Urteil vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (1. Senat) - L 1 R 59/13

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitgegenständlich ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).

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Der am ... 1963 geborene Kläger ist gelernter Agrotechniker/Mechanisator. In diesem Beruf war er bis 1986 erwerbstätig. Von Mai 1986 bis September 2008 arbeitete er als Zementiermaschinist. Er bezieht eine Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau seit dem 1. November 2009.

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Der Kläger ist Rechtshänder. Er erlitt am 21. August 2008 einen Unfall. Beim Verfüllen eines Brunnens prallte ein Schlauch auf das rechte Handgelenk bzw. die rechte Hand des Klägers. Die operative Versorgung erfolgte am 27. November 2008. Bei der Kontrolle am 16. Dezember 2008 sei noch eine leichte Schwellung feststellbar. Sowohl Langfingerstreckung als auch Faustschluss seien komplett, jedoch kraftgemindert, möglich. Unter Angaben der Besserung der Beschwerden war im Januar 2009 eine deutliche Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks zu verzeichnen, weshalb im Februar 2009 eine weitere operative Versorgung erfolgte. Nach dem Zwischenbericht vom 17. Juli 2009 und dem Gutachten vom 5. August 2009 handele es sich um eine schmerzhafte Funktionseinschränkung des rechten Handgelenks nach SL-Bandläsion und SL-Bandrekonstruktion.

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Am 17. September 2010 stellte der Kläger bei der Beklagten den zweiten Antrag auf Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente. Nach seinen Angaben im Antragsformular fühle er sich seit September 2008 wegen einer Funktionsunfähigkeit des rechten Arms, ständiger chronischer Schmerzen, einem Verschleiß der linken Schulter und wegen eines Bluthochdrucks erwerbsgemindert. Er könne keine Arbeiten mehr verrichten.

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Aus dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren lag der Beklagten u.a. ein Gutachten seines Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) vom 26. Januar 2010 vor. Danach sei der Kläger allein mit dem Auto zur Begutachtung angereist. Das Gangbild sei flüssig. Das Umkleiden erfolge zügig. Die Wirbelsäule sei nicht relevant bewegungseingeschränkt. Im Bereich der oberen Extremitäten bestünden keine Entzündungszeichen der Gelenke. Die Handstreckung und -beugung und die Abduktion seien endgradig und die Adduktion leichtgradig rechtsseitig eingeschränkt. Es bestünde eine Umfangsdifferenz zugunsten von rechts von 1 cm im Handgelenksbereich und zugunsten von links von 1 cm im Unterarmbereich (10 cm unterhalb des Epicondylus lateralis). Der Faustschluss sei beidseits komplett, rechts mit geringer Kraftminderung (Kraftgrad 4/5) und bei Schmerzangabe, möglich. Die Fingerkuppen erreichten die Daumen. Es sei dem Kläger gelungen, einzelne Büroklammern mit der rechten Hand herauszusuchen und einen Satz zu schreiben. Bei Abduktion des linken Armes sei eine leichtgradige Bewegungseinschränkung festzustellen. Die unteren Extremitäten seien frei beweglich. Im Rahmen der Belastungsergometrie sei eine belastungsinduzierte hypertone Kreislaufdysregulation vorhanden. Zudem sei im neurologischen Befund eine Mundastschwäche aufgefallen. Im linken Handgelenk hätten keine relevanten Bewegungseinschränkungen bei Zustand nach Sturz in der Häuslichkeit vorgelegen. Es handele sich um eine Funktionseinschränkung der rechten Hand mit end- bis leichtgradiger Bewegungseinschränkung, um eine Minderbelastbarkeit der Kniegelenke bei degenerativen Veränderungen ohne Bewegungseinschränkung, anamnestisch um Colitis ulcerosa und um leichtgradige Funktionsstörungen bei Abduktion im linken Schultergelenk bei Omalgien. Leichte Tätigkeiten seien dem Kläger mit qualitativen Einschränkungen in einem Zeitumfang von sechs Stunden und mehr täglich zuzumuten.

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Frau Dipl.-Med. W., Fachärztin für Augenheilkunde, berichtete am 19. Januar 2010 von einem korrigierten Visus rechts von 0,6 und links von 0,8. Der SMD folgerte hieraus am 23. Februar 2010 einen Ausschluss von Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Sehvermögen.

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Mit Bescheid vom 15. Oktober 2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert. Er sei noch fähig, eine Erwerbstätigkeit mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Hiergegen wandte sich der Kläger am 8. November 2010 mit Widerspruch. Er trug vor, dass er nicht in der Lage sei, noch sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Seit dem Arbeitsunfall leide er unter starken Schmerzen, welche die Funktion des rechten Handgelenks stark einschränkten. Es sei eine Versteifung desselben geplant. Er sei faktisch einarmig. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei keinesfalls von einer faktischen Einarmigkeit auszugehen. Die rechte Hand zeige lediglich Einschränkungen im kraft- und feinmotorischen Bereich. Zur Unterstützung und für leichte Tätigkeiten seien der rechte Arm und die rechte Hand vollständig nutzbar.

