Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (2. Senat) - L 2 AS 226/14 B

Tenor

Auf die Beschwerden des Klägers werden die beiden Beschlüsse des Sozialgerichts Halle vom 29. April 2014 (L 2 AS 226/14 B und L 2 AS 227/14 B) und die drei Beschlüsse vom 30. April 2014 (L 2 AS 228/14 B, L 2 AS 229/14 B und L 2 AS 230/14 B) aufgehoben.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

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Der Kläger wendet sich in fünf Verfahren gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegen Ratenzahlung.

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Für fünf Verfahren wegen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bewilligte das Sozialgericht Halle (SG) dem Kläger mit Beschlüssen vom 4. Dezember 2013 Prozesskostenhilfe mit einer monatlichen Ratenzahlungsverpflichtung. Die monatliche Ratenzahlungsverpflichtung betrug im Verfahren L 2 AS 226/14 B 135 EUR. In den anderen Verfahren wurden die jeweiligen Ratenzahlungen der anderen Verfahren als Belastungen zusätzlich berücksichtigt. Hieraus ergab sich im Verfahren L 2 AS 227/14 B eine Ratenhöhe von 75 EUR, im Verfahren L 2 AS 228/14 B von 60 EUR, im Verfahren L 2 AS 229/14 B von 30 EUR und im Verfahren L 2 AS 230/14 B ebenfalls von 30 EUR. Der am ... 1986 geborene Kläger, der bei seiner Mutter wohnt, hatte eine pauschale Miete ohne Mietvertrag in Höhe von 200 EUR angegeben. Der Kläger erzielte ein monatliches Einkommen in Höhe von 350 EUR (ohne Abzüge) und erhielt Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich 663 EUR. Einen Nachweis für die Mietkosten erbrachte er auf Aufforderung des SG nicht. Bei der Berechnung der Ratenhöhe berücksichtigte die Kammervorsitzende keine Wohnkosten.

3

Jeweils mit Schreiben vom 13. Dezember 2013 teilte die Kostenbeamtin dem Kläger die Kontoverbindung mit, auf welche er die fälligen Raten ab 1. Januar 2014 zu zahlen habe. Mit Schreiben ebenfalls vom 13. Dezember 2013 stellte der Kläger einen Antrag, die Raten herabzusetzen. Er legte eine eidesstattliche Versicherung vom 25. September 2013 vor, wonach er seit ca. sechs Monaten monatlich 200,00 EUR als Miete in bar an seine Mutter zahle. Die Kammervorsitzende des SG forderte den Kläger ohne Fristsetzung dazu auf, die behaupteten Mietkosten in geeigneter Form nachzuweisen. Er möge mitteilen, wann er die Miete jeweils gezahlt habe und ggf. Quittungen über die Zahlungen vorlegen. Zudem solle er Kontoauszüge der letzten sechs Monate vorlegen. Mit Schreiben vom 27. Januar 2014 wurde der Kläger vom SG darauf hingewiesen, dass er die jeweilige zum 1. Januar 2014 fällige Rate für die Prozesskostenhilfe nicht gezahlt habe. Die Raten seien bis zu einer Entscheidung über die Abänderung zum jeweiligen Fälligkeitstermin zu zahlen. Mit Schreiben vom 9. April 2014 teilte das SG mit, dass beabsichtigt sei, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegen Ratenzahlung aufzuheben, da der Kläger länger als drei Monate mit der Zahlung seiner Monatsraten in Verzug sei. Der Kläger verwies in der Stellungnahme seiner Prozessbevollmächtigten darauf, dass ein Antrag auf Herabsetzung der Ratenzahlung noch nicht beschieden sei. Solange über diesen Antrag noch nicht entschieden sei, gehe er davon aus, dass jedenfalls die Raten nicht zu zahlen seien, zumal die Wohnkosten nachgewiesen worden seien.

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Mit Beschlüssen vom 29. April 2014 bzw. 30. April 2014 hat das SG die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für den Kläger durch die Beschlüsse vom 4. Dezember 2013 jeweils aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger sei trotz einer Aufforderung zur Zahlung und eines Hinweises über die Rechtsfolgen länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate im Verzug (§ 124 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung - ZPO). Hieran ändere der Antrag des Klägers auf Herabsetzung seiner Raten nichts. Zum einen sei der Kläger bis zur Entscheidung über diesen Antrag weiterhin verpflichtet, seine Raten zu zahlen, zum anderen habe der Kläger eine wesentliche Änderung nicht glaubhaft gemacht. So sei er der gerichtlichen Aufforderung vom 19. Dezember 2013 nicht nachgekommen.

