Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (5. Senat) - L 5 AS 371/12 B ER

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners, vorläufig die Umzugskosten, die einer "erweiterten" Erstausstattung, einer Einzugsrenovierung und der Mietkaution für seine neue Wohnung zu übernehmen.

2

Der am ... 1960 geborene Antragsteller bezieht laufend Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 60 (ohne Merkzeichen) anerkannt.

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Mit Bescheid vom 31. Januar 2011 waren ihm Leistungen für die Erstausstattung der vormals bewohnten Wohnung bewilligt worden.

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Zum 1. April 2012 bezog er eine 74 qm große Wohnung im J. in H., für die eine Grundmiete in Höhe von 306,16 EUR und Vorauszahlungen für Betriebskosten in Höhe von 53,68 EUR und für Heizkosten in Höhe von 53,69 EUR, mithin eine Bruttowarmmiete in Höhe von 413,53 EUR zu zahlen sind. Zuvor hatte er die Zusicherung des Antragsgegners zum Umzug beantragt, die dieser unter Hinweis auf die unangemessen hohe Miete für die neue Wohnung und die fehlende Notwendigkeit einer behindertengerechten Ausstattung abgelehnt hatte. Es wird insoweit auf das Verfahren L 5 AS 334/12 B ER verwiesen. Ebenfalls hatte er unter dem 6. Februar, 9. März und 15. März 2012 die Übernahme der Kosten eines Umzugs, einer "erweiterten" Erstausstattung, einer Einzugsrenovierung sowie der Mietkaution in Höhe von 612,32 EUR beantragt, die der Antragsgegner mit Bescheiden vom 16. und 22. März 2012 abgelehnt hatte. Die dagegen erhobenen Widersprüche wies der Antragsteller mit Widerspruchsbescheiden vom 26. Juni 2012 als unbegründet zurück.

5

Bereits am 2. April 2012 hatte der Antragsteller beim Sozialgericht Magdeburg eine Untätigkeitsklage erhoben. Seine Anträge auf Beschaffung, Ausstattung und Erhaltung einer behindertengerechten Wohnung an die Sozialagentur seien im Januar 2012 an den Antragsgegner weitergeleitet worden, jedoch habe der Antragsgegner noch keine Entscheidung getroffen. Nachdem der Antragsgegner im Klageverfahren auf seine Ablehnungsbescheide hingewiesen hatte, hat der Antragsteller am 18. Mai 2012 beim Sozialgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig die beantragten Kosten im Rahmen eines ihm zu gewährenden Persönlichen Budgets zu übernehmen. Ferner wolle er das Klageverfahren fortführen.

6

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 20. Juni 2012 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er habe bereits durch Bescheid vom 31. Januar 2011 für seine bisherige Wohnung nach dem Auszug aus der mit seiner ehemaligen Verlobten bewohnten Wohnung vom Antragsgegner Geldmittel für den Erwerb einer Erstausstattung erhalten. Er habe nicht deutlich gemacht, was er unter einer "erweiterten" Erstausstattung verstehe. Die darüber hinaus geltend gemachten Ansprüche bestünden nicht, weil der Antragsteller in eine Wohnung gezogen sei, deren Mietpreis nicht angemessen sei. In Ermangelung einen schlüssigen Konzepts oder weiterer belastbarer Daten sei bei der Bestimmung der angemessenen KdU auf die Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zurückzugreifen. Danach seien für den Wohnort des Antragstellers für einen Einpersonenhaushalt monatliche Kosten in Höhe von 292 EUR Kaltmiete einschließlich kalter Betriebskosten angemessen. Die Bruttokaltmiete der Wohnung des Antragstellers betrage jedoch 359,84 EUR.

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Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 23. Juni 2012 Beschwerde eingelegt. Im Wesentlichen hat er zur Begründung ausgeführt, bereits am 3. Oktober 2011 habe er beim Sozialamt einen Antrag auf eine behindertengerechte Wohnung gestellt, der an den Antragsgegner weitergeleitet worden sei. Für die Ausstattung benötige er mindestens 2.500 EUR. Die beantragten Kosten seien im Rahmen eines bereits am 21. April 2009 beantragten trägerübergreifenden Persönlichen Budgets zu bewilligen.

8

Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

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den Antragsgegner unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Magdeburg vom 20. Juni 2012 zu verpflichten, ihm vorläufig alle Leistungen in Zusammenhang mit dem Antrag auf Bewilligung von Hilfen zur Beschaffung, Erhalt und Ausstattung einer behindertengerechten Wohnung zu bewilligen.

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Der Antragsgegner beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Er verweist im Wesentlichen auf die den erstinstanzlichen Beschluss tragenden Gründe.

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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.

II.

14

Die form- und fristgerecht nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte Beschwerde ist statthaft nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG. Das Begehren des Antragstellers übersteigt den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG maßgeblichen Beschwerdewert von 750 EUR.

15

Offen bleiben kann, ob der Antragsteller ein Rechtsschutzinteresse an der Fortführung des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes hat. Zweifel daran bestehen, da er auf Nachfrage des Senats keine Klageverfahren gegen die Widerspruchsbescheide des Antragsgegners vom 26. Juni 2012 benannt hat. Die Bescheide könnten bestandskräftig und somit zwischen den Beteiligten bindend sein (§ 77 SGG). Für eine einstweilige Regelungsanordnung bliebe dann kein Raum, da kein regelungsfähiges Rechtsverhältnis mehr bestünde. Ob der Antragsteller die am 2. April 2012 eingelegte Untätigkeitsklage als Leistungsklage fortführt, ist nicht bekannt.

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Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

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Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrunds (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweg genommen werden.

