Beschluss vom Oberlandesgericht Braunschweig (1. Strafsenat) - 1 Ws 365/15

Tenor

Die Beschwerde des Sachverständigen Dr. med. M. S. vom 23. Dezember 2015 gegen die Beschlüsse der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig vom 26. November und 15. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

1

Die beiden Angeklagten wurden erstinstanzlich durch das Amtsgericht Braunschweig (Az.: 10 Ls 110 Js 8918/14) wegen schwerer räuberischer Erpressung jeweils zu Freiheitsstrafen verurteilt. Im Rahmen des hiergegen von ihnen betriebenen Berufungsverfahrens vor dem Landgericht Braunschweig (Az.: 7 Ns 164/15) ordnete dieses durch Beschluss vom 17. Juni 2015 (Bd. II Bl. 111 d.A.) die Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich beider Angeklagter zu den Fragen an, ob die Eingangsvoraussetzung einer Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit im Tatzeitpunkt vorgelegen haben sowie ob die für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bestehen. Zum Sachverständigen wurde – nachdem er er sich auf telefonische Nachfrage zur Übernahme des Gutachtenauftrages bereit erklärt hatte – der Beschwerdeführer bestellt. Diesem wurde der Beschluss gemeinsam mit der Ladung für die auf den 26. und 28. Oktober 2015 anberaumten Hauptverhandlungstermine am 03. Juli 2015 zugestellt. Da der Aufenthalt des Angeklagten O. im Nachhinein nicht ermittelt werden konnte, wurde der Sachverständige mit gerichtlichem Schreiben vom 24. Juli 2015 gebeten, das diesen betreffende Gutachten nach Aktenlage zu erstellen (Bd. II Bl. 132R d.A.).

2

Unter dem 28. August 2015 teilte der Beschwerdeführer dem Landgericht mit, dass er hinsichtlich des Angeklagten M. für den 10. September 2015 einen Explorationstermin festgesetzt habe und die beiden in Auftrag gegebenen Gutachten kurz danach fertigstellen werde (Bd. II Bl. 139 d.A.). Des Weiteren unterrichtete der Beschwerdeführer das Landgericht mit Schreiben vom 03. September 2015 darüber, dass er den Angeklagten M. erneut angeschrieben habe und für den Fall, dass er hierauf keine Rückmeldung erhalten sollte, die gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage fertigen werde. Tatsächlich erfolgte die Exploration des Angeklagten M. dann wie geplant am 10. September 2015 und der Beschwerdeführer kündigte unter Rückgabe der Verfahrensakten mit Schreiben vom 12. September 2015 an, das diesen betreffende Gutachten nunmehr zeitnah vorzulegen (Bd. II Bl. 180 d.A.). Ausweislich eines Aktenvermerks vom 07. Oktober 2015 (Bd. II Bl. 183R d.A.) kündigte der Sachverständige unter Hinweis auf die erfolgte Exploration des Angeklagten M. an, sich an diesem Tag telefonisch mit dem Gericht in Verbindung setzen zu wollen. Der avisierte Anruf blieb jedoch aus (Bd. III Bl. 56 d.A.). Daraufhin wurde er seitens des Gerichtes am 09. Oktober 2015 per E-Mail aufgefordert, das Gutachten bezüglich des Angeklagten M. bis zum 13. Oktober 2015 zu übersenden. Diese E-Mail enthielt außerdem den Hinweis, dass hinsichtlich des Angeklagten O. nunmehr auf ein schriftliches Gutachten verzichtet werde und dieses gegebenenfalls in der Hauptverhandlung mündlich erstattet werden könne (Bd. II Bl. 184 d.A.). Auf diese Nachricht reagierte der Sachverständige mit E-Mail vom selben Tag, in welche er darauf hinwies, dass er die gesetzte Frist bis zum 13. Oktober 2015 voraussichtlich nicht einhalten können, das Gutachten aber bis zum 16. Oktober 2015 fertigstellen und dann übersenden werde (Bd. II Bl. 184 d.A.). Nachdem das den Angeklagten M. betreffende Gutachten am 19. Oktober 2015 noch immer nicht vorlag, ließ ihm die Vorsitzende der Strafkammer mit einer weiteren E-Mail von diesem Tag ausrichten, dass auf ein schriftliches Gutachten verzichtet werde, wenn es nicht an diesem Tage eingehe (Bd. II Bl. 184 d.A.). Der Eingang dieses 34 Seiten umfassenden Gutachtens erfolgte dann tatsächlich aber erst am 20. Oktober 2015 (Bd. II Bl. 180 d.A.).

