Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (5. Senat) - L 5 AS 829/12 B ER

Tenor

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens in der Sache wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller, der beim Antragsgegner im laufenden Bezug von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) steht, begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm vorläufig Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) in Höhe von 394,90 EUR/Monat zu gewähren.

2

Der am ... 1972 geborene Antragsteller bewohnt seit 25. April 2005 eine 43 qm große Wohnung in einem Haus, das eine Gesamtwohnfläche von 86 qm hat. Die monatlich zu zahlende Miete beträgt ausweislich einer Mietbescheinigung vom 15. Juni 2012 258 EUR. Hinzu kommen monatlich eine Betriebskostenpauschale in Höhe von 37,70 EUR (bestehend aus den Kosten für Grundsteuer, Wasserversorgung, Müllabfuhr, Entwässerung, Schornsteinreinigung, Gemeinschaftsantenne), eine Heizkostenpauschale in Höhe von 79,20 EUR, sowie ein Betrag in Höhe von 15 EUR als Vergütung für eine Teilmöblierung und in Höhe von 5 EUR für die Benutzung der Waschmaschine.

3

In einem persönlichen Gespräch am 20. Juni 2012 gab der Antragsteller beim Antragsgegner an, er zahle die Abfallkosten selbst an die Entsorgungswirtschaft. Dieser Betrag werde mit den kalten Betriebskosten verrechnet. Auch die Kosten für den Heizstrom entrichte er direkt an den Versorger. Auf Nachfrage, warum diese Kosten Bestandteil der Nebenkostenvorauszahlungen seien, entgegnete der Antragsteller, der Vermieter müsse sich insoweit geirrt haben. Die bislang in bar übergebenen Mietkosten könne er nicht jeden Monat aufbringen. Er habe im Mai 2012 mal einen Großeinkauf bei M. gemacht, wobei er auch für den Vermieter eingekauft habe. Die Kosten seien dann mit der Miete verrechnet worden.

4

Mit Bescheid vom 25. Juli 2012 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für die Monate Juli bis Dezember 2012 Leistungen nach dem SGB II, wobei er die KdU berücksichtigte, soweit der Antragsteller die Zahlungen an die Versorger nachgewiesen hatte. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am 22. August 2012 Widerspruch, über den – soweit ersichtlich – noch keine Einscheidung vorliegt.

5

Ebenfalls am 22. August 2012 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Magdeburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig KdU in Höhe von 394,90 EUR/Monat zu gewähren. Zum Nachweis der Mietzahlungen hat er eine Zahlungsliste zu den Akten gereicht (Bl. 47 der Gerichtsakte), auf die vollinhaltlich Bezug genommen wird.

6

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 12. September 2012 den Antrag abgewiesen. Im Wesentlichen hat es zur Begründung ausgeführt, es bestehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein -grund. Soweit in dem geltend gemachten Betrag auch Zahlungen für Wasser, Abwasser, Heizkosten und Abfallgebühren enthalten seien, seien sie bei Nachweis vom Antragsgegner übernommen worden. Der Antragsteller habe im Übrigen nicht dargelegt, in welcher Höhe und für welchen Monat er dem Vermieter Beträge schulde, sodass nicht ersichtlich sei, in welcher Höhe KdU zu übernehmen seien. Die vorgelegten Bescheinigungen seien widersprüchlich und spiegelten nicht die tatsächlichen Regelungen des Mietverhältnisses wider. Soweit sich aus einem vorgelegten Schreiben vom 15. Mai 2006 ergeben solle, dass die Kosten für Heizung und Energie durch den Vermieter getragen würden, und dies durch die Mietbescheinigung vom 15. Juni 2012 bestätigt werden solle, widerspreche dem die Praxis. Kosten für Wasser und Abwasser seien Bestandteil der mietvertraglich geschuldeten Nebenkostenvorauszahlungen. Gleiches gelte für die Abfallgebühren. Darüber hinaus sollten ab 2007 Kosten für einen Hausmeisterservice Bestandteil der Betriebskosten sein. Diese tauchten in der Mietbescheinigung aus 2012 jedoch nicht mehr auf. Dies zeige, dass die vorgelegten Bescheinigungen nicht die tatsächliche Entwicklung der Regelungen des Mietvertrages wiedergäben. So gebe es für die Kosten für einen Möblierungszuschlag, die Waschmaschinenbenutzung und die der Gemeinschaftsantenne keine vertragliche Grundlage. Weiterhin könne nicht nachvollzogen werden, in welcher Höhe die Mietzahlungen für welche Monate offen seien.

