Urteil vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (5. Senat) - L 5 AS 123/11

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Im Streit steht eine Kostenentscheidung des Beklagten im Widerspruchsbescheid.

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Die Kläger, Eltern und ihre beiden Kinder, standen als Bedarfgemeinschaft im laufenden Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) durch den Beklagten. Im Mai 2008 beantragten sie die Übernahme der Forderungen aus den Jahresabrechnungen des Versorgungsunternehmens für das Jahr 2007 für Fernwärme iHv 653,48 EUR sowie für Trink- und Abwasser iHv 585,30 EUR. Die Fernwärmeabrechnung der D. Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH (DVV) vom 14. Mai 2008 belief sich über einen Gesamtbetrag iHv 1.321,48 EUR. Abzüglich der geleisteten Abschlagszahlungen iHv insgesamt 786,00 EUR und zuzüglich der Abschläge iHv 45,00 EUR für März 2008 und iHv 73,00 EUR für April 2008 ergab sich eine zum 2. Juni 2008 fällige Forderung iHv von 653,48 EUR. Die Abrechnung für den Bezug von Trink- und die Entsorgung von Abwasser der DVV lautete auf einen Gesamtbetrag von 750,79 EUR. Hinzu kamen sonstige Forderungen iHv 20,29 EUR. Abzüglich der Abschlagszahlungen für Trinkwasser iHv 172,34 EUR und für Abwasser iHv 213,44 EUR sowie zuzüglich der Abschlagszahlungen für Januar bis April 2008 iHv monatlich 50,00 EUR (Trinkwasser: 30,00 EUR, Abwasser: 20,00 EUR) ergab sich eine ebenfalls am 2. Juni 2008 fällige Forderung iHv 585,30 EUR.

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Mit Bescheid von 10. Juli 2008 bewilligte der Beklagte auf die Forderungen einen Gesamtbetrag iHv 439,88 EUR. Dem Antrag könne nicht in voller Höhe entsprochen werden, da die Abschlagszahlungen für das Jahr 2008 nicht zu berücksichtigen seien. Die Fernwärmerechnung sei um 18 % als Pauschale für die Warmwasseraufbereitung zu kürzen. Der Gesamtrechnungsbetrag sei weiterhin um die vom Beklagten bereits ausgereichten Leistungen für die Abschlagzahlungen iHv 738,00 EUR anstelle der von den Klägern weitergeleiteten Zahlungen iHv 385,78 EUR zu bereinigen.

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Dagegen legten die Kläger durch ihre Prozessbevollmächtigten am 6. August 2008 Widerspruch ein. Sie hätten im Jahr 2007 insgesamt 1.356,00 EUR an Abschlagszahlungen erbracht. Möglicherweise habe der Versorger diese Zahlungen zum Teil mit Rückständen aus früheren Zeiträumen verrechnet. Da sie sämtliche Abschläge entrichtet hätten, sei die Forderung vollständig zu übernehmen. Ihnen stünden weitere 364,22 EUR zu.

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Mit Änderungsbescheid vom 13. Januar 2009 übernahm der Beklagte einen weiteren Teilbetrag der Forderung für die Heizkosten iHv 35,74 EUR. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2009 wies er den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die im Widerspruchsverfahren entstanden notwendigen Aufwendungen der Kläger würden auf Antrag zu einem Viertel erstattet. Die Kostenentscheidung beruhe auf § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).

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Die Kläger haben am 19. Februar 2009 bei dem Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) Klage erhoben, mit der sie sich allein gegen die Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheids gewendet haben. Sie hätten einen höheren Erstattungsanspruch. Entscheidend sei allein der Erfolg des Widerspruchs. Unerheblich sei, ob zwischen Widerspruchsbegründung und dem Erfolg eine Kausalität bestehe. Ihr Widerspruch sei überwiegend erfolgreich gewesen, da ihnen mit Änderungsbescheid vom 13. Januar 2009 höhere Leistungen bewilligt worden seien. Die Übernahme von drei Viertel ihrer Aufwendungen sei angemessen. In der mündlichen Verhandlung haben sie ausgeführt, es komme nicht allein auf den tatsächlichen Erfolg des Widerspruchs an. Es sei zu prüfen, in welchem Umfang der Widerspruch erfolgreich gewesen wäre, wenn die Behörde rechtmäßig entschieden hätte. Da sie keine Kostensenkungsaufforderung erhalten hätten, wären die Nachzahlungsbeträge vom Beklagten vollständig zu übernehmen gewesen.