3

In der Folge wurde die Hauptverhandlung wie geplant am 26. und 28. Oktober 2015 durchgeführt, an der der Sachverständige lediglich am ersten Hauptverhandlungstag von 11.00 Uhr bis 12:17 Uhr teilnahm (Bd. II Bl. 203, 207 d.A.). Seine gutachterlichen Tätigkeiten in der Hauptverhandlungen bezogen sich ausschließlich auf den Angeklagten M., weil der Angeklagte O. nicht erschienen war.

4

Die von ihm erbrachten Tätigkeiten liquidierte der Sachverständige mit Schreiben vom 14. Oktober 2015 (Gutachten M., Bd. II Bl. 187 d.A.), 28. Oktober 2015 (Teilnahme an der Hauptverhandlung am 26. Oktober 2015, Bd. II Bl. 220 d.A.) und 08. November 2015 (Gutachten O., Bd. II Bl. 267 d.A.). Dem letztgenannten Schreiben lag auch ein 10 Seiten umfassendes, begonnenes Gutachten betreffend den Angeklagten O. bei, in welchem ausschließlich die Gutachtenvoraussetzungen und eine Zusammenfassung der Aktenlage sowie der Biografie des Angeklagten wiedergegeben wurden.

5

Die genannten Rechnungen enthielten folgende Abrechnungspositionen:

6

Rechnung Nr. 1: Gutachtentätigkeit „M.“:

7

1.

Aktenstudium 10,5 h zu je 100,00 €

1.050,00 €

2.

Diktat 8 h zu je 100,00 €

800,00 €

3.

Fahrtzeiten 5,5 h zu je 100,00 €

550,00 €

4.

Exploration und Untersuchung
3 h zu je 100,00 €

300,00 €

5.

Ausarbeitung 19 h zu je 100,00 €

1.900,00 €

6.

Schreibkosten (65.666 Anschläge;
0,90 € pro 1000 Anschläge)

58,50 €

7.

Telefon- und Versandkosten pauschal    

20,00 €

8.

Fahrtkosten 2 x 253 km x 0,30 €

151,80 €

9.

Kopierkosten
(68 Kopien: 50 x 0,50 €, 18 x 0,15 €)

      27,70 €

   

Zwischensumme

4.858,00 €

10.

Umsatzsteuer

    923,02 €

   

Gesamtbetrag

5.781,02 €

8

Rechnung Nr. 2: Teilnahme an der Hauptverhandlung am 26. Oktober 2015:

9

1.

Vorbereitung 2 h zu je 100,00 €

200,00 €

2.

Fahrtzeiten 3 h zu je 100,00 €

300,00 €

3.

Terminszeit 1,5 h zu je 100,00 €

150,00 €

4.

Fahrtkosten 2 x 66 km x 0,30 €    

      39,60 €

   

Zwischensumme

689,60 €

5.

Umsatzsteuer

    131,02 €

   

Gesamtbetrag

820,62 €

10

Rechnung Nr. 3: Gutachtentätigkeit „O.“:

11

1.

Aktenstudium 5,5 h zu je 100,00 €

550,00 €

2.

Diktat 2 h zu je 100,00 €

200,00 €

3.

Schreibkosten (17.129 Anschläge;
0,90 € pro 1000 Anschläge)

15,30 €

4.

Telefon- und Versandkosten pauschal    

      20,00 €

   

Zwischensumme

785,00 €

5.

