Beschluss vom Oberlandesgericht Celle (2. Strafsenat) - 2 Ws 270/21

Tenor

Der Senat ist zu einer Entscheidung derzeit nicht berufen.

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Bückeburg vom 22. Juli 2021 wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

I.

1

Das Landgericht Bückeburg hat den Angeklagten am 11. Juni 2021 wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt.

2

In der Hauptverhandlung schlossen die Nebenklägerin und der Angeklagte einen Vergleich, mit dem sich der Angeklagte zur Abgeltung eines Schmerzensgeldanspruches und eines geltend gemachten materiellen Schadensersatzanspruches zur Zahlung eines Betrages von 500 Euro verpflichtet hat. Außerdem enthält der Vergleich folgende Bestimmung: „Das Gericht entscheidet über die Kosten des Adhäsionsverfahrens gem. § 91a ZPO.“

3

Gegen das Urteil vom 11. Juni 2021 hat der Angeklagte Revision eingelegt, die Akten sind vom Landgericht nach Eingang der Revisionsbegründung zur Vorlage an das Revisionsgericht gemäß § 347 StPO weitergeleitet worden.

4

Mit Beschluss vom 22. Juli 2021 hat das Landgericht Bückeburg entschieden, dass der Angeklagte die Kosten des Adhäsionsverfahrens sowie die der Adhäsionsklägerin entstandenen besonderen Kosten und notwendigen Auslagen zu tragen hat. Zugleich hat es den Wert des Streitgegenstandes des Adhäsionsverfahrens auf 10.035 Euro festgesetzt.

5

Mit Schreiben vom 2. August 2021 hat der Angeklagte erklärt, gegen den Beschluss vom
22. Juli 2021, der ihm formlos und ohne Rechtsmittelbelehrung übersandt worden war, „Berufung“ einzulegen. Mit Schreiben vom 25. August 2021 hat der Verteidiger das von ihm als „sofortige Beschwerde“ bezeichnete Rechtsmittel damit begründet, dass anstelle der getroffenen Kostenentscheidung eine Kostenaufhebung angemessen sei.

II.

6

Das Rechtsmittel gegen den Beschluss des Landgerichts vom 22. Juli 2021 ist als sofortige Beschwerde auszulegen, über die gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO derzeit der Bundesgerichtshof zu entscheiden hat.

1.

7

a) Die als „Berufung“ bezeichnete Eingabe des Angeklagten ist gemäß § 300 StPO so auszulegen, dass sie den von ihm erstrebten Erfolg möglichst erreichen kann
(Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 300 Rn. 3; LR/Jesse, StPO § 300 Rn. 1). Das zulässige Rechtsmittel bestimmt sich dabei nach dem sachlichen Inhalt der Entscheidung
(Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 296 Rn. 11). Maßgeblich ist nicht die Form, in der die Entscheidung ergangen ist, sondern die Form, in der die Entscheidung hätte ergehen sollen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO Einl. Rn. 166; LR/Jesse, StPO vor § 296 Rn. 43).

8

b) Nach diesen Maßstäben ist es für die Anfechtung unerheblich, dass das Landgericht die Kostenentscheidung auf eine entsprechende Anwendung von § 91a ZPO gestützt hat. Denn in der Sache hat das Landgericht eine Kostenentscheidung gemäß § 472a Abs. 2 StPO getroffen.

9

Grundsätzlich unterliegt die Entscheidung über die Kosten eines im Adhäsionsverfahrens geschlossenen Vergleichs allerdings der Disposition der Parteien, die mit einem Vergleich gemäß § 405 StPO zugleich eine Regelung über die besonderen Kosten des Adhäsionsverfahren und ihre notwendigen Auslagen treffen können (BGH, Beschluss vom
15. Januar 2013, 4 StR 522/12, juris; Herbst/Plüür, Das Adhäsionsverfahren, Seite 118; Havliza/Streng, in: Weiner/Ferber, Handbuch des Adhäsionsverfahrens, Seite 80).

10

Unterbleibt jedoch eine Einigung der Vergleichsparteien über die Kosten, hat das Gericht hierüber gemäß § 472a Abs. 2 StPO im Urteil zu entscheiden (vgl. Havliza/Streng, in: Weiner/Ferber, Handbuch des Adhäsionsverfahrens, Seite 80; Meier/Dürre, JZ 2006, 24; Gutt/Krenberger, ZfSch 2015, 489; MüKo/Grau, StPO § 405 Rn. 2). Denn ebenso wie in den dort aufgeführten Fällen des Absehens von einer Adhäsionsentscheidung und der Antragsrücknahme trifft das Gericht nach einem Vergleich keine Entscheidung über den ursprünglichen Adhäsionsantrag. Die Anwendung des § 472a Abs. 2 StPO fügt sich deshalb auch in diesen Fällen in die gesetzgeberische Konzeption ein.

11

Ein Rückgriff auf die zivilprozessuale Regelung des § 91a ZPO ist demgegenüber in
§ 472a StPO nicht angelegt. Eine nachträgliche Entscheidung entsprechend § 91a ZPO im Beschlusswege stünde vielmehr im Gegensatz zum gesetzlichen Regelfall des
§ 464 Abs. 1 und 2 StPO, wonach für ein durch Urteil abgeschlossenes Verfahren eine einheitliche Kostenentscheidung des Tatgerichts – in der Besetzung der Hauptverhandlung – vorgesehen ist. Da § 472a Abs. 2 StPO überdies einen mit § 91a ZPO vergleichbaren Entscheidungsmaßstab für die Kostenentscheidung vorgibt, besteht für eine entsprechende Anwendung von § 91a ZPO auch dann keine Notwendigkeit, wenn die Vergleichspartien wie im vorliegenden Fall ausdrücklich eine Billigkeitsentscheidung des Gerichts wünschen.

12

c) Gegen die vom Landgericht der Sache nach getroffene Kostenentscheidung gemäß § 472a Abs. 2 StPO ist gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO die sofortige Beschwerde zulässig. Dies gilt auch dann, wenn die Kostenentscheidung – wie im vorliegenden Fall – fehlerhaft nicht im Urteil, sondern nachträglich durch Beschluss ergangen ist (vgl. LR/Hilger, StPO § 464
Rn. 28; KK/Gieg, StPO § 464 Rn. 7). Dementsprechend ist das Rechtsmittel des Angeklagten gemäß § 300 StPO als solche auszulegen.

2.

13

Zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde ist derzeit gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO der Bundesgerichtshof berufen, da der Beschwerdeführer auch das Urteil vom 11. Juni 2021 angefochten hat und über seine Revision noch nicht entschieden worden ist.

III.

14

Eine Anfechtung der mit dem Beschluss vorgenommenen Festsetzung des Gegenstandswertes hat der Senat den Erklärungen des Angeklagten und seines Verteidigers nicht entnommen.

 


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