Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (3. Senat) - L 3 AL 8/15
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 23. Januar 2015 wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 23. Januar 2015 aufgehoben, soweit damit der Klage teilweise stattgegeben worden ist. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über den Eintritt einer einwöchigen Sperrzeit sowie über den Beginn des Bezuges von Arbeitslosengeld (Alg) wegen der Sperrzeit, einer Erkrankung der Klägerin und einer Urlaubsabgeltung.
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Die 1970 geborene Klägerin war bis zum 30. April 2005 bei der X. als Meisterin beschäftigt. Danach war sie arbeitslos und bezog im Anschluss an eine eingetretene Sperrzeit ab 24. Juli 2005 bis zur Erschöpfung des Anspruchs ab 22. April 2006 Alg. Zum 1. Dezember 2008 trat die Klägerin eine nach dem Arbeitsvertrag bis zum 30. November 2010 befristete Vollzeitstelle im Rahmen eines Forschungsvorhabens bei der H / U in H. an.
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Am 9. September 2010 meldete die Klägerin sich persönlich arbeitsuchend. Gleichzeitig meldete sie sich mit Wirkung zum 1. Dezember 2010 erneut arbeitslos und beantragte Alg. Am 9. September 2010 wurde ihr ein Termin bei der Arbeitsvermittlung am 1. Dezember 2010 aufgegeben. In einem Aktenvermerk des Mitarbeiters M der Beklagten vom 1. Dezember 2010 heißt es:
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„kurze Vorsprache – Kundin erscheint erheblich verspätet nach vorgesehenen Termin. Entschuldigt sich, gibt als Grund gesundheitliche Gründe an.
Ein MV liegt nicht vor, obwohl der heute Termin nicht mehr durchgeführt werden kann. Kunde macht sichtlich gesundheitlich angeschlagenen Eindruck ohne sich genauer zu offenbaren.
Sie wird noch heute einen Arzt aufsuchen und voraussichtlich auch AU geschrieben. Sie rechnet selbst mit einer längeren AU-Zeit.
Aufgeklärt, dass bei AU ab heute keine Arbeitslosigkeit vorliegen würde, sie sich an die KK wenden müsse, um KG zu beantragen.
Seitens der Arbeitsagentur würde eine Abmeldung erfolgen. Eine erneute pers. Arbeitslosmeldung nach Genesung wäre dann erforderlich.
Aus den o.a. Gründen heute keinen neuen Termin vergeben.
Kundin wird bis zum 03.12.10 eine Rückmeldung geben.
Vor weiteren Veranlassungen wird dies Rückmeldung abgewartet.“
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Am 3. Dezember 2010 teilte die Klägerin der Beklagten telefonisch mit, dass sie nicht genau wisse, wie lange sie arbeitsunfähig geschrieben sei. Wahrscheinlich sei sie ab dem 1. Dezember 2010 arbeitsunfähig, nähere Angaben dazu wolle sie nicht machen (Aktenvermerk vom 3. Dezember 2010).
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Am 15. Februar 2011 reichte die Klägerin den ausgefüllten Vordruck zu ihrem Alg-Antrag ein und gab dabei an, seit dem 1. Dezember 2010 bis zum 31. Januar 2011 arbeitsunfähig krankgeschrieben zu sein. Sie erhalte von ihrem ehemaligen Arbeitgeber noch Zahlungen für Zeiten nach ihrem Ausscheiden (z.B. Urlaubsabgeltung) und mache in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung geltend. Im Dezember 2010 habe sie Krankengeld beantragt. Sie reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Folgebescheinigung) des sie behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin F vom 17. Januar 2011 ein.
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Die Universität teilte der Beklagten mit Schreiben vom 15. Februar 2011 mit, dass die Klägerin im Rahmen ihrer dortigen Einstellung ab 1. Dezember 2008 darauf hingewiesen worden sei, dass sie nach § 38 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) dazu verpflichtet sei, sich spätestens drei Monate vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Bundesagentur für Arbeit persönlich arbeitssuchend zu melden. Die Beklagte hörte die Klägerin zum Eintritt einer Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung an. Die Klägerin gab dazu an, dass sie in der Urlaubszeit unabkömmlich gewesen sei. Im Übrigen reichte sie das ihr am 1. Dezember 2008 zur Kenntnis gegebene Merkblatt ein, in dem es unter anderem heißt:
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… „Weiterhin sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verpflichtet, sich spätestens 3 Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Liegen zwischen der Kenntnis des Beendigungszeitpunktes und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses weniger als drei Monate, hat die Meldung innerhalb von 3 Tagen nach Kenntnis des Beschäftigungsverhältnisses zu erfolgen. Die Pflicht zur Meldung besteht unabhängig davon, ob der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend oder vom Arbeitgeber in Aussicht gestellt wird (§ 37b SGB III).“ …
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Ergänzend teilte die Klägerin mit Schreiben vom 16. Februar 2011 mit, dass Sachgrund der Befristung ihres Arbeitsvertrages die Projektdauer gewesen sei. Tatsächlich habe das Projekt allerdings mit Stand vom 25. November 2010 eine voraussichtliche Laufzeit bis September 2011 mit Überleitung in ein weiteres Projekt bis mindestens November 2012 gehabt. Am 26. November 2010 habe sie mit Schreiben der Universität vom 24. November 2010 Kenntnis von der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2010 erhalten.