Umsatzsteuer

    149,21 €

   

Gesamtbetrag

934,21 €

12

Unter Berücksichtigung einer Stellungnahme der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Braunschweig vom 30. Oktober 2015 (Bd. II Bl. 222 f. d.A.), auf die inhaltlich Bezug genommen wird, überwies die Kostenbeamtin des Landgerichts dem Sachverständigen auf die Rechnung Nr. 1 einen gekürzten Betrag in Höhe von 3.817,52 € und auf die Rechnung Nr. 2 einen reduzierten Betrag in Höhe von 701,62 €. Die vorgenommenen Kürzungen wurden in einem Begleitschreiben vom 06. November 2015 erläutert (vgl. Bd. II Bl. 224 d.A.).

13

Die Abzüge veranlassten den Beschwerdeführer, mit Schreiben vom 17. November 2015 (Bd. III Bl. 2 d.A.) gemäß § 4 Abs. 1 JVEG einen Antrag auf gerichtliche Festsetzung seiner Vergütung zu stellen.

14

Diesem Antrag entsprach das Landgericht Braunschweig zunächst durch Beschluss vom 26. November 2015 (Bd. III Bl. 8 ff. d.A.). Dieser Beschluss, auf den inhaltlich verwiesen wird, betraf die mit den vorgenannten Rechnungen Nr. 1 und 2 liquidierten Kosten, die wie folgt festgesetzt wurden:

15

Rechnung Nr. 1: Gutachtentätigkeit „M.“:

16

1.

Aktenstudium 3,5 h zu je 100,00 €

350,00 €

2.

Diktat 6 h zu je 100,00 €

600,00 €

3.

Fahrtzeiten 5,5 h zu je 100,00 €

550,00 €

4.

Exploration und Untersuchung
3 h zu je 100,00 €

300,00 €

5.

Ausarbeitung 10 h zu je 100,00 €

1.000,00 €

6.

Schreibkosten (65.666 Anschläge;
0,90 € pro 1000 Anschläge)

58,50 €

7.

Telefon- und Versandkosten pauschal    

10,00 €

8.

Fahrtkosten 2 x 253 km x 0,30 €

151,80 €

9.

Kopierkosten (68 Kopien:
50 x 0,50 €, 18 x 0,15 €)

      27,70 €

   

Zwischensumme

3.048,00 €

10.

Umsatzsteuer

    579,12 €

   

Gesamtbetrag

3.627,12 €

17

Rechnung Nr. 2: Teilnahme an der Hauptverhandlung am 26. Oktober 2015:

18

1.

Vorbereitung 1 h zu je 100,00 €

100,00 €

2.

Fahrtzeiten 3 h zu je 100,00 €

300,00 €

3.

Terminszeit 1,5 h zu je 100,00 €

150,00 €

4.

Fahrtkosten 2 x 66 km x 0,30 €    

      39,60 €

   

Zwischensumme

589,60 €

5.

Umsatzsteuer

    112,02 €

   

Gesamtbetrag

701,62 €

19

Die Vergütung des Sachverständigen für das Gutachten bezüglich des Angeklagten O. (Rechnung Nr. 3) setzte das Landgericht Braunschweig mit Beschluss vom 15. Dezember 2015 (Bd. III Bl. 35 ff. d.A.), auf den abermals inhaltlich Bezug genommen wird, auf null Euro fest.

20

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 (Bd. III Bl. 44 f. d.A.) legte der Sachverständige gegen die Beschlüsse des Landgerichts Braunschweig vom 26. November und 15. Dezember 2015 Beschwerde ein.

21

Die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Braunschweig hat unter dem 11. Januar 2016 mitgeteilt, zu der Beschwerde nicht weiter Stellung nehmen zu wollen.

22

Das Landgericht Braunschweig hat der Beschwerde durch Beschluss vom 12. Januar 2016 (Bd. III Bl. 55 ff. d.A.) nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur weiteren Entscheidung vorgelegt.

II.

