Urteil vom Landessozialgericht für das Saarland - L 2 U 9/03

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 02.01.2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klägerin die Kosten des Klageverfahrens zu tragen hat.

Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Erstattungsanspruch in Höhe des Differenzbetrages der Leistungen zwischen Pflegestufe III und Pflegestufe II hat, der dadurch entstanden ist, dass die bei der Klägerin versicherte und mittlerweile verstorbene E. B. (künftig: Versicherte) während einer stationären Behandlung einen Oberschenkelhalsbruch erlitt und nach diesem Unfall Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe III erhielt.

Zum Unfallzeitpunkt am 16.9.1998 hielt sich die Versicherte, der von der Klägerin seit 1.6.1998 Pflegeleistungen nach Pflegestufe II gewährt wurden und die erwerbsunfähig war, zu einer stationären Behandlung wegen einer Alzheimer-Erkrankung im Landeskrankenhaus M. auf. Beim Gang über den Stationsflur stolperte sie und zog sich eine Fraktur des Oberschenkelhalses an der linken Hüfte zu. Am 6.10.1998 wurde sie in die häusliche Pflege entlassen. Die Beklagte erkannte durch Schreiben vom 26.1.2000 der Klägerin gegenüber das Ereignis vom 16.9.1998 als Arbeitsunfall an, lehnte aber mit weiterem Schreiben vom 7.4.2000 die Zahlung des von der Klägerin geltend gemachten Unterschiedsbetrags zwischen Pflegestufe II und Pflegestufe III für die Zeit von Oktober 1998 bis Februar 1999 in Höhe von 3.493,91 DM, bestehend aus Sachleistungen und Geldleistungen, ab. Die Versicherte sei bereits vor dem Unfall pflegebedürftig gewesen, was einem Anspruch entgegenstehe.

Nach einem von der Klägerin in Auftrag gegebenen Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 28.2.2001 ist die Verschlechterung des Zustands der Versicherten und die daraus resultierende Höherstufung in Pflegestufe III maßgeblich durch die erlittene Schenkelhalsfraktur bedingt.

Am 3.7.2002 hat die Klägerin Klage erhoben und den Differenzbetrag zwischen den beiden Pflegestufen als Erstattungsanspruch geltend gemacht. Sie vertritt die Ansicht, durch den von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall sei erst ein messbarer höherer Hilfebedarf entstanden, der dazu geführt habe, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe III erfüllt gewesen seien. Auch bei einer vorbestehenden Pflegebedürftigkeit habe die Beklagte bezüglich des Anteils der Verschlimmerung Pflegeleistungen nach § 44 SGB VII zu erbringen.

Demgegenüber vertrat die Beklagte die Ansicht, die Versicherte sei bereits vor dem Unfall so hilflos gewesen, dass sie in erheblichem Umfang der Hilfe bedurft hätte. Die Pflegebedürftigkeit sei durch den Versicherungsfall nicht verursacht worden. § 44 SGB VII greife folglich nicht ein. Selbst wenn die Ansicht der Klägerin zuträfe, könne die Versicherte keinen Anspruch auf Pflegeleistungen haben, weil die Unfallfolgen für den gesamten Zustand der Hilflosigkeit der Versicherten nach dem Unfall keine annähernd gleichwertige Mitursache darstelle. Bereits mit Gutachten vom 6.8.1998 sei ein tatsächlicher Pflegebedarf von 128 Minuten im Bereich der Grundpflege ermittelt worden und die Erkrankung der Klägerin (Alzheimer) sei rasch progredient gewesen. Von Januar bis August 1998 habe sich der Pflegebedarf bereits ohne den Unfall von 71 auf 128 Minuten erheblich erhöht. Schließlich seien die Stufen der Pflegebedürftigkeit des SGB XI in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht anwendbar.

Durch Gerichtsbescheid vom 2.1.2003 hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei nach § 44 SGB VII nicht leistungspflichtig gewesen, weil die Versicherte bereits vor dem Ereignis pflegebedürftig gewesen sei. Eine wesentliche Teilursache durch den Unfall habe damit nicht vorgelegen, ebenso nicht ein Fall des unfallunabhängigen Nachschadens. Anderen Ansichten in der Literatur könne sich das SG nicht anschließen, weil diesen der Wortlaut des § 44 SGB VII entgegenstehe. Diese Norm setze Kausalität zwischen Pflegebedürftigkeit und Unfall voraus. Von einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit sei keine Rede. Im Übrigen wiesen die Regelungen über Pflegegeld nach dem SGB VII und dem SGB XI wesentliche Unterschiede auf und eine Quotelung sei praktisch nicht durchführbar. Ein Anspruch nach § 105 SGB X sei damit nicht gegeben. Das SG hat die Berufung zugelassen.