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Der Kläger hat am 16. März 2011 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben. Er hat ausgeführt, aufgrund von körperlichen Beeinträchtigungen sei er nicht in der Lage, zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Insbesondere ergäben sich Einschränkungen der rechten Hand mit Minderung der groben Kraft auf ca. 30 Prozent im Vergleich zu links und mit starken Bewegungseinschränkungen der rechten Hand. Er hat ein handchirurgisches Gutachten des Prof. Dr. V., Direktor der Medizinischen Hochschule H., Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, vom 21. Dezember 2010, erstellt für ein privatrechtliches Versicherungsunternehmen, zu den Gerichtsakten gereicht. Der Kläger habe bei Belastung starke Schmerzen im rechten Handgelenk, insbesondere bei Drehbewegungen und beim Heben und Tragen von Lasten mit Belastungsgrenze bei etwa der Schwere eines halbvollen Wasserkochers, beklagt. Stärkere Belastungen seien nicht mehr möglich. In Ruhe seien die Schmerzen geringer und mit Orthese nur leicht zu merken. Der Kläger könne die Greifformen beidseits - rechts etwas zögerlicher - ausführen. Es sei eine leichte Schwellung im Bereich des rechten Handgelenks festzustellen. Die Beweglichkeit sei im Vergleich zu links gemindert. Die grobe Kraft sei deutlich vermindert. Faustschluss und Fingerstreckung seien an beiden Händen komplett möglich. Der Kläger leide an einer chronischen belastungsabhängigen Schmerzhaftigkeit des rechten Handgelenks nach arthroskopisch festgestellter Verletzung des SL-Bandes und des Testut´schen Ligementes und einem ebenso arthroskopisch festgestellten TFCC-Schaden links mit erheblicher Minderung der Grobkraft auf ca. 30 % ohne Orthese im Vergleich zur Gegenseite. Es bestünden eine Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks (gemeint: rechts) in Extension/Flexion sowie Ulnar- und Radialduktion, insgesamt um 90 Grad, posttraumatische arthrotische Gelenkverschleißerscheinungen, vor allem periscapulär und im Bereich des Radiocarpalgelenks rechts bei fortbestehender Aufweitung des SL-Spaltes (SL-Dissoziation) trotz operativ versorgter SL-Bandläsion und Rekonstruktion mit Sehnentransplantat und Narben als Folgen der Voroperationen. Der Kläger sei in seinem Beruf als Kraftfahrer und Maschinist erwerbsunfähig. Er könne leichte Arbeiten für ca. drei Stunden täglich ausüben.

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Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte. Herr Dr. H., Facharzt für Chirurgie, Handchirurgie, Unfallchirurgie und Chirotherapie hat am 23. Mai 2011 auf das Gutachten vom 5. August 2009 Bezug genommen. Im Februar 2011 seien eine Arthrose in der Schulterregion links und ein Zustand nach traumatischer Ruptur von Bändern des Handgelenks und der Handwurzel zu diagnostizieren.

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Dem SG hat zudem ein Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit B. vom 14. März 2011 vorgelegen. Wegen behandlungsbedürftiger psychischer Minderbelastbarkeit und unter denselben Diagnosen wie im Gutachten des SMD hat die Gutachterin eingeschätzt, das Leistungsvermögen des Klägers betrage voraussichtlich bis zu sechs Monate täglich weniger als drei Stunden.

11

Frau Dr. A., Fachärztin für Allgemeinmedizin, hat im Befundbericht vom 1. Juni 2011 zudem eine Neuritis diagnostiziert. Der Kläger habe am 21. April 2011 (gemeint: 12. April) ein Schädelhirntrauma erlitten. Zur Zeit seien ihm keine leichten Arbeiten möglich. Herr SR Dr. R., Augenfacharzt, hat am 7. Juni 2011 mitgeteilt, der Kläger leide an alten Narben der Hornhaut rechts und posttraumatischer Opticusatrophie rechts. Die Befunde hätten sich rechts verschlechtert. Veränderungen seien nach dem Sturz vom 12. April 2011 eingetreten. Das Verschwommensehen habe rechts seit dem Sturz zugenommen. Er hat ergänzt, der Visus betrage rechts 5/25 und links 5/6 (14. April 2011: rechts 5/10, links 5/5). Es bestünden rechts ausgeprägte Gesichtsfeldeinschränkungen. Der Kläger hat zudem die Mitteilung des Herrn Dr. D. vom 8. Juni 2011, er sei während der festgestellten Arbeitsunfähigkeit als erwerbsunfähig einzuschätzen, eingereicht. Bei deutlicher Untererregbarkeit links im VNG handele es sich um eine ausgeprägte Unterfunktion des linken Labyrinths bei Zustand nach Schädelhirntrauma.

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Der Kläger hat am 18. November 2011 erneut einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten gestellt. Diese hat das SG um Berücksichtigung dieses Antrages im Rahmen des Klageverfahrens gebeten. Ein Bescheid hierzu ist nicht ergangen.