7

Im Übrigen fehle es auch an einem Anordnungsgrund. Da die Höhe der Mietschulden nicht festgestellt werden könne, könne auch nicht geprüft werden, ob ein Grund für eine fristlose Kündigung des Mietvertrages vorliege. Auch stehe eine Räumung der Wohnung derzeit nicht im Raum. Den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgelehnt.

8

Gegen den ihm am 14. September 2012 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 14. Oktober 2012 Beschwerde eingelegt und beantragt, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Er sei seiner Mietzahlungsverpflichtung nachgekommen, indem er entweder Mietzahlungen im Voraus geleistet oder aber Verbindlichkeiten des Vermieters gegenüber Dritten beglichen habe. Der Mietrückstand betrage derzeit 1.614,62 EUR. Er hat Bezug genommen auf eine zu den Akten gereichte "Aufstellung der Mietzahlungen für das Jahr 2012 bis Oktober" (Bl. 100 der Gerichtsakte). Der Vermieter habe mit Schreiben vom 16. Oktober 2012 den Ausgleich der Mietschulden in der o.g. Höhe bis 12. November 2012 verlangt und bei fruchtlosem Verstreichen der Frist den Ausspruch der fristlosen Kündigung angedroht. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2012 hat der Vermieter das Mietverhältnis fristlos gekündigt und die Räumung der Wohnung bis 31. Dezember 2012 gefordert. Ausweislich der anliegenden Kostenaufstellung betrage der Mietrückstand nunmehr 2.280,62 EUR. Der Antragsteller hat auf Anforderung des Gerichts, die Mietzahlungen in der Zeit vom 25. Januar bis 29. Dezember 2011 nachzuweisen, die Kontoauszüge zu den Akten gereicht, aus denen sich eine Überweisung an den Vermieter in Höhe von 4.000 EUR am 25. Januar 2011 und eine Abhebung von 1.000 EUR am 19. August 2011 ergibt, die er nach der Aufstellung des Vermieters, die dem Kündigungsschreiben beilag, als Mietzahlung verwandt habe.

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Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen, unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts vom 12. September 2012 den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig KdU in Höhe von 394,90 EUR/Monat zu bewilligen sowie ihm Prozesskostenhilfe zur Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens zu bewilligen.

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Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

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Die Angaben in der Mietbescheinigung seien nicht geeignet, die Höhe der tatsächlichen KdU zu belegen, da offensichtlich die dort niedergelegte Vereinbarung nicht in der Praxis umgesetzt werde. Zudem fehle der Nachweis von Mietzahlungen seit Mietbeginn. Nur so könne eine umfassende Überprüfung erfolgen.

12

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

13

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 12. September 2012. Der Senat geht daher davon aus, dass sich der Antragsteller gegen die Sachentscheidung und die Entscheidung im Prozesskostenhilfeverfahren wendet.

14

Beide Beschwerden sind nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft, denn der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in Höhe von 750 EUR ist überschritten. Der Antragsteller begehrt die vorläufige Bewilligung von KdU in Höhe von 394,90 EUR/Monat für mindestens die Zeit vom 22. August 2012 (Tag der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruches) bis 31. Dezember 2012 (Ende des dem Rechtsschutzantrag zugrundeliegenden Bewilligungsabschnittes). Die Sachbeschwerde ist unbegründet.

15

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrunds (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweg genommen werden.

16

Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht in der Hauptsache nicht bindet.