Die Klägerin hat am 16.1.2003 Berufung eingelegt und diese im Wesentlichen damit begründet, die Pflegebedürftigkeit sei mit dem Begriff der Hilflosigkeit in § 44 Abs. 1 SGB VII gleichzusetzen. Das SG habe verkannt, dass diese Vorschrift für die Leistungspflicht des Unfallversicherungsträgers nicht voraussetze, dass die leistungsbegründende Hilflosigkeit ausschließlich auf einen entschädigungspflichtigen Unfall zurückzuführen sei. Es reiche aus, dass der Unfall eine wesentliche Ursache für die Hilflosigkeit des Versicherten darstelle.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 2.1.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.786,40 EUR (3.493,91 DM) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ergänzt und wiederholt ihre bereits vorgebrachten Argumente und beruft sich auf den ihres Erachtens zutreffenden Gerichtsbescheid des SG.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die statthafte und auch ansonsten zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg, denn das SG hat die Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X auf den von ihr geltend gemachten Differenzbetrag der Leistungen aus der Pflegeversicherung zwischen Stufe II und III für den von ihr, der Klägerin, genannten Zeitraum. Das SG hat im Einklang mit der Rechtsansicht des Senats überzeugend ausgeführt, dass dieser Betrag nicht von der Beklagten als gesetzliche Unfallversicherung der Versicherten gegenüber zu erbringen war. Die einzige ersichtliche Grundlage für solche Leistungen, § 44 Abs. 1 SGB VII, greift im vorliegenden Fall nicht ein.

Steht die Versicherte, wie hier nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 a SGB VII, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und tritt, wie hier, der Versicherungsfall durch den von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall der Versicherten im Landeskrankenhaus M. ein, hat die Versicherte unter den Voraussetzungen des § 44 SGB VII bei Pflegebedürftigkeit Anspruch auf Pflegeleistungen wie Pflegegeld, Stellung einer Pflegekraft oder Heimpflege. Nach § 44 Abs. 1 SGB VII sind diese Leistungen zu erbringen, solange der oder die Versicherte infolge des Versicherungsfalls so hilflos ist, dass er oder sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der Hilfe bedarf. Tritt also die Hilfebedürftigkeit aufgrund des Versicherungsfalls ein, hat der zuständige Unfallversicherungsträger diese Leistungen zu erbringen.

In der sozialrechtlichen Literatur ist anerkannt, dass der Begriff der Hilflosigkeit in § 44 Abs. 1 SGB VII gleichbedeutend ist mit dem Begriff der Pflegebedürftigkeit in § 14 SGB XI (vergleiche nur Ricke in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand März 2005, § 44 SGB VII Rdnr. 3; Lauterbach, Unfallversicherung, Stand August 2004, § 44 SGB VII Rdnr. 1; Benz, Pflegegeld und Pflege in der gesetzlichen Unfallversicherung, NZS 2004, 125, 127; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.6.2000, L 10 U 3902/98; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.6.2001, B 2 U 28/00 R). Auch aus den Gesetzesmaterialien geht hervor, dass diese Vorschrift den Begriff der Pflegebedürftigkeit in Anlehnung an das Pflegeversicherungsgesetz (§ 14 SGB XI) definiert (BT-Drucksache 13/2204; zitiert nach Lauterbach, a.a.O.).

Sind also die Begriffe der Hilflosigkeit in § 44 Abs. 1 SGB VII und der Pflegebedürftigkeit in § 14 SGB XI identisch, hängt die Leistungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung davon ab, ob diese Hilfsbedürftigkeit infolge des Versicherungsfalls aufgetreten ist. Es muss also eine Kausalität zwischen Versicherungsfall und Hilflosigkeit (Pflegebedürftigkeit) bestehen.

Im vorliegenden Fall ist eine solche Kausalität nicht gegeben, denn die Versicherte war bereits vor dem Unfall pflegebedürftig im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB XI, damit zumindest in erheblichem Maße hilfsbedürftig. Sie erhielt bei einem Grundpflegebedarf von 128 Minuten von der Klägerin als Pflegekasse Leistungen nach der Pflegestufe II. An dem Zustand der erheblichen Hilfsbedürftigkeit der Versicherten änderte der Unfall nichts. Damit ist die Hilflosigkeit nicht infolge des Versicherungsfalls entstanden.