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Am 1. Februar 2011 meldete die Klägerin sich mit Wirkung vom selben Tage erneut arbeitslos und beantragte Alg; die Fragen nach einer Krankschreibung oder anderen Gründen für eine Verfügbarkeitseinschränkung verneinte sie in dem ebenfalls am 15. Februar 2011 zurückgereichten ausgefüllten Antrag.
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Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Universität mit Schreiben vom 7. März 2011 mit, dass die Klägerin noch einen Anspruch auf ein Leistungsentgelt nach § 18 TVöD in Höhe von 375,38 EUR gehabt habe. Der Betrag sei zur Zahlung angewiesen worden. Darüber hinaus sei die Wehrbereichsverwaltung angewiesen worden, einen Urlaubsanspruch in Höhe von 3 Urlaubstagen abzugelten.
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Mit Bescheid vom 15. Februar 2011 stellte die Beklagte den Eintritt einer einwöchigen Sperrzeit vom 1. bis 7. Januar 2011 wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung und die Minderung des Anspruchs auf Alg um sieben Tage fest. Gleichzeitig führte die Beklagte aus, dass der Klägerin auch nach Ablauf der Sperrzeit keine Leistungen gezahlt würden, weil sie arbeitsunfähig erkrankt sei und keinen Anspruch auf Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall habe. Sollte die Klägerin wieder arbeitsfähig sein, möge sie die Leistung erneut beantragen.
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Mit weiterem Bescheid vom 16. Februar 2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg für die Zeit vom 1. Februar 2011 bis 23. Januar 2012 (353 Kalendertage, täglicher Leistungsbetrag 39,53 EUR).
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Das nach Erlass dieses Bescheides eingegangene Schreiben der Klägerin vom 16. Februar 2011 wertete die Beklagte als Widerspruch gegen den Bescheid vom 15. Februar 2011 wegen verspäteter Meldung sowie wegen der Ablehnung von Leistungen. Mit anwaltlichen Schriftsätzen vom 16. März 2011 legte die Klägerin noch einmal ausdrücklich gegen den Bescheid vom 15. Februar sowie auch gegen den Bescheid vom 16. Februar 2011 Widerspruch ein.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 2011 (Az. W 257/11) wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Sperrzeitbescheid mit der Maßgabe zurück, dass die Sperrzeit bereits für die Zeit vom 1. bis 7. Dezember 2010 eingetreten sei. Die Klägerin habe sich ohne wichtigen Grund verspätet arbeitsuchend gemeldet, so dass gemäß §§ 144 Abs. 1 i.V.m. § 144 Abs. 6 und § 38 SGB III in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung eine einwöchige Sperrzeit eingetreten sei. Die Klägerin sei durch das ihr ausgehändigte Merkblatt auf ihre Meldepflicht hingewiesen worden; Kenntnis vom Ende des Beschäftigungsverhältnisses habe seit dem Tag des Vertragsabschlusses bestanden. Dass in dem Merkblatt fehlerhaft die Vorschrift des § 37b SGB III benannt worden sei, ändere an der getroffenen Entscheidung nichts. Aus § 128 Abs. 1 Nr. 3 SGB III ergebe sich eine entsprechende Minderung der Anspruchsdauer.
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Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 21. März 2011 (Az. 258/11) lehnte die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 15. Februar 2011 den in dem Bescheid so beschriebenen „Antrag auf Gewährung von Alg vom 8. Dezember 2010“ (gemeint: ab 8. Dezember 2010) ab und wies gleichzeitig den gegen die Leistungsversagung eingelegten Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte insoweit zur Begründung aus, dass die Klägerin aufgrund der vom 1. Dezember 2010 bis 31. Januar 2011 bestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht verfügbar gewesen sei und deshalb keinen Anspruch auf Alg gehabt habe. Wegen des Eintritts der einwöchigen Sperrzeit mit der Folge des Ruhens des Anspruchs bis 7. Dezember 2010 komme auch eine Fortzahlung von Alg ab 8. Dezember 2010 gemäß § 126 SGB III nicht in Betracht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf beide Widerspruchsbescheide (der Klägerin zugegangen jeweils am 24. März 2011) Bezug genommen.
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Am 26. April 2011 – Dienstag nach Ostern – hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Kiel zum einen Klage gegen den Sperrzeitbescheid vom 15. Februar 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2011 (S 9 AL 65/11) und zum anderen Klage gegen den Bewilligungsbescheid vom 16. Februar 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2011 (S 6 AL 64/11) erhoben. Beide Verfahren sind zunächst zuständigkeitshalber an das Sozialgericht Schleswig verwiesen worden (Az. S 3 AL 73/11 und S 3 AL 70/11) und dort mit Beschluss vom 4. August 2011 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Az. S 3 AL 73/11 fortgeführt worden. Zu dem ursprünglich unter dem Az. S 3 AL 70/11 geführten Verfahren haben die Beteiligten im erstinstanzlichen Verhandlungstermin am 23. Januar 2015 übereinstimmend erklärt, dass diese Klage sich nicht gegen den Bescheid vom 16. Februar 2011 richte, sondern ebenfalls gegen den Bescheid vom 15. Februar 2011, soweit damit ein Alg-Anspruch aufgrund der seinerzeitigen Arbeitsunfähigkeit der Klägerin auch nach Ablauf der Sperrzeit in Abrede gestellt wurde.