23

Die gemäß § 4 Abs. 3 JVEG statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die vom Landgericht in den angefochtenen Beschlüssen vom 26. November und 15. Dezember 2015 erfolgte Festsetzung der Sachverständigenvergütung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

24

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG keine Überprüfung der von der Kostenbeamtin vorgenommenen Berechnung darstellt, sondern eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung ist. Bei der Kostenfestsetzung durch die Kostenbeamtin vom 06. November 2015 handelte es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung hinfällig wurde (vgl. u.a. Bayrisches LSG, Beschluss vom 0. Juli 2014 – L 15 SF 123/14, juris). Deren Berechnung der zu erstattenden Beträge wurde mithin sowohl in Bezug auf die Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Landgericht hatte also eine voll umfassende Prüfung des Entschädigungsanspruches vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die von der Kostenbeamtin erfolgte Kostenfestsetzung beschränkt zu sein. Das Verbot der reformatio in peius gilt insoweit nicht (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Mai 2015 – L 12 SF 1072/14 E, juris). Es durfte folglich auch eine niedrigere Entschädigung als die von der Kostenbeamtin gewährte festsetzen.

25

Grundlage des hier zu beurteilenden Vergütungsanspruchs sind die §§ 8, 9, 12 JVEG. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 JVEG erhält der Sachverständige neben dem Ersatz von Fahrtkosten und Entschädigung für sonstigen Aufwand (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 JVEG) für seine Leistung ein Honorar, das nach Stundensätzen zu bemessen ist. Die Höhe des Stundensatzes variiert je nach der Zugehörigkeit des Gutachtens zu einer bestimmten Honorargruppe (§ 9 Abs. 1 JVEG i.V.m. Anlage 1 zu § 9 Abs. 1). Das Honorar wird gemäß § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt.

26

1. Streitig ist im vorliegenden Fall hinsichtlich der Rechnung Nr. 1 der Zeitaufwand für die Arbeitsschritte „Aktenstudium“, „Diktat“ und „Ausarbeitung“ sowie bezüglich der Rechnung Nr. 2 der für den Arbeitsschritt „Vorbereitung“.

27

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG erhält der Sachverständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach Stundensätzen zu bemessen ist. Dementsprechend wird es gemäß § 8 Absatz 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit ein Honorar gewährt, wobei die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet wird, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war; anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrages. Für die Ermittlung der Anzahl der zu vergütenden Stunden kommt es nicht auf die vom Sachverständigen tatsächlich aufgewandten Stunden an. Die Zeit, die erforderlich ist, hängt nicht von der individuellen Arbeitsweise des jeweiligen Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O.; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 8 Rn. 13).

28

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich aufgewandte Zeit richtig sind und dass die vom Sachverständigen zur Vergütung verlangten Stunden für die Erstellung des Gutachtens auch notwendig waren. Dementsprechend findet regelmäßig nur eine Plausibilitätsprüfung der Kostenrechnung anhand allgemeiner Erfahrungswerte statt. Zusammenfassend gestaltet sich die kostenrechtliche Prüfung demnach so, dass in einem ersten Schritt im Rahmen der Plausibilitätsprüfung das Gutachten und seine einzelnen Teile auf sogenannte Standardseiten je Seite umgerechnet werden und anhand von Erfahrungswerten (Blätter je Stunde im Fall der Aktendurchsicht bzw. Seiten je Stunde) für die jeweilige Tätigkeit (Aktendurchsicht, Diktat von Anamnese und Befunden, Beurteilung einschließlich Beantwortung der Beweisfragen, Korrektur) ein Zeitaufwand ermittelt wird, der im Fall eines Routinegutachtens zu erwarten ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. April 2005 – L 12 SB 795/05 KO-A –, juris). Überschreitet der Sachverständige mit seinem geltend gemachten Zeitaufwand das Ergebnis dieser Plausibilitätsprüfung, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob sich      – insbesondere aus dem Gutachten selbst unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zeitaufwandes und ggf. vom Sachverständigen dargelegter Umstände – Hinweise ergeben, die eine Abweichung vom Ergebnis der Plausibilitätsprüfung rechtfertigen.