Dass sich möglicherweise die Hilflosigkeit durch den Unfall verstärkt hat und damit nach den Regelungen des SGB XI höhere Leistungen zu gewähren waren, führt nicht dazu, dass die Beklagte diesen Differenzbetrag zu leisten oder der Klägerin gegenüber, die aus ihrer Sicht vorgeleistet hat, zu erstatten hat. Zum einen weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass die Stufen der Pflegebedürftigkeit des § 15 SGB XI im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gelten. Für das Pflegegeld der gesetzlichen Unfallversicherung bestimmt § 44 Abs. 2 SGB VII einen finanziellen Rahmen, der je nach Art und Schwere des Gesundheitsschadens auszufüllen ist. Die fixen Stufen der Pflegeversicherung sind im Rahmen der Unfallversicherung ohne Bedeutung. Zum andern - und dies ist entscheidend - sprechen der Wortlaut der Regelung des § 44 Abs. 1 SGB VII und die gesetzliche Zielsetzung für die Ansicht der Beklagten. Der Wortlaut der Vorschrift setzt einzig und allein eine Kausalität zwischen Versicherungsfall und Pflegebedürftigkeit voraus. Damit gab der Gesetzgeber im Umkehrschluss zu erkennen, dass er mit dieser Norm gesundheitliche Verschlimmerungen durch gesetzliche versicherte Unfälle bei schon bestehender Pflegebedürftigkeit nicht regeln und damit eine im Einzelfall schwierig zu beurteilende Rechtslage nicht wollte. Hinzu kommt, dass auch in den gesetzlichen Materialien des § 44 SGB VII (BT-Drucksache 13/2204) lediglich ein Verweis auf § 14 SGB XI und nicht etwa auf die Pflegestufen in § 15 SGB XI enthalten ist, die den Grad der Hilfsbedürftigkeit regeln.

Die Gegenstimmen in Teilen der Literatur können nicht überzeugen. Benz (aaO.) sieht die Einstandspflicht der Unfallversicherung schon dann als gegeben, wenn den Folgen des Versicherungsfalls bei der Verschlimmerung der Hilflosigkeit der Wert einer rechtlich wesentlichen Mitursache zukommt. Die von ihm in diesem Abschnitt zitierte Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 26.5.1966, 2 RU 61/64, BSGE 25, 49; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.2.1989, L 17 U 218/87, Breithaupt 1989, 734) ist vor der Einführung des SGB VII und des SGB XI entstanden und betrifft andere Fälle. Im Sachverhalt, der der Entscheidung des BSG zu Grunde lag, war die Gesundheitsstörung infolge des Arbeitsunfalls entstanden und erst im Nachhinein ergaben sich weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die die Hilflosigkeit begründeten, aber die Mitursache der Unfallfolgen für die Hilflosigkeit nicht infrage stellten. Das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen betraf ebenfalls einen Sachverhalt, bei dem eine Erkrankung (Erblindung auf einem Auge) durch einen Arbeitsunfall entstanden und später unfallunabhängig (Erblindung auf dem anderen Auge wegen Diabetes) eine weitere Erkrankung mit der Folge der Hilflosigkeit hinzu kam. In beiden Fällen lag somit zum Zeitpunkt des Unfallereignisses noch keine Hilflosigkeit vor. Sie ist erst durch das spätere Hinzutreten einer weiteren Erkrankung entstanden, wobei die Unfallfolgen wesentliche Mitursache der Hilflosigkeit waren, so dass nach der Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung auch für diese Fälle Pflegeleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen waren. In diesen beiden von Benz zitierten Urteilen traf der Arbeitsunfall gerade keine hilfsbedürftige Person. Benz beachtet somit den eindeutigen Wortlaut des § 44 Abs. 1 SGB VII nicht.

Ricke in Kasseler Kommentar (aaO. Rdnr. 5) folgt der Ansicht von Benz, zitiert den im wesentlichen gleich lautenden Aufsatz von Benz aus dem Jahr 2001 (BG 2001, 92) und setzt sich ebenfalls nicht mit dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 SGB VII auseinander.

Das Urteil des LSG Hessen vom 16.8.2000 (L 3 U 122/00) betrifft einen Sachverhalt, bei dem die Pflegebedürftigkeit durch einen Arbeitsunfall verursacht wurde und spätere, unfallunabhängige Leiden hinzukamen. Zur Frage der Kausalität zwischen Arbeitsunfall und Pflegebedürftigkeit äußert sich daher das LSG Hessen ebenfalls nicht.

