Urteil vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (1. Senat) - L 1 R 449/12

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. Oktober 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2007 werden aufgehoben.

Die Beklagte hat die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 311.451,74 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Beklagte von der Klägerin zu Recht die Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Oktober 2003 zuzüglich Säumniszuschläge verlangt.

2

Die 1969 geborene Klägerin mietete im November 1997 in W. Räumlichkeiten in einem Gewerbeobjekt mit einer Gesamtfläche von ca. 160 m2 an. Hierzu gehörten auch die Räume der ehemaligen Gaststätte "M. u. M."", die sie abtrennte, um darin die Nachtbar "M." zu betreiben. Diesbezüglich hatte sie unter dem 25. September 1997 eine Schankwirtschaft als Gewerbe angemeldet. Unter dem 8. Oktober 1997 hatte sie zudem die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb einer Schankwirtschaft mit einem gewünschten Beginn der Erlaubnis am 3. November 1997 beantragt. Die angegliederten Räume vermietete sie an R. J., der dort ausweislich einer Gewerbeanmeldung vom 16. Dezember 1997 seit dem 5. Januar 1998 einen Beherbergungsbetrieb mit sieben Betten betrieb. Zur Pension und zur Nachtbar gab es unterschiedliche Eingänge. Beide Betriebe waren durch eine feuerfeste Tür miteinander verbunden. Ab September 2001 war der Ehemann der Klägerin, R. F., Hausmeister der Nachtbar.

3

In der Nachtbar fanden in der Vergangenheit mehrere Kontrollen und Durchsuchungen statt, so u. a. in der Nacht vom 17. auf den 18. März 2004 durch die Steuerfahndung. Dabei wurden Prostituierte und deren Freier angetroffen. Durch die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes M. I wurde aufgrund dessen ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin eingeleitet.

4

Auf der Grundlage dieser Ermittlungen forderte die Beklagte von der Klägerin nach einem (unbeantworteten) Anhörungsschreiben vom 8. Juni 2002 mit Bescheid vom 19. Juli 2006 für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Oktober 2003 Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 220.605,24 EUR zuzüglich Säumniszuschlägen für die Zeit vom 15. Februar 2002 bis zum 31. Mai 2006 in Höhe von 90.846,50 EUR, insgesamt also 311.451,74 EUR. Zur Begründung wies sie darauf hin, aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndung habe sich ergeben, dass die Klägerin als Inhaberin der Nachtbar mehrere Arbeitnehmerinnen gegen Entgelt beschäftigt gehabt habe. Für einige der Arbeitnehmerinnen (Prostituierte) seien weder Beitragsanmeldungen vorgenommen und die entsprechenden Beiträge entrichtet, noch Jahresmeldungen erstellt worden.

5

Gegen den ihr am 21. Juli 2006 zugestellten Bescheid erhob die Klägerin am 28. Juli 2006 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, es sei zwar richtig, dass sich in der Nachtbar gelegentlich Damen aufgehalten hätten, die eigenständig gegebenenfalls sexuelle Dienstleistungen – allerdings zum eigenen geldwerten Vorteil – für Dritte erbracht hätten. Sie habe aber weder ein Weisungsrecht gegenüber diesen Damen ausgeübt noch diese aufgefordert, sich während der Öffnungszeiten in der Nachtbar aufzuhalten. Da auch die Pension, in der sich die Damen sporadisch aufgehalten hätten, nicht von ihr betrieben werde, sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund sie Arbeitgeberin der Damen gewesen sein solle. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. März 2007 zurück: Die Klägerin sei im betroffenen Zeitraum Betreiberin des Nachtclubs "M." gewesen. Dies habe sich aus Vernehmungen der bei den verschiedenen Kontrollen und Durchsuchungen aufgegriffenen Prostituierten und weiterer Zeugen ergeben. Sie sei als Arbeitgeberin sämtlicher in der Nachtbar beschäftigten Arbeitnehmerinnen anzusehen, denn sie habe nachweislich ihr Weisungsrecht u. a. hinsichtlich der Abrechnungsmodalitäten, der Preisgestaltung, dem Arbeitsort und den Arbeitszeiten gegenüber den Prostituierten ausgeübt. Bei der Nachtbar und der Pension handele es sich um ein Bordell. Dies werde durch die Aussagen der Prostituierten und deren Freiern bestätigt. Der Umstand, dass den Prostituierten die freie Auswahl der Kunden und die Bestimmung, welche Art von sexuellen Dienstleistungen erbracht würden, überlassen worden sei, schränke allenfalls das Direktionsrecht der Klägerin ein. Ihr Weisungsrecht habe sich insofern auf die Bestimmung von Ort und Zeit der Arbeitsleistung beschränkt.