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Der Kläger hat im Zeitraum vom 29. Februar bis 4. April 2012 eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Klinikzentrum M. GmbH, Abteilung Psychosomatik, absolviert. Nach dem Entlassungsbericht leide er an einer Anpassungsstörung und an einer leichten depressiven Episode. Sein Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sei auf unter drei Stunden täglich abgesunken. Der Kläger habe innerhalb seiner Symptome nicht behandelt werden können und sei daher für den Arbeitsmarkt nicht oder sehr eingeschränkt vermittelbar. Im psychologischen Befund wirke der Kläger in der Stimmungslage depressiv, im Antrieb gemindert. Die Psychomotorik sei etwas reduziert. Konkrete Frage beantworte er präzise. Es gäbe regelmäßigen Alkoholkonsum. Bei direktem Anleuchten der rechten Pupille könne der Kläger hell und dunkel unterscheiden. Es bestünden keine Feinmotorikstörungen. Die Schultergelenke seien frei beweglich, wobei der Kläger links leichte Schmerzen angebe. Im rechten Handgelenk sei ein deutlicher Druckschmerz auslösbar. Die Beweglichkeit sei im Vergleich zu links deutlich vermindert. Die übrigen Gelenke seien frei beweglich. Die Wirbelsäule sei nicht bewegungseingeschränkt. Soziale Ungerechtigkeit und fehlende Anerkennung der unverschuldeten Schädigung hätten beim Kläger in die Depression geführt. Er habe seine depressive Verstimmung, seine Müdigkeit und seine Antriebslosigkeit für sich in der Einrichtung gut bearbeiten können. Die funktionellen Einschränkungen und die Problematiken des rechten Auges hätten nicht therapiert werden können. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei dem Kläger nach ordentlicher Prüfung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsplatz gegebenenfalls eine leichte Tätigkeit zumutbar.

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Das SG hat die Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Chirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie und Handchirurgie Herr Prof. Dr. G. angeordnet. Im Gutachten vom 22. Mai 2012 hat dieser folgende Einschränkungen dargestellt: Einschränkung der Handgelenksfunktion rechts, Einschränkung der Unterarmdrehfunktion rechts, Kraftminderung der rechten Hand, Folgen des Schädelhirntraumas mit Erblindung des rechten Auges, Labyrinthschwindel und Schlafstörungen, Bauchnarbe nach Dickdarmteilresektion bei chronischer Darmerkrankung und endgradige Funktionseinschränkung im linken Schultergelenk. Es ergäben sich aufgrund der Funktionsstörungen der rechten Hand Einschränkungen für das Arbeiten mit schweren Maschinen, mit Vibrationsmaschinen, für die Handgeschicklichkeit, für Leiter- und Gerüstarbeiten und beim Tragen von schweren Lasten. Der Kläger könne mindestens vier bis unter sechs Stunden arbeitstäglich erwerbstätig sein. Dabei seien leichte bis mittelschwere Arbeiten zumutbar.

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Der SMD hat ausgeführt, dass die gutachterlich erhobenen Befunde sich mit den von ihm, dem SMD, erhobenen Befunden deckten. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Gutachter eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens angäbe. Die resultierenden Unfallfolgen Schwindel und Blindheit aus einem Unfall am 13. April 2011 mit Schädelhirntrauma seien nicht durch fachärztliche Befunde objektiviert. Bei Blindheit und Schwindel ergäben sich nur qualitative Einschränkungen. Die Aussagen der Reha-Einrichtung seien nicht eindeutig formuliert und nicht nachvollziehbar. Es sei kritisch anzumerken, dass der Bericht von einer psychologischen Beraterin erstellt worden sei. Zusammenfassend sei zu beurteilen, dass anhand der vorgelegten Befunde kein Anhalt dafür bestünde, die Aussagen der Erstbegutachtung vom 26. Januar 2010 anzuzweifeln.

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Mit Urteil vom 13. Dezember 2012 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis 31. März 2013 zu gewähren und hat im Übrigen die Klage abgewiesen. Dabei habe sich das SG bei Fehlen anderslautender Leistungsvoten den Einschätzungen im Reha-Entlassungsbericht und dem Arbeitsamtsärztlichen Dienst insoweit angeschlossen, als dass der Kläger eine Tätigkeit nur unter sechs Stunden täglich verrichten könne. Durch die zeitliche Begrenzung sei dem Umstand Rechnung getragen, dass der Kläger es bisher versäumt habe, sich in eine psychotherapeutische Behandlung zu begeben.