Damit bleibt es bei dem Ergebnis, dass § 44 Abs. 1 SGB VII keine Rechtsgrundlage dafür bietet, Pflegeleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu beanspruchen, wenn bereits vor dem Arbeitsunfall mit erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine Hilflosigkeit beziehungsweise Pflegebedürftigkeit bestanden hat. Der Gesetzgeber weist damit das Risiko einer Verschlimmerung der Pflegesituation eines bereits vor dem Unfall Pflegebedürftigen mangels Kausalität zwischen Unfall und Pflegebedürftigkeit der Pflegeversicherung zu. Hätte er eine andere Regelung gewollt und somit die Leistungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung schon für eine durch den Unfall (mit-)verursachte Erhöhung des Pflegebedarfs bei bereits bestehender Hilfsbedürftigkeit festschreiben wollen, hätte er dies ausdrücklich tun müssen.

Das Risiko einer unfallbedingten Verschlimmerung der bereits zuvor bestehenden Pflegesituation wird bei dieser Auslegung zwar zu Lasten der Pflegekasse verschoben. Zu bedenken ist aber auch, dass nach der o.a. Rechtsprechung des BSG und des LSG Nordrhein-Westfalen (ebenso wie nach Benz aaO.) die gesetzliche Unfallversicherung für einen erhöhten Pflegebedarf bei unfallunabhängigen Pflegeerkrankungen einstehen muss, sofern der Unfall wesentliche (Mit-)Ursache für den Pflegezustand war.

Auf bestehende Konkurrenzvorschriften zwischen der gesetzlichen Unfallversicherung und der Pflegeversicherung (§§ 13, 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI ) kommt es nicht an, weil eine Konkurrenzsituation zweier Leistungsträger gar nicht gegeben ist. Ebenso ist es nicht entscheidend, ob und wann die Demenzerkrankung der Versicherten, die progredient verlaufen ist, auch ohne den Unfall allein durch Zeitablauf dazu geführt hätte, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe III eingetreten wären.

Die Berufung hat daher in der Sache keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG, 154 Abs. 1 und 2 VwGO. Da diese Regelungen der Kostentragung auch schon für das am 03.07.2002 eingeleitete Klageverfahren galten, war der Kostentenor im angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern. Nach der Norm des § 154 Abs. 1 VwGO hat die Klägerin auch die Kosten des Verfahrens vor dem SG zu tragen. Das Verbot der sogenannten „Reformatio in peius" gilt für Kostenentscheidungen nicht (BSG, Urteil vom 10.09.1987, 10 RAr 10/86).

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da es – soweit ersichtlich – keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Anwendung von § 44 SGB VII bei bereits bestehender Pflegebedürftigkeit gibt (§ 160 Abs. 2 SGG).

Gründe

Die statthafte und auch ansonsten zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg, denn das SG hat die Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X auf den von ihr geltend gemachten Differenzbetrag der Leistungen aus der Pflegeversicherung zwischen Stufe II und III für den von ihr, der Klägerin, genannten Zeitraum. Das SG hat im Einklang mit der Rechtsansicht des Senats überzeugend ausgeführt, dass dieser Betrag nicht von der Beklagten als gesetzliche Unfallversicherung der Versicherten gegenüber zu erbringen war. Die einzige ersichtliche Grundlage für solche Leistungen, § 44 Abs. 1 SGB VII, greift im vorliegenden Fall nicht ein.

Steht die Versicherte, wie hier nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 a SGB VII, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und tritt, wie hier, der Versicherungsfall durch den von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall der Versicherten im Landeskrankenhaus M. ein, hat die Versicherte unter den Voraussetzungen des § 44 SGB VII bei Pflegebedürftigkeit Anspruch auf Pflegeleistungen wie Pflegegeld, Stellung einer Pflegekraft oder Heimpflege. Nach § 44 Abs. 1 SGB VII sind diese Leistungen zu erbringen, solange der oder die Versicherte infolge des Versicherungsfalls so hilflos ist, dass er oder sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der Hilfe bedarf. Tritt also die Hilfebedürftigkeit aufgrund des Versicherungsfalls ein, hat der zuständige Unfallversicherungsträger diese Leistungen zu erbringen.