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Zur Begründung der Klagen hat die Klägerin geltend gemacht: Eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung sei nicht eingetreten. Sowohl § 38 SGB III als auch die Vorgängerregelung des § 37b SGB III setzten eine Kenntnis der Meldepflicht und die schuldhafte Verletzung dieser Pflicht voraus. Zwar sei sie im Dezember 2008 auf die damals geltende Regelung des § 37b SGB III hingewiesen worden. Diese Vorschrift habe nach ihrem Wortlaut aber vorgesehen, dass die Arbeitsuchendmeldung „frühestens“ drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erfolgen habe. Insoweit habe sie davon ausgehen können, dass ihre Meldung vom 9. September 2010 rechtzeitig gewesen sei. Auf den anderslautenden Inhalt eines Merkblatts könne die Beklagte sich nicht berufen, wenn das Merkblatt – wie hier – im Gegensatz zu der gesetzlichen Regelung stehe. Im Übrigen sei die Lage einer etwaigen Sperrzeit falsch bestimmt: Sperrzeitbegründendes Ereignis bei einer Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung sei die verspätete Meldung. Ausgehend von einer Meldepflicht am 31. August oder 1. September 2010 habe eine etwaige Sperrzeit am 1. oder 2. September 2010 zu laufen begonnen, so dass ein Ruhen ihres Alg-Anspruchs ab 1. Dezember 2010 insoweit nicht mehr habe eintreten können.
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Die Beklagte habe ihr ab dem 1. Dezember 2010 Alg zu gewähren, wobei der Anspruch aufgrund ihrer Erkrankung gemäß § 126 SGB III auf die ersten sechs Wochen beschränkt sei. Ihre Verfügbarkeit sei nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen. Vielmehr habe sie sich im Anschluss an ihre Arbeitslosmeldung am 1. Dezember 2010 unwohl gefühlt und einen Arzt aufgesucht, der sie schließlich für arbeitsunfähig gehalten und eine entsprechende Bescheinigung ausgefüllt habe. Dabei beinhalte der Begriff der Arbeitsunfähigkeit nicht eine Vermittlungsunfähigkeit im Sinne von § 119 SGB III. Die von dem Arzt F festgestellte Arbeitsunfähigkeit habe sich auf die letzte Tätigkeit der Klägerin an der Universität bezogen; hieraus ergebe sich allerdings keine Vermittlungsbeeinträchtigung für andere Arbeitgeber oder andere Berufe. Dies werde in das Zeugnis des Herrn F gestellt.
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Der Umstand, dass ihr eine Urlaubsabgeltung für drei Urlaubstage gewährt worden sei, führe nicht zum Ruhen des Alg-Anspruchs, weil diese Leistung erst zum 31. März 2011 ausgezahlt worden sei. Insoweit habe sie einen Alg-Anspruch nach den Maßstäben der sog. Gleichwohlgewährung.
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Zu den mit ihrer Arbeitsunfähigkeit zusammenhängenden Fragen und einem möglichen Anspruch auf Krankengeld habe der Mitarbeiter M der Beklagten sie fehlerhaft beraten. Denn einen Krankengeldanspruch habe sie nicht gehabt. Wäre sie über die Möglichkeiten der Gewährung von Alg und Krankengeld zutreffend aufgeklärt worden, hätte sie keinen Arzt aufgesucht, um ihre Erkrankung als Arbeitsunfähigkeit attestieren zu lassen. Insoweit mache sie nunmehr einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid vom 15. Februar 2011 in der Fassung der beiden Widerspruchsbescheide vom 18. März 2011 und 21. März 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld ab dem 1. Dezember 2010 zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat sie auf die Gründe der Widerspruchsbescheide vom 18. und 21. März 2011 Bezug genommen. Ergänzend hat sie ausgeführt: Sie halte an ihrer Auffassung fest, dass eine einwöchige Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung eingetreten sei. Die Klägerin sei hinreichend darüber aufgeklärt worden, dass sie sich drei Monate vor Ablauf des Arbeitsverhältnisses habe arbeitsuchend melden müssen. Zum einen sei ihr dies im Leistungsnachweis (Rückseite) vom 24. April 2006 (vorgelegt mit Anwaltsschriftsatz vom 22. Dezember 2011, Vordruckmuster Bl. 38/39 der Gerichtsakte) mitgeteilt worden, zum anderen habe ihr ihr damaliger Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag vom 1. Dezember 2008 entsprechende Hinweise gegeben.
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Auch nach Ablauf der Sperrzeit stehe der Klägerin Alg nicht zu. Ein Anspruch auf Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall entstehe nur, wenn das Stammrecht auf Alg bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bereits bestehe. Zugunsten der Klägerin nehme die Beklagte eine Entstehung des Stammrechts am 1. Dezember 2010 an und gehe nicht von anfänglicher Arbeitsunfähigkeit bereits bei Arbeitslosmeldung aus (vgl. Beratungsvermerk vom 1. Dezember 2010). Da jedoch der Anspruch infolge der Sperrzeit bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit geruht habe, seien die Voraussetzungen für die Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall nach § 126 SGB III (a.F.) nicht erfüllt. Insoweit werde auch auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Bezug genommen (Urteil vom 7. Februar 2002, B 7 AL 28/01 R). Rein vorsorglich werde noch darauf hingewiesen, dass auch die Urlaubsabgeltung einen Ruhenstatbestand herbeigeführt habe.