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Gegen das am 18. Januar 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. Februar 2013 Berufung eingelegt. Die von den Sachverständigen abgeleiteten Einschätzungen zum Restleistungsvermögen seien nicht plausibel und nachvollziehbar. Es sei eine psychiatrische Zusatzbegutachtung für erforderlich gehalten worden. Dem sei das SG nicht gefolgt. Zumindest habe das SG sich gedrängt fühlen müssen, dem Gutachter Prof. Dr. G. die Stellungnahme des SMD zur Diskussion zuzuleiten. Es liege keine vollständige Sachaufklärung vor.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er erwidert, es lasse sich keine Notwendigkeit für die Einholung eines psychiatrischen Zusatzgutachtens erkennen. Auch reiche es für eine Notwendigkeit der Gegenüberstellung nicht aus, dass sich die medizinischen Feststellungen nicht deckten. Das SG habe zutreffend und umfänglich sämtliche im Verfahren vorgetragenen Tatsachen als Grundlage des Urteils herangezogen.

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Der Kläger hat am 7. Februar 2013 einen Antrag auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten gestellt. Eine Entscheidung hierüber steht noch aus.

24

Der Senat hat einen Bericht des Herrn Dipl.-Psych. F. vom 21. Oktober 2013 beigezogen. Danach handele es sich um einen gleichbleibenden psychischen Befund einer Depression. Zudem bestünde ein exzessiver Gebrauch von Alkohol als Reaktion auf die Unfallfolgen. Gründe für eine Arbeitsunfähigkeit seien im somatischen Krankheitsgeschehen zu sehen. In unregelmäßigen Abständen sei eine Verhaltenstherapie erfolgt. Frau Dr. A. hat am 27. Oktober 2013 eine zwischenzeitliche depressive Verstimmung mitgeteilt.

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Der Senat hat die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Herr Dr. B. angeordnet. Im Gutachten vom 15. Juni 2014 hat dieser folgende psychiatrische Diagnosen gestellt: anhaltende Anpassungsstörung mit gegenwärtig als leichtgradig einzuschätzender depressiver Symptomatik, Alkoholmissbrauch und Medikamentenmissbrauch. Die rechte Hand schmerze nach Angaben des Klägers, wenn er etwas Leichtes trage und nachts in Ruhe. Er trage eine Schiene und einen Verband rechts und nehme Tabletten, wenn er Schmerzen habe. Er wirke durch den Unfall aus seinem bisherigen Lebenskonzept gerissen, anhaltend gekränkt mit fehlender Bewältigung ohne eine für ihn vorstellbare berufliche Perspektive, um sein Recht und die versicherungsrechtliche Anerkennung seiner unfallbedingten Beschwerden kämpfend. Auf Nachfragen seien wenig ergänzende oder konkretere Informationen zu den Funktionseinschränkungen im Alltag auf psychischem Gebiet erhältlich. Körperliche Beschwerden würden eher allgemein benannt. Eine mögliche Problemsicht bezüglich des Alkoholkonsums werde nicht deutlich. Die Beweglichkeit im rechten Handgelenk sei vermindert. Die Beweglichkeit des linken Schultergelenks sei gegenüber rechts eingeschränkt. Die Wirbelsäule zeige keine wesentliche Bewegungseinschränkung. Bei Erblindung des rechten Auges werde eine Hell-Dunkel-Wahrnehmung angegeben. Eine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit liege aufgrund der auf psychiatrischem Fachgebiet gestellten Diagnosen nicht vor. Es seien jedoch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich. Die körperlichen Funktionseinschränkungen führten zu quantitativen Einschränkungen. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich an fünf Wochentagen verrichten. Es werde abweichend vom Gutachten des Herrn Prof. Dr. G. keine quantitative Leistungsminderung eingeschätzt.

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Der Senat hat auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie Dr. T., Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie der H.-Klinik J. Land GmbH, eingeholt. Im Gutachten vom 16. Februar 2015 hat dieser folgende Diagnosen gestellt: unfallbedingter Verschleiß mit Fehlstellung im Bereich des rechten Handgelenks und der rechten Handwurzel, Verschleiß des rechten Schultereckgelenks und beginnender Verschleiß des Schulterhauptgelenks rechts, beginnender Verschleiß des Schultereck- und Schulterhauptgelenks links, leichter Verschleiß des linken Kniegelenks, unfallbedingte Opticusatrophie rechts mit Gesichtsfeldausfall, Labyrinthschwindel, Zustand nach Sigmaresektion bei Verdacht auf Morbus Crohn, anhaltende Anpassungsstörung mit leicht- bis mittelgradiger depressiver Symptomatik und Alkoholmissbrauch. Die Kraftentwicklung beim gekreuzten Händedruck betrage ½ im Vergleich zur linken Seite. Es bestünden qualitative und quantitative Einschränkungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen nur noch bis zu vier Stunden täglich verrichten. Die Abnutzungen im Bereich des rechten Handgelenks und der Schultern führten zu einer schnelleren Ermüdung und Überlastung der Gelenke. Hiermit verbunden seien dann auftretende Schmerzen. Der Sehverlust des einen Auges müsse durch das andere ausgeglichen werden, was zu einer schnelleren Ermüdung dieses Auges führe. Der Schwindel werde durch Arbeitsbelastung verstärkt. Durch Depression und Alkoholmissbrauch bestünde von vornherein eine Verminderung der hier quantitativen Leistungsfähigkeit. Durch eine Arbeit von sechs Stunden täglich würde der Verschleiß des rechten Handgelenks und der Schultergelenke voranschreiten. Durch die operative Behandlung des rechten Handgelenks sei die Erwerbsfähigkeit binnen vier bis sechs Monaten zu bessern.