6

Erst nach Erlass des Widerspruchsbescheides gelangte ein Schreiben des Hauptzollamtes M. vom 7. November 2006 zur Verwaltungsakte der Beklagten. Diesem war eine tabellarische Auswertung hinsichtlich Straftaten gemäß § 266a Strafgesetzbuch (StGB) beigefügt. Dort ist der Ehemann der Klägerin als "Arbeitgeber (Täter)" und die Klägerin selbst ist als "Mittäter/Gehilfe" bezeichnet.

7

Gegen den Bescheid vom 19. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2007 hat die Klägerin am 5. April 2007 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Lediglich die Nachtbar, nicht aber auch die Pension werde von ihr betrieben. Die in der Nachtbar beschäftigten Arbeitnehmerinnen habe sie sämtlich mit den entsprechenden Lohnunterlagen angemeldet. Es sei zwar richtig, dass sich in der Nachtbar gelegentlich Damen aufgehalten hätten. Diese Damen hätten sich zum Teil in der Pension eingemietet, dort übernachtet und sich dort auch kurzzeitig oder mehrere Tage, teilweise aber auch nur eine Nacht aufgehalten. Sie hätten Dritten gegenüber auch sexuelle Dienstleistungen erbracht. Dies sei allerdings nicht auf ihre Veranlassung geschehen. Sie habe die Damen, die teilweise aus dem Ausland stammten, teilweise aber auch in M. wohnten, auch nicht angewiesen, sich während der Öffnungszeiten in der Nachtbar aufzuhalten. Auch habe sie keinerlei Einnahmen aus der Tätigkeit dieser Damen erzielt. Vielmehr sei die Nachtbar gewissermaßen als Kommunikationsraum (Kontaktraum) zum Kennenlernen genutzt worden, was gerade deren Reiz ausgemacht habe. Sie habe allerdings insoweit von den Damen profitiert, als durch deren Anwesenheit in der Nachtbar der Getränkeumsatz gesteigert worden sei. Auch habe sie Mehreinnahmen dadurch erzielt, dass die Damen, bevor sie die Bar verlassen hätten, Getränke gekauft hätten. Zahlungen, die sie von den Damen erhalten habe, seien als Entgelt für diesen Außer-Haus-Verkauf von Getränken geleistet worden; zudem – ohne Vereinbarung – dafür, dass sie den Damen die Nachtbar als Aufenthaltsmöglichkeit zur Verfügung gestellt habe. Wenn die Beklagte eigene Ermittlungen angestellt hätte, anstatt sich nur auf die vermeintlichen Feststellungen der Steuerfahndung zu beschränken, hätte sich die Richtigkeit ihrer Angaben bestätigt. Aufgrund der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen würden nunmehr diejenigen Damen, die gewerblich sexuelle Dienste erbringen würden, ihre Einnahmen versteuern. Im Übrigen sei die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge nicht nachvollziehbar.

8

Durch Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 23. März 2009 (24 KLs 2/08 (Wi)) ist die Klägerin wegen Steuerhinterziehung in dreizehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden. Deren Vollstreckung hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt. Es hat es als erwiesen angesehen, dass die Klägerin unrichtige Angaben gegenüber dem Finanzamt gemacht habe, weil sie als Inhaberin und Betreiberin der Nachtbar erzielte Erlöse aus Getränkeumsatz durch die in der Nachtbar bzw. in der angegliederten Pension tätigen Prostituierten nicht als Einnahmen gegenüber dem zuständigen Finanzamt angegeben habe. Zuvor hatte das Landgericht Magdeburg in seinem Beschluss vom 10. Dezember 2008 über die Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 265 Strafprozessordnung (StPO) den Hinweis gegeben, dass auch eine Strafbarkeit gemäß § 266a StGB, wonach u.a. das Vorenthalten von Beiträgen zur Sozialversicherung mit Strafe bedroht ist, in Betracht kommen könne. Ausweislich eines Aktenvermerks des Finanzamts Magdeburg II vom 17. Dezember 2007 war ein weiteres Verfahren (Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft: 627 Js 28190/07) gegen die Klägerin und ihren Ehemann wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt für den Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 18. März 2004 am 15. Oktober 2007 gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden: Bei den angegebenen säumigen Sozialversicherungsbeiträgen habe es sich um eine Schätzung gehandelt, bei der die jeweilige Grundlage weder erkennbar noch die jeweilige Höhe nachweisbar gewesen seien.

9

Durch das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 23. März 2009 hat sich die Klägerin in ihrem Vortrag bestätigt gesehen, nicht Arbeitgeberin der sich in der Nachtbar aufhaltenden Damen gewesen zu sein. Die Strafkammer des Landgerichts habe nach Einvernahme des Betreibers der Pension R. J. sowie der vermeintlichen Prostituierten V. Z., O. S. und C. G. und der an der Bar angestellten U. Sch. keinerlei Anhaltspunkte für eine Arbeitnehmereigenschaft der vermeintlichen Prostituierten gefunden. Vielmehr habe sich bestätigt, dass sie lediglich dadurch von der Anwesenheit der vermeintlich Prostituierten profitiert habe, dass sie Mehreinnahmen durch den Außer-Haus-Verkauf von Sekt erzielt habe. Die im Rahmen der Steuerfahndung vernommenen Zeuginnen St., und T. hätten ebenfalls niemals ausgesagt, dass sie abhängig beschäftigt und in ihren Betrieb eingegliedert gewesen seien.