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Das Sozialgericht hat eine Kopie der von dem Arzt F geführten Krankenbehandlungskarte der Klägerin beigezogen. Daraus ergibt sich die erstmalige Feststellung von Arbeitsunfähigkeit am 1. Dezember 2010 bis 10. Dezember 2010, Diagnosen: F43.0 G (akute Belastungsreaktion) und R53 G (Erschöpfungszustand). Die AU-Bescheinigung ist in der Folgezeit bis zum 31. Januar 2011 verlängert worden.
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Nach mündlicher Verhandlung am 23. Januar 2015 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide in Bezug auf die Lage der Sperrzeit vom 1. bis 7. Dezember 2010 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht unter Darlegung im Einzelnen im Wesentlichen ausgeführt: Die Klagen seien zulässig und zu einem geringen Teil begründet. Die Sperrzeit sei eingetreten, liege jedoch zeitlich falsch, weshalb nur die Anspruchsverkürzung nach § 128 Abs. 1 Nr. 3 SGB III (a.F.), jedoch kein Ruhen des Anspruchs vom 1. bis 7. Dezember 2010 eintrete. Aufgrund der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab 1. Dezember 2010 bis 31. Januar 2011 liege jedoch mangels Verfügbarkeit keine Arbeitslosigkeit vor; eine Weiterzahlung des Alg nach § 126 SGB III scheide mangels Vorbezug von Alg aus. Auf die weitere Frage eines Ruhens wegen Urlaubsabgeltung komme es nicht mehr an.
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Zur Lage der Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung hat das Sozialgericht unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Sozialgerichts Dortmund ausgeführt: Die Beklagte habe die Lage dieser Sperrzeit auch nach Korrektur im Widerspruchsverfahren falsch bestimmt. Gemäß § 144 Abs. 2 SGB III (a.F.) beginne die Sperrzeit mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründe. Eine Definition des Ereignisses selbst enthalte die Vorschrift nicht. Es sei allerdings mit dem Wortlaut nicht vereinbar, den rechtlichen Beginn der Arbeitslosigkeit als Auslöser für die Sperrzeit zu definieren. Der Eintritt der Arbeitslosigkeit begründe nicht die Sperrzeit, sondern nach § 37b SGB III (a.F.) die verspätete Meldung. Sanktioniert werde nicht der Eintritt der Arbeitslosigkeit, sondern die Pflichtverletzung bezüglich der rechtzeitigen Meldung. Die Meldung hätte bis zum 30. August 2010 erfolgen müssen, so dass mit fruchtlosem Ablauf das sperrzeitauslösende Ereignis eingetreten sei. Anderslautende Entscheidungen stellten zu Unrecht allein auf die ansonsten fehlende Spürbarkeit der Sperrzeit ab. Zum einen sei dies nicht in Gänze zutreffend, da die Anspruchsminderungswirkung des § 128 Abs. 1 Nr. 3 SGB III (a.F.) trotzdem eintrete, zum anderen bilde der Wortlaut die Grenze der Auslegung. Anders als bei pflichtwidrigem Verhalten im Arbeitsverhältnis selbst, das den Verlust des Arbeitsplatzes erst herbeiführe, bestehe bei der verspäteten Arbeitsuchendmeldung keine kausale Verknüpfung zwischen dem Eintritt der Arbeitslosigkeit und der Pflichtverletzung. Der Eintritt von Arbeitslosigkeit sei für die Verwirkung einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Nr. 7 SGB III nicht erforderlich. Das BSG habe auch für andere Konstellationen entschieden, dass eine Bindung der Sperrzeit an Entstehung und Fortbestand des Leistungsanspruchs nicht bestehe (vgl. BSG, Urteil vom 5. August 1999, B 7 AL 14/99 R).
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Gegen diese ihrem Prozessbevollmächtigten am 4. Februar 2015 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 2. März 2015 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin. Die Beklagte, der das Urteil am 6. Februar 2015 zugestellt worden ist, hat am 23. April 2015 Anschlussberufung eingelegt.
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Zur Begründung ihrer Berufung wiederholt und vertieft die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen. Sie stützt die vom Sozialgericht vertretene Auffassung, dass eine etwaige Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung bereits abgelaufen gewesen sei, so dass ab 1. Dezember 2010 insoweit keine Ruhenswirkung habe eintreten können. Unabhängig davon liege in Bezug auf das angebliche Meldeversäumnis ein wichtiger Grund vor, weil ihr eine persönliche Vorsprache vor dem 9. September 2010 wegen der täglichen Pendelfahrten nach H. nicht möglich gewesen sei. Ihr damaliger Disziplinar- und Fachvorgesetzter M könne ihre damalige Unabkömmlichkeit bestätigen.
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Auch der Umstand, dass sie am 31. März 2011 eine Urlaubsabgeltung für drei Urlaubstage erhalten habe, führe nicht zum Ruhen ihres Alg-Anspruchs; insoweit hätte die Beklagte ihr zunächst Leistungen im Rahmen der sog. Gleichwohl-Gewährung bewilligen müssen.
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Entgegen der vom Sozialgericht vertretenen Auffassung habe sie auch ab dem 1. Dezember 2010 für eine Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden. Eine Arbeitsunfähigkeit schließe nicht in jedem Fall die Verfügbarkeit aus. Das gelte auch in ihrem Fall, weil die von dem Arzt F bescheinigte Arbeitsunfähigkeit sich auf ihre Tätigkeit bei der Universität bezogen habe und nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt oder andere Berufe. Es sei zu berücksichtigen, dass sie bereits seit 1994 unter einer depressiven Störung leide, die allerdings vor dem Jahr 2010 nie zu einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen geführt habe. Dies habe sich erst anlässlich ihres Arbeitsrechtsstreits mit der Universität geändert. Das Sozialgericht hätte den Zeugen F ergänzend vernehmen müssen.
