Beschluss vom Oberlandesgericht Braunschweig (1. Senat für Familiensachen) - 1 WF 125/22

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Helmstedt vom 04.08.2022 dahingehend abgeändert, dass der Antragstellerin ihre Verfahrensbevollmächtigte zur Vertretung in dem Verfahren beigeordnet wird.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

1

Das Beschwerdeverfahren betrifft die Anwaltsbeiordnung im Rahmen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung eines Verfahrens zur Umgangsregelung.

2

In der Hauptsache hat die Antragstellerin mit anwaltlichem Schreiben vom 27.01.2022 die Regelung des Umgangs des Antragsgegners mit den beiden gemeinsamen, damals acht- und sechsjährigen, Kindern der Beteiligten beantragt und hierzu vorgebracht, eine außergerichtliche verlässliche Umgangsregelung sei auch mit Hilfe des Jugendamts wegen der Weigerungshaltung des Antragsgegners nicht zustande gekommen. Gleichzeitig hat die Antragstellerin die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten beantragt und eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen eingereicht. Das Amtsgericht hat für die Kinder eine Verfahrensbeiständin bestellt und am 21.02.2022 die Kinder angehört. Im Erörterungstermin am 22.02.2022 haben die Beteiligten sodann abschließend eine umfangreiche Vereinbarung über die Regelung der regelmäßigen Wochenendumgänge und der Ferienumgänge getroffen. Im Nachgang hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 18.03.2022 den Verfahrenswert festgesetzt. Eine Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin hat es erst getroffen, nachdem die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 10.07.2022 einen Antrag auf Vergütungsfestsetzung eingereicht hatte. Mit Beschluss vom 04.08.2022 ist der Antragstellerin ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt, dabei die Anwaltsbeiordnung jedoch abgelehnt worden, da es ihr wegen der einfachen Sach- und Rechtslage auch mit Blick auf den Amtsermittlungsgrundsatz zuzumuten gewesen sei, das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand zu führen. Der Sachverhalt sei nicht zuletzt deshalb einfach gelagert, weil das Umgangsrecht des Vaters nicht in Frage gestellt worden sei.

3

Gegen den ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 08.08.2022 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit ihrem beim Amtsgericht am 05.09.2022 eingegangenen Schreiben vom selben Tag sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen die Ablehnung der Anwaltsbeiordnung wendet. Sie macht geltend, die Beiordnung dürfe nicht durch die Bezugnahme auf den Amtsermittlungsgrundsatz versagt werden. Zudem sei zu beachten, dass der Vater sich im Vorfeld geweigert habe, mit Hilfe des Jugendamts eine verlässliche Umgangsregelung zu treffen. Eine solche sei jedoch im Kindesinteresse erforderlich gewesen, zumal ihr Sohn bereits psychische Auffälligkeiten gezeigt habe. Auch habe der Antragsgegner die Antragstellerin durch die Verweigerung von Unterschriften in sorgerechtlichen Angelegenheiten und die fehlende Mitwirkung am Versorgungsausgleich unter Druck gesetzt. Sie habe sich angesichts dessen nicht in der Lage gesehen, den Antrag auf Umgangsregelung allein zu stellen, sondern habe anwaltlicher Unterstützung bedurft.

4

Mit Beschluss vom 14.09.2022 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Angelegenheit dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

5

Die gem. § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers hat auch in der Sache Erfolg.

6

Der Antragstellerin ist im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe antragsgemäß die von ihr bevollmächtigte Rechtsanwältin beizuordnen.

7

Ist eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt – wie vorliegend – nicht vorgeschrieben, so wird gemäß § 78 Abs. 2 FamFG einem Beteiligten auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Ein pauschaliertes Abstellen auf den Amtsermittlungsgrundsatz ist hierbei nicht zulässig (BGH, Beschluss vom 23.06.2010 – XII ZB 232/09, juris Rn. 16). Entscheidendes Kriterium ist vielmehr, ob im konkreten Einzelfall ein nicht bedürftiger Rechtsuchender in derselben Lage vernünftigerweise einen Rechtsanwalt beauftragt hätte, wobei es auch auf die subjektiven Fähigkeiten des Beteiligten ankommt (BGH, a.a.O., juris Rn. 23, 25). Ausreichend ist die Schwierigkeit der Sach- oder der Rechtslage (vgl. BGH, a.a.O., juris Rn. 14), von der in Umgangsstreitigkeiten nicht regelhaft ausgegangen werden kann, insbesondere wenn – wie hier – der Umgang als solcher nicht in Frage steht und es nur um dessen konkrete Regelung geht (vgl. Zöller-Feskorn, ZPO, 34. Auflage 2022, § 78 FamFG Rn. 10 m.w.N., Keidel-Weber, FamFG, 20. Auflage 2020, § 78 Rn. 12). Eine die Anwaltsbeiordnung in einem Umgangsverfahren rechtfertigende schwierige Sachlage kann jedoch ggf. durch massive Kommunikationsprobleme der Eltern begründet werden (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 17.11.2014 – 10 WF 121/14, juris Rn. 4; Thomas/Putzo-Seiler, ZPO, 42. Auflage 2021, § 78 FamFG Rn. 6). Auch können in subjektiver Hinsicht besondere psychische Belastungen des um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Beteiligten zu berücksichtigen sein. Nach dem Vorbringen der Antragstellerin kommt es in Betracht, hier im Hinblick auf ihre Belastung durch die in verschiedenen Angelegenheiten erlebte Verweigerungshaltung des Antragsgegners und die von ihrem Sohn gezeigten psychischen Auffälligkeiten von einer Situation auszugehen, in der auch ein bemittelter Beteiligter anwaltlichen Beistand gesucht hätte.

8

Im Ergebnis bedarf das Vorliegen der Voraussetzungen von § 78 Abs. 2 FamFG hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da der Antragstellerin jedenfalls mit Rücksicht auf das verfassungsrechtliche Gebot eines fairen Verfahrens die Anwaltsbeiordnung nicht versagt werden durfte. Wenn das Gericht bis zum Erörterungstermin nicht auf Bedenken gegen die Anwaltsbeiordnung hingewiesen hat, darf ein Beteiligter, der rechtzeitig vorab einen vollständigen Verfahrenskostenhilfeantrag eingereicht hat, darauf vertrauen, dass die beantragte Anwaltsbeiordnung erfolgen wird (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.10.2012 – 18 WF 303/12, juris Rn. 16 ff.; OLG Celle, Beschluss vom 18.02.2011 – 10 WF 53/11, juris Rn. 15; Keidel-Weber, a.a.O.). So liegt es auch hier. Obwohl das bereits zu Verfahrensbeginn eingereichte Verfahrenskostenhilfegesuch der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Durchführung des Erörterungstermins entscheidungsreif war, hat das Familiengericht weder im Vorfeld noch während des Termins eine Entscheidung über den Verfahrenkostenhilfe- und Beiordnungsantrag getroffen oder zumindest einen Hinweis über insoweit bestehende Bedenken erteilt. Angesichts dessen durfte die Antragstellerin davon ausgehen, dass einer Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten nichts im Wege steht.

III.

9

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren fallen aufgrund des Erfolgs der Beschwerde nicht an. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

 


Abkürzung FundstelleWenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie genau dieses Dokument verlinken möchten:
https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=KORE271752022&psml=bsndprod.psml&max=true

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen