Urteil vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (1. Senat) - L 1 RS 28/14

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. September 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob zugunsten der Klägerin nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung für freischaffende bildende Künstler der DDR (Anlage 1 Nr. 16 zum AAÜG – ZAVBK) mit den dabei erzielten Entgelten festzustellen sind.

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Der am ... 1951 geborenen Klägerin wurde mit Urkunde der Hochschule für Grafik und Buchkunst L., Abteilung Fotografie, vom 15. Juli 1977 die Berechtigung verliehen, die Berufsbezeichnung Fotografiker zu führen. Bereits seit September 1971 bis über den 30. Juni 1990 hinaus hat sie freiberuflich künstlerisch als Fotografin, Autorin, Dozentin und Journalistin gearbeitet. Ab 1977 war sie Mitglied des Verbandes Bildender Künstler der DDR und ab 1982 des Verbandes der Journalisten der DDR. Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) zahlte sie vom 1. Januar 1978 bis zum 30. Juni 1990.

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Am 12. September 2013 beantragte die Klägerin die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Oktober 2013 mit der Begründung ab, Voraussetzung für die Einbeziehung in die ZAVBK sei eine positive Versorgungszusage gewesen, die bei der Klägerin nicht vorliege. Dagegen legte die Klägerin am 18. November 2013 Widerspruch ein: Die Ausführungen der Beklagten in dem angegriffenen Bescheid seien nicht richtig und träfen auf sie nicht im Geringsten zu. Sie habe umfangreiche Nachweise für ihre Qualifikation und Tätigkeit als freischaffende bildende Künstlerin eingereicht. Auf der Internet-Seite der Beklagten stehe, dass der "I-Schein" seit 1998 nicht mehr notwendig sei. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2014 zurück. Die Einbeziehung in die ZAVBK habe nur durch Einzelentscheidung getroffen werden können. Eine solche Einzelentscheidung könne aus bundesrechtlicher Sicht nicht nachgeholt werden.

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Daraufhin hat die Klägerin am 9. Juli 2014 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben und vorgetragen, das Bundessozialgericht (BSG) habe festgelegt, dass alle Personen, die die in der Versorgungsordnung geregelten Anspruchsvoraussetzungen am 30. Juni 1990 erfüllt gehabt hätten, auch ohne Urkunde den Zusatzanspruch hätten. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29. September 2014 abgewiesen und sich zur Begründung auf ein Urteil des erkennenden Senats vom 25. April 2013 (L 1 RS 41/12) bezogen.

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Gegen den am 1. Oktober 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 9. Oktober 2014 mit einem nicht unterschriebenen und am 27. Oktober 2014 mit einem unterschriebenen Schriftsatz Berufung beim SG eingelegt, das diese an das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt weiter geleitet hat. Ergänzend und vertiefend hat sie vorgetragen, ihre etwas älteren Kollegen hätten alle die Intelligenzrente erhalten. Ihr sei bereits zu Beginn ihrer Arbeit als Regie-Fotografin bei der DEWAG-Werbung in M. die Zusage erteilt worden, dass sie später die Intelligenzrente erhalten werde. Sie erfülle alle Bedingungen für die Intelligenzrente, einschließlich der Zahlung von FZR-Beiträgen. Von "verdienstvoll" stehe in der Versorgungsordnung nichts. Deshalb stehe ihr diese Rente zu.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. September 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juni 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 15. Juli 1977 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung für freischaffende bildende Künstler sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Entgelte festzustellen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. September 2014 zurückzuweisen.

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Zur Begründung führt sie aus, die Klägerin hätte lediglich durch eine Ermessensentscheidung ("verdienstvoll") in das Zusatzversorgungssystem Nr. 16 einbezogen werden können. Eine solche Entscheidung könne mangels einer sachlich objektivierbaren, bundesrechtlich nachvollziehbaren Grundlage nicht rückschauend ersetzt werden.

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Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 10. Februar 2015 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe

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Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

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Die gemäß § 143 SGG statthafte und in der von § 151 SGG geforderten Form und Frist eingelegte Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juni 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

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Die Klägerin hat gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 und § 1 Abs. 1 AAÜG keinen Anspruch auf die begehrten Feststellungen. Sie unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des AAÜG, weil sie in dem geltend gemachten Zeitraum weder tatsächlich noch im Wege der Unterstellung der ZAVBK angehörte.

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Der Klägerin ist zu keinem Zeitpunkt durch eine einseitige oder vertragliche, auf die Begründung von Rechtsfolgen gerichtete Erklärung die entsprechende Versorgung zugesagt worden. Soweit die Klägerin andeutet, ihr sei eine Versorgungszusage in Aussicht gestellt worden, ersetzt dies nicht die schriftliche Zusage als solche. Bereits auf dem Antragsvordruck von September 2013 findet sich der Vermerk "Urkunde nie erhalten". Im Übrigen war nach Ziff. 2 des Anhangs zur Anlage zum unveröffentlichten Beschluss des Präsidiums des Ministerrates der DDR über den Vorschlag zur Verbesserung der Rentenversorgung für freischaffende bildende Künstler von 2. Dezember 1988 (Beschluss-ZAVBK) zur Gewährung von Versorgungszusagen ausschließlich der Minister für Kultur gemeinsam mit dem Staatssekretär für Arbeit und Löhne berechtigt. Dabei hatten diese im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Verbandes Bildender Künstler zu handeln. Dieser Verband war jedoch selbst nicht berechtigt, Versorgungszusagen zu erteilen. Für eine Versorgungszusage durch den Minister und den Staatssekretär bestehen vorliegend keine Anhaltpunkte.