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Das SG hat in einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 23. März 2012 R. J. als Zeuge vernommen. Wegen der Einzelheiten der Aussage wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Mit Beschluss vom 7. Juni 2012 hat es die Beigeladenen in das Verfahren einbezogen. In der öffentlichen Sitzung am 5. Oktober 2012 hat es sodann die Zeuginnen Z., S., und Sch. vernommen. Wegen deren Aussagen wird ebenfalls auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Anschließend hat es mit Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die von den Zeuginnen St., R. und T. jeweils angegebene Hälfte des Freierlohns, die sie nicht an der Bar hätten abgeben müssen, sei als Entgelt für das Bereithalten zur Erbringung von sexuellen Handlungen anzusehen. Das SG sei auch davon überzeugt, dass die abgegebene Hälfte des Freierlohns an der Bar nicht als Zahlung für Getränke oder für das Recht zum Aufenthalt in der Bar anzusehen gewesen sei. Das Bereithalten der Zeuginnen St., R. und T. in der Nachtbar sei auch für eine bestimmte Zeitdauer erfolgt. Arbeitgeberin der Zeuginnen S., R. und T. sei die Klägerin gewesen. Zwar hätten die Zeuginnen durchaus unterschiedliche Angaben gemacht. Die Zeuginnen R. und T. hätten angegeben, dass der Ehemann der Klägerin der Chef des M. gewesen sei. Insoweit werte das SG die Aussagen allerdings in Verbindung mit der Abgabe der Hälfte des Freierlohns an der Bar dahingehend, dass Arbeitgeber im tatsächlichen Sinne die Nachtbar gewesen sei und den Zeuginnen nur die interne Struktur der Nachtbar nicht im Einzelnen bekannt gewesen sei. Das SG habe keine Anhaltspunkte dafür anzunehmen, dass der Ehemann der Klägerin oder ein anderer tatsächlich der Chef der Nachtbar gewesen sei. Vielmehr sei die Klägerin Inhaberin der Genehmigung gewesen und habe das M. als einzelkaufmännisches Unternehmen geführt. Damit sei sie auch Arbeitgeberin der in der Nachtbar beschäftigten Arbeitnehmerinnen gewesen. Das gelte dann in gleicher Weise für die dort beschäftigten Prostituierten. Die Aussagen des Zeugen J. im Erörterungstermin am 23. März 2012 sowie der Zeuginnen Z., S. und Sch. in der mündlichen Verhandlung überzeugten dem gegenüber nicht. Auch das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 29. (gemeint 23.) März 2009 spreche nicht gegen eine abhängige Beschäftigung mehrerer Prostituierter im M ... Da die Klägerin keine konkreten Angaben zur Anzahl der beschäftigten Frauen sowie zu den Einnahmen gemacht habe, habe die Beklagte die Höhe der Arbeitsentgelte schätzen dürfen. Diese Schätzung sei nicht zu beanstanden, weil sie sich am Ergebnis der steuerrechtlichen Ermittlungen orientiere und für die Klägerin vor dem Hintergrund der Angaben der Zeuginnen S., R. und T. eher noch günstig sei. Auch die Säumniszuschläge seien zu Recht erhoben worden.

11

Gegen das am 5. November 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. November 2012 Berufung eingelegt. Im Rahmen der Akteneinsicht habe sie erfahren, dass der Vorsitzende der ersten Instanz vor der Sitzung am 5. Oktober 2012 ein Votum an die ehrenamtlichen Richter übersandt habe. Insoweit seien diese vorgeprägt gewesen. Auf die Beweisaufnahme vom 5. Oktober 2012 sei es demnach gar nicht mehr angekommen. Unabhängig davon befinde sich das den ehrenamtlichen Richtern am 1. Oktober 2012 übersandte Votum nicht bei den Akten, so dass die Besorgnis der ungerechtfertigten Einflussnahme des Vorsitzenden auf die ehrenamtlichen Richter zu ihrem Nachteil nicht auszuschließen sei. Aufgrund der Diktion des ausgefertigten Urteils sei zu besorgen, dass der Kammervorsitzende bereits vor dem 5. Oktober 2012 ausschließlich auf die Aussagen der Zeuginnen St., R. und T. abgestellt habe. Es werde allerdings weder ein Befangenheitsantrag noch ein Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG gestellt. Durch das Protokoll der öffentlichen Sitzung sei jedoch nicht belegt, dass die Vernehmungen der Zeuginnen St., R. und T. ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden seien. Es sei auch zu keinem Zeitpunkt erörtert worden, aus welchem Sach- und Rechtsgrund damalig eine richterliche Vernehmung der vorgenannten Zeuginnen erfolgt sei. Die Ermittlungen seien seinerzeit ausschließlich wegen Menschenhandel, Förderung der Prostitution und Zuhälterei sowie Verstoßes gegen ausländerrechtliche Vorschriften durchgeführt worden. Somit sei die richterliche Vernehmung überhaupt nicht auf die hier streitgegenständliche Frage der abhängigen Beschäftigung orientiert gewesen. Insoweit sei das erstinstanzliche Urteil fehlerhaft auf einer tatsächlich falschen Sachverhaltsgrundlage ergangen.