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Der SMD hat am 19. März 2015 ausgeführt, ein vollständiger Funktionsverlust der rechten Hand bestünde nicht. Es könne beurteilt werden, dass eine leichte Bewegungseinschränkung bestünde. Die Kraftentwicklung betrage 50 % im Vergleich zu links. Die Fingerbeweglichkeit sei nicht eingeschränkt. Die Leistungseinschätzung sei nicht nachvollziehbar. Die rechte Hand könne als Beihand/Hilfshand eingesetzt werden. Tätigkeiten als Pförtner oder Telefonist oder leichte Sortierarbeiten seien zumutbar.

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Der Kläger hat einen Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Augenheilkunde Frau Dr. S. vom 5. Juni 2015 zu den Gerichtsakten gereicht. Danach sei das Gesichtsfeld etwas eingeschränkt. Es bestünden am linken Auge ein Monokelhämatom und eine Augenbrauenschorfwunde. Der Visus betrage unkorrigiert 0,4 bzw. 0,5 links. Die Lichtprojektion sei rechts reduziert. Nach einer CT des Gesichtsschädels vom 4. Juni 2015 liege keine Fraktur vor. Im Termin der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zudem eine Stellungnahme des behandelnden Dipl.-Psych. F. vom 22. September 2014 zu den Gerichtsakten gereicht.

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Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Beklagten ist nach § 143 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

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Die Berufung der Beklagten ist begründet, weil ihr ablehnender Bescheid vom 15. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2011 rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne der §§ 153, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis 31. März 2013.

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Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte, wenn die entsprechenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind. Dies erfordert gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dass sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Voraussetzungen sind vorliegend für den der Prüfung unterliegenden Zeitraum nicht erfüllt. Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

33

Das SG ist zu Unrecht von einem Leistungsfall im März 2011 ausgegangen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass ein möglicher Leistungsfall nur bis zum 31. Oktober 2011 entscheidungsrelevant sein kann. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist bei der Ablehnung von Leistungen ohne zeitliche Beschränkung grundsätzlich der gesamte Zeitraum bis zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt. Bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG – um eine solche handelt es sich vorliegend – ist dies grundsätzlich der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht. Dies gilt jedoch nicht, sofern zwischenzeitlich ein neuer Antrag auf Leistungen gestellt worden ist. Dann hat sich der angefochtene und streitbefangene Vorbescheid für den vom Neuantrag erfassten Zeitraum gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auf andere Weise erledigt (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 4. Juni 2015 – L 1 R 136/13).

34

Der Kläger hat am 18. November 2011 erneut einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gestellt. Der Eintritt eines Leistungsfalls ist daher für den Zeitraum ab Antragstellung nicht mehr entscheidungsrelevant, da sich der streitgegenständliche Bescheid ab dem Zeitpunkt der erneuten Antragstellung, der dann vom zu erwartenden Folgebescheid erfasst ist, erledigt hat. Damit unterliegt – unter Berücksichtigung einer Berufungseinlegung nur durch die Beklagte – allein der Zeitraum ab dem angenommenen Leistungsfall durch das SG bis zum 31. Oktober 2011 der gerichtlichen Prüfung des Vorliegens der Leistungsvoraussetzungen.

35

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger in der Lage war, mindestens sechs Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten zu verrichten. Nach den medizinischen Ermittlungen ergibt sich für den Senat folgendes Leistungsbild: Der Kläger konnte geistig einfache Tätigkeiten im Sitzen, aber auch mit zeitweisem Gehen und Stehen, ohne Arbeiten an laufenden Maschinen, unter besonderem Zeitdruck, in Akkord bzw. am Fließband, in Nachtschicht, ohne besondere Anforderungen an das Sehvermögen – insbesondere an das Binokularsehen –, ohne Absturzgefahr sowie ohne Gerüst- und Leiterarbeiten verrichten. Auszuschließen waren zudem das Bedienen schwergängiger und krafterfordernder Schalt- und Hebelvorrichtungen mit der rechten Hand bzw. solche Arbeiten, die Anforderungen an die grobe Kraft der rechten Hand stellen, und im Weiteren Heben und Tragen von Lasten mit der rechten Hand. Schließlich waren Überkopfarbeiten, Arbeiten mit dem beruflichen Führen von Kfz, mit häufigem Hocken und Knien, solche, die besondere Anforderungen an das Konzentrationsvermögen und die Umstellungsfähigkeit stellen, nicht zumutbar.