In der sozialrechtlichen Literatur ist anerkannt, dass der Begriff der Hilflosigkeit in § 44 Abs. 1 SGB VII gleichbedeutend ist mit dem Begriff der Pflegebedürftigkeit in § 14 SGB XI (vergleiche nur Ricke in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand März 2005, § 44 SGB VII Rdnr. 3; Lauterbach, Unfallversicherung, Stand August 2004, § 44 SGB VII Rdnr. 1; Benz, Pflegegeld und Pflege in der gesetzlichen Unfallversicherung, NZS 2004, 125, 127; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.6.2000, L 10 U 3902/98; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.6.2001, B 2 U 28/00 R). Auch aus den Gesetzesmaterialien geht hervor, dass diese Vorschrift den Begriff der Pflegebedürftigkeit in Anlehnung an das Pflegeversicherungsgesetz (§ 14 SGB XI) definiert (BT-Drucksache 13/2204; zitiert nach Lauterbach, a.a.O.).

Sind also die Begriffe der Hilflosigkeit in § 44 Abs. 1 SGB VII und der Pflegebedürftigkeit in § 14 SGB XI identisch, hängt die Leistungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung davon ab, ob diese Hilfsbedürftigkeit infolge des Versicherungsfalls aufgetreten ist. Es muss also eine Kausalität zwischen Versicherungsfall und Hilflosigkeit (Pflegebedürftigkeit) bestehen.

Im vorliegenden Fall ist eine solche Kausalität nicht gegeben, denn die Versicherte war bereits vor dem Unfall pflegebedürftig im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB XI, damit zumindest in erheblichem Maße hilfsbedürftig. Sie erhielt bei einem Grundpflegebedarf von 128 Minuten von der Klägerin als Pflegekasse Leistungen nach der Pflegestufe II. An dem Zustand der erheblichen Hilfsbedürftigkeit der Versicherten änderte der Unfall nichts. Damit ist die Hilflosigkeit nicht infolge des Versicherungsfalls entstanden.

Dass sich möglicherweise die Hilflosigkeit durch den Unfall verstärkt hat und damit nach den Regelungen des SGB XI höhere Leistungen zu gewähren waren, führt nicht dazu, dass die Beklagte diesen Differenzbetrag zu leisten oder der Klägerin gegenüber, die aus ihrer Sicht vorgeleistet hat, zu erstatten hat. Zum einen weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass die Stufen der Pflegebedürftigkeit des § 15 SGB XI im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gelten. Für das Pflegegeld der gesetzlichen Unfallversicherung bestimmt § 44 Abs. 2 SGB VII einen finanziellen Rahmen, der je nach Art und Schwere des Gesundheitsschadens auszufüllen ist. Die fixen Stufen der Pflegeversicherung sind im Rahmen der Unfallversicherung ohne Bedeutung. Zum andern - und dies ist entscheidend - sprechen der Wortlaut der Regelung des § 44 Abs. 1 SGB VII und die gesetzliche Zielsetzung für die Ansicht der Beklagten. Der Wortlaut der Vorschrift setzt einzig und allein eine Kausalität zwischen Versicherungsfall und Pflegebedürftigkeit voraus. Damit gab der Gesetzgeber im Umkehrschluss zu erkennen, dass er mit dieser Norm gesundheitliche Verschlimmerungen durch gesetzliche versicherte Unfälle bei schon bestehender Pflegebedürftigkeit nicht regeln und damit eine im Einzelfall schwierig zu beurteilende Rechtslage nicht wollte. Hinzu kommt, dass auch in den gesetzlichen Materialien des § 44 SGB VII (BT-Drucksache 13/2204) lediglich ein Verweis auf § 14 SGB XI und nicht etwa auf die Pflegestufen in § 15 SGB XI enthalten ist, die den Grad der Hilfsbedürftigkeit regeln.