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Sowohl von dem Zeugen J. als von ihr (der Klägerin) seien getrennte, voneinander unabhängig betriebene unternehmerische Zwecke verfolgt worden: Einerseits die Pension, andererseits die Nachtbar. Dies sei durch die entsprechenden steuerlichen Unterlagen auch belegt worden. Dass die sich in der Pension J. Einmietenden für sich selbst entschlossen hätten, gegebenenfalls sexuelle Handlungen auf eigene Rechnung erbringen zu wollen und teilweise auch erbracht hätten, sei durch die Beweisaufnahme des Landgerichts Magdeburg und auch durch die Zeugeneinvernahme des SG am 5. Oktober 2012 belegt. Sie selbst, die Klägerin, habe aber keine detaillierten Kenntnisse darüber, für welches Entgelt die Damen, die sich u. a. in der Nachtbar aufgehalten hätten, sexuelle Dienstleistungen ihren Freiern gegenüber erbracht hätten. Dass die Prostituierten oder die Freier in der Nachtbar Sekt im Sinne des Außer-Haus-Verkaufs erworben hätten, könne als unstreitig betrachtet werden. Das erstinstanzliche Verfahren vor dem SG habe aber keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass sie, die Klägerin, die von der Beklagten in Ansatz gebrachten sechs vermeintlichen Arbeitnehmerinnen tatsächlich beschäftigt gehabt habe. Im Strafverfahren vor dem Landgericht Magdeburg sei u. a. aufgeklärt worden, dass jene Damen, die sich in der Nachtbar "M." aufgehalten hätten, mit den Freiern und dem Sekt auch außer Haus gegangen seien, so u. a. in die Pension J. sowie gelegentlich auch zu den Freiern nach Hause. Allerdings habe keiner der Zeugen jemals erklärt, dass sie, die Klägerin, auf die Erbringung jener sexuellen Dienstleistungen Einfluss genommen habe, indem sie z.B. den Umgang mit den Freiern reglementiert, Preise festgelegt oder selbst Freierlohn einkassiert bzw. erhalten habe. Im Übrigen hätten die Zeuginnen Arztbesuche nicht mit ihr durchgeführt, sondern mit dritten Personen. Schließlich habe das SG in Verkennung der Beweislastverteilung ihr die Beweislast für die so genannte Entlastung auferlegt. Es sei noch darauf hinzuweisen, dass im landgerichtlichen Verfahren keine Verurteilung gemäß § 266a StGB erfolgt sei. Im Rahmen der Tatfeststellung im Strafverfahren vor dem Landgericht habe sich lediglich der Tatbestand der Steuerhinterziehung verifizieren lassen.

13

Nur der Vollständigkeit halber sei auszuführen, dass sich jene Damen, die sich in der Nachtbar "M." aufgehalten hätten, des Öfteren bei den zuständigen Finanzämtern um eine eigenständige Steuernummer bemüht hätten. Dieses sei den Damen zumindest bis Mitte 2002 verwehrt worden. Erst durch anwaltliche Vertretung sei es sodann möglich gewesen, dass diverse Damen eine eigenständige Steuernummer erhalten und auf eigene Rechnung ihre Dienstleistungen gegenüber Dritten erbracht hätten.

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Die Klägerin beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. Oktober 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2007 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. Oktober 2012 zurückzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, das SG habe erkennbar nicht nur (einseitig) die Aussagen der Zeuginnen St., R. und T. berücksichtigt, sondern auch die Aussagen der Zeugen/Zeuginnen Z., S., Sch. und J. gewürdigt, ohne diesen im Ergebnis zu folgen. Nach der Auffassung des SG seien die im Wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der Zeuginnen S., R. und T. überzeugend gewesen. Hiernach hätten sie die Hälfte ihrer Einkünfte an die Klägerin als Inhaberin der Nachtbar "M." abzuliefern gehabt, hätten ihre Dienstleistungen zu bestimmten Preisen (75 EUR bis 100 EUR) sowie regelmäßig in einer vorgegebenen Zeit (zwischen 21:00 Uhr und 4:00 Uhr bzw. 5:00 Uhr) anbieten müssen und hätten Verhaltensregeln zu beachten gehabt (z.B. zur Zimmernutzung in der "benachbarten" Pension, zum Trinkverhalten, zu Arztbesuchen, zu Kontakten mit russischen Männern). Das Argument, der abgegebene Einkünfteanteil habe lediglich eine Gegenleistung für mitgenommene Getränke dargestellt, vermöge nicht zu überzeugen, da insbesondere die Zeuginnen R. und T. ausgesagt hätten, dass sie (neben der Hälfte des Freierlohns) eine Beteiligung am Getränkeumsatz erhalten hätten.

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Die Beigeladenen haben keinen eigenen Antrag gestellt.

20

Die Gerichtsakten L 1 R 449/12, L 1 R 75/09 B ER, L 1 R 289/09 B, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Magdeburg 627 Js 28180/07, 626 Js 239/08, 252 Js 30215/03, Betriebsunterlagen der Pension J. und Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Magdeburg bzw. des Landgerichts Magdeburg (24 KLs 2/08 (Wi)) haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist begründet. Zu Unrecht hat das SG entschieden, dass diese im umstrittenen Zeitraum Arbeitgeberin der sich in der Nachtbar "M." bzw. in der Pension J. aufhaltenden Prostituierten war. Deren Tätigkeit wurde jedenfalls nicht nachweislich im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses mit ihr ausgeübt. Deshalb verletzt der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2007 sie im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in ihren Rechten.

I.

22

In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat sich der Senat zunächst mit dem Umstand befasst, dass der Kammervorsitzende der ersten Instanz im Vorfeld der mündlichen Verhandlung am 5. Oktober 2012 den ehrenamtlichen Richtern per Mail und Brief vom 1. Oktober 2012 ein ausgearbeitetes Votum hat übersenden lassen, dessen Inhalt nicht aktenkundig ist. Der Senat hat dies unter dem Aspekt geprüft, ob der Rechtsstreit gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG an das SG zurückzuverweisen ist. Danach ist eine Zurückverweisung möglich, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Dies prüft der Senat von Amts wegen, auch wenn – wie hier – ausdrücklich kein Befangenheitsantrag und kein Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG gestellt wurde.

23

Die Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG sind hier nicht erfüllt, weil dem SG kein Verfahrensfehler unterlaufen ist, der eine Zurückverweisung gebietet. Insbesondere lässt sich der Verfahrensweise des Kammervorsitzenden kein Ablehnungsgrund entnehmen. Gemäß § 60 SGG in Verbindung mit § 42 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Die nur subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, ist dagegen nicht Maßstab der Prüfung. Entscheidend ist daher, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 1995, 2 BvR 1852/94, juris). Vorliegend sind durchgreifende Anhaltspunkte hierfür nicht gegeben. Die Verfahrensweise des Kammervorsitzenden kann auch so interpretiert werden, dass den ehrenamtlichen Richtern schon vor der Sitzung der überdurchschnittlich komplexe Sachverhalt und die maßgeblichen rechtlichen Anknüpfungspunkte vermittelt werden sollten, damit sie in die Lage versetzt werden, sich am Sitzungstag ein ausgewogenes Bild machen zu können. Dies wäre wahrscheinlich schwieriger gewesen, wenn sie erstmals in der Sitzung hiermit konfrontiert worden wären. Es erscheint mangels anderweitiger Indizien nicht lebensnah, dass der Kammervorsitzende durch sein Votum schon in seiner Sichtweise festgelegt war, geschweige denn dass er die im Anschluss an die mündliche Verhandlung stattfindende Beratung mit den ehrenamtlichen Richtern vorwegnehmen wollte. Im Gegenteil, die ausführliche Würdigung der Aussagen der zudem erst in der Sitzung vernommenen Zeuginnen im Urteil belegt, dass hier nicht von einer Voreingenommenheit des Kammervorsitzenden ausgegangen werden kann. In Anbetracht dessen ist eine Zurückverweisung an das SG nicht geboten.

II.

24

In materiell-rechtlicher Hinsicht hat die Klägerin mit ihrer Berufung Erfolg. Gemäß § 28p Abs. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen. Im Rahmen dieser Prüfung erlassen sie Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. In allen Zweigen der Sozialversicherung sind nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV Personen versichert, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Dem Grunde nach unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung; § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung; § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung; § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung).

25

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, vgl. Urteil vom 18. Dezember 2001, B 12 KR 8/01 R, SozR 3–2400 § 7 Nr. 19, und Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4–2004 § 7 Nr. 7) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführungen umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Dem gegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, der Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgeblich ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, so geben letztere den Ausschlag.