5

Gegen die am 5. Mai 2014 an seine Prozessbevollmächtigte zugestellten Beschlüsse hat der Kläger durch seine Bevollmächtigten am 19. Mai 2014 jeweils Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt er aus: Er habe rechtzeitig einen Antrag auf Herabsetzung der Raten gestellt. Wenn ein Anspruch auf eine Herabsetzung der Raten bestehe, könne die Bewilligung nicht mit der Begründung aufgehoben werden, es seien keine Raten bezahlt worden. Außerdem habe das Gericht in allen Verfahren Raten angeordnet und nicht berücksichtigt, dass diese Raten für die Folgesachen berücksichtigt werden müssten.

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Der Beschwerdegegner hat ausgeführt, dass die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nach der alten hier anwendbaren Fassung der ZPO vor dem 1. Januar 2014 nicht zu beanstanden sei. Im Übrigen wäre der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle gem. § 73a Abs. 5 SGG zuständig und die Kammervorsitzende habe nach § 73a Abs. 8 SGG endgültig zu entscheiden gehabt.

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Für weitere Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

II.

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Die Beschwerden sind form- und fristgerecht eingelegt. Sie sind auch statthaft.

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Gem. § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Ein solcher gesetzlich geregelte Ausnahmefall liegt nicht vor. Insbesondere greift nicht der Ausnahmefall nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 a) SGG. Danach ist die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe ausgeschlossen, wenn das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Die Aufhebung der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe wird von dem Wortlaut der Vorschrift nicht erfasst. Eine erweiternde Auslegung der Ausnahmeregelung dahingehend, dass auch die Aufhebung der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe erfasst werden soll, ist nicht gerechtfertigt (ebenso LSG NRW, Beschluss vom 12. Mai 2014 – L 9 AL 123/14 B – zitiert nach juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 172 Rn. 6h m. w. N.). Der Entzug der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe ist nicht vergleichbar mit der Ablehnung der Prozesskostenhilfe (insofern scheidet auch der Ausnahmefall nach § 172 Abs. 3 Nr. 2b SGG aus). Eine analoge Anwendung einer solchen Ausnahmevorschrift, die den Rechtsschutz des Antragstellers beschränkt, scheidet aus.

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Es greift auch nicht ein etwaiger Beschwerdeausschluss nach § 73a Abs. 8 SGG i. d. Fassung des Gesetzes zur Änderung des Prozesskosten- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 (PKH/BerHÄndG) ab dem 1. Januar 2014. Danach kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten nach § 73a Abs. 4 und 5 SGG binnen einen Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, welches endgültig entscheidet. Es braucht hier nicht diskutiert zu werden, ob § 73a Abs. 8 SGG einen Beschwerdeausschluss begründet und wenn dies bejaht wird, ob eventuell bei einer direkten Entscheidung des Richters nach § 73a Abs. 6 SGG (Rückholrecht) ein solcher nicht greift. Denn die betreffende Gesetzesfassung ab dem 1. Januar 2014 ist für das vorliegende Verfahren schon nicht anwendbar. Eine gesonderte Übergangsregelung gibt es für die Neuregelung des § 73a SGG nicht. Nach Art. 20 des PKH/BerHÄndG tritt das Gesetz am 1. Januar 2014 in Kraft. Eine Übergangsregelung im PKH/BerHÄndG, dass die Neufassung von § 73a SGG nur für Neuanträge ab dem 1. Januar 2014 gilt, findet sich nicht. Die gesonderte Übergangsregelung in Art. 5 PKH/BerHÄndG (§ 40 des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung – ZPOEG) bestimmt nur, dass die Bestimmungen der §§ 114-127 ZPO in der Fassung bis zum 31. Dezember 2013 anwendbar sind, wenn ein Beteiligter vor dem 1. Januar 2014 für einen Rechtszug Prozesskostenhilfe beantragt hat. Sie betrifft nicht die verfahrensrechtlichen Vorschriften in § 73a SGG. Wird ein Gesetz mit prozessverfahrensrechtlichem Inhalt während des gerichtlichen Verfahrens geändert, so richtet sich der zeitliche Anwendungsbereich des Gesetzes nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts. Danach ist eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch auf anhängige Rechtsstreitigkeiten anzuwenden, sofern nicht ein verfassungskonform abweichender Geltungswille des Gesetzes festzustellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 14. April 2011 – B 8 SO 18/09 R – Rn. 13, zitiert nach juris). Enthält das Verfahrensrecht nicht nur bloße ordnungsrechtliche technische Prozessführungsregelungen, sondern wirkt es auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage ein, in der sich der Beteiligte befindet, so sind die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes Prüfungsmaßstab (BSG, Urteil vom 12. Juni 2001 – B 4 RA 37/00 R – zitiert nach juris). Hier lässt sich aus dem Gesetz durch die Verweisungstechnik des Gesetzgebers ableiten, dass auch die verfahrensrechtlichen Regelungen in § 73a SGG erst für Neuverfahren (PKH-Antrag nach dem 1. Januar 2014) gelten sollen. Die veränderte Entscheidungszuständigkeit in § 73a Abs. 5 SGG bezieht sich auf die Vorschriften der ZPO in der ab dem 1. Januar 2014 geltenden Fassung. So wird in Abs. 5 auf die Neuregelung in § 120a ZPO bzw. die geänderte Fassung im § 124 ZPO Bezug genommen. D. h. für die Prüfung dieser neuen materiell-rechtlichen Voraussetzungen hat der Gesetzgeber veränderte Verfahrensregelungen getroffen. Da – wie dargestellt – nach § 40 ZPOEG auf laufende Verfahren noch das alte (bis zum 31. Dezember 2013 geltende) materielle Recht der §§ 114-127 ZPO Anwendung findet, gelten im Ergebnis auch die veränderten verfahrensrechtlichen Regelungen des § 73a Abs. 4 bis 9 SGG erst für Neuverfahren (so auch Straßfeld, SGb 2014, 176). Es finden daher sowohl die geänderten materiell-rechtlichen Regelungen als auch die verfahrensrechtlichen Regelungen erst auf PKH-Anträge Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 im jeweiligen Rechtszug gestellt worden sind.

