Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (1. Senat) - L 1 R 120/11 B ER

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 30. Mai 2011 abgeändert.

Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 5. Mai 2011 wird auch hinsichtlich der Säumniszuschläge abgelehnt.

Die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss vom 30. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten für beide Instanzen.

Der Streitwert für beide Instanzen wird auf je 482.713,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen eine Beitragsforderung der Antragsgegnerin und darauf entfallender Säumniszuschläge.

2

Die Antragstellerin ist aus einer Fusion der I... Mecklenburg-Vorpommern und der I... Schleswig-Holstein zum 1. Januar 2006 hervorgegangen. Ihre Rechtsvorgängerin hatte vom 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2004 für die bei ihr krankenversicherten Bezieher von Arbeitslosenhilfe (Alhi), die arbeitsunfähig geworden waren und Krankengeld in Höhe des Betrages der zuvor bezogenen Alhi erhalten hatten, Beiträge zur Rentenversicherung an die Antragsgegnerin entrichtet. Für die Berechnung der Beiträge hatte sie als beitragspflichtige Einnahmen jeweils den Betrag des in Höhe der zuvor bezogenen Alhi gezahlten Krankengeldes zugrunde gelegt. Sie unterstellte dabei für diesen Personenkreis eine seit dem 1. Januar 2000 bestehende gesetzliche Regelungslücke, die nach ihrer Auffassung in entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung des Haushaltssanierungsgesetzes vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I, S. 2534) durch eine Beitragsbemessung auf der Grundlage der tatsächlichen Höhe des im Anschluss an den Bezug von Alhi gezahlten Krankengeldes zu beseitigen sei.

3

Im Mai 2001 erhielt die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin Kenntnis davon, dass die Antragsgegnerin hiermit nicht einverstanden war und die Auffassung vertrat, dass auch für Bezieher von Krankengeld, die vorher Alhi bezogen hatten, die Beiträge nach § 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI aus 80 v. H. des der Krankengeldzahlung zugrundeliegenden Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens zu berechnen seien. Da eine Änderung der Beitragsberechnungsvorschrift für Beiträge aus dem Krankengeld vom Gesetzgeber nicht erfolgt sei, habe diese Vorschrift auch weiterhin Geltung. Die Bundesagentur für Arbeit bzw. deren Rechtsvorgängerin (BA) teilte diese Auffassung für die Höhe der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.

4

Als Ergebnisniederschrift über die Besprechung der Beitragsreferenten der Mitglieder des I...-Bundesverbandes wurde im Mai 2001 Folgendes festgehalten:

5

„Mit dem Gesetz zur Sanierung des Bundeshaushalts ... ist die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Beiträge zur Pflegeversicherung und zur Rentenversicherung für versicherungspflichtige Alhi-Bezieher abgesenkt worden. ... Die Absenkung der Bemessungsgrundlage für die Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung hat auch Auswirkungen für die Beitragsberechnung bei Bezug von Entgeltersatzleistungen, die in Höhe des Betrages der Alhi zu zahlen sind. Obwohl eine entsprechende Änderung der diesbezüglichen Berechnungsvorschriften (§ 235 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, § 57 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Elftes Buch, § 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI bzw. § 145 Nr. 5 Sozialgesetzbuch Drittes Buch) nicht vorgenommen wurde, sind die Spitzenverbände der Krankenkasse der Auffassung, dass auch die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Beiträge aus Entgeltersatzleistungen entsprechend abzusenken ist. Die Rentenversicherungsträger sowie die Bundesanstalt für Arbeit vertreten die Auffassung, dass eine Absenkung der Bemessungsgrundlag nicht möglich ist, weil die entsprechenden Rechtsvorschriften nicht geändert wurden.

6

Die Spitzenverbände der Krankenkassen hatten deshalb bereits im Januar 2000 das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) als auch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) auf die unklare Rechtslage hingewiesen und gebeten, bei sich nächstbietender Gelegenheit eine gesetzliche Klarstellung vorzunehmen.“

7

Am 3. August 2001 teilte der I...-Bundesverband der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin mit, dass das BMA nicht der Auffassung der Krankenkassen, sondern des Verbandes der Rentenversicherungsträger (VDR) und der BA folge. In dem Schreiben heißt es u.a.:

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„Vor dem Hintergrund, dass bereits die Krankenkassen im Vorgriff auf eine etwaige Gesetzesänderung entsprechend der Empfehlung der Spitzenverbände der Krankenkassen verfahren, jedoch ein Einvernehmen der beiden zuständigen Ministerien nicht erkennbar ist, bittet der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger nunmehr darum, die Krankenkassen darauf hinzuweisen, dass die entgegen der geltenden Rechtslage erledigten Fälle listenmäßig festgehalten werden, damit die Beitragsberechnung korrigiert werden kann, sofern eine Gesetzesänderung mittelfristig nicht umgesetzt wird.

9

Im Übrigen schlagen wir vor, in der nächsten Besprechung der Beitragsreferenten der Mitglieder des I...-Bundesverbandes die Frage zu erörtern, ob das I...-System vor dem Hintergrund des – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – nicht zu erwartenden Einvernehmens der beteiligten Ministerien an der bisherigen Empfehlung der Spitzenverbände der Krankenkassen festhalten sollte, der Beitragsberechnung in den einschlägigen Fällen lediglich die gezahlte Arbeitslosenhilfe zugrunde zu legen.“

10

Am 14. November 2001 einigten sich die Mitglieder des I...-Bundesverbandes auf folgendes Besprechungsergebnis:

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„Die Besprechungsteilnehmer erörtern nochmals die Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung der Auffassung des BMA. Die Vertreter der Mitglieder des I...-Bundesverbandes halten dabei dennoch an ihrer Auffassung fest, dass bei der Beitragsberechnung bei Bezug von Entgeltersatzleistungen, die in Höhe der Arbeitslosenhilfe gezahlt werden, als Beitragsberechnungsgrundlage auch weiterhin lediglich die gezahlte Arbeitslosenhilfe zugrunde gelegt werden sollte. Auch unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des BMA sehen die Vertreter der Mitglieder des I...-Bundesverbandes keine Notwendigkeit, die bisherige Verfahrensweise umzustellen.

12

Der I...-Bundesverband weist in diesem Zusammenhang abschließend darauf hin, dass die einschlägigen Sachverhalte nach der Forderung des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger in geeigneter Weise festgehalten werden sollten, damit die Beitragsberechnung ggf. korrigiert werden kann, sofern eine Gesetzesänderung mittelfristig nicht vorgenommen wird.“

13

Im Sommer 2002 und 2004 erhielt die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin über ihren länderübergreifenden Landesverband Nord das Protokoll der Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen, des VDR und der BA über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs vom 26. und 27. Juni 2002 und 26. und 27. Mai 2004.

14

In dem Protokoll von 2002 heißt es u.a.:

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„Da eine einvernehmliche Lösung nicht zu erreichen ist, soll die strittige Rechtsfrage im sozialgerichtlichen Verfahren geklärt werden. Über die Durchführung entsprechender Musterstreitverfahren werden sich die Vertreter der Kranken- und Rentenversicherung zu gegebener Zeit noch verständigen. Im Übrigen sagen die Vertreter der Krankenversicherung zu, ihren Mitgliedern zu empfehlen, die einschlägigen Fälle gesondert festzuhalten. Des Weiteren werden die Vertreter der Krankenversicherung den Krankenkassen für den Fall, dass das Bundessozialgericht im Sinne der Auffassung der Rentenversicherung entscheidet, empfehlen, die gegebenenfalls zu wenig gezahlten Rentenversicherungsbeiträge von Amts wegen nachzuzahlen.“

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Im Protokoll von 2004 vereinbarten die Vertreter der Kranken- und Rentenversicherung Folgendes:

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„Die Vertreter der Kranken- und Rentenversicherung kommen überein, die vor dem SG Gotha ... und vor dem SG Hannover ... anhängigen Verfahren als Musterstreitverfahren zu führen. Im Übrigen sagen die Vertreter der Krankenversicherung zu, ihren Mitgliedern zu empfehlen, im Falle des Obsiegens der Rentenversicherungsträger die gegebenenfalls zu wenig gezahlten Rentenversicherungsbeiträge von Amts wegen nachzuzahlen und die Einrede der Verjährung nicht zu erheben. Dabei bringen die Besprechungsteilnehmer die gesonderte Erfassung der einschlägigen Fälle durch die Krankenkassen nochmals in Erinnerung.“

18

Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2006 wiederholte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin das Besprechungsergebnis aus der Sitzung vom 26. und 27. Mai 2004 und teilte der Antragstellerin mit, dass sie bereits jetzt den Anspruch auf Säumniszuschlagsforderung gemäß § 24 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) dem Grunde nach erhebe. Sie bat bis zur gerichtlichen Entscheidung alle einschlägigen Fälle gesondert zu erfassen.

19

In ihrem Antwortschreiben vom 11. Juli 2006 erklärte die Antragstellerin, dass eine Liste derzeit erstellt werde. Sie beinhalte sämtliche Krankengeldzahlungen, bei denen die Beitragsbemessungsgrundlage zur Rentenversicherung mit dem Zahlbetrag der Alhi identisch sei.

20

Am 21. Januar 2009 entschied das Bundessozialgericht (BSG) für die Bemessung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (B 12 AL 2/07 R) und mit Urteilen vom 27. Januar 2010 für die Bemessung der Beiträge zur Rentenversicherung (B 12 R 2/09 R und B 12 R 7/09 R), dass sich für Empfänger von Alhi, denen bei Arbeitsunfähigkeit Krankengeld in Höhe des Betrages der zuvor bezogenen Alhi gezahlt worden sei, die Bemessung der Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung auch nach dem 1. Januar 2000 weiterhin nach 80 v. H. des der Leistung zugrundeliegenden Arbeitsentgelts bestimme.

21

Hierüber informierte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung die Antragstellerin durch die Übermittlung eines Protokolls einer Besprechung der Spitzenverbände der Krankenversicherung, des VDR und der BA vom 13. und 14. April 2010. In dem Protokoll heißt es u.a.:

22

„Die umstrittene Rechtsfrage ist mit den vorliegenden höchstrichterlichen Entscheidungen als geklärt anzusehen.

23

Die betreffenden Fälle sind nunmehr von den Krankenkassen aufzugreifen und hinsichtlich der Beiträge, die nicht auf der Grundlage in Höhe von 80 v. H. des der Leistung zugrunde liegenden Arbeitsentgelts bemessen wurden, neu zu berechnen; zuwenig gezahlte Beiträge sind unter Verzicht auf die Einrede der Verjährung nachzuzahlen. ...

24

Über die Zahlung von Säumniszuschlägen oder eines Nachteilsausgleichs soll Einvernehmen erzielt werden. Dies schließt die Beantwortung der Frage ein, ob diese bzw. dieser entsprechend § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV ganz oder teilweise erlassen werden können bzw. kann. Sobald die Beträge gezahlt sind, wird hierüber im Einzelfall eine gesonderte Übereinkunft angestrebt.“

25

Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2011 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu einer Nachforderung von Rentenversicherungsbeiträgen für die bei der Antragstellerin im Zeitraum 2000 bis 2004 krankenversicherten und arbeitsunfähig gewordenen Bezieher von Alhi in Höhe von 731.417,25 EUR zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 713.723,00 EUR an.

26

Mit Schriftsätzen vom 4. März und 15. März 2011 erhob die Antragstellerin daraufhin die Einrede der Verjährung.

27

Mit Bescheid vom 7. April 2011 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zur Zahlung von insgesamt 1.448.140,25 EUR (Rentenversicherungsbeitrag wie oben zuzüglich Säumniszuschlag in Höhe von 716.723,00 EUR) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG auf.

28

Mit ihrer dagegen am 5. Mai 2011 beim Sozialgericht Lübeck eingegangenen Klage hat die Antragstellerin zugleich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage unter Hinweis auf die eingetretene Verjährung der Forderung begehrt. Hilfsweise hat sie geltend gemacht, dass die Antragsgegnerin ihr die Beitragsforderungen gestundet habe, so dass zumindest die Erhebung von Säumniszuschlägen rechtswidrig sei.

29

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 30. Mai 2011 dem Antrag teilweise stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 5. Mai 2011 hinsichtlich der mit Bescheid vom 7. April 2011 geltend gemachten Forderung von Säumniszuschlägen in Höhe von 716.723,00 EUR angeordnet. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass derzeit ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Erhebung von Säumniszuschläge vorlägen, da nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass es eine die Beteiligten bindende Vereinbarung gebe, nach der die Verpflichtung zur Zahlung der Säumniszuschläge zumindest vorübergehend ausgesetzt sei. Hierfür maßgebend sei das Besprechungsprotokoll vom 13. und 14. April 2010, in dem eine gesonderte Übereinkunft vereinbart worden sei. An der Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung bestünden im Übrigen keine ernsthaften Zweifel, weil diese Beiträge bei Erlass des Bescheides vom 7. April 2011 auf jeden Fall fällig gewesen und noch nicht verjährt seien. Denn es gelte die lange Verjährungsfrist von 30 Jahren, weil die Antragstellerin die Beiträge vorsätzlich vorenthalten habe. Sie habe ihre Beitragspflicht für möglich gehalten und damit die Nichtabführung von Beiträgen billigend in Kauf genommen. Davon, dass ein Sozialversicherungsträger hinsichtlich bestimmter Beiträge seine Beitragspflicht für möglich hält, sei sicher dann auszugehen, wenn ihm bekannt sei, dass bei wörtlicher Auslegung des Gesetzes diese Beitragspflicht bestehe und dass die Auffassung, diese Beitragspflicht würde gleichwohl nicht bestehen, höchst umstritten sei. Die Antragstellerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin, deren Wissen ihr zuzurechnen sei, habe es spätestens nach Zugang der Ergebnisniederschrift über die Besprechung der Beitragsreferenten der Mitglieder des I...-Bundesverbandes im Mai 2001 zumindest für möglich halten müssen, dass sie die Rentenversicherungsbeiträge von Versicherten nach dem zugrundeliegenden Arbeitsentgelt zu bemessen habe. Da der Vorsatz der Antragstellerin damit auch spätestens zu einem Zeitpunkt begründet worden sei, in dem auch für den Beitrag, der am frühesten fällig geworden sei, noch die kurze Verjährungsfrist von vier Jahren bestanden habe, sei folglich die lange Verjährungsfrist ausnahmslos auch für jeden der hier geltend gemachten Rentenversicherungsbeiträge begründet worden.

30

Gegen diesen den Beteiligten am 1. Juni 2011 zugestellten Beschluss richtet sich die am 30. Juni 2011 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) eingegangene Beschwerde der Antragsgegnerin und die am 16. August 2011 erhobene Anschlussbeschwerde der Antragstellerin.

31

Die Antragsgegnerin macht geltend, dass die Aussetzung der Zahlungsverpflichtung im Hinblick auf die Säumniszuschläge nicht überzeuge. Die Zahlung der Säumniszuschläge habe nach dem Besprechungsergebnis vom 13. und 14. April 2010 im jeweiligen Einzelfall geklärt werden sollen. Letztlich hätten die Besprechungsteilnehmer mit der getroffenen Formulierung zum Ausdruck bringen wollen, dass sich die jeweiligen Versicherungsträger über die Erhebung von Säumniszuschlägen verständigen sollten. Die im Besprechungsergebnis enthaltene Aussage sei somit als Appell der Spitzenorganisationen an ihre Versicherungsträger zu verstehen, einvernehmliche Lösungen zu finden, wobei die genaue Ausgestaltung der Vereinbarungen zwischen den Beteiligten dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten bleiben sollte. Damit werde aber auch deutlich, dass aus diesem Besprechungsergebnis unmittelbar keine Aussetzung der Forderung von Säumniszuschlägen entnommen werden könne. Eine solche Rechtsfolge sei nach dem eindeutigen Wortlaut des Besprechungsergebnisses nur durch eine Vereinbarung zwischen den Rentenversicherungsträgern und den jeweils betroffenen Krankenkassen herbeizuführen. Im vorliegenden Fall fehle es aber gerade an einer solchen Vereinbarung.

32

Die Antragsgegnerin beantragt,

33

den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 30. Mai 2011 aufzuheben, soweit der Klage der Antragstellerin hinsichtlich der mit Bescheid vom 7. April 2011 geltend gemachten Forderung von Säumniszuschlägen in Höhe von 716.723,00 EUR aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei und insoweit auch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen.

34

Die Antragstellerin beantragt,

35

den Antrag zurückzuweisen und den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 30. Mai 2011 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. April 2011 auch hinsichtlich der Beitragsforderung in Höhe von 731.417,25 EUR anzuordnen.

36

Sie macht geltend, dass sie die Beiträge nicht wissentlich der Antragsgegnerin vorenthalten habe. Sie habe die Zahlung der Beiträge wegen des aus ihrer Sicht vereinbarten Fälligkeitsaufschubs der streitigen Beitragsnachforderung unterlassen. Bis zur Kenntnis des BSG-Urteils vom 27. Januar 2010 und mithin über die kurzen vierjährigen Verjährungsfristen hinaus sei sie gutgläubig gewesen, dass die streitigen Beitragsnachforderungen gestundet worden seien. Die erst nach Ablauf der kurzen Verjährungsfristen am 31. Dezember 2009 eingetretenen Zweifel an der den Vorsatz ausschließenden Stundung bewirkten aber nicht mehr den Eintritt der 30-jährigen Verjährungsfrist. Eine Bösgläubigkeit ihrerseits sei erst mit der Kenntnisnahme des Besprechungsprotokolls vom 13. und 14. April 2010 eingetreten. Dass nach diesem Protokoll weiter über die Zahlung von Säumniszuschlägen und deren Niederschlagung oder eines Nachteilsausgleichs Einvernehmen habe erzielt werden sollen, habe ihre bisherige Überzeugung von seit langem vereinbarten zinslosen Fälligkeitsaufschüben der nun festgestellten Beitragsnachforderungen und der daraus resultierenden Hemmung der Verjährung in Frage gestellt. Als die Antragsgegnerin ihr gegenüber im November 2010 selbst auf die Beitragsnachforderungen Säumniszuschläge erhoben habe, sei eindeutig gewesen, dass sie die Stundungsabreden für hinfällig gehalten habe. Folge man der Auffassung des Sozialgerichtes und der Antragsgegnerin, wonach die offenen Beitragsforderungen jeweils in der Zeit von Februar 2000 bis Januar 2005 zur Zahlung fällig gewesen sein sollen und wegen Ausbleibens die darauf berechneten Säumniszuschläge, dann verjährten die Beitragsnachforderungen ungehemmt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden seien, also zuletzt am 31. Dezember 2009, und mit ihnen die Säumniszuschläge. Sie habe die fälligen Beiträge und Säumniszuschläge innerhalb dieser Zeit nicht billigend vorenthalten, da sie aufgrund der Mitteilungen des I...-Bundesverbandes zum vereinbarten Fälligkeitsaufschub hierfür einen Rechtfertigungsgrund gehabt habe. Dank dieses Rechtfertigungsgrundes entfalle aber ihr Vorsatz. Sie habe auch die Einrede der Verjährung im Jahre 2010 erheben dürfen, weil die Antragsgegnerin mit ihrer Säumniszuschlagsforderung gegen die Stundungsabrede verstoßen habe.

37

Darüber hinaus sei der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck, der die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Säumniszuschlagsforderung anordne, im Ergebnis richtig. Zu berücksichtigen sei aber auch hier die vereinbarte Stundung der Beiträge. Da gemäß § 24 Abs. 1 SGB IV Säumniszuschläge nur auf Beiträge zu berechnen seien, die nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstermins gezahlt würden, seien Säumniszuschläge für Beitragsforderungen aus der Zeit von Februar 2000 bis Januar 2005 mindestens bis 14./15. April 2010 mangels Fälligkeit nicht zu berechnen.

38

Die den Rechtsstreit betreffenden Verwaltungsakten der Antragstellerin sowie die Gerichtsakten haben dem Senat vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf ihren Inhalt Bezug genommen.

II.

39

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 30. Mai 2011 ist begründet, die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin ist dagegen unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Beitragsbescheid vom 7. April 2011 hinsichtlich der Beitragsforderung abgelehnt. Die Voraussetzungen für die begehrte einstweilige Anordnung liegen aber auch hinsichtlich der erhobenen Säumniszuschläge nicht vor. Insoweit war der Beschluss des Sozialgerichts abzuändern.

40

Gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Klage der Antragstellerin vom 5. Mai 2011 hat keine aufschiebende Wirkung, weil diese bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt.

41

Im Rahmen der nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden gerichtlichen Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz von der Regel ausgeht, dass bei der Entscheidung über Beitragspflichten keine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage besteht. Nur ausnahmsweise kann nach dem Rechtsgedanken der insoweit entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/
Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn. 12 m.w.N.) die aufschiebende Wirkung anzuordnen sein, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

42

Beides ist hier nicht der Fall. Bei der gebotenen lediglich summarischen Prüfung bestehen weder ernste Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides vom 7. April 2011 noch hätte die Vollziehung für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge.

43

Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung bestehen nur, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Das entspricht der gesetzlichen Wertung des § 86a Abs. 2 SGG, nur im Ausnahmefall davon abzusehen, Beiträge sofort entrichten zu lassen. Die Regelung verfolgt den Zweck, die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben zu sichern, denen die Beiträge zu dienen bestimmt sind. Im Zweifel sind Beiträge zunächst zu erbringen. Das Risiko, im Ergebnis zu Unrecht in Vorleistung treten zu müssen, trifft nach dieser Wertung den Zahlungspflichtigen (vgl. mit umfangreichen weiteren Nachweisen LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. April 2006 – L 16 B 9/06 KR ER -, zitiert nach juris).

44

Bei summarischer Prüfung ist ein Erfolg der Klage der Antragstellerin nicht wahrscheinlicher als ein Misserfolg. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

45

Die Antragsgegnerin war nach §§ 212, 212a SGB VI für die Prüfung der Beitragszahlungen der Antragstellerin für die nach § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI als sonstige Versicherte bei der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin gesetzlich Rentenversicherten zuständig und in Verbindung mit den für die Einzugsstellen geltenden Vorschriften befugt, die festgestellte und zwischen den Beteiligten unstreitige Beitragsdifferenz durch Verwaltungsakt gegenüber der Antragstellerin geltend zu machen. Die Bemessung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für Personen, die als Bezieher von Krankengeld in den Jahren 2000 bis 2004 versicherungspflichtig waren, richtete sich in diesem Zeitraum nach § 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI in der Fassung durch Art. 4 Nr. 20 des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999 (BGBl. I, S. 388). Danach galten als beitragspflichtige Einnahmen 80 v. H. des dem Krankengeld zugrundeliegenden Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens. Tatsächlich hatte die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin für diesen bei ihr versicherten Personenkreis nur beitragspflichtige Einnahmen in Höhe des Krankengeldes, das der zuvor bezogenen Alhi entsprach, gezahlt. Dass diese Praxis rechtswidrig war, ist seit den Entscheidungen des BSG vom 27. Januar 2010 zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig. Der Senat geht nach den vorliegenden Unterlagen auch davon aus, dass hinsichtlich des Anspruchszeitraums und der Anspruchshöhe die Beitragsforderungen von der Antragsgegnerin richtig berechnet worden ist. Einwände hiergegen hat die Antragstellerin auch nicht erhoben.

46

Streitig sind zwischen den Beteiligten der Zeitpunkt der Fälligkeit der einzelnen Beitragsforderungen einschließlich der darauf entfallenden Säumniszuschläge und in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Beitragsforderungen verjährt sind. Die von der Antragstellerin insoweit gegen den Beitragsbescheid erhobene Einrede der Verjährung, mit der sie sich unter Hinweis auf ihren guten Glauben an eine Stundungsabrede auf eine kurze – vierjährige - Verjährungsfrist beruft, begegnet aber Bedenken; die Ausführungen der Antragstellerin zum Zahlungsaufschub und die Erhebung dieser Einrede sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Durchsetzbarkeit der Beitragsforderungen einschließlich der geltend gemachten Säumniszuschläge begründen.

47

Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Die auf den Zeitraum von 2000 bis 2004 entfallenden Beiträge waren nach § 23 Abs. 2 SGB IV in der bis zum 31. Dezember 2005 geltenden Fassung vom 25. September 1996 (BGBl. I, S. 1461), der die Fälligkeit der Beiträge für eine Sozialleistung im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI (Bezieher von Arbeitslosengeld und Alhi) regelte, am achten des auf die Zahlung der Sozialleistung folgenden Monats fällig. Damit traten die Fälligkeit der ersten Beitragsforderung im Februar 2000 und die Fälligkeit der letzten Beitragsforderung im Januar 2005 ein. In Anwendung der kurzen Verjährungsfrist wären die mit Bescheid vom 7. April 2010 geltend gemachten Beiträge für die Jahre 2000 bis 2004 spätestens Ende 2009 verjährt.

48

Der Erhebung der Verjährungseinrede steht aber die 30-jährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV entgegen. Im vorliegenden Sachverhalt spricht mehr für als dagegen, dass diese Verjährungsfrist und nicht die kurze vierjährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 2 Satz 1 SGB IV gilt. Die 30-jährige Verjährungsfrist ist aber noch nicht abgelaufen.

49

Nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV verjähren Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Da für Vorsatz im Sinne dieser Vorschrift bedingter Vorsatz ausreicht, kommt es darauf an, ob die Antragstellerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin, deren Wissen sich die Antragstellerin zurechnen lassen muss, die Beitragspflicht zumindest für möglich gehalten (Wissenselement), die Nichtabführung der Beiträge aber gleichwohl billigend in Kauf genommen hat (Willenselement; vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2000 - B 12 KR 14/99 R - SozR 3-2400 § 25 Nr. 7; BSG, Urteil vom 17. April 2008 - B 13 R 123/07 R -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. April 2010 – L 8 R 140/09 -, jeweils zitiert nach juris).

50

Es steht außer Streit, dass die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin Beiträge entgegen der damals geltenden Rechtslage auf falscher Bemessungsgrundlage entrichtet und im Vorgriff auf eine etwaige Gesetzesänderung verfahren war. Diese Kenntnisse reichen für den hier notwendigen bedingten Vorsatz aus.

51

Der Einwand der Antragstellerin, die Beiträge wegen eines gutgläubig angenommenen Zahlungsaufschubs (Stundungsabrede) bis zur Kenntnis der Urteile des BSG vom 27. Januar 2010 nicht der Antragsgegnerin vorenthalten, sondern vermeintlich berechtigterweise nicht gezahlt zu haben, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Denn die Antragstellerin hat nicht deutlich gemacht, worauf sie als einzelne Krankenkasse, die ihre Informationen von den Spitzenverbänden der Krankenkassen erhalten hat, eine Stundungsabrede stützen will, die die Spitzenverbände der Krankenkassen ihrerseits nicht angenommen haben.

52

Nach § 76 Abs. 1 SGB IV hat der Versicherungsträger die Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben. Er darf Ansprüche nur stunden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für die Antragsgegner verbunden wäre und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV). Die Stundung soll dabei gegen angemessene Verzinsung und in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden (Abs. 2 Nr. 2 Satz 2).

53

Die Gesamtumstände und die vorliegenden von der Antragstellerin eingereichten Protokolle der Spitzenverbände der Krankenkassen, des VDR und der BA über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs bieten keinen Ansatz dafür, dass die an den Gesprächen Beteiligten, die Spitzenverbände der Krankenkassen dabei als Vertreter für die einzelnen Krankenkassen, eine solche Stundungsabrede getroffen haben. Die Sozialversicherungsträger einschließlich der beteiligten Ministerien haben ausweislich der Protokolle zur Vermeidung von zahlreichen alle belastenden Verwaltungsverfahren und kostenpflichtigen Gerichtsverfahren zunächst versucht, eine außergerichtliche Einigung zu erreichen und, als dies nicht gelang, die Durchführung von Musterstreitverfahren vereinbart. Die Antragsgegnerin hat ausschließlich vor diesem Hintergrund die sofortige Erhebung der Beiträge unterlassen. Die Vermeidung von Verwaltungsverfahren bis zur höchstrichterlichen Klärung von Rechtsfragen in gemeinschaftlich vereinbarten Musterstreitverfahren entspricht ausweislich des Protokolls vom 13./14. April 2010 einer bewährten Verfahrensweise der Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger zur Erzielung von Rechtssicherheit unter Vermeidung von Verwaltungsaufwand. Vorausgesetzt wird dabei, dass das Ergebnis von den Parteien, die ein solches Verfahren vereinbaren, auch eingehalten wird. Denn nur dann macht eine solche Musterentscheidung Sinn. Diese Verfahrensweise wurde – wie im Protokoll festgehalten – auch vom Bundesrechnungshof akzeptiert, der aufgrund dessen in diesen Sachverhaltsgestaltungen davon absah, die Rentenversicherungsträger zu verpflichten, vor der höchstrichterlichen Klärung die entsprechenden Fälle zu ermitteln und konkrete Beitragsforderungen zu erheben. Eine – zinslose - Stundungsabrede zu Lasten der Rentenversicherung ist in dieser Verfahrensweise jedenfalls ohne weitere Hinweise nicht zusehen. Dass auch die Spitzenverbände der Krankenkassen keine Stundungsabrede angenommen haben, zeigt, dass es ansonsten der von ihnen ausgesprochenen Empfehlung an ihre Mitglieder, im Falle des Obsiegens der Rentenversicherungsträger die Einrede der Verjährung nicht zu erheben (Protokoll vom 26., 27. Mai 2004) nicht bedurft hätte. Denn solange die Leistung gestundet ist, kann Verjährung nicht eintreten (vgl. § 205 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB -).

54

Dass für eine Stundungsabrede auch aus Sicht der Antragstellerin kein Raum blieb, bestätigt im Übrigen auch das Schreiben der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2006 an die Antragstellerin, in dem diese unter Hinweis auf die Musterstreitverfahren bereits jetzt den Anspruch auf Säumniszuschlagsforderungen dem Grunde nach für die in der Vergangenheit zu wenig gezahlten Beiträge dargelegt hat und die Antragstellerin hiergegen in ihrem Antwortschreiben vom 11. Juli 2006 keinerlei Einwände erhob, insbesondere nicht auf eine bestehende Stundungsabrede verwies. Für die Dauer der Stundung hätte die Antragstellerin aber mit der Zahlung gar nicht säumig werden können. Ein Hinweis der Antragstellerin, die ihrerseits behauptet, gutgläubig hiervon ausgegangen zu sein, hätte demnach nahegelegen. Dies hat sie aber nicht getan.

55

Auf die Prüfung, ob die Berufung der Antragstellerin auf die Einrede der Verjährung wegen der diesbezüglichen Vereinbarungen der Spitzenverbände der Krankenkassen des VDR und der BA, insbesondere das vereinbarte Abwarten auf eine Entscheidung des BSG und der Kenntnis der Antragstellerin hiervon auch rechtsmissbräuchlich wäre, kommt es deshalb - jedenfalls nach derzeitigem Sachstand - nicht an.

56

Ernstliche Zweifel bestehen aber auch nicht gegen die Rechtmäßigkeit der erhobenen Säumniszuschläge.

57

Seit der mit Wirkung vom 1. Januar 1995 eingefügten Neufassung von § 24 Abs. 1 SGB IV (BGBl. I 1994, S. 1229) sind Säumniszuschläge bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zwingend zu zahlen und ist ihre Erhebung nicht mehr – wie noch nach der Vorläufervorschrift – in das Ermessen des Versicherungsträgers gestellt. Für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 v. H. des rückständigen, auf 50,00 EUR (bis 2002 100,00 DM) nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Die Beiträge waren – wie oben ausgeführt - am achten des auf die Zahlung der Sozialleistung folgenden Monats und damit im Zeitraum Februar 2000 bis Januar 2005 fällig. Die Antragstellerin hat auf die Beitragsforderungen nicht in vollem Umfang Zahlungen geleistet und ist damit säumig geworden.

58

Die Geltendmachung von Säumniszuschlägen auf die fällig gewordenen Beitragsforderungen scheitert nicht an einer Vereinbarung, nach der die Verpflichtung zur Zahlung der betreffenden Säumniszuschläge derzeit ausgesetzt ist. Die Vertreter der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung, der Deutschen Rentenversicherung und der BA sind übereingekommen, dass über die Säumniszuschläge im Einzelfall eine gesonderte Übereinkunft angestrebt wird. Diese Absichtserklärung stellt keine verbindliche Regelung dar, die der Erhebung von Säumniszuschlägen entgegenstehen könnte. Eine solche Rechtsfolge wäre nur dann anzunehmen, wenn die Beteiligten des Verfahrens eine solche Vereinbarung getroffen hätten. Im vorliegenden Fall fehlt es aber gerade an einer solchen Regelung, weil die Antragstellerin und die Antragsgegnerin über die Höhe der Säumniszuschläge keine Einigkeit erzielen konnten. Die von der Antragsgegnerin angestrebte Einigung auf 0,5 % hat die Antragstellerin abgelehnt.

59

Der Erhebung von Säumniszuschlägen steht im Übrigen auch keine unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht der Beiträge entgegen. Die Antragstellerin hat einen Fall unverschuldeter Unkenntnis nicht glaubhaft gemacht. Die Nichtkenntnis enthebt nur dann von der Zahlung von Säumniszuschlägen, wenn sie nicht verschuldet ist. Das bedeutet, dass die Unkenntnis weder auf Fahrlässigkeit noch auf Vorsatz beruhen darf. Davon ist hier nach derzeitiger Sachlage nicht auszugehen. Selbst bei zugunsten der Antragstellerin unterstellter tatsächlicher Unkenntnis von der Zahlungspflicht wegen guten Glaubens an eine zinslose Stundungsabrede wäre diese Unkenntnis von ihr verschuldet, weil die Antragstellerin von einer solchen Abrede ohne weitere Anhaltspunkte, insbesondere ohne weitere Prüfung und Rückversicherung bei der Antragsgegnerin oder ihren eigenen Spitzenverbänden nicht ausgehen durfte. Auch ein solches Verhalten wäre als zumindest fahrlässig zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 67/09 R – m.w.N., zitiert nach juris).

60

Die Geltendmachung der Säumniszuschläge widerspricht nach summarischer Prüfung schließlich auch nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB); es spricht zum derzeitigen Verfahrenszeitpunkt nicht überwiegend etwas dafür, dass hier eine Verwirkung als Fall der unzulässigen Rechtsausübung vorliegt.

61

Das Institut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben auch im Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung für zurückliegende Zeiten anerkannt (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010, a.a.O., m.w.N.). Die Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes die verspätete Geltendmachung des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden besonderen Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Grundsätzlich sind dabei strenge Anforderungen an das Verwirkungsverhalten zu stellen. Ein bloßes Nichtstun als Verwirkungsverhalten reicht regelmäßig nicht aus, es muss ein konkretes Verhalten des Gläubigers hinzukommen, welches bei dem Schuldner die berechtigte Erwartung erweckt hat, dass eine Forderung nicht besteht oder nicht geltend gemacht wird (BSGE 92, 150, 154 und 100, 215, jeweils m.w.N.).

62

Ein solches Verwirkungsverhalten der Antragsgegnerin, das bei der Antragstellerin das berechtigte Vertrauen begründen durfte, die Antragsgegnerin werde keine Säumniszuschläge erheben, liegt aber nach summarischer Prüfung nicht vor. Die Antragsgegnerin hat es aus verfahrensökonomischen Gründen unterlassen, die Beitragsforderungen umzusetzen. Hintergrund war – wie oben bereits aufgezeigt – in erster Linie die Entlastung der Verwaltungen der Sozialversicherungsträger und der Gerichte. Ein solches Unterlassen erfüllt nach den aufgezeigten Maßstäben weder die Anforderung eines vertrauensbegründenden Verwirkungsverhaltens noch durfte die Antragstellerin dies als bewusst und planmäßig erachten und deshalb darauf vertrauen, nicht zu Säumniszuschlägen herangezogen zu werden.

63

Schließlich spricht auch nichts dafür, dass die Vollziehung des Beitragsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte bedeutet. Dies wird von ihr auch nicht geltend gemacht.

64

Der Beschwerde war danach stattzugeben und die Anschlussbeschwerde zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung aus einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung folgt.

65

Bei der Festsetzung des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§§ 197 Abs. 1 Satz 1 SGG, 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG -) ist der Senat von der Gesamtforderung in Höhe von 1.448.140,25 EUR ausgegangen. Der Streitwert im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird in der Rechtsprechung des LSG Schleswig-Holstein (z. B. Beschluss vom 10. März 2011 – L 5 KR 31/11 B ER -, zitiert nach juris) regelmäßig mit einem Drittel des im Hauptsacheverfahren streitigen Betrages angenommen. Dieser Wert beläuft sich auf 482.713,00 EUR. Gleichzeitig wird die Streitwertfestsetzung erster Instanz von Amts wegen geändert (§ 63 Abs. 3 GKG).

66

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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