26

Diese Grundsätze werden durch das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) modifiziert. Gemäß § 3 ProstG steht bei Prostituierten das eingeschränkte Weisungsrecht im Rahmen einer abhängigen Tätigkeit der Annahme einer Beschäftigung im Sinne des Sozialversicherungsrechts nicht entgegen. § 3 ProstG enthält Vorgaben für die bei der Anwendung des § 7 Abs. 1 SGB IV vorzunehmende Gewichtung der typusbildenden Merkmale. Ein Merkmal von erheblicher Bedeutung für ein Beschäftigungsverhältnis ist die Vereinbarung bzw. die tatsächliche Handhabung des Bereithaltens zu sexuellen Handlungen. Tragende Indizien ergeben sich aus einer entsprechenden Vergütungsstruktur mit einem Vergütungsanteil bereits für das Bereithalten und einer hierauf bezogenen Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Sind Indizien für ein Weisungsrecht nur gering ausgeprägt, so spricht dies allein noch nicht mit erheblichem Gewicht gegen eine Beschäftigung bzw. auch nicht für Selbstständigkeit. § 3 ProstG kann hingegen bereits nach dem Wortlaut nicht als Vermutungs- oder Beweislastregelung zugunsten der Beschäftigung verstanden werden. Vielmehr ermöglicht die Vorschrift erst eine der verfassungsrechtlichen Fundierung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts genügende Anknüpfung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung an eine "Abhängigkeit". Der gesetzliche Hinweis auf ein eingeschränktes Weisungsrecht entspricht der Abschwächung des Weisungsrechts in anderen Bereichen, ist aber von materiell-rechtlicher und nicht von beweisrechtlicher Bedeutung. Ungeachtet aller mit dem ProstG verbundenen Zielkonflikte stehen nach der gesetzlichen Wertung Prostitution als Beschäftigung und Prostitution als selbstständige Tätigkeit abstrakt gleichrangig nebeneinander (Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 26. März 2009, L 1 KR 331/08 B ER, juris, Rdnr. 28).

27

Ausgehend von diesen Prämissen konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass die Klägerin im umstrittenen Zeitraum Arbeitgeberin der sich in der Nachtbar "M." bzw. in der Pension J. aufhaltenden Prostituierten war. Die Feststellungslast ("Beweislast") für das Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht hat derjenige, der sich auf ihr Bestehen beruft (vgl. BSG, Beschluss vom 21. Juni 1990, 12 BK 10/90, juris, Rdnr. 2). Hier macht die Beklagte eine Versicherungs- und Beitragspflicht geltend. Ihr obliegt daher auch die Beweislast. Gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Im Sinne des Vollbeweises verlangt diese Vorschrift, dass sich das erkennende Gericht die volle Überzeugung vom Vorliegen der behaupteten Tatsachen verschafft. Dabei ist eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichend, es muss sich aber die volle richterliche Überzeugung begründen lassen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rdnr. 3b mit weiteren Nachweisen).

28

Zwar ist die Klägerin die Inhaberin der Genehmigung für das Betreiben der Nachbar als Schankwirtschaft gewesen. Gegen ihre Arbeitgeber-Eigenschaft in Bezug auf die Prostituierten sprechen jedoch die allem Anschein nach nicht untergeordneten Rollen des Ehemannes der Klägerin R. F., des Pensionsinhabers J. und des O., wie sie sich im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und insbesondere aus den Aussagen der Zeuginnen St., R und T. ergeben haben. Die Zeugin T. hat bekundet, dass der Ehemann der Klägerin der Clubbetreiber gewesen sei, während die Bardamen dort nichts zu sagen gehabt hätten. Gleichermaßen hat auch die Zeugin R. bekundet, dass der Ehemann der Klägerin der Chef gewesen sei. Aus der Aussage der Zeugin S. geht hervor, dass diese H. (vermutlich O.) als ihren Zuhälter bezeichnet hat. Sie habe ausschließlich für ihn gearbeitet. Er habe ihr gesagt, was sie machen solle und sie in das M. gebracht. Dort habe sie zunächst eine Woche bleiben und sich ansehen sollen, was die russischen Mädchen machen. Dann werde man weiter sehen. Er habe auch die Preise festgelegt, die sie habe nehmen sollen. Dass H. O. in dem gesamten Gefüge eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben dürfte, hat auch die Aussage der Zeugin T. am 23. September 2003 ergeben. Diese hat vermutet, dass H O. neben dem Ehemann der Klägerin ein weiterer Chef sei. Er sei zumindest in der Szene ein Chef. Wenn es Probleme mit den Mädchen gegeben habe, sei damit gedroht worden, es ihm zu erzählen. Die danach zu Tage tretende Weisungsabhängigkeit der Prostituierten St. zum Zuhälter lassen ein Weisungsrecht der Klägerin eher unwahrscheinlich erscheinen. Zwar ist ein konkurrierendes Beschäftigungsverhältnis zwischen Club-Betreiber und Prostituierter einerseits und Zuhälter und Prostituierter andererseits sozialversicherungsrechtlich möglich (vgl. Hessisches LSG, a.a.O., Rdnr. 31). Hier konnte aber nicht der Beweis dafür geführt werden, dass bei der von Zuhältern abhängigen Prostituierten ein zusätzliches, wenn auch abgeschwächtes Direktionsrecht der Klägerin bestand. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass anscheinend auch das Hauptzollamt Magdeburg von einer führenden Rolle des Ehemannes der Klägerin ausging. In der Anlage seines Schreibens vom 7. November 2006 befand sich eine tabellarische Auswertung hinsichtlich Straftaten gemäß § 266a StGB. Dort sind der Ehemann der Klägerin als "Arbeitgeber (Täter)" und die Klägerin selbst nur als "Mittäter/Gehilfe" bezeichnet.