Die Gegenstimmen in Teilen der Literatur können nicht überzeugen. Benz (aaO.) sieht die Einstandspflicht der Unfallversicherung schon dann als gegeben, wenn den Folgen des Versicherungsfalls bei der Verschlimmerung der Hilflosigkeit der Wert einer rechtlich wesentlichen Mitursache zukommt. Die von ihm in diesem Abschnitt zitierte Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 26.5.1966, 2 RU 61/64, BSGE 25, 49; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.2.1989, L 17 U 218/87, Breithaupt 1989, 734) ist vor der Einführung des SGB VII und des SGB XI entstanden und betrifft andere Fälle. Im Sachverhalt, der der Entscheidung des BSG zu Grunde lag, war die Gesundheitsstörung infolge des Arbeitsunfalls entstanden und erst im Nachhinein ergaben sich weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die die Hilflosigkeit begründeten, aber die Mitursache der Unfallfolgen für die Hilflosigkeit nicht infrage stellten. Das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen betraf ebenfalls einen Sachverhalt, bei dem eine Erkrankung (Erblindung auf einem Auge) durch einen Arbeitsunfall entstanden und später unfallunabhängig (Erblindung auf dem anderen Auge wegen Diabetes) eine weitere Erkrankung mit der Folge der Hilflosigkeit hinzu kam. In beiden Fällen lag somit zum Zeitpunkt des Unfallereignisses noch keine Hilflosigkeit vor. Sie ist erst durch das spätere Hinzutreten einer weiteren Erkrankung entstanden, wobei die Unfallfolgen wesentliche Mitursache der Hilflosigkeit waren, so dass nach der Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung auch für diese Fälle Pflegeleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen waren. In diesen beiden von Benz zitierten Urteilen traf der Arbeitsunfall gerade keine hilfsbedürftige Person. Benz beachtet somit den eindeutigen Wortlaut des § 44 Abs. 1 SGB VII nicht.

Ricke in Kasseler Kommentar (aaO. Rdnr. 5) folgt der Ansicht von Benz, zitiert den im wesentlichen gleich lautenden Aufsatz von Benz aus dem Jahr 2001 (BG 2001, 92) und setzt sich ebenfalls nicht mit dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 SGB VII auseinander.

Das Urteil des LSG Hessen vom 16.8.2000 (L 3 U 122/00) betrifft einen Sachverhalt, bei dem die Pflegebedürftigkeit durch einen Arbeitsunfall verursacht wurde und spätere, unfallunabhängige Leiden hinzukamen. Zur Frage der Kausalität zwischen Arbeitsunfall und Pflegebedürftigkeit äußert sich daher das LSG Hessen ebenfalls nicht.

Damit bleibt es bei dem Ergebnis, dass § 44 Abs. 1 SGB VII keine Rechtsgrundlage dafür bietet, Pflegeleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu beanspruchen, wenn bereits vor dem Arbeitsunfall mit erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine Hilflosigkeit beziehungsweise Pflegebedürftigkeit bestanden hat. Der Gesetzgeber weist damit das Risiko einer Verschlimmerung der Pflegesituation eines bereits vor dem Unfall Pflegebedürftigen mangels Kausalität zwischen Unfall und Pflegebedürftigkeit der Pflegeversicherung zu. Hätte er eine andere Regelung gewollt und somit die Leistungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung schon für eine durch den Unfall (mit-)verursachte Erhöhung des Pflegebedarfs bei bereits bestehender Hilfsbedürftigkeit festschreiben wollen, hätte er dies ausdrücklich tun müssen.

Das Risiko einer unfallbedingten Verschlimmerung der bereits zuvor bestehenden Pflegesituation wird bei dieser Auslegung zwar zu Lasten der Pflegekasse verschoben. Zu bedenken ist aber auch, dass nach der o.a. Rechtsprechung des BSG und des LSG Nordrhein-Westfalen (ebenso wie nach Benz aaO.) die gesetzliche Unfallversicherung für einen erhöhten Pflegebedarf bei unfallunabhängigen Pflegeerkrankungen einstehen muss, sofern der Unfall wesentliche (Mit-)Ursache für den Pflegezustand war.

Auf bestehende Konkurrenzvorschriften zwischen der gesetzlichen Unfallversicherung und der Pflegeversicherung (§§ 13, 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI ) kommt es nicht an, weil eine Konkurrenzsituation zweier Leistungsträger gar nicht gegeben ist. Ebenso ist es nicht entscheidend, ob und wann die Demenzerkrankung der Versicherten, die progredient verlaufen ist, auch ohne den Unfall allein durch Zeitablauf dazu geführt hätte, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe III eingetreten wären.

Die Berufung hat daher in der Sache keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG, 154 Abs. 1 und 2 VwGO. Da diese Regelungen der Kostentragung auch schon für das am 03.07.2002 eingeleitete Klageverfahren galten, war der Kostentenor im angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern. Nach der Norm des § 154 Abs. 1 VwGO hat die Klägerin auch die Kosten des Verfahrens vor dem SG zu tragen. Das Verbot der sogenannten „Reformatio in peius" gilt für Kostenentscheidungen nicht (BSG, Urteil vom 10.09.1987, 10 RAr 10/86).

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da es – soweit ersichtlich – keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Anwendung von § 44 SGB VII bei bereits bestehender Pflegebedürftigkeit gibt (§ 160 Abs. 2 SGG).

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