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Mit Urteil vom 25. Januar 2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Übernahme von mehr als einem Viertel ihrer Aufwendungen. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X seien die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich sei. Erfolgreich sei dieser, wenn die Behörde dem Widerspruch abhelfe und den angegriffenen Verwaltungsakt zugunsten des Widerspruchsführers aufhebe oder ändere. Hier sei der Widerspruch erfolgreich gewesen, denn der Beklagte habe mit dem Änderungsbescheid einen um 35,74 EUR höheren Nachzahlungsbetrag für die Heizkosten übernommen. Da eine Kostenerstattung nur stattfinde, "soweit" der Widerspruch erfolgreich sei, seien bei teilweise erfolgreichen Widersprüchen Obsiegen und Unterliegen wertmäßig ins Verhältnis zu setzen. Der Widerspruch sei auf eine Übernahme von weiteren 364,22 EUR gerichtet gewesen. Der mit dem Änderungsbescheid übernommene Betrag iHv 35,74 EUR stelle weniger als 10 % dieses Begehrens dar. Es sei nicht zu prüfen, ob der Beklagten dem Widerspruch in höherem Umfang hätte stattgeben müssen. Denn eine Kostenerstattung erfolge nur insoweit, als der Widerspruch erfolgreich "ist". Es sei auf dessen tatsächlichen und nicht auf einen hypothetischen Erfolg abzustellen. Sofern ein Widerspruchsführer der Ansicht sei, dass dem Widerspruch in einem zu geringen Umfang stattgegeben worden sei, könne er gegen die Sachentscheidung klagen. Im Klageverfahren werde nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch über die Kosten des Vorverfahrens mit entschieden. Gehe ein Widerspruchsführer nur gegen die Kostenentscheidung vor, müsse er sich an dem Umfang der tatsächlichen Stattgabe festhalten lassen. Das SG hat im Urteil die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Höchstrichterlich sei nicht geklärt, ob es bei der Kostenentscheidung nach § 63 SGB X nur auf den tatsächlichen Erfolg des Widerspruchs ankomme.

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Gegen das ihnen am 28. Februar 2011 zugestellte Urteil haben die Kläger am 25. März 2011 Berufung eingelegt, die sie nicht begründet haben.

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Die Kläger beantragen sinngemäß,

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das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 25. Januar 2011 aufzuheben, den Widerspruchbescheid des Beklagten vom 18. Januar 2009 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, die Ihnen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen des Vorverfahrens gegen den Bescheid vom 10. Juli 2008 vollständig zu erstatten.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er hält die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid und das Urteil des SG für zutreffend.

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Mit Schreiben vom 1. Juni 2011 hat die Berichterstatterin darauf hingewiesen, dass sich bereits aus Wortlaut von § 63 SGB X ergebe, dass es maßgeblich auf den tatsächlichen Erfolg des Widerspruchs ankomme. Die Beteiligten haben sich mit Erklärungen vom 18. April 2012, am 23. und 24. April 2012 eingegangen, mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Beratung des Senats.

Entscheidungsgründe

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Der Senat konnte mit Zustimmung der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 124 Abs. 2 iVm § 153 Abs. 1 SGG.

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Die Berufung hat keinen Erfolg.

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Sie ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG erhoben worden sowie iSv § 143 SGG statthaft. Der Senat ist an die Zulassung der Berufung durch das SG gebunden.

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Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Erstattung von mehr als einem Viertel der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 10. Juli 2008. Die Kostenentscheidung des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2009 ist rechtmäßig.

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Die unmittelbare Klageerhebung gegen die Kostenentscheidung des Beklagten im Widerspruchsbescheid ist zulässig. Der Durchführung eines gesonderten Vorverfahrens nach § 78 Abs. 1 SGG wegen der Kostengrundentscheidung bedurfte es nicht (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19. Juni 2012, Az.: B 4 AS 142/11 R, juris RN 10).

21

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Entscheidung über die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2009, soweit der Beklagte eine über ein Viertel der entstanden Kosten hinausgehende Erstattung abgelehnt hat. Gegen diese Regelung des Widerspruchsbescheids wenden sich die Kläger zutreffend im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage.

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Die Voraussetzungen für den begehrten weiteren Aufwendungsersatz gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht gegeben. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Erfolg iSv § 63 Abs. 1 Satz SGB X hat der Widerspruch nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nur dann, wenn die Behörde ihm stattgibt (vgl. BSG, SozR 3-1300 § 63 Nr. 3 Seite 13; zuletzt: Urteil vom 19. Juni 2012, a.a.O., RN 12), d.h. wenn sie dem Widerspruch abhilft oder den angefochtenen Verwaltungsakt zugunsten des Widerspruchsführers aufhebt oder abändert (vgl. Becker in: Hauck/Noftz, SGB X, Losebl., § 63 RN 27; Roos in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 63 RN 18). Es wird rein formal auf das erfolgreiche Ergebnis des Widerspruchsverfahrens abgestellt (vgl. Becker, a.a.O.). Ob eine Abhilfeentscheidung ihrerseits rechtmäßig ist, ist ohne Bedeutung, weil es allein auf den Erfolg des Widerspruchs ankommt (vgl. Becker, a.a.O. RN 29).