29

Das Gutachten „M.“ mit 65.666 Anschlägen entspricht 24,32 Standardseiten mit 2.700 Anschlägen. Hierbei legt der Senat hinsichtlich der Zeichendichte die vom Gesetzgeber für die Schreibgebühren vorgegebenen Grundsätze (ca. 2.700 Anschläge einschließlich Leerzeichen pro Seite, vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 184) zu Grunde. Auch wenn eine Standardseite mit weniger Anschlägen berechnet würde, würde sich am Ergebnis der Plausibilitätsprüfung wenig bis nichts ändern, weil dann entsprechend den Erfahrungswerten des Senats die leistbare Seitenzahl je Stunde anzuheben wäre.

30

Beim Zeitaufwand für die Aktendurchsicht einschließlich Diktat des für das Gutachten erforderlichen Akteninhalts ist das Ausmaß der gutachtenrelevanten Aktenteile zu berücksichtigen. Dabei legt der Senat seine eigenen Erfahrungswerte aus dem richterlichen Bereich zu Grunde. Danach ist für bis zu 200 Aktenseiten mit bis zu 50% gutachtenrelevantem Anteil bei der Plausibilitätsprüfung eine Stunde für Durchsicht und erforderliches Diktat anzusetzen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Mai 2015 – L 12 SF 1072/14 E, juris). Das Gutachten „M.“ basiert ausweislich der Angaben des Sachverständigen unter I. seiner Ausführungen auf der Kenntnis der Akten der Staatsanwaltschaft Braunschweig zum Aktenzeichen 10 Ls 110 Js 8918/14 Bd. I und II sowie eines dazugehörigen Aktenordners. Die beiden angegebenen Aktenbände bzw. -ordner umfassten bis zur Rückgabe der Akten durch den Sachverständigen am 12. September 2015 zusammen höchstens 1010 Seiten (Bd. I: 231 Blatt, Bd. II: 179 Blatt, Stehordner: max. 600 Blatt). Hieraus errechnen sich 5 Stunden für diesen Arbeitsschritt.

31

Hinzu kommt der zeitliche Aufwand für das Diktat der Anamnese und der Befunde einerseits und der Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen andererseits. Dabei stellt die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen die eigentliche Gedankenarbeit mit der Auswertung der Befunde und deren Würdigung im Hinblick auf die Beweisfragen dar. Dementsprechend ist der zeitliche Aufwand für die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen einschließlich Diktat wesentlich höher anzunehmen, als für die Wiedergabe von Anamnese und erhobenen Befunden. Nach Ansicht des Senats erscheint beim außerhalb der Untersuchung erfolgten Diktat von Anamnese und Befunden ein zeitlicher Aufwand von 1 Stunde für 6 Seiten akzeptabel. Anamnese und Befunde nehmen im Gutachten „M.“ insgesamt 12 Seiten ein, hieraus ergeben sich 8,57 Standardseiten, woraus sich somit ein Zeitaufwand von 1,4 Stunden für diesen Arbeitsschritt errechnet.

32

Beim Arbeitsschritt Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen setzt der Senat für 1 Standardseite einen erforderlichen Zeitaufwand von 1 Stunde an. Somit sind für die 11 Seiten (= 7,86 Standardseiten), die sich im Gutachten hierauf beziehen, in diesem Arbeitsschritt 7,9 Stunden einzustellen.

33

Für die Korrektur einschließlich abschließender Durchsicht veranschlagt der Senat unter Berücksichtigung der o.g. Kriterien einen Zeitaufwand von 1 Stunde für 12 Standardseiten als angemessen. Folglich sind dem Beschwerdeführer insoweit weitere 2 Stunden gutzubringen.

34

Insgesamt ergibt sich damit im Rahmen der Plausibilitätsprüfung – einschließlich des weiteren berücksichtigungsfähigen Zeitaufwandes für Fahrtzeiten sowie Exploration und Untersuchung von 8,5 Stunden – insgesamt eine Stundenanzahl in Höhe von 24,8 Stunden. Dieser Wert liegt noch deutlich unter dem vom Landgericht für die Erstattung des Gutachtens „M.“ für objektiv erforderlich gehaltenen zeitlichen Aufwand von 28 Stunden und lässt folglich noch Spielraum für eine Abweichung vom Ergebnis des Plausibilitätskontrolle aufgrund von besonderen Umständen, die der Sachverständige hier darin erblickt, dass die zu beurteilende Tat bereits im Jahr 1998 begangen wurde, also mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt.