36

Der Senat folgt aufgrund eigener Urteilsbildung dem Gutachten des SMD aus dem Januar 2010, seiner Stellungnahme vom 19. März 2015 und dem Gutachten des Herrn Dr. B. vom 15. Juni 2014. Diese sind inhaltlich und im Abgleich mit den vorliegenden Unterlagen schlüssig. Zweifelsohne liegen Funktionseinschränkungen beim Kläger vor, die zu einer Verminderung seiner Leistungsfähigkeit qualitativer Art führen.

37

Der Kläger leidet an einer Funktionseinschränkung der rechten Hand nach SL-Bandläsion und SL-Bandrekonstruktion, an einer Minderbelastbarkeit des linken Kniegelenks bei degenerativen Veränderungen, an einer leichtgradigen Funktionsstörungen bei Abduktion im linken Schultergelenk bei Omalgien, an einer Opticusatrophie rechts mit Gesichtsfeldausfall, an einem Labyrinthschwindel, an einem Zustand nach Sigmaresektion bei Verdacht auf Morbus Crohn und an einer anhaltenden Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik. Er betreibt einen Alkohol- und Medikamentenmissbrauch.

38

Im Vordergrund steht dabei eine belastungsabhängige schmerzhafte Funktionseinschränkung im rechten Arm. Betroffen ist das rechte Handgelenk in seiner Funktion. Die vom Kläger mitgeteilten starken Bewegungseinschränkungen sind jedoch nicht belegt. Vielmehr sind seit Dezember 2008 sehr ähnliche Messwerte der Beweglichkeit des rechten Handgelenks festzustellen. Sie bewegen sich im Bereich einer Bewegungseinschränkung geringen Grades (Streckung/Beugung bis 30-0-40) nach der GdB/MdE-Tabelle zu den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit. Zudem ist die Unterarmdrehfähigkeit im zeitlichen Verlauf teilweise leichtgradig eingeschränkt gewesen (Gutachten des Herrn Prof. Dr. G.), teilweise befand sie sich im Normbereich (so auch zuletzt im Gutachten des Herrn Dr. T.). Es fanden sich keine Störungen beim Faustschluss und der Greiffunktion. Die Fingerstreckung gelang komplett. Nur zum Teil wurde eine leichte Schwellung des rechten Handgelenks festgestellt. Es bestanden durchgehend keine weiteren Entzündungszeichen, keine Sensibilitätsstörungen und eine unauffällige Durchblutung. In den Röntgenbefunden zeigte sich der bereits im Jahr 2008 angekündigte Verschleiß.

39

Den Unterlagen ist zudem einheitlich zu entnehmen, dass eine deutliche Kraftminderung der rechten Hand vorlag. Der Kläger gab als Belastungsgrenze das Tragen eines halbvollen Wasserkochers an. Eine stärkere Belastung sei ihm hingegen nicht möglich. Rechts war die Handkraft gutachterlich im Dezember 2010 mit 10 kg, links mit 32 kg ermittelt worden. Diese Werte bildeten die stärkste Kraftminderung ab, während im Januar 2010 ein Kraftgrad 4/5 und im Februar 2015 eine Kraftminderung auf 1/2 mitgeteilt worden waren. Beschwerden wurden vom Kläger belastungsabhängig beschrieben. Er erklärte keine kontinuierliche Schmerzmitteleinnahme. Mit Orthese sind die Beschwerden von ihm mit 2-3 von 10 VAS eingeschätzt worden. Für eine gewisse Schonung der rechten Hand spricht eine links stärker ausgeprägte Hohlhandbeschwielung. Eine deutliche Myatrophie als Folge der Nichtbenutzung der rechten Hand wurde nicht berichtet. Es findet sich eine Umfangsminderung von 1 cm rechts (Ober- und Unterarm) im Vergleich zu links. Insgesamt betrachtet stimmen die über den Zeitverlauf erhobenen Befunde im Wesentlichen überein. Eine maßgebliche Verschlechterung ist nicht ersichtlich.

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Unter Berücksichtigung der Kraftminderung der rechten Hand auf 1/3 von links (später: 1/2), der leichtgradigen Bewegungseinschränkung und der belastungsabhängigen Beschwerdeproblematik sind körperlich leichte Tätigkeiten zumutbar, da leichte Belastungen – wie das Tragen eines halbvollen Wasserkochers – vom Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung jedenfalls im prüfungsrelevanten Zeitraum toleriert wurden.

