerbe gezahlt, was angesichts einer Ratenzahlungsvereinbarung auch weiterhin kontinuierlich zu erwarten ist. Angesichts der aufgenommenen Beschäftigungsverhältnisse ist auch sehr wahrscheinlich, dass die Antragsteller neben dem Gehalt und Kindergeld demnächst auch Wohngeld und Kinderzuschlag beziehen werden, was sie nach eigenem Bekunden sogar schon beantragt haben. Den Antragstellern ist daher das Abwarten des Hauptsacheverfahrens möglich und zumutbar.
48Aus den dargelegten Gründen sieht der Senat – anders als das Sozialgericht – auch keine Veranlassung für eine Folgeabwägung zugunsten der Antragsteller.
49Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
50Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- SGG § 199 1x
- SGG § 86b 2x
- § 12a SGB II 1x (nicht zugeordnet)
- 7 AS 1419/17 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 569/05 2x (nicht zugeordnet)
- SGG § 193 1x
- § 67 SGB II 1x (nicht zugeordnet)
- 7 AS 667/21 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 920 Arrestgesuch 1x
- 7 AS 1045/16 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 177 1x
- §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 SGB II 2x (nicht zugeordnet)