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War der Widerspruch erfolgreich, besteht der Kostenerstattungsanspruch. Er entsteht nicht nur, wenn der Widerspruch in vollem Umfang Erfolg hat, sondern – wie sich aus dem einleitenden Wort "soweit" im § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X ergibt – auch bei dessen teilweisem Erfolg (Becker, a.a.O., RN 34). Zur Ermittlung der Erfolgsanteils ist das mit dem Widerspruch erstrebte Ziel mit dem Ausmaß des Erfolgs zu vergleichen und ins Verhältnis zu setzen. Dieses Verhältnis von Erfolg und Misserfolg ist dann in eine Kostenquote zu übertragen.

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Vorliegend hatte der Widerspruch der Kläger teilweise Erfolg, denn mit Änderungsbescheid vom 13. Januar 2009 hatte der Beklagte einen weiteren Teil der Forderung – iHv 35,74 EUR – aus den Abrechnungen der DVV für das Jahr 2007 übernommen. Der Senat verweist insoweit – insbesondere wegen der Berechnung der Erfolgsquote – auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angegriffenen Urteil und macht sich diese gemäß § 153 Abs. 2 SGG zu eigen. Aufgrund eines Obsiegensanteils von knapp 10 % gibt es keinen Grund für eine für die Kläger günstigere Kostenaufteilung, als sie vom Beklagten in der Kostengrundentscheidung des Widerspruchsbescheids getroffen worden ist.

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Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich bereits aus dem Wortlaut von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X "soweit der Widerspruch erfolgreich ist" ergibt, dass es bei der Entscheidung über die Erstattung von Kosten für das Vorverfahren allein auf den tatsächlichen Erfolg des Widerspruchs ankommt. Mit dieser Gesetzesformulierung wird – rein formal – auf das erfolgreiche Ergebnis des Rechtsbehelfs abgestellt. Es ist unerheblich, wodurch der Erfolg des Widerspruchs herbeigeführt worden ist. Ob dieser auf einer Änderung des Sach- oder Rechtslage beruht, oder ob sich aufgrund des Widerspruchvorbringens neue Aspekte des Falles ergeben, ist nicht relevant. Es reicht grundsätzlich auch aus, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt aus Gründen aufgehoben wird, auf die in der Widerspruchsbegründung nicht Bezug genommen worden ist.

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Wenn der Ausgangsbescheid im Verlauf des Widerspruchsverfahrens zugunsten des Widerspruchsführers geändert worden ist, hat der Widerspruch (teilweise) Erfolg gehabt. Die eindeutige Systematik des Gesetzes schließt es aus, zur Beurteilung des Erfolgs eines Widerspruchs auf hypothetisch mögliche abweichende Widerspruchsentscheidungen abzustellen. Naturgemäß kann bei Anwendung von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X allein der tatsächliche Erfolg im Widerspruchsverfahren bewertet werden. Eine über den Rahmen des anhängigen Verfahrens, über dessen Kosten zu entscheiden ist, hinausgehende Betrachtung scheidet aus.

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Zu einer solchen kann es – im Nachhinein – nur kommen, wenn der Widerspruchsbescheid seinerseits, d.h. dessen Sachentscheidung, im Klageverfahren einer Prüfung unterzogen worden ist. In diesem Fall gehören dann die Kosten des Vorverfahrens mit zu den Verfahrenskosten iSv § 193 SGG. Insoweit kann berücksichtigt werden, inwieweit der Widerspruch hätte Erfolg haben müssen. Indes kann auch im Rahmen einer Kostengrundentscheidung nach § 193 SGG durch das Gericht eine Erfolgsquote nur nach Maßgabe der Sachentscheidung im Klageverfahren erfolgen. Auch dort bleiben hypothetische Überlegungen außer Betracht.

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Die begehrte weitergehende Kostenerstattung kann daher nicht auf § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützt werden. Die weitergehenden Erstattungsvorschriften des § 63 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB X greifen ersichtlich nicht ein.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor. Ob im Rahmen des § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X auch ein hypothetischer Erfolg des Widerspruchs zu berücksichtigen ist, kann auf der Grundlage des Gesetzes unschwer beantwortet werden und ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig.


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