18

Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht in der Hauptsache nicht bindet.

19

Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 86b Rn. 16b). Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die sozialgerichtliche Entscheidung nicht zu beanstanden.

20

Soweit der Antragsteller eine "erweiterte" Erstausstattung für die Wohnung begehrt, hat er trotz ausdrücklichen Hinweises des Sozialgerichts auf die mangelnde Substantiierung seines Antrags auch im Beschwerdeverfahren weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, welche Gegenstände er konkret zur Ausstattung der Wohnung benötigt. Das Sozialgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass der Antragsgegner ihm bereits mit Bescheid vom 31. Januar 2011 700 EUR für die Wohnungserstausstattung für die damalige Wohnung bewilligt hatte. Einen darüber hinausgehenden Bedarf hatte und hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Der Senat verweist auf seinen den beteiligten bekannten Beschluss vom 9. Juni 2011 (L 5 AS 170/11 B ER).

21

Auch die übrigen Anträge hat das Sozialgericht zu Recht abgelehnt. Nach § 22 Abs. 6 SGB II können Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; eine Mietkaution kann bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Dies setzt jedoch eine vorherige Zusicherung des Antragsgegners voraus, die erteilt werden soll, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Eine Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden.

22

Der Antragsteller hat schon die behaupteten Kosten für die Wohnungsbeschaffung (300 EUR) und Umzugskosten (keine Bezifferung) nicht glaubhaft gemacht.

23

Es kann auch dahinstehen, ob der Antragsgegner der Ansicht war, die zuvor vom Antragsteller bewohnte Wohnung sei ungeeignet und deshalb ein Umzug erforderlich. Die Kosten für die vom Antragsteller im April 2012 bezogene Wohnung sind jedenfalls unangemessen. Der Senat verweist insoweit nach eigener Prüfung auf die zutreffenden Ausführung des Sozialgerichts (§ 142 Abs. 2 Satz 2 SGG). Offen lassen konnte der Senat auch die Beantwortung der Frage, ob für den Antragsteller wegen seiner Behinderung eine größere als 50 qm große Wohnung noch als angemessen gelten kann. Einen erhöhten Raumbedarf hat er nicht glaubhaft gemacht, ebenso wenig wie die behinderungsbedingte Notwendigkeit einer Wohnung im Erdgeschoss mit einer Rampe. Dem Antragsteller sind keine Nachteilsausgleiche in Form der Merkzeichen "G" oder "aG" zuerkannt worden, weshalb der Senat nicht von einer erheblichen Beeinträchtigung der Gehfähigkeit ausgeht. Soweit der Antragsteller auf eine bevorstehende Wirbelsäulenoperation mit einer eventuell nachfolgenden Rollstuhlpflichtigkeit verweist, ist das künftige Erfordernis einer behindertengerecht begehbaren Wohnung reine Spekulation.

24

Auch einen unabweisbaren Sonderbedarf für den Erhalt der Wohnung durch monatlich 50 EUR für höhere Stromkosten gemäß § 24 Abs. 1 SGB II hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Er hat nicht einmal dargelegt, weshalb diese zusätzlichen Kosten bestehen sollen.

25

Der Antragsteller hat auch keinen Anordnungsanspruch im Rahmen eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets glaubhaft gemacht. Der Anspruch auf ein Persönliches Budget findet seine Grundlage in der Zusammenfassung aller nach Maßgabe des individuell festgestellten Bedarfs zuzuerkennenden Leistungen (§ 17 Abs. 3 Satz 3 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX)), die bei einer isolierten Entscheidung hierüber rechtlich grundsätzlich und faktisch in aller Regel nur in Abhängigkeit vom Ermessen des zuständigen Leistungsträgers beansprucht werden können. § 159 Abs. 5 SGB IX, wonach § 17 Abs. 2 Satz 1 vom 1. Januar 2008 an mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass auf Antrag Leistungen durch ein Persönliches Budget ausgeführt werden, steht dem nicht entgegen. Es ist nämlich nicht erkennbar, dass mit der Entscheidung über die Einführung von § 159 Abs. 5 SGB IX gleichzeitig eine generelle Änderung der Entscheidungskompetenzen hinsichtlich der Gewährung der mit dem Persönlichen Budget "auszuführenden" Teilhabeleistungen angeordnet werden sollte (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2011, B 5 R 54/10 R, Rn. 17).

26

Die Besonderheit einer Ermessensleistung ist, dass das Gesetz der Verwaltung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall keine bestimmte Rechtsfolge vorgibt. Der Antragsteller hat in diesen Fällen lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung nach § 39 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I), nicht jedoch auf eine bestimmte Leistung (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 30. November 2011, L 5 AS 347/11 B ER, Rn. 21, Juris). Bei einer Ermessensleistung kann ein Anspruch auf die Leistung vom Gericht nur dann bejaht werden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs vorliegen und das Ermessen zugunsten des Betroffenen auf Null reduziert wäre. Letzteres bedeutet, dass die Ausübung des Ermessens allein zu einer Leistungsgewährung führen müsste, weil keine Ablehnung begründet werden könnte. Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Antragstellers sind nach Aktenlage nicht erkennbar und ergeben sich auch nicht aus seinem Vortrag. Allein die Dauer seiner Bemühungen, Leistungen im Rahmen des Persönlichen Budgets zu erhalten, ist nicht ausreichend. Daher kann offenbleiben, ob der Antragsgegner im Rahmen von § 17 Abs. 3 SGB IX überhaupt der für das Persönliche Budget zuständige Leistungsträger ist.

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Die Beschwerde war mithin zurückzuweisen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.


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