Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (4. Senat) - L 4 KR 23/12
Tenor
Die Berufung des Klägers wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
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Die Beteiligten streiten über die Höhe von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung.
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Das Sozialgericht Halle hat die Klage des Klägers auf eine an seinen tatsächlichen Einkünften orientierte Beitragsbemessung mit Urteil vom 23. November 2010 abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers, Herrn Rechtsanwalt U., am 16. März 2011 zugestellt worden, was dieser mit Schreiben vom 19. März 2012 mitgeteilt hat.
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Der Verkündungsvermerk des Urteils enthält die Datumsangabe: "23.11.2011". Dies veranlasste den Prozessbevollmächtigten des Klägers zu der telefonischen Nachfrage bei der Geschäftsstelle des Sozialgerichts, ob er das Urteil zurücksenden solle oder ein "neues" erhalten werde. Mit Schreiben vom 24. November 2011 bat das Sozialgericht um die Rücksendung der Urteilsausfertigungen, um die falsche Datumsangabe im Verkündungsvermerk zu berichtigen.
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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 5. Dezember 2011 beide erhaltenen Urteilsausfertigungen zurückgesandt und daraufhin eine Ausfertigung des Urteils vom 23. November 2010 mit entsprechendem Berichtigungsvermerk wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers im Datum des Verkündungsvermerks im Wege der Zustellung am 19. März 2012 erhalten.
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Gegen das Urteil hat der Kläger am 27. März 2012 persönlich in der Rechtsantragstelle des Sozialgerichts Halle Berufung eingelegt und beantragt sinngemäß,
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den Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2003 in der Fassung der Bescheide vom 8. Januar 2004, 8. März 2004 und 31. März 2005 in der weiteren Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2008 sowie das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. November 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.526,60 Euro zu zahlen.
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Mit Schreiben vom 17. April 2012 hat der Senat den Kläger auf erhebliche Bedenken gegen die Zulässigkeit seiner Berufung hingewiesen. Mit Schreiben vom 4. Juni 2012 ist ihm ferner mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, nach § 158 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zu entscheiden und die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
II.
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Die Berufung ist unzulässig.
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Darüber konnte der Senat nach § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss entscheiden.
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Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
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Das Urteil ist dem Kläger bereits am 16. März 2011 zugestellt worden. Wie sein Prozessbevollmächtigter mit Schreiben vom 19. März 2012 mitgeteilt hat, ist ihm das Urteil am 16. März 2011 zugegangen. Nach § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG sind Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an den Prozessbevollmächtigten zu richten, sofern einer bestellt ist. Da der Kläger erstinstanzlich durch seinen Rechtsanwalt vertreten wurde, war das Urteil diesem zuzustellen.
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Die Berufungsfrist wurde nicht durch den Schreibfehler auf dem Urteil verlängert. Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil sind jederzeit von Amts wegen zu berichtigen (§ 138 Abs. 1 SGG). Es bleibt aber grundsätzlich bei der alten Rechtsmittelfrist. Die Berufungsfrist ist eine gesetzliche Frist und kann nicht verlängert oder verkürzt werden. Lediglich wenn wesentliche Teile der Entscheidung fehlen, wird durch die Zustellung des unvollständigen Urteils die Berufungsfrist nicht in Lauf gesetzt. Geringfügige Mängel haben demgegenüber auf die Berufungsfrist keine Auswirkung. Von einem unvollständigen Urteil, dem wesentliche Teile der Entscheidung fehlen, kann nur dann ausgegangen werden, wenn die unberichtigte Urteilsfassung nicht klar genug war, um die Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln der Beteiligten zu bilden (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 10. Aufl. 2012, § 138 RdNr. 4c m.w.N. aus der st. Rspr. des BSG, des BGH und des BVerwG). Das war bei dem vorliegenden offensichtlichen Schreibfehler hinsichtlich der Datumsangabe im Verkündungsvermerk nicht der Fall. Das richtige Datum der mündlichen Verhandlung war noch im Urteilsvorblatt angegeben.
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Durch die Zustellung der berichtigten Urteilsfassung ist auch keine neue Rechtsmittelfrist eröffnet worden. Ein Ausnahmefall, in dem ausnahmsweise mit der Zustellung der berichtigten Urteilsfassung eine neue Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt wird, kommt nur in Betracht, wenn der Berufungskläger erst aufgrund der Berichtigung des Urteils über die Einlegung des Rechtsmittels entscheiden konnte (vgl. auch hierzu die umfangreichen Nachweise bei Keller in Meyer-Ladewig, a.a.O.). Ein solcher Fall liegt hier ersichtlich nicht vor. Der Vorsitzende der 17. Kammer des Sozialgerichts hat die Urteilsausfertigungen zum Zwecke der Berichtigung erst am 24. November 2011 zurückgefordert. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufungsfrist bereits abgelaufen. Dem Kläger standen also die übersandten Ausfertigungen während der gesamten Berufungsfrist vollständig zur Verfügung. Zudem hat der Vorsitzende erster Instanz in dem Schreiben zur Rückforderung der Urteilsausfertigung darauf hingewiesen, dass es lediglich um die Berichtigung der falschen Datumsangabe im Verkündungsvermerk gehe. Es war daher von Anfang an erkennbar, dass es nur um die Berichtigung dieses offensichtlichen und in seinen Auswirkungen geringfügigen Schreibfehlers ging. Auf die Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels konnte dies keinen Einfluss haben.
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Da es lediglich auf die Zustellung des Urteils beim Prozessbevollmächtigten ankommt, ist es unerheblich, ob der Kläger selbst das Urteil erst nach der Berichtigung am 21. März 2012 erhalten hat. Das betrifft ausschließlich das Mandantenverhältnis des Prozessbevollmächtigten zum Kläger.
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Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist jemandem auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Nach den vorherigen Ausführungen war der Kläger nicht ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Berufungsfrist einzuhalten, da das Urteil seinem Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß zugestellt worden ist und dieser aufgrund des offensichtlichen und geringfügigen Schreibfehlers in Bezug auf das Verkündungsdatum nicht an der Einlegung der Berufung gehindert war.
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Schließlich wird noch darauf hingewiesen, dass das Urteil mit einer vollständigen und korrekten schriftlichen Rechtsmittelbelehrung versehen war, die keinen Zweifel an der Berufungsfrist ließ. Die mit der Zustellung des Urteils an den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16. März 2011 beginnende Monatsfrist zur Einlegung der Berufung nach § 151 SGG endete mithin mit Ablauf des 16. April 2011, so dass die vom Kläger am 27. März 2012 persönlich in der Rechtsantragstelle des Sozialgerichts Halle gegen das Urteil eingelegte Berufung verspätet und damit unzulässig ist.
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Nach § 158 Satz 3 SGG steht den Beteiligten gegen den Beschluss das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
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