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Die Klägerin beantragt,
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1. das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 23. Januar 2015 zu ändern,
den Bescheid vom 15. Februar 2011 in der Fassung der beiden Widerspruchsbescheide vom 18. März 2011 und 21. März 2011 insgesamt aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld ab dem 1. Dezember 2010 zu gewähren,
2. die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Die Beklagte beantragt,
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1. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
2. das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 23. Januar 2015 zu ändern
und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Sie stützt das angefochtene Urteil, soweit das Sozialgericht die Klage abgewiesen hat, und vertieft ihre bisherige Rechtsauffassung. Ergänzend führt sie aus: Es sei darauf hinzuweisen, dass das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide in ihrem Verfügungssatz nicht geändert habe; die Teilstattgabe betreffe allein die Begründung. Insoweit sei sie – die Beklagte – letztlich nicht beschwert. Es gehe ihr aber um Klärung der Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung, wann eine Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung beginne. Aus ihrer Sicht trete ein Sperrzeitereignis erst ein, wenn alle Tatbestandsmerkmale erfüllt seien. Werde ein Beschäftigungsverhältnis beendet, beginne die Sperrzeit an dem Tag, ab dem Beschäftigungslosigkeit vorliege.
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In der Berufungsverhandlung hat der Vertreter der Beklagten ergänzend die seinerzeitige subjektive Verfügbarkeit der Klägerin in Zweifel gezogen.
- 41
Der Senat hat den Arzt F mit Verfügung vom 7. Januar 2016 um Erläuterung der AU-Bescheinigungen für die Monate Dezember 2010 und Januar 2011 gebeten und dazu folgende Fragen gestellt:
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• Aus welchen Gründen hat aus Ihrer Sicht Arbeitsunfähigkeit vorgelegen?
• Haben Sie Ihre Einschätzung auf eine bestimmte berufliche Tätigkeit bezogen?
• Hätte Frau S auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können?
• Ist Ihnen bekannt gewesen, ob Frau S Anfang Dezember 2010 in einem Beschäftigungsverhältnis stand?
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In der von Herrn F übersandten Antwort vom 29. Januar 2016 heißt es wörtlich:
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1. Depressiver Störungen und Erschöpfungszustände, Rippenfraktur
2. Auf Grund beider obigen Gesundheitsstörungen
3. Nein
4. Das ist mir aus der Erinnerung nicht bekannt. Nach meinen alten Unterlagen war sie vom 01.12.2010 bis 07.01.2011 AU wegen o.g. Störungen.
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Ausweislich einer im Internet veröffentlichten Traueranzeige ist Herr F am 18. Mai 2016 verstorben. Auf eine Nachfrage des Senats an die Praxisnachfolgerin, D, vom 28. August 2016 hat diese mit Schreiben vom 13. September 2016 mitgeteilt:
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Der einzige Eintrag, der ggf. behilflich sein könnte, ist ein handschriftlicher Eintrag in die Karteikarte vom 10.12.2010. Demgemäß wurde die Patientin entlassen (Zeitpunkt?), stand psychisch unter starkem Druck (siehe Kopie).
Weitere Angaben/ Einträge zum entsprechenden Zeitraum sind nicht vorhanden.
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Von der AOK N hat der Senat mit Schreiben vom 26. August 2016 die dort vorliegenden Übersichten über Arbeitsunfähigkeitszeiten und Behandlungen der Klägerin für die Monate Dezember 2010 und Januar 2011 erbeten. Hierzu hat die AOK mit Schreiben vom 31. August 2016 die für diesen Zeitraum ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit Angabe der jeweils verschlüsselten Diagnosen zur Akte gereicht. Ergänzend hat die AOK ausgeführt, dass zur Frage der Behandlungen keine Angaben gemacht werden könnten.
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Zu den im Berufungsverfahren eingeholten Auskünften macht die Klägerin geltend, dass die Angaben des Herrn F nicht mit den Angaben in ihrer Patientenkartei übereinstimmten und die Anfragen des Senats nicht vollständig beantworteten. Tatsächlich sei es so gewesen, dass sie nach Auslaufen ihres befristeten Arbeitsvertrages, der erforderlichen Auseinandersetzung mit der Beklagten wegen ihres Anspruchs auf Alg und wegen der Auseinandersetzungen mit ihrem bisherigen Arbeitgeber nicht gewusst habe, wo ihr der Kopf gestanden habe. Entgegen der von Herrn F mitgeteilten Einschätzung sei sie aber sehr wohl in der Lage gewesen, ihre Arbeitskraft dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Sie habe sich seinerzeit auch aktiv um eine neue Arbeitsstelle bemüht, wie sich auch aus einem zur Akte gereichten Bewerbungsschreiben vom 15. Januar 2011 ergebe.
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Die Beklagte verweist demgegenüber darauf, dass die jetzige Einlassung der Klägerin ihren zeitnahen Einlassungen gegenüber den Mitarbeitern der Beklagten widerspreche. Im Übrigen liege es in der Natur der Sache, dass die von einem Arzt geführten Unterlagen (tabellarische Patientenkarte, Übersicht) nicht sämtliche maßgeblichen Detailinformationen enthalte.