29

Hinzu kommt, dass die Bereitstellung von Zimmern in der Pension J. nicht der Klägerin zugerechnet werden kann. Zwar hat die Klägerin ihm die Räumlichkeiten vermietet. Allerdings haben die Klägerin und J. im Erörterungstermin beim SG am 23. März 2012 übereinstimmend bekundet, dass die Klägerin nicht an der Pension beteiligt war. Sie habe lediglich die Miete eingenommen (aus dem Zusammenhang ist erkennbar, dass wohl nicht die Zimmermiete der Prostituierten gemeint war, sondern die von R. J. an die Klägerin zu entrichtende Miete für die gesamte Pension). Dies dürfte kaum widerlegbar sein, zumal die Eigenständigkeit der Pension durch den dem Senat vorliegenden Ordner "R. J., Finanzamt H., Pension, Steuernummer ..." für die Jahre 2001 und 2002 mit entsprechenden Belegen (Gewinn- und Verlustrechnung, Quittungen und sonstige Aufstellungen) untermauert wird. Die Belege über die gleichmäßig hohen Mietzahlungen lassen gerade nicht auf eine wirtschaftliche Beteiligung der Klägerin an der Pension schließen.

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Der Senat konnte sich auch aufgrund der sonstigen Aussagen der Zeuginnen St., R. und T. nicht davon überzeugen, dass diese Prostituierten von der Klägerin für das Bereithalten von sexuellen Handlungen entlohnt und auch sonst in deren Betrieb eingegliedert waren. Die Zeugin S. hat bei ihrer Beschuldigtenvernehmung am 20. September 2001 bekundet, dass die Freier noch in der Bar bzw. auf dem Zimmer bezahlt hätten und sie die Hälfte des Geldes an die Klägerin habe übergeben müssen. Gleichfalls hat die Aussage der Zeugin R. in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 1. September 2003 ergeben, dass sie von den Freiern das Geld meistens bereits in der Nachtbar erhalten und die Hälfte gleich an der Bar gelassen habe. Dies wird auch von der Zeugin T. in ihrer Beschuldigtenvernehmung vom 22. August 2003 so bestätigt. Dass es sich dabei um einen Vergütungsbestandteil allein für das Bereithalten von sexuellen Handlungen gehandelt hat, ist damit jedoch nicht erwiesen. Denn der Zweck dieser Zahlungen an die Klägerin kann unterschiedlich bewertet werden. Den von den Freiern gezahlten Lohn kassierten die Prostituierten selbst. Dass sie dabei den hälftigen Betrag als Lohn für das Bereithalten für sexuelle Dienstleistungen behalten und die andere Hälfte an die Klägerin als Arbeitgeberin weitergeleitet haben, ist nicht nachweisbar. Nach den Feststellungen des Landgerichts Magdeburg in dem Strafverfahren gegen die Klägerin war vielmehr der Betrag, den die Prostituierten vor Verlassen der Bar mit ihren Freiern an der Bar abgaben, als Entgelt für den Kauf zumeist von Sekt, den sie mit in die Pension nahmen, zu verstehen. Dieser Erlös aus dem Außer-Haus-Verkauf an die Prostituierten bzw. deren Freiern sei gegenüber dem Finanzamt weder im Rahmen der Umsatzsteueranmeldungen noch im Rahmen der Einkommensteuererklärung durch die Klägerin angegeben worden. Aufgrund dessen sei es zu den Straftaten gekommen, nämlich der Steuerhinterziehung in 13 Fällen. In diese Richtung geht auch die Aussage der Zeugin S. in der mündlichen Verhandlung beim SG am 5. Oktober 2012. Dort hat sie bekundet, sie sei im "M." einige Zeit lang stundenweise tätig gewesen. Immer dann, wenn die Klägerin nicht habe anwesend sein können, habe sie die Aufgabe gehabt, die Gäste zu bedienen und abzukassieren. Abkassiert habe sie nur die Getränke. Andere Zahlungen habe es nicht gegeben.