41

Deshalb ist die Einschätzung von Herrn Prof. Dr. V. im handchirurgischen Gutachten vom 21. Dezember 2010 (ca. drei Stunden Leistungsfähigkeit) nicht nachvollziehbar. Hier findet sich keine Begründung dazu, woraus die quantitative Leistungsminderung resultieren soll. Die Begründung von Herrn Dr. T. einer schnelleren Ermüdung und Überlastung der Gelenke aufgrund der festgestellten Abnutzung vermag ebenso wenig zu überzeugen. Der Gutachter berichtete keinen schwerwiegenden bzw. fortgeschrittenen Verschleiß. Zudem fanden sich keine hochgradigen Funktionseinschränkungen. Unter Beachtung des oben dargestellten Leistungsprofils ist eine derartige Überlastung der Gelenke nicht zu erwarten. Weshalb von vornherein bei Depressionen und Alkoholmissbrauch eine Verminderung der quantitativen Leistungsfähigkeit vorliegen soll, bleibt unbegründet. Herr Prof. Dr. G. stellte in seinem Gutachten vom 22. Mai 2012 nachvollziehbar die sich ergebenden Einschränkungen qualitativer Art für eine Erwerbstätigkeit dar, die aus einer reduzierten Belastbarkeit der rechten Hand bei Kraftminderung und Einschränkung der Handgelenksfunktion und der Unterarmdrehfunktion folgten. Woraus aber seiner Ansicht nach eine Reduzierung des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden resultieren soll, lässt sich dem Gutachten nicht entnehmen. Sie erschließt sich auch nicht zwanglos anhand der erhobenen Befunde. Der Kläger ist nicht faktisch einarmig. Er kann die rechte Hand für leichte Tätigkeiten benutzen. Hierfür spricht auch der Umstand, dass der Kläger in der Lage ist, ein Kfz zu führen. Er kann insbesondere den Schalthebel seines Kfz – wenn auch nach seiner Einlassung über kurze Fahrstrecken – bedienen. Er verfügt nicht über ein Auto mit Automatikgetriebe oder Spezialvorrichtungen. Er räumt ein, kurze Strecken z.B. zum Einkauf mit dem Kfz zurückzulegen. Jedenfalls die ca. 32 km lange Strecke zur Begutachtung von B. nach M. mit einer Fahrzeit von ca. 25 Minuten hat er selbstständig mit dem Auto zurückgelegt. Das An- und Auskleiden gelang im Rahmen der verschiedenen Begutachtungen ohne Hilfestellungen zügig, ohne dass Einschränkungen in der Benutzung der rechten Hand beschrieben wurden. Zudem konnte der Senat sich im Termin augenscheinlich davon überzeugen, dass der Kläger die bandagierte rechte Hand – wenn auch zurückhaltend – beim Sortieren seiner Unterlagen benutzte. Er stützte sich darüber hinaus aber beim Gehen um den Klägertisch, um Unterlagen zum Richtertisch zu reichen, mit der flachen rechten Hand auf dem Klägertisch auf, zeigte dabei eine gute Extension bzw. Streckung und eine Belastbarkeit des rechten Handgelenks. Dass sein Sohn kraftvolle Arbeiten wie das Holzhacken übernehmen muss, ist angesichts der Funktionsminderung im rechten Handgelenk einleuchtend. Derartige Arbeiten sind aber im Rahmen der Erwerbstätigkeit vom Kläger nicht zu verlangen.

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Auf das Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit B. vom 14. März 2011 kann sich der Kläger ebenfalls nicht stützen. Das Gutachten enthält keinen Untersuchungsbefund. Es benennt eine psychische Minderbelastbarkeit, ohne deren Schwere darzustellen und zu untermauern. Es erschließt sich zudem nicht, weshalb – wie es darin heißt – eine anstehende Begutachtung durch einen medizinischen Sachverständigen zu einer hinreichenden Leistungsfähigkeit innerhalb von sechs Monaten führen soll. Von einer Nachvollziehbarkeit der Beurteilung kann keine Rede sein. Dem Gutachten fehlt es an Substanz. Es wiederholt im Übrigen die Diagnosen aus dem Gutachten des SMD, ohne die abweichende Leistungsbeurteilung zu begründen. Der Reha-Entlassungsbericht ist schon hinsichtlich der Leistungsbeurteilung in sich widersprüchlich. Zum einen benennt er ein unter dreistündiges Leistungsvermögen. Zum anderen seien leichte Tätigkeiten zumutbar. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden empfohlen. Dass eine unmögliche Behandlung innerhalb der Symptome zu einer rentenrelevanten Leistungsminderung führen soll – wie darin ausgeführt wird –, ist angesichts der diagnostizierten Anpassungsstörung und einer leichten depressiven Episode nicht nachvollziehbar. Auch wenn der Senat den Vorteil der Reha-Maßnahme – mit der Möglichkeit, sich einen Eindruck des Klägers über einen längeren Zeitraum zu verschaffen – erkennt, vermag der Entlassungsbericht inhaltlich nicht zu überzeugen. Der Kläger war während des Aufnahmegesprächs bei der Sache, konnte konkrete Fragen präzise beantworten, wenn er auch in stillen Phasen in seine Gedankenwelt versank. Zudem bestanden nach seinen eigenen Angaben keine Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Zur Alltagsbewältigung finden sich im Bericht kaum Angaben. Die psychischen Auffälligkeiten der depressiven Verstimmung, Müdigkeit und Antriebslosigkeit konnten nach der Feststellung im Bericht gut bearbeitet werden. Eine Antriebsstörung liegt nach der Feststellung im Gutachten des Herrn Dr. B. nicht vor. Der Kläger machte sich morgens einen Tagesplan und ist aktiv. Er erledigte Arbeiten im Haushalt z.B. Staubsaugen mit der linken Hand. Er kochte Mittagessen und unternahm Spaziergänge mit dem Hund. Er war durchaus auch im Haushalt tätig. So verunfallte er im Jahr 2011, als er den Mülleimer zum Entleeren brachte. Psychomotorische Auffälligkeiten bestanden nicht. Gedächtnis, Konzentration und Aufmerksamkeit waren unauffällig. Testdiagnostisch war eine milde depressive Symptomatik feststellbar. Das Gutachten wurde auch unter Einbezug alkoholspezifischer Angaben erstellt. Es steht letztlich im Einklang mit dem Befundbericht des Herrn Dipl.-Psych. F., der im Oktober 2013 einen gleichbleibenden psychischen Befund mitteilte und Gründe für eine Arbeitsunfähigkeit im somatischen Krankheitsgeschehen sah, welches er jedoch nicht beurteilen könne.