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Dem Senat haben die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Gerichtsakten vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Eine Berufungsbeschränkung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegt nicht vor, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes angesichts eines strittigen Leistungszeitraums von mindestens sechs Wochen und einem täglichen Alg-Leistungsbetrag von 39,53 EUR den Wert von 750,00 EUR deutlich übersteigt.
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Die Berufung der Beklagten, die nach Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist eingelegt wurde, ist als Anschlussberufung (vgl. dazu allg. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. § 143 Rz. 5ff.) in Abhängigkeit von der Hauptberufung zulässig (§ 202 SGG i.V.m. § 524 Zivilprozessordnung); einer Prüfung des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG oder des Vorliegens einer Beschwer bedarf es insoweit nicht (vgl. Leitherer a.a.O. Rz. 5a m.w.N.).
- 53
Zur Überzeugung des Senats ist die Berufung der Klägerin nicht begründet; die Anschlussberufung der Beklagten hat hingegen Erfolg. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Alg bereits ab 1. Dezember 2010 hat. Nach § 117 Abs. 1 SGB III a.F. hat Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit, wer arbeitslos ist und die weiteren in der Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt. Arbeitslos ist – neben weiteren Voraussetzungen – nur derjenige, der den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit), § 118 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F., wobei § 118 Abs. 5 SGB III insoweit nähere Einzelheiten zur objektiven und subjektiven Verfügbarkeit regelt. Nach § 118 Abs. 5 Nr. 1 SGB III a.F. steht den Vermittlungsbemühungen zur Verfügung, wer – neben weiteren Voraussetzungen – eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie oder ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf. Ein Arbeitsloser kann eine Beschäftigung aufnehmen und ausüben, wenn er hierzu geistig und körperlich in der Lage ist und durch nichts gehindert wird. Das objektive Tatbestandsmerkmal „können“ umfasst unter anderem den Gesundheitszustand des Arbeitslosen. Die Vorlage einer AU-Bescheinigung schließt die Verfügbarkeit nicht von vornherein aus, da sich eine AU-Bescheinigung in aller Regel nur auf die bisher ausgeübte Tätigkeit bezieht (Öndül in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 1. Aufl. § 138 Rz 79; Brand, SGB III, 7. Aufl. § 138 Rz 66, LSG Bayern, Beschluss vom 25. Februar 2013, L 9 ALÖ 8/13 B ER, juris). Gleichwohl bestehen im vorliegenden Fall keine Zweifel daran, dass die Klägerin nicht nur für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit arbeitsunfähig war. Hierfür sprechen bereits die von dem Mitarbeiter M der Beklagten in seinem Vermerk vom 1. Dezember 2010 beschriebenen Umstände, insbesondere der Hinweis der Klägerin, wonach sie selbst mit einer längeren AU-Zeit rechnete. Dabei ist sie ausweislich des Vermerks ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass bei Arbeitsunfähigkeit ab dem 1. Dezember 2010 keine Arbeitslosigkeit vorliegen würde. Gleichwohl hat die Klägerin nach dem 1. Dezember 2010 bis zur Rückgabe des ausgefüllten Antragsvordrucks zunächst bis Februar 2011 keinen weiteren Kontakt zu der Beklagten aufgenommen und auch bei der Antragsrückgabe auf ihre zweimonatige Arbeitsunfähigkeit bei dokumentierter Krankschreibung hingewiesen; auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil kann insoweit Bezug genommen werden. Der Senat teilt ausdrücklich die vom Sozialgericht vertretene Auffassung, wonach der sich aus den Akten ergebene Geschehensablauf für eine umfassende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin spricht und ihre erst im Dezember 2014 (Schriftsatz vom 12. Dezember 2014) bzw. im erstinstanzlichen Verhandlungstermin abgegebenen Erklärung, wonach sie aus verschiedenen Gründen doch nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, nicht überzeugen kann. Hier drängt sich eher der Eindruck einer verfahrensangepassten Erklärung auf.
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Die im Berufungsverfahren unternommenen Bemühungen nach weiterer Aufklärung der ärztlichen Hintergründe für die erfolgte Krankschreibung sind weitgehend ohne Erfolg geblieben; nach dem Tod des Herrn F sind insoweit weitere Ermittlungen nicht möglich. Immerhin hat sich – wie die Praxisnachfolgerin D mitgeteilt hat – jedoch in den Unterlagen des Herrn F ein Hinweis vom 10. Dezember 2010 auf eine Entlassung der Klägerin gefunden. Vor dem Hintergrund, dass Herr F die erfolgte Krankschreibung wiederholt verlängert hat, ohne dass sich – was den Grund der Arbeitsunfähigkeit betrifft – erkennbar wesentliche Umstände verändert hätten, spricht dies allerdings nach Auffassung des Senats deutlich dagegen, dass Herr F nur die Arbeitsunfähigkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit der Klägerin attestieren wollte.
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Neben der objektiven Verfügbarkeit dürfte hier auch die subjektive Verfügbarkeit der Klägerin im Sinne ihrer Bereitschaft, ihr angebotene Beschäftigungen anzunehmen und auszuüben, nicht vorgelegen haben. Hierfür sprechen bereits die Hinweise der Klägerin auf eine voraussichtlich längere Arbeitsunfähigkeit bei ihrer Vorsprache am 1. Dezember 2010. Dies bedarf allerdings nach Vorstehendem keiner Vertiefung.