11

Die Beschwerden sind auch begründet. Das SG hat zu Unrecht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgehoben. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung lagen nicht vor. Anwendung findet § 124 Nr. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung (ab dem 1. Januar 2014 § 124 Nr. 5 ZPO). Entgegen der Ansicht des SG kann – wie bereits dargestellt – nicht die Neuregelung des § 124 ZPO ab dem 1. Januar 2014 durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 angewandt werden (§ 40 ZPOEG). Nach der maßgeblichen Fassung des § 124 Nr. 4 ZPO a. F. kann das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate im Rückstand ist. Der Kläger ist mit der Zahlung der am 1. Januar 2014 fälligen Raten für länger als drei Monate in Rückstand. Er hat die betreffenden Raten bis heute nicht bezahlt. Ihm ist auch mitgeteilt worden, auf welches Konto er die Raten zu zahlen hat und er ist auf die Rückstände sowie die Rechtsfolge der Aufhebung der Bewilligung hingewiesen worden.

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Die Aufhebungsvoraussetzungen lagen jedoch gleichwohl nicht vor, weil noch nicht abschließend beurteilt werden konnte, ob der Kläger den Rückstand auch zu vertreten hat, oder ob er zur Zahlung nicht in der Lage war, bzw. weil ein Abänderungsantrag auf Aufhebung der Ratenzahlungsverpflichtung noch nicht verbeschieden war. Hat die Partei den Rückstand nicht zu vertreten, weil sie im fraglichen Zeitraum zur Ratenzahlung nicht in der Lage war oder ihr PKH ohne Ratenzahlung hätte bewilligt werden müssen, wenn sie diese zu diesem Zeitpunkt beantragt hätte, dann darf die PKH-Bewilligung nicht aufgehoben werden (Zöller-Geimer, ZPO, 30. Aufl., § 124 Rn. 18 m. w. N.). Der Kläger hatte bereits im Dezember 2013, also bereits vor der Fälligkeit der Rate im Januar 2014, einen Abänderungsantrag gestellt. Würde seinem Abänderungsantrag stattgegeben und die Mietzahlung in Höhe von 200 EUR berücksichtigt, würde die Ratenzahlungsverpflichtung bereits ab dem Antragsdatum (Dezember 2013) entfallen. Dann wäre der Kläger auch nicht in Rückstand mit den Raten gekommen. Dadurch dass das SG bereits vor der Entscheidung über den Abänderungsantrag die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgehoben hat, geht der Antrag nach § 120 Abs. 4 ZPO ins Leere. Die Möglichkeit, berechtigt die Herabsetzung der Raten zu verlangen, ist dem Kläger damit genommen worden.

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Die Aufhebungsentscheidung des SG ist auch deshalb rechtswidrig, weil das SG kein Ermessen ausgeübt hat – aus seiner Sicht war das konsequent, da es die Fassung der Vorschrift ab dem 1. Januar 2014 zugrunde gelegt hat, wonach kein Ermessenspielraum mehr besteht. Nach der Regelung bis zum 31. Dezember 2013 handelte es sich um eine Ermessensentscheidung "kann aufheben". Im vorliegenden Fall hätte besonderer Anlass zu Ermessenserwägungen bestanden, weil noch ein Abänderungsantrag zu prüfen war.

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Kosten des Beschwerdeverfahrens sind in entsprechender Anwendung von § 127 Abs. 4 ZPO i. V. m. § 73a SGG nicht zu erstatten.

15

Dieser Beschluss kann nicht mit einer Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).


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