35

Hinsichtlich der festgesetzten Pauschale für Telefon und Versand im Fall „M.“ sowie der objektiv erforderlichen Zeit zur Vorbereitung des Hauptverhandlungstermins am 26. Oktober 2015 teilt der Senat die Rechtsansicht des Landgerichts ebenfalls.

36

Die Berechtigung des Stundensatzes von 100,00 € folgt aus Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG. Die im Vergleich zu den abgerechneten Kosten gekürzte Festsetzung der Sachverständigenvergütung im Beschluss vom 26. November 2015 ist daher insgesamt zu Recht erfolgt.

37

2. Schließlich steht dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Auftrag zur Begutachtung des Angeklagten „O.“ kein Vergütungsanspruch zu. Ein solcher ist zwar nicht schon aufgrund der E-Mail vom 09. Oktober 2015, in der das Gericht auf eine schriftliche Gutachtenerstattung verzichtete, entfallen. Dadurch hat das Gericht den Sachverständigen nicht gemäß § 76 Abs. 1 S. 2 StPO von der Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens entbunden; dieses sollte vielmehr ggf. in der mündlichen Verhandlung noch erstattet werden. Der Gutachtenauftrag wurde also lediglich modifiziert. Eine mündliche Erstattung des Gutachtens ist dann aus vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenen Umständen unterblieben. Das maßgebliche Rechnungsschreiben vom 08. November 2015 enthält jedoch keine erstattungsfähigen Positionen. Auf die Frage eines Erlöschens des Vergütungsanspruches gemäß § 8a JEVG kommt es mithin nicht (mehr) an. Nach § 8 Abs. 3 JEVG ist die Vergütung, soweit vergütungspflichtige Leistungen oder Aufwendungen auf die gleichzeitige Erledigung mehrerer Angelegenheiten entfallen, nach der Anzahl der Angelegenheiten aufzuteilen. Hier lagen sowohl der Begutachtung des Angeklagten M. als auch der des Angeklagten O. die identischen Akten zugrunde. Der zum Studium dieser Akten für die Erstattungsfähigkeit maßgebliche objektiv erforderliche Aufwand ist – wie oben dargelegt – bereits vollständig in der Festsetzung des Vergütungsanspruches für das Gutachten in Sachen „M.“ berücksichtigt worden. Das am 08. November 2015 übermittelte schriftliche Gutachten „O.“ enthält zudem keine (!) Ausführungen, die nicht schon Bestandteil des Gutachtens „M.“ waren. In diesem waren – obwohl es den Angeklagten M. betraf – auch die Biographie und die Vordelinquenz des Angeklagten O. dargestellt worden (vgl. Bl. 9 bis 11 des Gutachtens „M.“, die sich ausschließlich auf den Angeklagten O. beziehen). Der objektiv notwendige Aufwand für das Diktieren dieser Gutachtenpassagen wurde ebenso wie der für die übrigen, in beiden Gutachten deckungsgleichen weiteren Ausführungen des Sachverständigen ebenfalls schon bei der Festsetzung der Vergütung für das Gutachten „M.“ ausgeglichen. Eines Schreibens und Übersendens des lediglich begonnenen und die gestellten Beweisfragen nicht beantwortenden Gutachtens „O.“ bedurfte es – für den Beschwerdeführer erkennbar – nach der Modifizierung des Gutachtenauftrages am 09. Oktober 2015 nicht mehr. Entsprechende Kosten sind daher, weil diese Arbeitsschritte ersichtlich nicht erforderlich waren, nicht erstattungsfähig. Auch die übrigen zuvor vom Beschwerdeführer verfassten Schreiben betrafen allein den Angeklagten M. Die Vergütung in Sachen „O.“ ist folglich zur Recht auf null Euro festgesetzt worden.

III.

38

Die Kostenentscheidung folgt aus § 4 Abs. 8 JVEG.

 


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