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Fragen des von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind hier nicht zu erörtern. Denn es ist ausgeschlossen, das Vorliegen von Arbeitslosigkeit bzw. Verfügbarkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Alg nachträglich im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu fingieren (BSG, Beschluss vom 7. Mai 2009, B 11 AL 72/08 B, juris, m.w.N.). Ob der Mitarbeiter M die Klägerin – wie sie meint – fehlerhaft beraten hat, kann deshalb ohne jede weitere Sachprüfung dahinstehen.
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Das Sozialgericht hat auch zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Weiterzahlung von Alg im Krankheitsfall nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. hat. Eine Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit kann nur erfolgen, wenn „während“ des Bezugs von Alg Arbeitsunfähigkeit eintritt. Zwar reicht es insoweit aus, dass ein realisierbarer Anspruch auf Zahlung von Alg besteht; dass die Leistung etwa erst später bewilligt und gewährt wird, schließt die Anwendung der Vorschrift nicht aus (Brand a.a.O. m.w.N.). Ein realisierbarer Anspruch auf Alg hat hier aber am 1. Dezember 2010 nicht bestanden, weil der Alg-Anspruch der Klägerin trotz Bestehens des Stammrechts wegen Eintritts einer einwöchigen Sperrzeit geruht hat. Unbeschadet der Frage, ob sich der Ruhenszeitraum wegen des Anspruchs der Klägerin auf eine Urlaubsabgeltung verlängert hat, lagen die Voraussetzungen des § 125 SGB III a.F. auch nach Ablauf des Ruhens nicht vor, weil insoweit die Arbeitsunfähigkeit nicht „während des Bezugs“ von Alg eingetreten ist.
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Dass hier eine einwöchige Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung eingetreten ist, hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt; insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen werden. Anders als das Sozialgericht ist der Senat allerdings der Auffassung, dass die Sperrzeit erst bei Beginn der Beschäftigungslosigkeit der Klägerin ab 1. Dezember 2010 zu laufen begonnen hat.
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Nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7, Abs. 6 SGB III a.F. tritt eine einwöchige Sperrzeit ein, wenn der Arbeitsuchende seine Obliegenheit zur frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung verletzt, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Die Obliegenheit der Klägerin, sich spätestens drei Monate vor Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden, folgt aus § 38 Abs. 1 SGB III in der am 1. Januar 2009 geltenden Fassung. Dass die Klägerin objektiv ihre Meldepflicht verletzt hat, ist eindeutig und bedarf keiner weiteren Begründung. Sie hatte für ihr Verhalten auch keinen wichtigen Grund. Ein solcher ist anzuerkennen, wenn dem Arbeitslosen unter Berücksichtigung des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen des Arbeitslosen mit denjenigen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden konnte; die Sperrzeit setzt somit ein subjektiv vorwerfbares Verhalten voraus (BSG, Urteil vom 25. August 2011, B 11 AL 30/10 R, juris). Erforderlich ist insoweit eine doppelte Verschuldensprüfung: Zum einen muss der Arbeitslose Kenntnis von der Obliegenheit zur Arbeitsuchendmeldung gehabt haben bzw. nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten fahrlässig darüber in Unkenntnis gewesen sein und zum zweiten muss er sich zumindest leicht fahrlässig nicht unmittelbar nach Kenntniserlangung arbeitsuchend gemeldet haben (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. September 2014, L 9 AL 236/13, juris, m.w.N.). Kenntnis von der Meldeobliegenheit hatte die Klägerin bereits aufgrund der ihr bei Begründung des befristeten Beschäftigungsverhältnisses gegebenen Hinweise (dass dabei die nicht mehr geltende Vorgängervorschrift - § 37b SGB III a.F. – genannt war, ist angesichts des aus sich heraus ohne Weiteres verständlichen Wortlauts des ausgehändigten Merkblatts unerheblich). Darüber hinaus fanden sich entsprechende Hinweise in dem der Klägerin im April 2006 übersandten Leistungsnachweis (vgl. Rückseite des Bescheidvordrucks Bl. 39 der Gerichtsakte). Soweit die Klägerin sich darauf beruft, im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses bei der Universität unabkömmlich gewesen zu sein, vermag dies nicht zu überzeugen; ein wichtiger Grund im Sinne der Sperrzeitvorschrift ist damit nicht ausreichend dargetan. Abgesehen davon, dass zur Wahrung der Frist eine Anzeige unter Angabe der persönlichen Daten und des Beendigungszeitpunkts ausreicht, wenn die persönliche Meldung nach terminlicher Vereinbarung nachgeholt wird (§ 38 Abs. 1 Satz 3 SGB III), hatte der Arbeitgeber (Universität) selbst der Klägerin die Hinweise auf die Notwendigkeit der Arbeitsuchendmeldung gegeben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht glaubhaft, dass der Arbeitgeber die Meldung durch Unabkömmlichstellung der Klägerin vereitelt hat. Zumindest wäre es der Klägerin möglich gewesen, insoweit zunächst schriftlich oder fernmündlich Kontakt mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen. Im Übrigen hat die Klägerin im Verwaltungsverfahren bei ihrer Anhörung zum Eintritt einer Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung angegeben, in der Urlaubszeit unabkömmlich gewesen zu sein. Sollten sich diese Angaben auf einen eigenen Urlaub bezogen haben, wäre ihr Vorbringen widersprüchlich, was hier allerdings nach Vorstehendem keiner Vertiefung bedarf.