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Hinzu kommt, dass eine derartige Versorgungszusage an die Klägerin auch nicht plausibel wäre. Eine solche Zusage stünde nämlich im krassen Widerspruch zu Ziff. 1 und 2 des Anhangs zum Beschluss-ZAVBK. Danach war zwar allen Mitgliedern die Möglichkeit eröffnet, der FZR beizutreten und ihr Entgelt dort auch oberhalb der bisherigen Höchstgrenzen durch Beitragsleistung zu versichern. Der Kreis derjenigen, die eine Versorgungszusage erhalten sollten, war aber auf Künstler beschränkt, die

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bereits Rentner sind

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ab Einführung der Verbesserung für ihr volles Einkommen bis zur Höchstgrenze Beiträge zur FZR zahlen und wegen ihres Alters damit keinen angemessenen Rentenanspruch mehr erwerben können.

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Diese Voraussetzungen erfüllte die im Jahre 1990 38jährige Klägerin nicht.

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Bei der Klägerin können auch nicht im Sinne der Rechtsprechung des BSG Zeiten der Zugehörigkeit zur ZAVBK unterstellt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt dies in Betracht, wenn eine Beschäftigung ausgeübt wurde, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in der Anlage 1 und 2 zum AAÜG aufgelistet ist (vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004, B 4 RA 40/04 R, m.w.N., juris). Die Frage, ob eine bestimmte Beschäftigung ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war, beurteilt sich nach den jeweiligen Versorgungsordnungen, ggf. i.V.m. den Durchführungsbestimmungen sowie sonstigen, sie ergänzenden abstraktgenerellen Regelungen des Versorgungsrechts. Dabei kommt es auf die Auslegung und Verwaltungspraxis der Staatsorgane der DDR nicht an.

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Maßgeblich für die Frage, ob die von der Klägerin ausgeübte Beschäftigung ihrer Art nach von der ZAVBK erfasst war, ist danach der Beschluss-ZAVBK. Die Tatbestandsmerkmale dieses Beschlusses müssen nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 31. Juli 2002, B 4 RA 21/02 R, juris) rechtlich unzweideutig und unmittelbar erfüllt sein und in der Rechtsfolge einen zwingenden Anspruch auf eine Versorgung begründen. Vor diesem Hintergrund können bundesrechtlich keine Zeiten der Zugehörigkeit der Klägerin zur ZAVBK unterstellt werden. Dies wäre nur möglich, wenn sie nach den Regelungen des Versorgungssystems "obligatorisch" im Sinne einer "gebundenen Entscheidung" – ohne Ermessensspielraum des Versorgungsträgers – in den Kreis der Versorgungsberechtigten hätte einbezogen werden müssen. Die Voraussetzungen dafür liegen aber nicht vor, denn die Klägerin hätte nach Ziff. 2 des Anhangs zum Beschluss-ZAVBK lediglich durch eine Ermessensentscheidung (und nicht kraft Gesetzes) in das Zusatzversorgungssystem einbezogen werden können. Denn nach den dort getroffenen Regelungen hatte der Minister für Kultur (lediglich) das Recht – gemeinsam mit dem Staatssekretär für Arbeit und Löhne im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Verbandes Bildender Künstler – verdienstvollen freischaffenden bildenden Künstlern eine zusätzliche Altersversorgung der künstlerischen Intelligenz zu gewähren. Eine Verpflichtung hierzu bestand mithin nicht. Bestimmte Auswahlkriterien, bei deren Vorliegen der Künstler einen Rechtsanspruch auf Einbeziehung hatte, waren nicht vorgegeben. Unter anderem fehlten auch Kriterien zur Ausfüllung des Begriffs "verdienstvoll". Es stand somit im freien Ermessen des mit der Gewährung der zusätzlichen Altersversorgung befassten Personenkreises, wem er im Einzelfall eine solche zukommen lassen wollte. Eine solche Entscheidung darf mangels sachlich objektivierbarer, bundesrechtlich nachvollziehbarer Grundlage nicht rückschauend ersetzt werden.

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Die dargestellte Rechtsprechung steht – soweit sie in Fällen wie demjenigen der Klägerin aus dem AAÜG abzuleitende Ansprüche ausschließt – mit dem Grundgesetz (GG) in Einklang (vgl. bereits Urteil des Senats vom 16. Mai 2006, L 1 R 19/05, bestätigt durch Urteil des Senats vom 25. April 2013, L 1 RS 41/12). Soweit die Klägerin noch darauf hinweist, ihre etwas älteren Kollegen hätten alle die Intelligenzrente erhalten, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn zum einen beinhaltet der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 12. September 2007, 2 BvR 1413/06, juris). Zum anderen besteht auch die Möglichkeit, dass die betreffenden Personen bereits zu Zeiten der DDR in ein Versorgungssystem einbezogen waren.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


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