17

Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 86b Rn. 16b). Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die sozialgerichtliche Entscheidung nicht zu beanstanden. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II hat der Antragsgegner die dem Antragsteller tatsächlich entstehenden KdU zu übernehmen, soweit diese angemessen sind.

18

Vorliegend hat der Antragsgegner die nachgewiesenen KdU in voller Höhe übernommen. Der Antragsteller konnte - wie bereits in erster Instanz - auch im Beschwerdeverfahren keine weiteren Kosten für die Wohnung schlüssig darlegen und glaubhaft machen. Schon sein Vortrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes widerspricht der Darstellung gegenüber dem Antragsgegner während des Verwaltungsverfahrens. Dort hatte er bei der mündlichen Vorsprache am 20. Juni 2012 angegeben, die Miete bislang immer in bar entrichtet zu haben. Von einer Mietzahlung in Form der Begleichung von Rechnungen des Vermieters hat er nicht berichtet. Des Weiteren ist auch widersprüchlich, dass er nach seiner Einlassung anlässlich eines Großeinkaufs bei M. "auch" für den Vermieter mit eingekauft und die verauslagten Beträge verrechnet habe. In den aufgeführten Zahlungslisten ist jedoch der gesamte Kaufpreis von 404,51 EUR als Mietzahlung deklariert.

19

Die vorgelegten Aufstellungen über die Mietzahlungen vom 16. Oktober 2012 und die vom 5. Dezember 2012 sind ebenfalls widersprüchlich und zur Glaubhaftmachung der Mietzahlungsverpflichtung nicht geeignet. In der Aufstellung vom 16. Oktober 2012 endet das Jahr 2011 mit einem Guthaben im Januar 2012 von 28 EUR. Dagegen weist die Aufstellung vom 5. Dezember 2012 in diesem Monat ein Guthaben von 272 EUR aus.

20

Es mag zutreffend sein, dass der Antragsteller die Mietzahlungen nicht immer direkt an den Vermieter leistete, sondern die Zahlungsverpflichtung auch durch Tilgung von Verbindlichkeiten des Vermieters Dritten gegenüber erfüllte. Dafür sprechen die Aufstellungen über die Mietzahlungen. Allerdings ist die Höhe der dem Vermieter geschuldeten Beträge nicht schlüssig dargelegt worden. Wenn der Antragsteller und der Vermieter tatsächlich eine andere Regelung zur Zahlung der Mietkosten hatten als vertraglich vereinbart oder in der Mietbescheinigung niedergelegt, so stimmt die Aufstellung des Vermieters zu den Mietschulden vom 5. Dezember 2012 rechnerisch nicht. Sie berücksichtigt nicht die Zahlungen des Antragstellers, die dieser direkt an die Versorger leistet. Diese jedoch müssten als monatliche Mietzahlungen von der Gesamtbruttomiete in Abzug gebracht werden, was nicht geschehen ist. So hat der Antragsteller im Juni 2012 ausweislich eines sich in der Verwaltungsakte befindlichen Kontoauszuges 53 EUR an den Wasserzweckverband H -F. und an die E. A. 76 EUR und 45 EUR überwiesen. Keiner der Beträge taucht als Mietzahlung in der o.g. Aufstellung auf. Vielmehr wird dort eine Zahlung von 0,00 EUR auf eine Schuld von 394 EUR vermerkt.

21

Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass der Antragsteller wenigstens versucht hätte, die Mietschulden durch Überweisung der vom Antragsgegner bewilligten Leistungen für die KdU zu vermindern.

22

Da weder die Mietbescheinigung oder die Auflistung der offenen Mietzahlungen vom 5. Dezember 2012 noch der Vortrag des Antragstellers zu den Regelungen zur Form und Höhe der Mietzahlungen einen Schluss auf die tatsächliche Höhe der vereinbarten Miete zulassen, konnte die Beschwerde keinen Erfolg haben. Der Senat verweist im Übrigen auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Beschluss.

23

Aus diesen Gründen unterlag auch die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe zur Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens der Zurückweisung und war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens abzulehnen.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung von § 193 SGG und § 127 Abs. 4 ZPO.

25

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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