Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (5. Senat) - L 5 KR 173/10 B ER, L 5 KR 173/10 B ER PKH
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 24. August 2010 geändert.
Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird insgesamt abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
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Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin auf Gewährung von Krankengeld.
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Auf den entsprechenden Antrag hin hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 24. August 2010 die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig den pfändungsfreien Betrag des Krankengeldes in gesetzlicher Höhe ab 9. Juli 2010 bis zur gesetzlichen Höchstdauer, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag zurückgewiesen. Gegen diesen ihr am 30. August 2010 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, die spätestens am 7. September 2010 beim Sozialgericht Itzehoe eingegangen ist. Zur Begründung weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass nach ihrer Information der Antragsteller seit 13. Juli 2010 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) beziehe. Aus diesem Grund sei seine Existenz sichergestellt. Darüber hinaus sei § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) zu berücksichtigen. Nach mehreren Schriftsätzen, bezogen auf die Höhe der Leistungen nach dem SGB II und deren Bedeutung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, teilt der Antragsteller auf die gerichtliche Verfügung vom 12. November 2010 mit, die Antragsgegnerin sei am 13. September 2010 unter Fristsetzung zum 17. September 2010 aufgefordert worden, die Leistungen an ihn zu erbringen. Sie habe jedoch nicht gezahlt, gewährleiste ihm aber gleichwohl Krankenversicherungsschutz, obwohl sie der Ansicht sei, die Mitgliedschaft sei beendet. Im Übrigen erhalte er jetzt Arbeitslosengeld I. Dazu legt er den Bewilligungsbescheid der Agentur für Arbeit Elmshorn über den Leistungszeitraum 19. August 2010 bis 17. August 2011 über einen täglichen Leistungsbetrag von 55,01 EUR vor. Die Antragsgegnerin teilt mir, dass Leistungen an den Antragsteller bisher nicht erbracht und Vollstreckungshandlungen nicht bekannt seien. Krankenversicherungsschutz werde im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 und 2a SGB V gewährt.
II.
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Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts ist schon deswegen aufzuheben, weil die einstweilige Anordnung nicht innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) vollzogen worden ist. Nach dieser Vorschrift ist die Vollziehung des Arrestbefehls (hier der einstweiligen Anordnung) unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. § 929 Abs. 2 ZPO findet gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den einstweiligen Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend Anwendung.
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Die Anordnung des Sozialgerichts ist den Beteiligten am 26. August 2010 (Antragsteller) bzw. 30. August 2010 (Antragsgegnerin) zugestellt worden, so dass ihre Vollziehung nur für die Zeit innerhalb eines Monats danach statthaft gewesen ist. Diese Vollziehungsfrist ist von Amts wegen zu beachten; sie kann weder abgekürzt noch verlängert werden. Ist sie versäumt, ist die Vollziehung der einstweiligen Anordnung unwirksam und damit unzulässig. Da sie ihren Regelungsgehalt verloren hat ist die Anordnung nach Fristablauf aufzuheben (Kopp/Schenke, a.a.O., § 123, Rz. 40; Hartmann in: Baumbach/Lautenbach/Albers/Hartmann Zivilprozessordnung, 65. Aufl. 2007, § 929 Rz. 8). Eine zum Teil in der Verwaltungsgerichtsbarkeit – dort enthält § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eine gleiche Verweisung in Abs. 3 auf § 929 ZPO – vertretene Rechtsprechung, wonach Verwaltungsbehörden wegen des Rechtsstaatsprinzips rechtskräftige verwaltungsrechtliche Entscheidungen befolgen müssen, so dass Vollstreckungsmaßnahmen grundsätzlich nicht erforderlich sind und § 929 Abs. 2 ZPO insoweit nur eingeschränkt Anwendung findet, vermag der Senat aufgrund des eindeutigen Gesetzestextes und der uneingeschränkten Verweisung in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG auf § 929 Abs. 2 ZPO in seiner ständigen Rechtsprechung nicht zu teilen (Beschluss vom 26. November 2004 – L 1 B 183/04 KR ER). Dies entspricht auch der überwiegenden Rechtsprechung in der Sozialgerichtsbarkeit (vgl. z. B. Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg vom 11. Januar 2006 – L 7 SO 4891/05 ER-B; LSG Sachsen vom 24. Januar 2008 – L 3 B 610/07 AS-ER; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, § 86b Rz. 46; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl., Rz. 329, jeweils m.w.N.). Die vom Gesetz vorgeschriebene Vollziehung wird auch nicht dadurch ersetzt, dass der Antragsteller die Antragsgegnerin unter Fristsetzung zur Leistungserbringung aufgefordert hat. Dies gilt umso mehr, als auch nach erfolglosem Fristablauf Vollstreckungshandlungen nicht erfolgten.
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Der Senat kann im Übrigen auch im Rahmen des für die einstweilige Anordnung notwendigen Anordnungsgrundes (Eilbedürftigkeit) nicht unberücksichtigt lassen, dass der Antragsteller zwischenzeitlich Leistungen nach dem SGB II einschließlich, nach zwischenzeitlichen Problemen mit dem Leistungserbringer, der Unterkunftskosten bezogen hat und nunmehr Arbeitslosengeld I in Höhe von kalendertäglich 55,00 EUR erhält. Daraus, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller gleichwohl Krankenversicherungsschutz gewährt, kann Letzterer keinen Anspruch auf die vorläufige Gewährung von Krankengeld herleiten, da die Antragsgegnerin zutreffend insoweit auf § 5 Abs. 1 SGB V verweist. Nach Nr. 2 dieser Vorschrift sind Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld beziehen, versicherungspflichtig und nach der Nr. 2a besteht eine Versicherungspflicht für die Zeit, in der Personen Arbeitslosengeld II nach dem SGB II beziehen.
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Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren kann nicht gewährt werden, denn die nach § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO erforderliche Erfolgsaussicht der Sache ist nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Gewährung von PKH war die Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO bereits abgelaufen.
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Referenzen
- § 5 Abs. 1 SGB V 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 Abs. 1 Nr. 2 und 2a SGB V 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- 3 B 610/07 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 193 1x
- 1 B 183/04 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 929 Vollstreckungsklausel; Vollziehungsfrist 5x
- 7 SO 4891/05 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 86b 1x
- SGG § 177 1x
- SGG § 73a 1x