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Soweit Herr Dr. B. an einer Stelle ausführt, die körperlichen Funktionseinschränkungen führten zu quantitativen Einschränkungen, ist von einer Verwechslung zwischen "qualitativ" und "quantitativ" bzw. einem Schreibfehler auszugehen. Der Folgesatz bezieht sich eindeutig auf eine qualitative Einschränkung des Leistungsvermögens (Arbeitsschwere). Der Gutachter führt an anderer Stelle aus, er teile die Einschätzung einer quantitativen Leistungsminderung durch Herrn Prof. Dr. G. nicht. Seine Leistungsbeurteilung mit einem sechsstündigen Leistungsvermögen lässt auch keine quantitative Leistungseinschränkung erkennen. Hieraus folgt aus diesen Gründen keine Unschlüssigkeit des Gutachtens.

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Soweit der Kläger belastungsabhängige Beschwerden im linken Kniegelenk angibt, war eine Bewegungseinschränkung nicht festzustellen. Es bestanden degenerative Veränderungen. Entzündungszeichen wurden nicht mitgeteilt. Wegen einer leichtgradigen Funktionseinschränkung im linken Schultergelenk bei beginnendem Verschleiß waren Überkopfarbeiten auszuschließen. Die mitgeteilte Erblindung des rechten Auges führt dazu, dass besondere Anforderungen an das Sehvermögen und Anforderungen an das binoculare Sehen nicht gestellt werden können. Der aktuell eingereichte Befundbericht vom 5. Juni 2015 ist angesichts des zu prüfenden Zeitraums nicht von Relevanz. Zusätzliche qualitative Einschränkungen ergeben sich bei Labyrinth-Schwindel wegen der Unterfunktion des linken Labyrinths über die bereits aus orthopädischen Gründen aufgeführten Einschränkungen zur Vermeidung von Gefahren nicht. Gravierende Probleme gab der Kläger im Hinblick auf die diagnostizierte Darmerkrankung nicht an. Solche können auch den beigezogenen Berichten nicht entnommen werden.

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Der Kläger war insbesondere auch nicht deshalb voll erwerbsgemindert, weil er trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein konnte. Es lagen keine schwere spezifischen Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Die maßgebliche Beeinträchtigung des Leistungsvermögens ergab sich aus der reduzierten Belastbarkeit des rechten Handgelenks. Funktionseinschränkungen der Finger bestanden hingegen nicht. Greiffunktionen und Faustschluss waren ausführbar. Ein kraftvolles Zugreifen war mit der rechten Hand hingegen nicht möglich. Das Restleistungsvermögen des Klägers reichte jedoch noch für Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählung in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996, GS 2/95, BSGE 80, 24, 33f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt in BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R). Jenes belegen die Gutachten des SMD und des Herrn Dr. B.

46

Es liegt auch keiner der in der Rechtsprechung anerkannten sog. Katalogfälle vor, die die Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausschließen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R). Der Kläger ist nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Die Gehfähigkeit gibt er zwar als eingeschränkt an; er kann aber viermal arbeitstäglich einen Fußweg von mehr als 500 Meter am Stück vor und nach einer Arbeitsschicht zu und von einem öffentlichen Verkehrsmittel bzw. zum und vom Arbeitsplatz ohne unzumutbare Beschwerdezustände in jeweils längstens 20 Minuten zurücklegen. Auf orthopädischem Fachgebiet sind keine Befunde erhoben worden, die Einschränkungen der Wegefähigkeit plausibel erscheinen lassen würden. Die Funktion des linken Kniegelenks war wegen degenerativer Veränderungen leicht beeinträchtigt. Eine Bewegungseinschränkung bestand nicht. Die Funktionsstörungen hindern den Kläger nicht daran, Arbeitswege zurückzulegen. Er gab selbst an, mit dem Hund spazieren zu gehen. Letztlich ist er aber in der Lage, erforderliche Wegstrecken mit dem Kfz zurückzulegen, wie es auch in der Vergangenheit geschehen ist.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

48

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


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