31

Der Senat konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass für die Prostituierten aufgrund eines Weisungsrechts der Klägerin deren Anwesenheitspflicht in der Nachtbar "M." zu bestimmten Zeiten bestand. Für eine derartige Verpflichtung und daraus folgende Eingliederung in den Betrieb sprechen zwar Teile der Aussagen der Zeugin S. Diese bekundete, dass sie von 21:00 Uhr bis 4:00 Uhr und ggf. noch länger habe arbeiten müssen. Ihr sei ein Zimmer gegeben worden und sie habe sich während der Nacht in der Bar aufhalten müssen. Es ist aber alternativ auch gut vorstellbar, dass es sich um eine von den Zuhältern abgeleitete Direktionsmacht handelte. Außerdem sprechen folgende Aussagen der Zeugin S. gegen ein Weisungsrecht der Klägerin: Sie habe nicht jeden Tag in der Bar arbeiten müssen. Es habe auch keinen Dienstplan gegeben und bei Unwohlsein habe keine Pflicht bestanden zu arbeiten. Die Aussage der Zeugin S. wurde zudem bereits von der Zeugin R. in dieser Absolutheit nicht bestätigt. Nach deren Aussage wurde im "M." zwar in der Zeit von 21:00 Uhr bis 5:00 Uhr gearbeitet. Es sei aber kein Problem gewesen, wenn sie in dieser Zeit nicht da gewesen sei. Man habe sich dann an der Bar abgemeldet. Sie habe auch telefonisch Bescheid sagen können, dass sie weg bleibe. Die Zeugin S. hat in ihrer Zeugenvernehmung beim SG am 5. Oktober 2012 angegeben, dass ihr keine Arbeitszeit vorgegeben worden sei und es für sie keine Anwesenheitspflicht gegeben habe. Sie habe selbst entschieden, ob und wann sie sich in der Nachtbar aufgehalten und dort auf Freier gewartet habe. Ihre Kunden hätten bei ihr bezahlt. Sie habe davon nichts an der Bar abgeben müssen. Das Geld, was sie verdient habe, habe sie behalten. Aus diesen Aussagen kann der Senat nicht auf eine Arbeitgeber-Eigenschaft der Klägerin gegenüber den im "M." tätigen Prostituierten schließen. Auch die Aussage der am 5. Oktober 2012 durch das SG als Zeugin vernommenen V. Z. belegt keine Anwesenheitspflicht. Sie bekundete, sie sei gekommen und gegangen, wann sie es gewollt habe. Wenn sie nicht mehr gewollt habe, sei sie nach Hause gefahren.

32

Die geschilderten Umstände werden durch die Feststellungen des Landgerichts Magdeburg letztlich bestätigt. Danach ist die von der Klägerin betriebene Nachtbar "M." alsbald Treffpunkt für Prostituierte geworden, die mit Kenntnis und Billigung der Klägerin dort ihre Freier getroffen bzw. kennengelernt hatten. Einige hatten sich zu diesem Zweck gleichzeitig bei J. ein Zimmer angemietet, teilweise nur für einen Tag, teilweise aber auch für einen längeren Zeitraum. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das Landgericht Magdeburg in seinem Beschluss vom 10. Dezember 2008 über die Eröffnung des Hauptverfahrens zwar gemäß § 265 StPO den Hinweis gegeben hatte, dass auch eine Strafbarkeit gemäß § 266a StGB (wonach u.a. das Vorenthalten von Beiträgen zur Sozialversicherung mit Strafe bedroht ist) in Betracht kommen könne. Im Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 23. März 2009 kam diese Vorschrift aber nicht zur Anwendung. Überdies wurde ausweislich eines Aktenvermerks des Finanzamts Magdeburg II vom 17. Dezember 2007 ein weiteres Verfahren (Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft: 627 Js 28190/07) gegen die Klägerin und ihren Ehemann wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt für den Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 18. März 2004 am 15. Oktober 2007 gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Hintergrund war offenbar, dass bei der Schätzung der säumigen Sozialversicherungsbeiträge die jeweilige Grundlage weder erkennbar noch die jeweilige Höhe nachweisbar erschien.

33

Nach alledem musste der Senat das Urteil des SG vom 5. Oktober 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2007 aufheben.

III.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung. Das Gerichtsverfahren ist nicht gemäß § 183 Satz 1 SGG kostenfrei, weil die Klägerin von der Beklagten nicht als Versicherte, sondern als (vermeintliche) Arbeitgeberin in Anspruch genommen wird (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 183 Rdnr. 5a).

35

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG liegen nicht vor.

36

Der Streitwert war § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes entsprechend der von der Beklagten mit dem angegriffenen Verwaltungsakt geltend gemachten Forderung auf 311.451,74 EUR festzusetzen.


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