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Dass die Klägerin zunächst davon ausging, ihr Beschäftigungsverhältnis könnte verlängert werden, ist unerheblich, weil ihr aufgrund der eindeutigen Bestimmungen des Arbeitsvertrages bewusst sein musste, dass es sich lediglich um ein befristetes Beschäftigungsverhältnis gehandelt hat. Der Beendigungszeitpunkt ergab sich ebenfalls eindeutig aus dem Arbeitsvertrag. Ebenso wenig sind rechtliche Unklarheiten bei Geltung der Vorläuferregelung, ob die Meldung spätestens oder frühestens drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen musste, hier geeignet, die Klägerin vom Verschuldensvorwurf zu befreien, weil die Regelung in § 38 SGB III einschließlich der ihr gegebenen Hinweise auf die Meldepflicht inhaltlich eindeutig waren.
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Sperrzeitbeginn war hier zur Überzeugung des Senats der 1. Dezember 2010. Nach § 144 Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz SGB III a.F. beginnt die Sperrzeit mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet. Zwar kann mit dem Sozialgericht und der von ihm zitierten Rechtsprechung des Sozialgerichts Dortmund erwogen werden, in Fällen wie dem vorliegenden als Sperrzeitereignis den Tag anzusehen, an dem spätestens die Meldung zur frühzeitigen Arbeitssuche nach § 38 Abs. 1 SGB III hätte erfolgen müssen. Dies würde die Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung allerdings – zumindest, was den Zahlungsanspruch auf Alg betrifft – völlig ins Leere laufen lassen. Dies wäre zwar mit der BSG-Rechtsprechung vereinbar (Urteil vom 5. August 1999, B 7 AL 14/99 R, juris), wohl aber nicht mit der Intention des Gesetzgebers, diese Obliegenheitsverletzung im Vorfeld der Arbeitslosigkeit mit allen Rechtsfolgen einer Sperrzeit zu sanktionieren (vgl. so Valgolio in Hauck/Noftz, SGB, Stand September 2014, K § 159 SGB III Rz 445 unter Hinweis auf BT-Drucks. 16/109 Seite 7). Aus diesem Grund wird es für sachgerecht gehalten, die Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung erst mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses beginnen zu lassen, weil davor nachteilige leistungsrechtliche Folgen nicht eintreten können (Valgolio a.a.O. Rz 446 unter Hinweis auf die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, BR-Drucks. 755/08, Seite 63 zu Nr. 41 (§ 144), wo es heißt, die Sperrzeit (gemeint ist eine Sperrzeit wegen Versäumung einer Meldung nach § 309 SGB III) beginne – wie auch im Falle des § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 – mit Eintritt der Beschäftigungslosigkeit; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. September 2014, L 9 AL 236/13, juris; Rademacker in Hauck/Noftz, a.a.O., K § 38 Rz 49; Karmanski in Brand, SGB III, a.a.O., § 159 Rz 153; Scholz in Mutschler u.a., SGB III, 5. Aufl. § 159 Rz 183; Coseriu in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand März 2015, § 159 Rz 526, jeweils m.w.N.).
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Für die vorstehende Auslegung der Vorschrift spricht bereits der Wortlaut, in dem die Formulierung „der Arbeitslose …“ einen entsprechenden Anhaltspunkt bietet (Coseriu a.a.O., der auch darauf hinweist, dass der Gesetzgeber offenbar, solange der Versicherungsfall nicht eingetreten sei, die reine Risikoerhöhung (noch) nicht genügen lassen wolle. Dies sei allerdings vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass die Regelung des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB III den vor dem 1. Januar 2005 geltenden § 140 SGB III ablösen solle (BT-Drucks. 16/109 Seite 7). Auch bei § 140 SGB III a.F. sei die Rechtsfolge – Minderung des Alg – nicht vor Eintritt der Beschäftigungslosigkeit eingetreten. Ziel der Neuregelung sei aber ausdrücklich eine Vereinfachung und bessere Überschaubarkeit des Rechts (BT-Drucks. a.a.O.), so dass der Gesetzesbegründung zum Beginn der Sperrzeit gefolgt werden müsse, zumal ansonsten die Sperrzeit regelmäßig nur für § 161 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Bedeutung hätte, weil sie bei Entstehung des Zahlungsanspruchs regelmäßig bereits abgelaufen sein dürfte. Damit werde der Eintritt von Beschäftigungslosigkeit nach dem Ende des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses zur ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung in Form einer teleologischen Reduktion; dies verkenne die Rechtsprechung des Sozialgerichts Dortmund). Der Senat hält diese Kommentierung, die auch für die wortgleiche Vorläuferregelung des § 144 SGB III a.F. gilt, für überzeugend und schließt sich dieser Rechtsauffassung ausdrücklich an.
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Nach allem hat der Alg-Anspruch der Klägerin jedenfalls eine Woche ab dem 1. Dezember 2010 geruht, so dass die Voraussetzungen der Fortgewährung von Alg wegen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit – wie ausgeführt – nicht vorgelegen haben. Auf die mit der Urlaubsabgeltung zusammenhängenden Fragen kommt es nach Vorstehendem nicht an.
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Die Alg-Gewährung nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit ab 1. Februar 2011 ist nicht im Streit und nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
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Der Senat lässt die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zu, weil er der Frage der zeitlichen Lage einer Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung grundsätzliche Bedeutung beimisst. Rechtsprechung des BSG ist zu dieser Frage – soweit ersichtlich – nicht vorhanden.
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